Montag, 31. Juli 2023

3322 Der barocke Überschwang

 



In der Marienkirche habe ich mich hingesetzt. Der barocke Überschwang lenkt mich immer von meiner Frömmigkeit oder was davon – soweit sie überhaupt je da und echt war – ab. Ich will es trotzdem versuchen. Jedenfalls gelingt hier der Maria der Salto ins Unvorstellbare, wenn auch auf dem Deckengemälde unverstanden und fast lächerlich dargestellt. Ich wüßte allerdings auch nicht, wie man diesen ungeheuerlichen atemberaubenden Vorgang bildlich darstellen könnte, aber ich unterstelle: die hier haben davon keine Ahnung mehr, wenn sie denn irgendwann eine hatten. Nein, es ist mir zu aufdringlich und theatralisch hier, das Unverständnis tut weh. Ich will ja gar nicht kritisch sein und eigentlich habe ich da auch nichts zu melden – ich bin ja kein Seher, und Angelesenes und Geglaubtes gibt es auf der Welt zum Saufüttern. Ich atme durch und versuche es nocheinmal.

Ich werde zur Tempelruine hinaufgehen; ein wenig warte ich noch. Ich will mir auch keine Illusionen über den Tempel und die früheren Kulte machen. Meine Ohren surren Alarm und beim Heraufsteigen sind mir die Zacken nur so durch mein Gesichtsfeld gelaufen (Überdosis Kaffee).

Ich vertraue meinem Impuls – was bleibt mir anderes über? - und stapfe jetzt aufs Plateau hinauf.

Am Plateau sitze ich auf einer Bank, von der ich weit nach Süden und weit nach Osten schauen kann. Der Wind streicht um den vielleicht heiligen Berg und bringt Gebüsch und Bäume in Erregung. Der Himmel hat sich stärker bewölkt; ein Moped jault unten im Flachen. Die Landschaft ist da unten so herzzerreißend ausgespannt, dass es meinen Augen eine wahre Freude ist.

Jetzt habe ich mich nach Norden gesetzt (ich habe es daheim im Internet überprüft) und dort brauen sich dunkle Wolkentürme auf. Unglaublich schön; mächtig und selbstbewußt ziehen sie dahin. Der Wind wird nun anlassiger, zupft und zieht an mir herum, Rosenstrauch und Feigenbäumlein ducken sich. Wenn ich nicht völlig die Orientierung verloren habe, kommen die Wolken aus Aquilea. Hinter der dichten Hecke gurren Hühner ihre lieblichen, sanften, kurzgehaltenen Gesänge, die ich abends so gerne höre. Rasenmähen oder Heckenschneiden ganz in der Nähe. Ich gehe wieder hinunter. Die Turmuhr schlägt halb.

Was das Rasenmähen betrifft bin ich vom Regen in die Traufe gekommen. Auch hier herunten arbeitet ein pe-es-starker Mähtraktor eifrig und auf vollen Touren und will gar nicht mehr aufhören.

(31.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3321 Ein Flugzeug donnert über den wolkigen Himmel

 



Der Weißling flattert zur Kapuzinerkresse, dann in meine Richtung, der ich vor unserer Wohnung sitze, aber biegt dann ab und fliegt zwischen zwei Gebäuden des Anwesens weg. Die großen Bäume am Rand bewegen von Zeit zu Zeit ihre Äste und Zweige und jetzt tun es die zwei Oleander direkt vor mir. Die Landschaft unten im Tal breitet sich grün und von Häusern durchsetzt hingebungsvoll aus. Weiße, freundliche Wolken ziehen langsam über die Landschaft und über mich her. Ich sitze im Schatten und der Wind ist hier etwas kühl; die Hitze der letzten Tage ist gebrochen. Die Geschirrtücher, die ich am Wäschegestell aufgehängt habe, auch sie schaukeln im leichten Wind. Ich höre die Kirchturmuhr von Frauenberg halb schlagen und die Baumaschinen nicht allzuweit, aber unsichtbar für mich hinter Bäumen und Büschen und Häusern. Und den unvermeidlichen Autoverkehr. Trotzdem ist eine Ruhe hier. Eine Ruhe, die ständig von kleinen Bewegungen umspielt wird. So etwas wie eine ausgedachte Begierde will mich und meine Bewußtsein ergreifen, aber ich drehe langsam, bedächtig und konzentriert den Kopf hin und her und wehre sie so ab. Den Bagger höre ich etwas ausschütten, ich vermute Aushub auf einen Lastwagen, weil er so sorgfältig seine Schaufel ausschüttelt. Und nun ein Flugzeug. Und nun die Brise auf meiner Haut, die auch das Plastiktischtuch des Tisches, an dem ich im Freien schreibe, bewegt. Ich gehe nun die Wiese hinunter, denn ich bin neugierig geworden und will den Bagger und seine Arbeit sehen. Die Kirchturmuhr schlägt zwölf und als die fertig ist läutet die Kirchenglocke und verkündet den von der Sommerzeit verfälschten Sonnenhöchststand des Tages. Tatsächlich baggert der Bagger eine Künette aus und lädt die Erde zwar nicht auf einen Lastwagen, aber auf kleine Kipptransporter. Zurück an meinem Platz wünsche ich mir die Menschen robuster; dann müßte ich nicht so zurückhaltend und vorsichtig sein (Ich muß selber über diese absurde Anwandlung und meinen dahinter durchschimmernden Größenwahn lachen).

Wie kann ich diesen Text jetzt einigermaßen glaubwürdig abschließen? Ein Flugzeug donnert über den wolkigen Himmel.

(31.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3320 Die hohen Bäume

 



Die hohen Bäume auf der anderen Seite der tiefer gelegenen Straße am Rande des Anwesens, wo wir den Urlaub verbringen, winken herüber an diesem sonnigen, sommerlichen Tag. Der Wind wird etwas stärker und darob geraten die Bäume und das Buschwerk in noch größere Aufregung. So auch ich: mein Herz klopft vom ungewohnten Kaffee und ich kann nicht aufhören, diese – wenn man sich darauf einläßt – wahrlich unglaublichen Bewegungen der Bäume anzuschauen. Wie ein Drama mit Botschaften, die ich nicht verstehe, aber die mich nichtsdestoweniger faszinieren. Ich weiß nicht, ob diese Mitteilungen wirklich an mich gerichtet sind, oder ob sie dort drüben miteinander und mit dem Wind und dem Universum reden und tanzen.
Der Himmel ist blau und die wenigen Wolken und Wolkenfetzen sind weiß. Ich bin sicher: würde ich mehrere Stunden lang und ununterbrochen diesen Bäumen und ihrem Tanz zuschauen – aber soweit reichen mein Enthusiasmus, meine Geduld und meine Ausdauer nicht – ich würde erneuert und als ein anderer Mensch daraus hervorgehen. So aber wird lediglich meine große Sehnsucht ein wenig wachgestreichelt, bis mich wieder irgendetwas ablenkt und mich mein unerlöster Geist woanders hintreibt oder ruhelos zu einer neuen Sensation oder einem neuen Hirngespinst lockt.

(31.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 30. Juli 2023

3319 Der römische Säulenstumpf

 



Frauenberg bei Leibnitz, 11:20 a.m. Vor einem antiken römischen Säulenstumpf – oder doch eher bloß eine nachgegossenen Kopie – man denkt sich vieles gern originaler als es ist – sitze ich im Museumspark am Lieb-Frauenberg - die meinige sitzt neben mir auf der Bank. In der Nacht war ein kurzes Gewitter und Regen und jetzt reißt es immer mehr auf und wird sonnig und heiß. Ein Feigenbaum wächst hier heroben, die Blätter anzubieten, um die römisch-katholische Blöße zu bedecken. Der weite Ausblick hier, nach Slowenien (Maribor/Marburg an der Drau zum Beispiel oder Ptuj/Pettau – alles weniger als 50 Kilometer Luftlinie entfernt – viel mehr zeigt die Tafel auf der Aussichtsplattform nicht an) und in anderes Umland. Die Kirchturmuhr schlägt halb. Im Norden sehe ich wieder so unglaubliche Wolkenballungen, die jedoch aus der aufgelösten Wolkendecke stammen. Es ist so schön hier, so schön! Der Maibaum lugt hinter der Museumshausecke hervor (dass der Maibaum nicht mehr Weltenbaum der Schamaninnen und Schamanen ist, sondern ein nur von den Dorfburschen zu bekletterndes Phallussymbol, zeigt die Verrohung der Sitten im Lauf der Jahrtausende. Aber das interessiert mich jetzt nicht). Es ist das ein Ort zum Verweilen – und ich hatte im Heraufsteigen schon die Befürchtung, dass der Platz inzwischen ein Restaurantgarten geworden ist und hier nur mehr ein konsumentischer Bezahlaufenthalt möglich ist und mich in eine prophylaktische Wut hineingesteigert.

Diese Ebene von Flavia Solva sozusagen, auf die ich hinausblicken kann, die meinen Blick so weit ausgleiten läßt, sie gefällt mir so sehr. Ich hatte meiner Frau, die jetzt neben mir auf der Parkbank liegt, einen Kurzvortrag über Alma Mahler-Werfel und Oskar Kokoschka – darüber lese ich gerade – gehalten und sie antwortet: „Hm! Hm!“. Da merke ich: sie ist an diesem ruhigen und schönen Ort eingeschlafen. Das ist ja ein uralter Frauenkultort und was immer die jeweiligen Kulte, Religionen und deren Wächter für Stücke gespielt haben – es wird das wohl ein Ort mit heilenden Energien und stärkenden energetischen Zusammenflüssen vor allem für Frauen sein. Die Kirchturmuhr schlägt dreiviertel. Die Spatzen zwitschern aufgeregt und laut, die Wolken im Norden spielen ihr großartiges Ballungsdrama – wenn es mir gelänge, auch meine Wahrnehmung auf Zeitlupe herunterzuschalten, würde ich es viel besser aufnehmen und fühlen können – und ich höre schon die Kinder und ihre Begleiterinnen rufen.

(30.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3318 Gleich das Frühstück

 



Lipnica, 7:59 a.m. „Ich war’s!“ steht in großer Schrift über der gesamten Fläche meines Gesichtsfeldes meiner schlafend geschlossenen Augen. Klingen tut’s eher wie ein Schuldeingeständnis in einem Mordsprozeß (sic!) und nicht wie „ich war es, der dieses oder jenes große Werk vollbracht hat!“ - zum Beispiel eine große Heldentat erfochten oder einen genialen Text geschrieben. „Ach was!“ denke ich mir jetzt „dann stehe ich halt auf und mache mir das Frühstück“.

„Wie soll man da dichten können!“ schimpfe ich mit meiner Frau, weil sie in Erarbeitung ihres Frühstücks die Kaffeebohnen mit ihrer elektrischen Handkaffeemühle – will sagen: die, wo frau den Deckel ständig niederdrücken muß, damit die Mühle mahlt – die mit diesem hochfrequenten nervenzerrüttenden hysterischen Wahnsinnssound - zerkleinert, denn mir ist doch noch etwas eingefallen, das ich unbedingt aufschreiben will. „Egal!“ denke ich mir „ich lass mir von ihr auch einen Kaffee machen!“. Also doch gleich das Frühstück.

(30.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3317 Die irdischen Autos sind Aliens

 



20:39 Heute ist ein schöner Abend. Neben dem Verkehrslärm und meinen singenden Ohren gibt es von irgendwo her Saturday-Night-Livemusik, zeitweilig vom Wind etwas vertragen. Die Dämmerung (nicht am Semmerung (!), sondern am Frauenberg bei Leibnitz) hat schon eingesetzt, graue Wolken und Wolkenfetzen überziehen den Himmel fast zur Gänze, wenn mich nicht sein schon grau und unbestimmt gewordenes Blau täuscht. Der Weingarten drüben hängt schwer und südlich an seinem Hügel gelehnt, zu seinen Füßen unter der Wiese leuchtet das große Haus. Ich bin halbwegs versöhnt mit dem Verkehrslärm und finde die Livemusik durchaus erträglich. Hier heroben kreuzen sich mehrere Straßen. Es ist windstill, die Bäume stehen ganz ruhig und unbewegt und sprachlos und warm und werden so in der Dämmerung mächtiger als Wächter dieser und einer anderen Welt. Die hohen Zweige der Platane dort zwischen den zwei Straßen schauen auf mich herab, der ich in etwa zehn Meter Entfernung sitze und jagen mir einen Schauder über den Rücken. Die Straßenlaternen da vorne und das erleuchtete Terrassenrestaurant daneben auf der anderen Straßenseite wirken so irreal, wie auch die sowas von irdischen Autos irreal wirken; in der aufkommenden Dunkelheit erscheinen sie mit ihren unwirklichen, zappelnden Alienslichtern, als wären sie von wild disziplinierten Geisterfahren mit striktem Plan und Auftrag gelenkt. Häuptling Abendwind kommt vorbei, aber so sanft und leise, kaum sehe ich eine Bewegung in den Büschen. Die Reifen der Autos und der Asphalt reiben einander, ihr Geräusch verrät, dass sie nicht zusammenpassen und sich gegenseitig quälen. So viel Schmerz bewegt sich da fort. Ich meine, winzige Tröpfchen auf der Haut zu spüren; sicher ist, dass die Gelsen lästig werden. Ich gehe ins Haus. Fledermäuse kreisen in der Dämmerung.

(29.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 29. Juli 2023

3316 Am Steinernen Wehr

 



Am Steinernen Wehr, das wegen des hohen Wassers zurzeit zur Gänze überspült ist. Das Wasser der Sulm ist braun, kalt, aber sehr, sehr erfrischend. Dem Sonnenlicht eignet eine gleißende Komponente und ich erwarte heute noch ein Gewitter. Die Wolkenperformance deute ich auch so. Meine Frau ist – so scheint es – bei den Nackten; ich mag da jetzt nicht über den steinigen und unangenehmen Grund hinüberwaten; ich warte noch ein wenig, dann steige ich wieder in den Fluß. Die typische Kulisse einer alten Badeanstalt; erstens die Holzarchitektur; dann akustisch das laute Rauschen der Sulm, dazu das Kindergeschrei, die rufenden Eltern, die unverständlichen Gespräche rundherum. Wind kommt auf, blättert in meinem Notizbuch - Und? Kannst du, lieber Wind, damit etwas anfangen? Gefällt dir meine Schreiberei? Wenn du mich zu einem guten Verlag, einer passenden Zeitschrift vermitteln kannst: nur zu! Treib mich und blase mich einfach hin; selber finde ich garantiert nichts – und tut mit den Zweiglein und Blättlein der Bäumchen recht lieb herum. Der Wind wird stärker, wechselt die Richtungen, läßt nach, setzt wieder ein. Am Horizont hinter den Hügeln tauchen Wolkenberge auf; aber ganz, ganz langsam schleichen sie heran. Die Kinder essen Eis. Zeit, ins Wasser zu gehen.

(29.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3315 Am Frauenberg

 



Lipnica/Frauenberg 8:40 a.m. Ich bin zum Frauenberg hinaufgestiegen, um den lokalen Göttinnen meine Referenz zu erweisen und für einen schönen Aufenthalt unserer Großfamilie zu beten. Ich trete in die Marienkirche und stelle fest: die Frauen haben diesen Kultort zurückerobert: auf den ersten Blick sehe ich hier nur Frauen, die in lockeren Kleingruppen zum Teil um Tische herum sitzen und diskutieren, reden, sich austauschen; der ganze Kirchenraum hallt von diesen Gesprächen und die schallrückwerfenden Wände verweben das zu einer eindrucksvollen akustischen Cloud. Nichts von: „das Weib hat in der Kirche zu schweigen“. Vielleicht – so meine Vermutung – eine Veranstaltung der katholischen Frauenbewegung, jedenfalls ist dieser neue, alte Geist an diesem uralten Frauenkultort wieder hergestellt. Ich denke schon, dass sich da irgendwo in diesem dichten Getümmel ein katholischer Priester in seiner heutzutage weiblich anmutenden Kultkleidung herumtreibt – denn es wird eine Messe gelesen werden, wie ich an den vorbereiteten Ingredienzien (Brot und Wein) erkenne; aber wahrscheinlich geschieht dieser Umbruch in den verschiedensten, auch abseitigen Bezirken und oft hinter dem Rücken und hinter den bewußten Absichten der beteiligten Akteure und Akteurinnen. Ich aber zünde mir meine drei Kerzen an, verweile kurz im still heruntergeratschten Gebet und verlasse die Frauenversammlung um nicht zu stören. Darum sitze ich jetzt auf einer Bank vor einer großen Linde (slowenisch: lipa) und schaue auf ein altes, aber renoviertes Haus mit großem Tor – vermutlich die Aufbahrungshalle – und den zwei davor abgestellten Autos und das Moped. Links befindet sich die Friedhofsmauer und dahinter die Kirche Maria Himmelfahrt, die Glocken schlagen neun Uhr, rechts geht es zum alten Tempel und die römischen Ausgrabungen. Ich finde, heute passt alles zusammen. Ich fühle mich momentan wohl hier, selbst wenn ich diese super gestylten Felgen des vor meiner Nase parkenden Autos anstarre. Schließlich suche auch ich ständig mein Auto, mein Selbst.

(29.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3314 Im Licht

 



Lipnica/Seggauberg 6:23 a.m. Als ich erwache blendet die Sonne durch die Jalousie hindurch und als ich ins Badezimmer trete, hüllt mich goldenes Licht ein, dass ich die Augen im Reflex schließe. Zurück im Zimmer. Der Wecker tickt schon die ganze Zeit. Ich öffne das Fenster, weil ich den sonnigen Morgen mit seiner frischen Luft und seinem unvermeidlichen Optimismus hereinlassen möchte. Jetzt bin ich im Licht. Die Sonne scheint mir direkt ins Gesicht und gnädigerweise zieht sie sich etwas hinter Wolken zurück. Es ist ganz still hier, ungewöhnlich an dieser stark befahrenen Straße. Endlich höre ich ein Auto im Dopplereffekt vorbeiheulen. Diese Sonnenglut, die hinter der Wolke hervorkommt, beschämt mich fast und ich senke meinen Blick. Aber ich sehe die frühe Sonne, das ist das Entscheidende. Ich sehe, wie der Tag beginnt und die ländliche Häuser- und Bäumeverteilung vor dem Fenster.

(29.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3313 Wolkenexplosion

 



Ich sitze im Garten dem Schloss Seggauberg gegenüber, hinter mir der uralte Frauenberg. Die Wolken sind grau und könnten irgendwo im Norden Regen gebracht haben oder noch bringen. Die Wolken sind aber nicht bloß grau, sondern bilden die unterschiedlichsten Gestalten: runde, volle, barocke Formen, dünne Schleier, langgezogene Wolkenbilder, an einer Seite ausgezackt wie Sägeblätter. Die Sonne – schon nahe am Horizont – macht Lichtspiele der subtilen Art. Im Süden überziehen den Himmel verspielte, in Zeitlupe tanzende Wolkenschlieren, eindrucksvoll in ihrem zarten und einfallsreichen Schwebezustand, wie von großen Künstlerinnen im Zustand tiefster Meditation und emotionalen Verdichtung hingeschleudert. Dort, wo die Sonne untergeht, sagen wir Nordwesten, sammelt und zentriert sich die Himmelsdramatik, schichten sich die verschiedensten Wolken übereinander, aber mit Bedacht, so, dass das letzte Sonnenlicht noch ein wenig in einzelnen Flecken durch kann und tröstend-traurigen Lichtschimmer macht und leuchtende Konturen auf so manchem Wolkengebilde. Der Weinberg da drüben hat sich seine Reihen horizontal gezogen – mir kommt der Hang recht steil vor. Durchzogen wird der Platz hier von einer verkehrsreichen Straße, die lockere Autokolonne hört fast nie auf. Doch! Jetzt! Aber andere Straßen in der Nähe – zum Beispiel die über der Sulm drüben – helfen dem nachlassenden Verkehrslärm, sich tapfer aufrecht zu halten. Wie es am Land halt so ist. War das die erste Fledermaus oder ein später Vogel? Ich vermute letzteres, aber es ist so schnell gegangen, mein Auge ist nicht mitgekommen.

Hinter dem Zaun steht die Maria vorm Kreuz schleppenden Jesus und ringt ihre Hände in gespielter Verzweiflung. Der Jesus steht wie unbeteiligt, das Kreuz gleichgültig geschultert, schaut gelangweilt drein und macht den Eindruck eines schlechten Schauspielers irgendwelcher heruntergekommenen Passionsspiele. Im Norden die Wolken schauen nun wirklich regenschwer aus, aber die Abenddämmerung kann täuschen. Auf der Wiese unterm steilen Weingarten grasen Schafe. Das Licht im Westen ist weg. Es ist von einer feingerippten Wolkendecke gut verhüllt, nur weiter oben ist die Decke schon schleißig und ein paar weißliche Lichtflecken der untergegangenen Sonne schimmern durch. Für einen kurzen Moment gibt es hier fast die sehnsüchtig erwartete Abendstille, dann startet ein Wagen in der Nachbarschaft, dessen Geräusch ich zuerst für ein fernes Donnergrollen gehalten habe. Das Regenhafte in den Wolken zieht immer weiter in den Süden her. Der gesamte Himmel ein Wahnsinnsgemälde in grau. Es gibt nur eine schmale weißliche Passage im Ganzen und darüber ein trübes Regenweiß als Zentrum; wie der Abglanz des Kerns einer fernen Wolkenexplosion.

(28.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3312 Überschritten

 



Wenn einer eine Reise macht, so kann er was erzählen – heißt es. Gut, probieren wir es: Ich sitze jetzt im Schwimmbad von Lipnica am Rande der Großfamilie. Eis habe ich schon gegessen, die Sulm rauscht mächtig hinter mir. Sommerliche Trägheit, das Kopfweh ist mit dem gemundeten Eis weggeschmolzen. Das Vogelhäuschen hoch oben im Baum hängt ganz schief und schaut lädiert aus und bildet einen schönen Kontrast zu der Schwimmbad- und Freizeitbereicharchitektur. Nun überfällt mich große Müdigkeit; vor lauter Reiseaufregung habe ich die Nacht kaum geschlafen. Hinlegen.

Im Liegen betrachte ich das typische Nachmittagslicht auf Bäumen, Wänden und Co. Es sind noch Stunden bis zum Abend, aber das – einerseits – satte Licht, dessen Sattheit dennoch schon ein Mangel anhaftet, der das Licht transparent und durchscheinend für die unsägliche Welt dahinter macht, hat schon die irdische Vergeblichkeit in sich und den Abschied. Alle Bäume stehen ganz still in diesem vertrauten und fremden Licht (meine Frau yogisiert mir ihre Beine in diesem ernsthaften Beschreibungsversuch in mein schräg gestelltes Blickfeld – ich liege zur Seite gedreht – und schneidet es brutal entzwei). Jetzt geht sie weg und der Anblick der Welt ist wieder voll dieses gelblichen Lichts, das auf den Bäumen am helllichten Tag (also gut: drei l) den kommenden Abend verkündet und dass der Höhepunkt schon längst überschritten ist.

(28.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 27. Juli 2023

3311 Ich dämmere in den Wachzustand

 



8:30 a.m. Fugat mocavium. Ich dämmere in den Wachzustand und merke: ich streite mit Döbereiner. So wie es ausschaut wird das mein ganzes restliches Leben nicht mehr aufhören. Gut. Wenden wir uns dem heutigen Morgen zu: frisch und angenehm, ohne jede Hitzehysterie. Die Möwe pendelt neben meinem Kopf, die Alltagsgeräusche, die mein Zimmer und mein Ohr erreichen, sind normal und nicht extrem. Okay, gerade jetzt, wo ich das hinschreibe, fängt an der Baustelle ein Wirbel an, der meine Behauptung widerlegt. Der größte Lärm ist dennoch in meinem Kopf. Ein stiller Luftzug kommt in meine abgelegene Kammer. Starr lehne ich in meinem Bett und rühre mich nicht. Wie angenagelt. Nur meinen Kopf und meine Hände – nicht meine Arme! - kann ich ein wenig bewegen. Oder will ich bewegen. Ich fühle es nun: es muß in mir eine Revolution her, anders geht es nicht; ich komme sonst nicht mehr weiter. Ich kann doch nicht jeden Tag aufwachen und mich mit einer Begegnung abgeben, die fast 35 Jahre – mein halbes Leben – her ist (Fugat mocavium). Das muß sich doch irgendwie zurechtrücken lassen. Ich kann noch nicht zulassen, dass ich davon immer noch geblendet und gefangen bin. Ich bin aber noch davon geblendet und gefangen. Alle meine Kämpfe haben nicht ausgereicht. Ich will aber auch nicht in den blinden Hass flüchten, sondern versuchen, in der Wahrheit zu bleiben; wenn es nicht anders geht, dann auch im genauen Zorn, der sehen kann, was war und was ist.

Wie klein meine Bilder und Karten an den Wänden sind.

(27.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 26. Juli 2023

3310 Der springende Punkt

 



Ungefähr 8:30 a.m. Wieder einmal hoffnungsvoll in der Kunstszene unterwegs. Wieder einmal vielversprechend an einer Frau interessiert. Wieder einmal sinnlos herumgeirrt. Wieder einmal ist sang und klanglos keine Ausstellung meiner Werke oder sonst etwas daraus geworden: Meine Träume wiederholen auch schon verdächtig oft dieses Muster und bevorzugen offensichtlich die Scheiterungslösung. Ich werde das bald abgeschüttelt haben. Für heute. Bis zum nächsten oder übernächsten Traum. Aber das ist nicht der springende Punkt.

Es ist ein angenehm kühler Morgen eines normalen, nicht extremen Sommertages. (Das ist auch nicht der springende Punkt. Den nämlich will ich nicht verraten.) (Der springende Punkt hat auch nichts mit Sex zu tun. Ich kenne den Mainstreamzeitgeist!)

(26.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3309 Ein Boot kündigt sich akustisch an

 



Das flott fließende falbgrüne Wasser der kleinen Donau – wie ich den Donaukanal in Zukunft nennen werde – zieht als ein weißgrünliches Fließband durch das vegetationsgrüne Spalier. Der Regen hat aufgehört; nur noch vereinzelte winzige Tröpflein. Die Farbe der kleinen Donau erinnert mich an die Enns, den Fluß meiner Kindheit. Die rasengemähte Wiese am Hang zur steilen Uferböschung hinunter hat sich noch nicht wirklich von der Trockenheit erholt und braucht noch mehr Regen. Die Wolken beginnen auszudünnen und an manchen Stellen aufzureißen. Aber wie gesagt: wir brauchen mehr Regen. Ein Boot kündigt sich akustisch an und da kommt es schon und ist schon wieder weg. Es rauscht von der Welle an den Ufersteinen und das Wasser ist noch länger aufgewühlt. Ich bleibe noch ein wenig auf der Bank sitzen, dann gehe ich wieder hinunter zum Uferpfad. Die Wasseroberfläche ist wieder glatt.

(25.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 25. Juli 2023

3308 Es donnert

 



2:17 a.m. Das gesamte Zimmer mit Mann und Maus sinkt nach unten.

8:55 a.m. Das schöne Geräusch des Regens hat nicht verhindern können, dass mich wieder diese diffuse Angst anfährt.

9:09 a.m. Der Regen wird stärker und die Angst hat sich in der Leibesmitte festgesetzt. Der Regen läßt nach, die Angst bleibt. Ich entkrampfe meine linke Hand. Ich versuche, in die Angst hinein zu spüren, aber sie bleibt gesichtslos. Und ohne Geschichte.

9:17 a.m. Mir kommt es vor, ich kenne die Angst aus meiner Kindheit und ihre Zeit war ebenfalls in den Sommerferien, vornehmlich an verregneten Tagen. Dies Angst hat etwas Würgendes an sich.

9:33 a.m. Die Tageskinder lärmen fröhlich die Stiegen herauf. Es donnert. Die Angst bekomme ich nicht zu fassen; sie hält sich nun versteckt. Ich entkrampfe die linke Hand. Das Geschehen unten bei den Tageskindern, das ich hier hören kann, zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Die Anwesenheit der Kinder in der Wohnung scheint meine Angst zu vertrieben zu haben. Jedenfalls zeigt sie sich nicht.

9:57 a.m. Ich fühle in die Leibesmitte. Eine kleine Verhärtung kann ich aufspüren, eine Konzentration von Energie. Als würde ein Wille sich sammeln und auf die Welt ausgreifen wollen und kann es nicht. Dann war das vorhin wohl Lebensangst.

Ich werde jetzt durch den Trubel unten in die Küche zum Frühstück gehen.

(25.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 24. Juli 2023

3307 Die nasenbohrende Frau

 



Die Hitze drückt die Wasseroberfläche der kleinen Donau ganz flach, aber jetzt sitze ich oben im Schatten und blicke so halb auf die Obere Donaustraße und so halb über den sogenannten Donaukanal. Vom Wasser selbst erhasche ich nur einen winzigen Ausschnitt am anderen Ufer. Eine nasenbohrende Frau in rotem Rock, die unbehelligt vorbeigeht, erinnert mich allein durch ihr Vorbeigehen daran, dass ich zu schlecht, zu minder und zu schwach für die Welt bin. Beziehungsweise daran, dass das einer meiner stärksten und am stärksten verankerten Glaubenssätze ist. Tiefer als der komme ich beim Graben in meiner Seele nicht. Fucat mocavium will aufkommen! Abgeblitzt! (das bezieht sich auf die Beschimpfungen durch den Bajuwarischen Affenarsch, die ich jetzt super abgewürgt habe!)

Ich schwitze wie ein Palmesel; ich höre und sehe – aber nur den obersten Bereich – ein Boot vorbeituckern. Was für eine tröstliche Bewegung! Sirenen, natürlicher (!) Verkehrslärm. Und jetzt ein angenehmer Wind. Ich hoffe, heute kracht es noch ordentlich; vor allem brauch ich den Regen zur Abkühlung und für meinen klandestinen Garten, von dem ich gerade heraufgestiegen bin und wo ich wieder – ich hoffe mit intelligenterem System – ausgesät habe. Ich gehe weiter. Als nächstes sind Einkäufe angesagt. Der Wind kommt an dieser Stelle und im Moment von links, was mich wundert, denn ich schaue in etwa nach Norden und habe den Wind vorhin vom Südosten gespürt.

(24.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3306 Aufstehsperre

 



8:39 a.m. Die Rekonstruktion des gestrigen Taunus-Krimis ist stecken geblieben und hat sich dann überhaupt verlaufen und aufgelöst. Mein Geist hängt dumpf und wie vor den Kopf gestoßen herum. Mein Herz klopft. Ich bin nervös. Ich sage mir vor, dass ich heute keine Verpflichtungen habe, dass ich schlafen kann, so lange ich will. Trotzdem bleibe ich aufgeregt. Jetzt beginnen sogar die Zähne zu klappern.

11:00 a.m. Es ist schon so heiß. Schwitzend hocke ich noch im Bett. Ein paar Zeilen und Sätze wenigstens, bevor ich aufstehen darf. Im Halbschlaf sind mir die schönsten absurden Sätze nur so herausgesprudelt, nur nicht bis in Notizbuch und Erinnerung. Da kann man nichts machen! Mich drängt es zu Aufstehen, Tagewerk und Frühstück. Na gut! Ich hebe die Aufstehsperre auf.

(24.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3305 Blinzeln

 



2:42 a.m. Mir kommt vor, das Unbekannte greift nach mir, denn ich bin traurig. Nichts Dramatisches, sondern ein Schleier von Schwermut liegt über allem. Diese Lady, vom Alex Katz gemalt respektive gezeichnet, deren Blick mir oft als mich verachtende erscheint, schaut heute fast bittend und flehentlich her. Aber ich kann ihr nicht helfen; ich bin kein Heiler, kein Erlöser und kein echtes Gegenüber. Wer bin ich schon? So segne ich sie halt – ich habe da schon soziale Hemmungen, aber keine inhaltlichen. Auch nicht damit, dass ich dabei ein Kreuz in die Luft zeichne, weil ich das Kreuz – viel älter als das Christentum – gar nicht so sehr mit diesem sogenannten Christentum als Konfession verbinde, sondern im Letzten mit der vertikalen Verbindung – diachron – durch die Zeit, von den Vorfahren bis zu den Nachkommen, und horizontal die Verbindung – synchron – mit Gegenwart, Welt und der lebenden Menschheit. Das können alle brauchen.

Jetzt staunt die Lady ein wenig und weiß nicht recht, was sie damit anfangen soll (oder kann). Ich fixiere sie mit meinen Augen; ich will das jetzt austragen. Mein Blick wird aber abgelenkt, die Zeichnung einer Platane über ihr schiebt sich leuchtend, bunt und verklärt ins Zentrum. Zurück zum Porträt hebt die Dame ein wenig die Augenbrauen, die erstaunlich heller werden. Rund um dieses Gesicht beginnt ein großes Flirren, bis meine Augen ihrem Blick nicht mehr standhalten können und zu blinzeln und zu tränen beginnen.

(24.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 23. Juli 2023

3304 Stabilitas loci

 



Ein vielversprechender Sommertag über 30 Grad steigt herauf. Schwimmen gehen steht im Raum. Ich aber mag die Wohnung nicht verlassen. Was soll ich „draußen“? Ja, ja, ich höre es eh immer noch: „jetzt geh raus zu den andern! Du wirst noch ein richtiger Stubenhocker! Raus mit dir!“ Was soll ich inmitten der Menschen, die ganz anders ticken? Die Abenteuer, Erlebnisse, Selbstbehauptung und Streit (oder „Diskussion“) suchen? Meinetwegen wirklich bloß Begegnung und Kontakt? Wind, Wolken, Sonne Bäume, das Wasser – das ginge ja noch, aber normale Menschen? Nein, ich bleib lieber zu Hause, lese ein wenig, schreibe ein bisschen (die text-ile Arbeit macht mir solche Freude), beschäftige mich mit meinem inneren Monolog, den Erinnerungen, den Phantasien von Abenteuern und Erlebnissen, surfe im Internet, poste und kommentiere auf Facebook, wandere durch die Gänge und Zimmer der Wohnung, zu den Pflanzen oben und zu den Pflanzen unten und gieße sie, wandere allerhöchstens – vielleicht! - zu meinem klandestinen Garten – vielleicht!, schaue Krimis, bringe die Zeit so hin … was soll ich dort draußen im Menschengewühl? Die lenken mich doch nur noch mehr von meiner wahren Sehnsucht ab.

(23.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3303 Nein. Im Gegenteil

 



Das junge Nussbäumchen – glaube ich – wackelt und schaukelt noch so kindlich im Wind und als es das Gleichgewicht wieder findet und der Wind Ruh gibt, steht es zart und dünn, fast filigran da, dass ich mir Sorgen mache. Die riesige Thuja zeigt ihre versehrte Seite, ihre braun und hässlich vernarbte Wunde her, aber auch sie schaukelt in der wiederum aufkommenden Brise, die auch mir die nackten Beine und Arme streicht. Ein angenehm aufregender Schauder läuft durch meinen Körper. Die Wolken, die da oben ziehen, sind mehrheitlich weiß und vertrauenserweckend , obwohl sie sich ständig ändern. Jetzt bläst der Wind stärker und alle Bäume rundum führen einen erregten, schönen, Augen erfrischenden und Herz beglückenden Tanz auf, einfach im Stehen. Die windige Choreographie gibt jetzt vor, dass die Bäume ganz hinten sich dehnen und strecken, zappeln und winken, sich öffnen und sich schließen, während die ganz nahen ganz ruhig und andächtig verhalten. Und nun tanzen die in der ersten Reihe. Selbst die Thuje, die ich wie alle ihrer Art nie so wirklich mochte, bewegt sich oben gefasst und besonnen leicht hin und her, während herunten ihre Wunde klafft. Von dieser Thuje dachte ich immer, ich würde sie fällen, wenn der Garten mir gehörte. Jetzt aber weiß ich: ich würde es nicht übers Herz bringen. Nein. Im Gegenteil. Ich bitte sie wegen meiner bisherigen Ablehnung und Abneigung um Verzeihung und biete ihr – wenn sie das annehmen kann – meine unwürdige und wirkungslose Freundschaft an. Fugat mocavium.

(22.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 21. Juli 2023

3302 Unten am Fluß

 



Ich sitze unten am Fluß, der Himmel ist grau, das Wasser grün und fließt flott vorbei. Der ungemähte Wiesenstreifen direkt über den unteren Ufersteinen grünt und blüht und grünt und blüht und grünt und blüht. Ich sitze nicht wirklich bequem und mein Notizbuch will ständig den Abhang hinunterrutschen, wenn ich nicht aufpasse. So schöne ernst getragene Wellen im Wasser, dessen Oberfläche der Wind – so scheint es – glatt streicht. Ich habe mir einen anderen Sitzplatz gesucht, von dem ich annehme, er ist bequemer. Die Äste der Uferbäume wiegen sich im Wind. Eine Autosirene durchschneidet den Verkehrslärm der beiden Durchzugsstraßen an diesem und am anderen Ufer. Der Fluß – ich mag ihn nicht als Donaukanal ansprechen und ihn auch nicht mit der neuen Rechtschreibung auf ss denunzieren – beeindruckt mich da herunten vom Ufer aus immer wieder. Ich hoffe für meinen klandestinen Garten sehnsüchtig auf Regen. Es zieht – so wie gestern – herum, aber schaut nicht wirklich darnach aus. Idylle bekomme ich keine zustande: da ist der Stein, auf dem ich sitze, viel zu hart, die Böschung zu steil, kitzeln mich die verdorrten Grashalme an den nackten Beinen zu sehr und bläst mir der Ostwind zu lästig meine Haare ins Gesicht. Ich lege meine Kappe ab, weil die mich auch stört. Da wird das mit den Haaren freilich noch ärger. Ich setzt die Kappe wieder auf. Der Wind will mir die Seiten umblättern. Wenn wir schon dabei sind: zum Schreiben die Lesebrille, zum Schauen besser ohne, das Blickfeld über dem Brillenrand hat wenig Ausdehnung, wo noch ständig der Schirm meiner Kappe vor die Augen rutscht. Und Insekten und Ameisen – die können lästig sein. Ich glaub, es kommt ein Boot. Es kommt ein Boot. Das gibt Wellen, die an die Ufersteine schlagen. Welche Aufregung. Und ehrlich: schauen und beschreiben – beides möglichst gleichzeitig – ist auch alles andere als entspannt. Ich frage mich: bin ich jemals in einer Wiese gelegen und habe träumend in die Wolken gegafft? War das wirklich? Oder habe ich das nur gelesen?

(21.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3301 Auch nicht leicht

 



8:14 a.m. Heute haben wir wieder einmal die Angst am Morgen. Es ist still in dieser gottverlassenen Welt. Mein Leben ist nicht gelungen – so fühlt sich die Angst an; Angst vor der aufsteigenden Wahrheit. Die Stille hat durchaus etwas Wohltuendes, Erholsames (ich will es unbedingt haben, dass die Stille gut ist). Bricht mein kleines Reich zusammen? Ich dachte, das wäre nicht von dieser Welt? So kann man sich täuschen. Die Angst ist immer noch da. Meine Vernunft setzt ein und will aufräumen. Ich habe den Eindruck, die weiß jetzt auch nicht so recht wie. Ein unwillkürliches, kräftiges Niesen reißt ein Loch in den Angstvorhang. Ich entspanne meine linke Hand so gut es geht. Wie viel Fehleinschätzungen und Lebenslügen verderben denn noch immer mein Leben am anderen Ende der Welt? Meine Mutter hatte es auch nicht leicht; sie hat erst mit 28, 29 mitbekommen, dass es so etwas wie Gastfreundschaft, Menschen, die auf Besuch kommen und die erwarten, bewirtet zu werden, gibt. Wo sie aufgewachsen ist, gab es keine Freunde und keine Gäste. Fugat mocavium.

(21.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3300 Stichwort

 



0:56 a.m. Ich bin müde und gähne mit weit aufgerissenem Maul, dass mir die Tränen in die Augen steigen. Ich bin müde, aber noch nicht bereit zum Schlafen. Etwas will noch behandelt oder ausgesprochen werden, etwas muß noch geklärt werden. Was, das weiß ich noch nicht; meine Seele hat es mir noch nicht gezeigt.

Eine lustige Kindheitsszene mit meinem Vater fällt mir ein, als wir Kinder und ein Freund von mir mit ihm auf eine Berghütte gewandert sind und er uns einen Witz erzählt hat. Über diesen Witz mußten der Sepp und ich lachen, so sehr, dass wir nicht mehr damit aufhören konnten. Auch noch am zweiten Tag der Wanderung brauchte nur einer ein Stichwort aus dem Witz aussprechen („prompt geliefert!“) und schon mußten wir loslachen und konnten uns nicht einkriegen. Ja so konnte es mit meinem Vater auch sein.

Und jetzt? Jetzt surrt eine Gelse durchs Zimmer. Und ich bin wirklich müde.

(21.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3299 Mein Zentralnervensystem

 



Im Warteraum der Ordination. Erdgeschoß, darum lärmt die Straße so stark herein, aber eigentlich finde ich es toll: ebenerdiger Zugang zur Ordination direkt von der Straße, ohne durch diese monströsen, hässlichen, einschüchternden 19. Jahrhundert-Stiegenhäuser zu müssen. Der Ventilator – wenn dieses Ding da überhaupt noch so heißt – ist für ein solches Gerät relativ ruhig und dezent und schickt angenehmen Wind aus. Wie er das macht, weiß ich nicht, ich sehe nichts Rotierendes, nur er selber dreht sich hin und her. Ich gehe hin und versuche es herauszufinden. Ein Mann erklärt mir, wie das Ding funktioniert, aber wirklich verstanden habe ich es nicht.

In einer Ordination möchte ich nicht alt sein; ich lehne das Altsein in Ordinationen entschieden ab. Mir sind solche Orte immer unangenehm. Noch schlimmer sind Spitäler. Gottseidank war ich noch nie in einem eingeliefert. Der Gerätewind ist bei dieser schwülen Hitze wahrlich angenehm, aber wohlfühlen kann ich mich hier nicht (ich schreibe zur Selbstbehauptung, dass ich nicht im Vorfeld schon untergehe). Vermutlich schreibe ich überhaupt zur Selbstbehauptung.

Ein alter Mann liest ein Buch – da wäre ich zu aufgeregt für (ich kann auch Bundesdeutsch!), alle anderen smartphonisieren (ich kann auch Worte erfinden). Die Ordination ist klug gestaltet, zum Beispiel gibt es an der Wand eine durchlaufende Sitzbank – und das in Zeiten wie diesen! Das ist wirklich gut gelöst, dazu fünf Sessel (deutsch: Stühle), eine Glaswand, die mit blickdichten Streifen durchzogen ist: man sieht genug durch, dass man sich auskennt und das Geschehen dahinter im Eingangs- und in den Gängen zum Ordinationsbereich mitbekommt, aber fühlt sich dennoch vor den Blicken geschützt. Wirklich nicht schlecht. Und der unvermeidliche Propagandabildschirm ist – Dankeschön! - stumm und finster. Trotzdem fange ich an unruhig zu werden. Ich werde mir ein Wasser holen.

Aus den Lichtverhältnissen schließe ich, dass Wolken aufgezogen sind. Naja, die obligatorische Schusterpalme oder wie die Pflanze heißt. Ich gehe jetzt nicht hin und überprüfe, ob sie aus Plastik ist oder lebt. Ich warte also.

Jetzt warte ich schon ein wenig lang und habe den Verdacht, dass schon einige später gekommene vor mir drangekommen sind und ich beginne mich zu ärgern. Aber ich weiß es nicht wirklich – nur das ist klar: auch ich hatte einen fixen Termin – und ich durchschaue das hiesige System nicht – wie alles in der Welt – überhaupt nicht. Ich versuche mich zu beruhigen. Vergeblich. Nicht gut bei einer Herzuntersuchung. Bin mindestens auf 150. Das Wartezimmer ist fast leer. Sicher haben die mich zurückgereiht; ich warte schon gut eineinhalb Stunden und Patienten, die nach mir bei der Tür hereingekommen sind, sind vor mir behandelt worden. Hinnehmen oder aufregen? Wenn und wo immer ich mich lautstark aufrege, bin ich immer noch letztlich als Trottel dagestanden, weil ich wirklich ins Unrecht gerannt bin (Nachtrag: die nach mir könnten ja in ihrer Wartezeit weggegangen sein und später wiedergekommen) oder meinen Aufstand nie durchhalten konnte und mich immer verunsichern habe lassen. Jetzt geht mir auch der Lärm hier immer mehr auf die Nerven; selbst das moderate Surren des Ventilators (oder was das ist) finde ich in Wahrheit aufdringlich und Nerven zersetzend.

Ich werde aufgerufen und komme dran. Aller Groll ist weg; einfach weggeblasen. Ich bin ganz brav und kooperiere vorbildlich, mache meine halblustigen Scherze (glaube ich das tun zu müssen, um die Autoritäten milde zu stimmen um zu verhindern, dass ich vor Gericht komme oder gelyncht werde?). Anscheinend unterstelle ich immer noch, dass ich fürs Bravsein (und das ist wirklich nicht tapfer; höchsten gegen das eigene Empfinden) in den Himmel komme? Obwohl ich weiß, dass dem garantiert nicht so ist? Offensichtlich hat diese Botschaft mein Zentralnervensystem noch nicht erreicht.

(20.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 20. Juli 2023

3298 Gekräuseltes Kraus

 



8:15 a.m. Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf das akustische Theater aus Geklopfe auf Holz, Fetzen von klassischer Orchestermusik, diversem Maschinengeheule und ähnlichem, weil mein Herumschauen nichts ergeben hat. Jetzt könnte auch eine Harfe mitspielen. Und gehämmert wird auch. Ich entkrampfe meine linke Hand. Zwei Sekunden später ist sie wieder verkrampft. Das Geräusch, das wie langsames, bedächtiges Klopfen auf Holz klingt, ist richtig elegisch. Im Gegensatz zum Hämmern, das einen sehr schnellen, vorwärtstreibenden Rhythmus hat. Dominant ist immer diese Motorsäge, die jault und kreischt alle anderen Laute nieder. Türen. Menschliche Stimmen, original und aus dem Radio. In den ruhigeren Phasen übertönt mein Ohrengedröhn alles andere. Klospülung. Jetzt öffne ich meine Augen wieder. Aber sie fallen mir wiederum zu.

9:35 a.m. Einzug der Tageskinder. Meine Augen sind verklebt. Der fixierte Praterstern. Das Wasser enthält gekräuseltes Kraus – lese ich auf einer Metalltafel. Danke für alles und darüber hinaus.

(20.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3297 Fugat mocavium

 



0:06 a.m. Weil mir nichts zu schreiben einfällt, entkrampfe ich meine ständig verkrampfte linke Hand. Auf diese Idee gebracht hat mich ein leises Stechen und Ziehen in der Herzgegend, das mir aufgefallen ist, weil ich an den Termin heute/morgen am Nachmittag beim Kardiologen gedacht hatte. Routineuntersuchung. Sonst gibt es nichts zu berichten, als vom üblichen Ohrengesurre, wie immer wenn es still ist. Es ist still und mein kleines Zimmer steht stumm und fest da, nichts klirrt. Ich bin noch bei der 1934er Lektüre und habe die damals zerschossenen Häuser im Kopf und bin etwas beunruhigt. Meinen bequemen Unterschlupf will ich nicht verlieren. Ich muß jetzt – für alle zukünftigen Texte – ein Kürzel, eine Tarnbezeichnung für folgendes Geschehen finden: mein Geist schweift herum und findet sich über kurz oder lang in einer Auseinandersetzung mit dem Münchner Astrologen Wolfgang Döbereiner – Gotthabihnselig. Zuerst versuche ich ihm irgendwelche Zusammenhänge zu erklären, ihn auf mögliche Irrtümer oder Ungenauigkeiten hinzuweisen – zuerst demütig und freundlich und fragend, so in dem Ton: „könnte es nicht sein, dass … ?“ Das kann sich aber dann steigern und im Zorn enden. Meistens aber phantasiere ich ihn mir als einen aufmerksamen Zuhörenden, der bereit ist, meine Anmerkungen, Ergänzungen (zB Bayern hat ein völlig andere Geschichte als Österreich; angefangen von der Besiedlung bis zu den Religionskriegen), auch Einwände zu bedenken, zu überprüfen und gegebenenfalls auch anzunehmen. Und wenn er sie ablehnt, erklärt er es mir ruhig und sachlich, wieso. Das ist alles sehr unrealistisch und weit davon entfernt, was ich in der wirklichen Begegnung zu sagen mir getraut habe. Weil der große Zampano auch in meinem Phantasiedialog – und das ist schon realistischer - auf Einwände sehr aggressiv reagieren kann, steigere ich mich beim Versuch, mir Gehör zu verschaffen, bis in einen wilden Zorn und schreie ihn nieder – das ist wiederum sehr unrealistisch. Also für dieses ständige, oft mehrmals tägliche Reinkippen in diese inneren Auseinandersetzungen mit Döbereiner und meine Rechtfertigungsversuche brauche ich einen Namen, weil ich das Ganze schon nicht mehr beschreiben will, wenn es auftaucht, weil mir dabei schon vor mir und meinen immer gleichen Dialogen ekelt. Wenn ich also einen Abend – so wie jetzt – beschreibe und das Kürzel XY – ich muß es noch erfinden – herschreibe, dann wißt ihr: er ist wieder einmal in sein Döbereinerloch gefallen. Und das dauert jedesmal, bis ich es da wieder heraus geschafft habe!

Zackbumm? Ich weiß nicht recht; so zackig passiert das nicht; es ist eher wie ein Abgleiten in Trance wo ich den Vorgang selbst gar nicht richtig mitbekomme und plötzlich aufwache und feststelle: ich streite innerlich wieder mit diesem Münchner Affenarsch.

Rutschpartie? Nein, das ist viel zu lächerlich. Es darf den Text nicht gleich so stören. Und lustig ist dieser Zwang auch nicht.

Die Wolf-Gang? Zu polemisch. Und cool bin ich dabei überhaupt nicht. Keine Situation für Namenswitze. Es muß schon ein wenig verfremdet und tarnend sein. Ich will mich ja nicht jedesmal bloßstellen. Ich werde weitersuchen müssen. Vielleicht fällt mir im Traum etwas ein.

Ich hab’s! Das habe ich vor Jahrzehnten geträumt: Fugat mocavium! Also immer, wenn ich „fugat mocavium“ schreibe, bin ich mit meinem inneren Dialog in einen Streit mit Döbereiner geraten. Fugat mocavium.

(20.7.2023)

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Mittwoch, 19. Juli 2023

3296 Der Gutmensch

 



9:47 a.m. Heute habe ich sogar den Einzug der Tageskinder – normalerweise ein verlässlicher Aufwecker – verschlafen. Mir soll es recht sein, denn die Hitze setzt mir zu und außer Wäschewaschen um die Mittagszeit habe ich nichts vor. Es geht dabei nämlich um die Stoffetzerl (das mit den drei Konsonanten schaut einfach sehr blöd aus. Warum traut man den Menschen nicht mehr zu, diese Schreibabkürzung zu durchschauen und zu verstehen und über das Fehlen eines Konsonanten nicht zu verzweifeln und dabei an der Sprache nicht irre zu werden?), die meine Frau, die Tagesmutter, verwendet, um den Kindern Mund, Hände etc. abzuwischen. Sie hat viele solche Tüchlein, aber am Mittwoch müssen die von Montag bis Mittwoch verwendeten gewaschen werden, weil sie mit den restlichen nicht bis zum Wochenende auskommt. Und das ist meine Aufgabe. Nach dem Mittagessen der Tagis kann ich das Zeug – natürlich mit all der anderen anfallenden Wäsche, wie zum Beispiel die Schürzchen, die die Kinder beim Essen tragen, aber auch mit der unseren, Handtücher usw. - auf 60 Grad in die Waschmaschine schmeißen. Ja, ich nehme diese Aufgabe ernst und mach mich nicht lustig darüber! Das ist ein kleiner, aber doch ein Beitrag zur Verbesserung der Welt. Doch! Doch! Trotz Verwendung von chemischen Waschmitteln. Eine Zeitlang hatte ich indische Waschnüsse verwendet, bis ich drauf gekommen bin, dass mit dem Export der Waschnüsse aus Indien gerade den Armen dort ihr günstigstes Waschmittel, das auf Bäumen wächst, gestohlen wird und sie dann gezwungen sind, chemischen Scheiß zu benutzen, der für sie sehr teuer ist und die Flüsse, in denen oft noch die Wäsche gewaschen wird, ungefiltert vergiftet. Ja, und bis meine Frau angemerkt hat, dass die Wäsche nicht mehr so strahlend ist (da in den Waschnüssen keine giftigen Bleichmittel sind). Es ist nicht leicht, ein Gutmensch zu sein. Darum bleibe ich lieber im Bett; so kann ich am wenigsten anrichten, oder? Oder? Hallo! Ich habe euch etwas gefragt! Oder? Oder darf die geistige Arbeit nicht unterschätzt werden, weil sie Arbeit am Sinnhorizont einer Gesellschaft oder einer Epoche ist, der dann der Rahmen ist, in dem gehandelt und agiert wird und der dann als Orientierung das Bezugssystem für Entscheidungen und Bewertungen abgibt? Schreiben als Arbeit am Sinnhorizont, ohne einen solchen – bewußt oder unbewußt vorgegeben – kein Handeln möglich ist, Arbeit an seinem Aufbau, an seiner Differenzierung, an seiner Veränderung (ins Gute wie ins Schlechte), seiner Anpassung an veränderten Bedingungen, an seiner Kritik und so weiter. Da kann man dann mehr anrichten als mit dem falschen Waschmittel. Weil bei schlechtem Sinnhorizont nicht nur einzelne Handlungen, sondern das Tun einer ganzen Gesellschaft, einer ganzen Epoche - beziehungsweise der sich dem blind und unreflektiert als „normal“ propagierten Sinnhorizont verpflichteten Mehrheit – falsch läuft, oder? Oder? Ihr könnt froh sein, dass ich mit meiner Schreiberei nicht über meine Schublade hinauskomme, oder? Oder? Oder könnte es sein, dass geistige Artikulierungen – gelungene wie mißlungene – irgendwie (ich könnte es eh sagen wie, aber ich will niemand überfordern), auch aus ganz abseitigen, unbekannten Regionen – in Sinnhorizont und Zeitgeist – sei es lebensbejahend, sei es destruktiv – diffundieren? Hm?

Die Geräusche aus dem Lichtschacht werden mir unheimlich. Anscheinend wird mit einem Wasserstrahl gearbeitet, aber was?

(19.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3295 Das Buch soeben weggelegt

 



1:49 a.m. Ich bin bereit für die lärmende Stille. Der Computer ist schon abgedreht, das Buch habe ich soeben weggelegt. Ich lausche und im Nebenhaus rumpelt etwas ganz leise. Ich starre ins Halbdunkel und schon setzen sich viele Details in Bewegung, die jedoch sofort erstarren, wenn ich sie gezielt und konzentriert anschaue. Ein paar Bücher im Regal schicken das Licht der Leselampe als Glitzer zurück. Eine Stimme meldet sich in mir und meint, ich solle anderes schreiben; ein ordentliches und gescheites Thema auswählen und dann konzentriert und diszipliniert ausarbeiten. Aber das geht nicht; ich habe in der Welt keine Kompetenz und keinen Auftrag. Ich befinde mich am Abstellgeleise.

(19.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 18. Juli 2023

3294 Improvisation im Musikzimmer

 



Im Musikzimmer. Es ist sehr heiß in der Wohnung, die Vorhänge sind zugezogen. Ich habe eine Platte des von mir verehrten Musikers und Geigers Leroy Jenkins (Space Minds, New Worlds, Survival of America. 1978. Mit Andrew Cyrille, Anthony Davis, Georg Lewis, Richard Teitelbaum) aufgelegt, eine Platte, die ich offensichtlich vergessen hatte. Nicht nur, dass ich nicht wußte, dass ich sie besitze, ich kenne sie kaum oder gar nicht. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich sie gekauft habe und nicht daran, sie jemals angehört zu haben. Solches gibt es bei mir: mitten im Alltagsgeschehen entdeckt und schnell gekauft und dann abgelenkt, das Ding in den Plattenstapel gegeben, vergessen, jahrelang kein Plattenspieler zur Verfügung … Also ich sitze hier und lasse mich auf die ungewöhnliche, unbekannte Musik ein, während einen Stock tiefer die Tageskinder jausnen und spielen und meine Frau niest. Der Wind bewegt den weißen Vorhang, der das Ambiente draußen durchschimmern läßt. Ah! Jetzt erkenne ich das Stück wieder: ich habe die Platte doch schon angehört. Mich dürstet, ich verlasse kurz das Musikzimmer und hole mir den ausgekühlten Kräutertee. Ich muß mir die Musik wirklich wieder neu erarbeiten. Das macht nichts. Ich bin zu solcher Arbeit bereit. Diese Arbeit ist mir ganz wichtig für die Erweiterung meines Horizontes und meines Bewußtseins (darum kann ich zum Beispiel auch mit den Frusciante/Flea/Smith Jam-Improvisations-Passagen im Konzert der RHCP in Wien, über die sich ein Kritiker mokiert hat, etwas anfangen und sie genießen. Aber darum geht es nicht; das ist nur ein Nebeneffekt). Ich lächle über die vier unterschiedlichen Kleiderhaken, die vom Hochbett hier im Musikzimmer (das ehemalige Kinderzimmer) herabhängen. Die zweite Seite ist jetzt zum Drehen dran und so geht es munter weiter. Die Hitze der letzten Tage setzt mir ordentlich zu und ich drifte mit der Musik davon. Was sagen meine Pflanzen, die nicht die meinen sind, dazu? Leroy Jenkins wiederholt sich öfters und spielt Passagen, die ich schon aus Stücken mit dem Revolutionary Ensemble kenne. Hänge ich manchmal falschen Größen an? Gottseidank wird sich das beim Tod klären und herausstellen. Leroy Jenkins gehört - glaube ich - nicht dazu, aber sicherlich W.D., der bajuwarische Affenarsch. Der Verkehrslärm von der Straße stört eine zarte, gezupfte Passage. Das Auto ist um die scharfe Kurve gekommen und hat es geschafft, weiterzukommen; die Musik verdichtet sich wieder. Verdammt! Ich kann mich jetzt kaum auf die Musik konzentrieren, weil mein Geist – selber schuld! - mit dem Döbereiner rauft und um Wahrheit kämpft. Ja selber schuld, warum habe ich ihn eingeführt und sich in meiner Seele sich ausdehnen lassen! Komm zurück! Komm zurück! Du kannst das Versäumte nicht nachholen und das, was du nicht gesagt hast, so nicht retten.

Jetzt habe ich mir Serge Prokofieff und Alexander Tscherepnin aufgelegt, die ich mir – so glaube ich – noch nie angehört habe, da ich immer nur die erste Seite der Schallplatte, nämlich Bela Bartoks Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3, das ich liebe, aufgelegt hatte, während unten – ich höre es – die Tageskinder meiner Frau helfen, die Legosteine einzuräumen. Mir ist heiß. Ich werde mich nachher in die kalte Badewanne legen. Jetzt aber lasse ich mich vom musikalischen Virtuosenrausch wegtragen. Und jetzt von den präzisen Bagatellen sinnlich beeindrucken.

Ah! Jetzt springt die Nadel über die Kratzer der uralten Schallplatte. Ich gehe dauernd mit Technik um, die ich weder verstehe noch beherrsche. Das ist ein permanenter großer Stress für mich, weil ich nie weiß, ob ich’s richtig mache oder alles ruiniere; vom Plattenspieler bis zur Fotografierfunktion am Smartphone, Laptopschreibmaschine, Internet etc. etc. etc.

(18.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3293 Gut und nicht gut

 



0:55 a.m. Mein inneres Rauschen macht heute weit ausholende Schwingungen, mäandert so dahin. Es dröhnt ganz schön dicht in meinen Ohren. Nur eine Klospülung aus dem Lichtschacht unterbricht kurz die Ausschließlichkeit des inneren Lärms. Ich spüre einen Druck in den Ohren, als würde sich da Luft verdichten und anstauen. Jetzt kommt doch noch ein äußerer Lärm dazu, den ich aber nicht identifizieren kann, auch nicht, ob er aus dem Haus kommt oder von weiter her. Irgendwie ist alles wieder gut und irgendwie überhaupt nichts. Ich staune über meine Seele, anscheinend findet sie sich mit allem ab. Sie begehrt nicht wirklich auf; nur manchmal zuckt sie, als wollte sie sich befreien. Ganz leicht ist es auch nicht, als scheiternde und gescheiterte Existenz durchzuhalten, aber ich gebe zu: es gibt viel Schlimmeres.

(18.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3292 Donau heute

 



Donau, heute hast du ein schönes grünes Wasser. Und die Pflanzen, die ich in meinem klandestinen Garten eingesetzt, angesetzt und ausgesetzt habe, finde ich nicht wieder. Nur eine einzige habe ich entdeckt und gegossen. Sicherlich sind alle diese meine Handlungen eine Farce. Ein erwachsener Mann hat sich seinen Platz erobert, behauptet ihn und wenn er einen Garten will, verschafft er sich einen. Aber ich schäme mich trotzdem nicht. Ich habe mir auch als erwachsener Mann keinen Platz erobert, ihn nicht behauptet und habe mir kein Grundstück mit Garten verschafft. Darum sitze ich am Ufer des Donaukanals und investiere - ich weiß nicht ob kindlich oder kindisch – mit vergeblichen Mühen in das Gartengefühl. Dass dieser Ort nicht mir gehört, weiß ich und spüre ich und ist mir ein ständiger innerer Alarm und eine ständige innere Unruhe. Na und?! Ich sitze trotzdem hier, blinzle in die Sonne und schau dem fließenden Wasser zu und den ziehenden Wolken.

(17.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 17. Juli 2023

3291 Gewaltiges Licht

 



9:08 a.m. Nachdem ich nach meinen Pflanzen gesehen und sie gegossen habe, bin ich wieder ins Bett zurück. Mein herumstreunender, bewußtloser und unzentrierter Blick bleibt seit Monaten zum ersten Mal wieder an meinen drei Bildern über dem Bücherregal hängen und wacht auf. Und wieder gefallen sie mir und ich weide meine Augen darin. Ob das an den Bildern liegt oder an meiner Gewöhnung an sie, sei dahingestellt. Doch schleicht sich wieder Scham heran, weil mir einige Szenen meines Lebens, für die ich mich schäme, ins Bewußtsein steigen. Aber in einer Dosierung, mit der ich noch umgehen kann. Vielleicht hilft es, mein Selbstbild in Richtung Realismus zu korrigieren.
Ich konzentriere meinen Blick jetzt jedoch auf das kleine Photo, das meine Tochter gemacht und mir geschenkt hat. Ein Photo von der winterlichen Riesneralm irgendwo auf der leichteren Abfahrt. Das ist schon gar nicht mehr wahr, dass wir dort Schifahren waren! Fast könnte es scheinen, als wäre damals die Welt noch in Ordnung gewesen, aber das war sie nicht. Ich muß mich zwingen, mich daran zu erinnern.
Ich gehe wieder zu den anderen, gemalten Bildern zurück. Das beruhigende Grün und das Blau der Rettenschoesser Landschaft hat es mir jetzt angetan. Diese Landschaft, die mit ein paar Farbflecken entstanden ist, bezaubert mich mit ihrem sanften Licht wieder. Meine Seele kennt sich dort aus. Ich verweile ein wenig, dann wandert mein Blick nach Mali Lošinj. Die Wucht des gleißenden Lichtes ist umwerfend. Eine festgestellte Dynamik, die sich immer noch bewegt. Die Boote schwimmen auf und gar nicht mehr im Meer, weil sie die Dynamik erfasst hat, die sie hochhebt. Überhaupt das Meer: es scheint sich noch gegen den Lichtüberfall auf Hafen und Hafenstraße wehren zu wollen. Veli Lošinj lasse ich rechts liegen.

Jetzt doch noch zu Veli Lošinj. Hier ist die Lichtdynamik wirklich gestoppt, eine Dynamik allerdings, die übermächtig ist und es sich deswegen gefallen läßt. Denn in Wahrheit ist sie total und unaufhaltsam. Das gewaltige Licht kommt aus dem Hintergrund, den es schon völlig aufgelöst hat. Bald wird die ganze Stadt nur mehr ein stiller, schweigsamer Lichtwall sein.

Die Tageskinder kommen das Stiegenhaus herauf und ihr fröhliches Geschrei, das hier so schön hallt, holt mich aus meinen Bildbetrachtungen und ich werde aufstehen und mich zum Frühstück bereiten.

(17.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3290 Ich schäme mich nicht mehr

 



0:52 a.m.  Nein, ich schäme mich nicht mehr. Ich schäme mich nicht mehr. Das hat sich verzogen wie ein Gewitter. Jetzt bin ich nur etwas erschöpft, weil diese Berg- und Talfahrt mich recht mitgenommen hat. Ich wundere mich über den Perspektivenwechsel. Ich habe wieder meinen Tod links hinter mir befragt und diese Technik scheint zu funktionieren. Und Aussprachen hat es auch gegeben. Die Schmerzen im Bauch und um das Herz herum sind verschwunden. Unglaublich, wie schnell es mir den Boden unter den Füßen wegzieht. Es war schon gut, dass ich mich zurückgezogen hatte und zunächst jede Kommunikation verweigert, denn die ungestörte innere Verarbeitung und Neuorientierung ist mir ganz wichtig und unverzichtbar. Ich muß das alles bei mir einordnen können ohne niedergeredet zu werden.

(17.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 16. Juli 2023

3289 Ich weiß gar nichts

 



Ich schäme mich so. Ich schäme mich so sehr. Ich weiß nicht, wie ich auch nur irgendjemandem noch unter die Augen treten kann. Wie konnte ich meine Situation in der Welt und das Bild, das ich abgebe, nur so falsch einschätzen? Und das wahrscheinlich jahrelang nicht bemerken? Aber einem Teil von mir scheint das auch schon egal zu sein: der rasiert sich, wäscht sich das Gesicht, legt sich zur Kühlung in die Badewanne mit dem laukühlen Wasser, steigt heraus, trocknet sich ab, schneuzt sich, zieht sich eine Unterhose an, zieht sich die kurze bequeme und löchrige Homeofficehose drüber, ißt Knoblauch auf Brot und tut so, als wäre nichts gewesen. In anderen (besseren?) Zeiten hätte sich ein Mann von Ehre jetzt erschießen müssen. Aber dazu habe ich absolut keine Lust, abgesehen davon, dass ich den Umgang mit Feuerwaffen nicht beherrsche. Achja! Er spottet wieder. Wird ihn nicht wirklich weiterbringen. Aber wie kann ich aus dieser Situation wieder raus? Ich rede ja gar nicht davon, dass es elegant und unter Wahrung des Gesichtes geschehen müsse, sondern irgendwie? Ich sehe keinen Weg. Alles von dem, was ich glaube, dass ich realistischerweise tun kann, führt mich noch tiefer ins Schlamassel. Also gut! Atmen wir halt! Schreiben tu ich ja soeben auch, aber das ist jetzt ebenfalls sehr, gar sehr in Frage gestellt. Ich glaube aber, dass diese Bastion halten wird. Ob das gut ist oder schlecht – das weiß ich nicht. Ich weiß gar nichts.

(16.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 15. Juli 2023

3288 Rockkonzert III

 



Also gestern war ich dann endlich dort auf dem Konzert der Red Hot Chili Peppers. Ich bin nicht vorher zusammengebrochen. Ich bin von dem Erlebnis überwältigt, darum kann ich gar nicht viel dazu sagen. Es war das erste Mal, dass ich auf einem solchen Megaevent war und allein schon die Masse bewirkt eine tendenziell gemeinsame Ausrichtung der Intentionen. Ich weiß schon: auch in meinem Hinterkopf leuchtet sofort ein Warnsignal auf und blinkt „Nürnberger Parteitag! Nürnberger Parteitag!“. In unseren Breiten und bei meiner Familiengeschichte fällt es mir sehr schwer, mich ganz unbefangen dem Erlebnis hinzugeben (eigentlich gilt das für jedes Erlebnis, für jede Spontanität, denn man weiß ja nie, welche grauenhaften Taten herauskommen, läßt man seinen Impulsen freien Lauf. Der ererbte Schrecken sitzt tief und schockiert mein Leben). Es ist ja so, dass auch meine Sehnsucht dahin geht, mein lästiges, unzureichendes, erbärmliches, und überfordertes Ich für ein paar Stunden in einem euphorischen Rausch wenigstens ein wenig auflösen zu können, zumindest so weit, dass eine andere Dimension der Wirklichkeit ahnbar, wenn nicht sichtbar und erlebbar wird. Und das ist ja dann die entscheidende Frage, ob das, in das man sein Ich hingeben will, es das wert ist. Das entscheidet, ob es ein lebenszerstörerischer Nürnberger Parteitag ist oder ein lebensbejahender Kult. Und um einen Kult handelt es sich bei einer solchen Konzertveranstaltung; da hatte der Ratzinger schon recht, wenn ich auch seine Schlußfolgerungen nicht teile. Das zum Thema Massenveranstaltung, noch nicht zum Thema Red Hot Chili Peppers.

Wer solche Megakonzerte kennt, weiß, wie stark auch die Lautstärke auf das Publikum wirkt, wie sehr damit die Musik mit allen Sinnen wahrgenommen wird, wie die Bässe und Trommeln auf Bauch und Zwerchfell schlagen und wie einen das einhüllt, trägt und mitreißt. Auch das habe ich genossen; ich konnte die Vibrationen sogar mit den Fußsohlen spüren.

Das Konzert selbst war für mich ein beglückendes Erlebnis, in manchen Momenten war ich wirklich herausgehoben, was es nur umso schwerer macht, davon zu berichten. Darum schreibe ich jetzt nur mein Gestammel hin, das ich in der Wartezeit und während des Konzertes notiert habe, ergänzt mit nachträglich geschriebenen Eindrücken und Anmerkungen:

Ich bin schon sehr früh dort. Das Stadion ist noch fast leer. Ich liebe aber die Wartezeit auf ein besonderes Ereignis, da kann ich mich besser darauf einstimmen und meine Seele hat genug Zeit, sich vorzubereiten, sich mit dem Ambiente vertraut zu machen und in der Erwartungseuphorie zu zittern und zu schwelgen.

Das Enst-Happel-Stadion: die Toilettenanlagen sich echt super! Mann bekommt im Wandpisspissoir (keine Pissbecken!) beim Brunzen an die nackte Wand gleich eine leichte Fußdusche vom Wassersprühnebel der verkalkten Pisswandsprühanlage. Gottseidank hatte ich Sandalen an; sehr angenehm bei dieser Hitze! (Wie angenehm wurde mir erst bei einem späteren Besuch der Herrentoilette schon bei vollem Stadion bewußt, denn da war diese Sprühanlage nämlich ausgefallen und der Uringestank … lassen wir das. Die Besucher aus den „Bundesländern“ haben dann gemeint: typisch Wien.)

18:16. Langsam beginnt sich das Stadion zu füllen. Langsam. Sehr langsam. Als erstes tritt King Princess auf; ich kannte sie nicht, aber meine Töchter. Aber schon bin ich überwältigt und ich weine schon. Ich weine vor Glück, an diesem Event, mit der U-Bahn 10 oder 15 Minuten von zu Hause entfernt, teilnehmen zu können, ja, zu dürfen, denn es ist ein Wunder, dass sich das in meinem alten Leben noch ausgegangen ist. Und ich weine auch mit der Musik, die mich gleich in ihrer Intensität überwältigt und berührt.

Ich sitze ganz hinten oben in der letzten Reihe, aber genau gegenüber der Bühne. Dort fühle ich mich, gerade jetzt, da das Stadion beiweitem noch nicht voll ist und um mich herum fast alle Plätze leer, wie in der Königsloge. Die Akteurinnen und Akteure auf der Bühne sind aus dieser Entfernung winzig klein. Ich habe den Daumennagel als Vergleichsgröße angehalten und sie erreichen nicht einmal die halbe Größe meines Daumennagels.

Mister Iggy Pop: ein Wahnsinn! Er tritt als nächster auf (mit toller Begleitband). Der alte Mann, der da auf der Bühne herumhumpelt: immer noch oder erst recht so beeindruckend. Er schont sich nicht und ich nehme an, er hat starke Schmerzen. Ich bin ergriffen und wieder laufen ein paar Tränen über meine Wangen (was immer das heißt).

Dann wieder der Umbau auf der Bühne. In Erwartung – so würde ich dieses Kapitel überschreiben. In Erwartung des Auftritts der Kultband. Und hier reißen meine Notizen ab.

Das Stadion ist inzwischen voll. Wie viele tausend Besucher weiß ich nicht (angeblich um die 45.000). Als die Musiker – von hier aus kann ich es nicht eindeutig erkennen, aber ich nehme an Mister Smith, Mister Frusciante und Mister Flea die Bühne betreten geht ein Rauschen durch das Stadion und erst recht, als sie mit dem Intro beginnen. Dann, etwas später, als Mister Kiedis auf die Bühne gesprungen kommt, erhebt sich wieder ein großes Brausen. Das ist jetzt nicht so wichtig, aber diese Inszenierung und deren Elemente bauen die Atmosphäre auf, die solch ein Konzert zu einem Massenerlebnis und zu einem Kult machen. Ich aber höre vor allem die Musik, die ich so liebe, und die so kraftvoll, intensiv und schön rüberkommt – wiewohl hier oben unter dem Stadiondach der Schall auf seinem Weg schon einiges mitgemacht hat – aber das tut meinem Genießen keinen Abbruch. Weiter will ich nichts mehr darüber schreiben, denn auch beim Konzert habe ich nichts mehr notiert. Wie kann ich denn das alles beschreiben? Vor allem das, was sich in meiner Seele abspielt? Ich habe nur noch ein paar mißglückte, verdammenswerte Photos probiert und ein paar hatscherte Videos, die allesamt schrecklich geworden sind, so dass ich es schlußendlich aufgegeben habe und mich vom Zuhören nicht mehr ablenken wollte.

Nur soviel noch: das Publikum auf den Sitzplätzen im Rund ist nur bei den bekannten, älteren Hits aufgesprungen, bei den neueren Songs – und da sind welche darunter, die ich ganz besonders liebe – nicht. Das fand ich schade. (Ich habe ja gesagt, dass ich hier wie überall fremd sein werde. Aber verbunden mit der Musik!) Da war ich dann zeitweise der Einzige in der Umgebung, der aufgestanden ist und auf der kleinen Fläche – etwa ein Dezimeter um meine Fußsohlen herum – zu tanzen versucht hat. Manchmal gehemmt und verhalten, manchmal richtig im Flow. Danke Universum (und wer auch immer noch dazugehört) für dieses großartige Erlebnis!

(Übrigens, weil ich inzwischen ein paar Kritiken gelesen habe: das rein intellektuelle Sich-darüber-Stellen und Sich-Herausheben hilft nichts und giltet nicht! Damit ist man – auch als Musikkritiker - nicht aus dem Schneider!)

(15.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 14. Juli 2023

3287 Rockkonzert II

 



In meiner unbeherrschbaren Aufregung vor dem Red-Hot-Chili-Peppers-Konzert (mit Iggy Pop) bin ich in die Albertina geeilt, weil ich es zu Hause nicht mehr ausgehalten habe und befürchtete, ich würde durchdrehen und überschnappen. Ich dachte, ich gehe meine Lieblingsbilder ab, um meine Seele zu stärken und meinen Geist zu beruhigen und ein wenig auch um mich zu verabschieden, denn meine Hysterie legt es nahe, dass ich diesen Tag nicht überleben werde. Ich eile also hin, muß wegen U-Bahn- und sonstigen Baustellen viel länger durch die pralle Sonne stapfen und durch die schrille Hitze laufen; mache mir Sorgen, dass ich in dem labilen Zustand auch noch einen Sonnenstich bekomme, gehe endlich die Karlsplatzpassage herauf – nicht ohne vor der Bela-Bartok-Bodenfliese meine Kappe zu ziehen – in einer ausführlichen und ausladenden Geste (zu der ich alle zu Ehren Bela Bartoks einlade) fast bis zum Boden hinunter – schleiche mich im Schatten der Opernarkaden vor, biege dann nach links ab und weiter und die Rolltreppe rauf auf die Rampe und rein und alles andere ignorierend zur Batliner-Sammlung hinauf. Volles Gedränge. Das alles ist mir völlig egal, ich dränge mich durch zu meinen Lieblingsbildern, verweile vor jedem kurz, nur vor Kokoschkas himmlischem London setze ich mich hin, aber nicht für lange, weiter zu weiteren Lieblingsbildern und wieder raus und nach Hause. Wieder muß ich in der prallen Sonne auf die Straßenbahn warten; Schatten sind rar und schon besetzt, ich befürchte das Schlimmste für mein Durchhaltevermögen und meine Gesundheit (ich kenne mich und die Meinen! Ich traue es mir und meinem System zu, mir kurz vor dem Konzert noch einen Strich durch die Rechnung zu machen).

Meine Erwartungen vom Konzert sind so hysterisch hochgeschraubt; ich erwarte nicht viel weniger als eine echte Ekstase, dass ich aus mir (endlich!) heraustreten kann und in einer spontanen Bewußtseinserweiterung die Fülle des Lebens erlebe. Die Vernunft in mir, die mir sagt, eine solche hochgestochene und aufgezwirbelte Erwartung könnte ein wenig unrealistisch sein, ignoriert meine Seele einfach.

Ich will mich zwingen, noch etwas zu essen und habe deshalb ein Nudelwasser aufgesetzt. Spaghetti gehen schnell und brauchen nicht gar so viel Aufmerksamkeit, die ich in meinem Zustand nicht aufbringen könnte. An was ich noch alles denken muß! Und ich kenne mich bei solchen Konzerten (wie sonst überall auch) so überhaupt gar nicht aus. Kann man Trinkwasser mit hinein nehmen? Zahlt man dort drinnen bar oder per Karte? Muß ich vorher noch Bargeld abheben und so weiter und so fort. Ich welchem Zustand sind die Toilettenanlagen? Ich bin so verdammt weltfremd!

So! Jetzt habe ich mir zwei gegupfte Teller Spaghetti einverleibt und die sind besser runtergegangen als erwartet. Wir warten noch auf die ausstehende Entleerung , dann werde ich mich duschen und schön machen. Irgendwie werde ich mich schon bis zum Abend hinnerverln!

(14.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3286 Rockkonzert

 



7:42 a.m. Ich liege mit dem Kopf ganz unten und schaue andächtig auf den über mir hängenden Stoffteil, der – sei es in einer unmerklichen Zugluft, sei es im Hauch meines Atems – leise, elegisch, und verhalten schaukelt, hinauf. Meine Nerven sind angespannt, mein Herz schon jetzt in großer Aufregung und irrer Erwartung, weil ich heute zum ersten Mal in meinem Leben auf ein richtiges, gigantisches Rockkonzert gehen werde (RHCP). Mein Kreuz schmerzt wieder richtig und ich höre – auch ungewöhnlich für diese Zeit – von irgendwo im Haus undeutlich irgendwelche Musik durchs offene Fenster hereinströmen. Wie meistens in großen Aufregungen vor großen Ereignissen bezweifle ich, das Ganze überleben zu können. Ich komme mir vor wie ein Kind vorm ersten Schultag oder vor der Erstkommunion, wie ein Firmling vor seinem segensreichen Backenstreich, wie ein Volksschüler vor der Aufnahmeprüfung ins Gymnasium, wie ein Maturant vor seiner ersten mündlichen Prüfung, wie ein Schauspieler vor der Premiere, wie ein Zauberlehrling vorm Sprung in den Abgrund, wie eine verklemmte männliche Jungfrau vorm ersten Sex. Und das alles ohne Führerschein, ohne Initiation und Lebenswerk, ohne Englischkenntnisse und ohne Lebenstüchtigkeit, ohne Alltagskompetenz und Gesellschaftsfähigkeit; ohne Schutzschild. Ich werde dort genauso fremd sein wie überall; ich kann beim Fachsimpeln über Musik und Musiker, ihre Solos etc nicht mithalten und nicht mitmachen (und will es gar nicht), ich bin nichts. Ein nichts, das sich in die Masse begibt und sich ausliefert. Ich kann mir kaum vorstellen, wie ich die Stunden bis zum Abend verbringen und aushalten werde, was ich tun werde, ob ich überhaupt essen kann. Ich werde mich auf nichts mehr konzentrieren können. Ach, und es wird schon wieder geklopft und gehämmert und ich entkrampfe meine unauffällig und auf eigene Faust zusammengeballte linke Hand. Und gesägt wird auch. Meine Nerven sind zum Zerreißen angespannt. Nein, hier ist kein Verbleiben mehr möglich.

(14.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3285 Schön und gut

 



0:10 a.m. Mich hatte soeben eine solche Erschöpfung überwältigt, dass mir schon zum Heulen zumute war. Ich weiß nicht, bin ich vom heutigen Tag erschöpft oder von meinem Leben? Meine Seele tut sich so schwer. Jetzt ist mir schon wieder etwas leichter, da ich mich ins Bett gelegt habe. Ich glaube, das hat gar nicht viel mir körperlicher Müdigkeit und dass ich ihr entgegenkomme zu tun, sondern dass ich damit bereit bin, mit dem Tag und seinen Hoffnungen abzuschließen, egal wie er war. Ich bin im Moment, wo ich mich hinlege, bereit zu akzeptieren: das war’s heute; nicht mehr, nicht weniger. In meinem Leben ist so vieles unentfaltet geblieben, und jetzt bin ich beim Heulen und Zähneknirschen. Aber das ist nichts Neues. Ich seufze, die Tränen stehen hinter den Augen. Sie kommen nicht heraus, weil ich es gar nicht verdiene zu weinen. Weinen muß man sich auch verdient und erarbeitet haben. Auf meiner alten Haut der linken Hand unter der Leselampe sehe ich in den Poren winzige Schweißtröpfchen glitzern und schimmern. Das ist alles schön und gut, aber es hilft nicht: es ist und bleibt eine alte, ungelebte Haut. Es gibt keine Quintessenz meines Lebens. Die Luft in dieser Nacht ist etwas kühler als in den Nächten davor. So früh bin ich schon länger nicht mehr schlafen gegangen.

(14.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 13. Juli 2023

3284 Weinerliches Nein, Wasser

 



7:58 a.m. Ich beiße die Zähne zusammen. Gegen irgendetwas muß ich mich behaupten. Ich weiß nicht gegen was. Vielleicht gegen den Weltuntergang. Oder meinen Weltuntergang – obwohl meine Welt schon längst untergegangen ist. Acht Uhr und schon wird im Hof geklopft. In unserem Hof, nicht in dem mit der Baustelle. Grauer bedeckter, aber etwas abgekühlter Himmel. Aber keine Sorge: auch im Nachbarhof wird jetzt wieder tüchtig gearbeitet. Das ist das Wichtigste: dass tüchtig gearbeitet wird und die Maschinen jaulen. Nur so kann man seine Existenz rechtfertigen. Ich will doch auch jeden Tag mindestens einen Text schreiben. Komm Freundchen: lockere dein Gebiss, achte auf deine verkrampfte linke Hand …

Bist noch nicht ausgeschlafen? Vor meinen geschlossenen Augen flimmert es. Das Wasser! Ich wollte doch das Wasser, das von gestern noch am Schreibtisch steht, austrinken und habe es bei meiner Morgenrunde aufs Klo vergessen. Schaffe ich es, nochmals aufzustehen? Das ist jetzt eine Bohr- oder Schleifmaschine, keine Kaffeemühle. Ein Wind, den ich gar nicht bemerke, schaukelt ein Photo, das seit Jahren am Bücherregal einmalig angetackert ist. Polizeisirenen. In mir braut sich ein weinerliches Nein zusammen. Weinerlich ist nun wirklich nicht sexy. Ein Klescher der leichteren Art in der Wohnung weckt mich wieder auf. Inzwischen hatte ich nämlich „drüben“ meine schriftlichen Hausarbeiten gemacht. Es ist der Wind, der jetzt deutlicher aufkommt. Ich muß aufstehen und nach dem Rechten sehen, immerhin sind fast alle Fenster offen. Dann kann ich endlich auch das Wasser trinken.

Ich habe das Wasser getrunken, jedoch offensichtlich gegen einen verkrampften Widerstand hinuntergeschluckt. Dann habe ich den schlagenden Fensterflügel fixiert, habe noch ein wenig dem Wind beim Bäumeschütteln unten auf der Straße zugeschaut und einer Frau, wie sie mit ein paar lässigen Handbewegungen etwas von ihrer Bluse gewischt hat. Als ich ins Zimmer zurück gehe, fällt mir auf, dass ich mit einem unrealistischen Schnupfen befasst bin und die Nase nicht frei bekomme. Das kann ja alles noch heiter werden. Eine Wasserleitung irgendwo im Haus dröhnt in ihren eigenen Vibrationen. Nein, doch eine Bohrmaschine. Zum Frühstück die Fischsuppe? Es knackst und knistert in der Wohnung; es tut sich was.

(13.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3283 Kosmetik

 



1:44 a.m. und immer noch heiß und schwül. Ich schwitze im Bett in meiner abendlichen Lauerstellung. Ich lauere auf meinen Kubikzentimeter Möglichkeit (C.C.). Die traurige Tatsache ist: den habe ich schon längst verpasst. Was jetzt noch kommt kann nur mehr „Kosmetik“ sein (was hat das eigentlich mit Kosmos zu tun?). Mein Leben reiß ich nicht mehr herum. Ich glaube zwar unverwüstlich an Wunder, aber nicht für mich. Trotzdem habe ich keinen Grund zu klagen (naja, ich würde schon gern, will es mir aber verbieten (so gut es geht)). Aber ohne zu klage weiß ich auch nicht weiter (im Text). Gut. Dann nicht. Gute Nacht.

(13.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 12. Juli 2023

3282 Der Lärm, den man selbst erzeugt

 



9:56 a.m. Auf der Baustelle im Nachbarhof wird etwas zusammengenagelt – welch ein angenehmes Geräusch das war, mit dem ich da aufgewacht bin! Kein Vergleich zu den Maschinen. Da weiß man, was passiert, man hört die erholsamen Regelmäßigkeiten und Unregelmäßigkeiten der Handarbeit; die Kräfte, die eingesetzt werden, sind vertraut und von überschaubarer Intensität und Dimension. Kein Gejaule in nervenzerfetzenden Höhenlagen zum Beispiel.

Ich habe, um die aufkommende Hitze abzuhalten, nun alle Fenster geschlossen, alle Vorhänge zugezogen, alle Rouleaus heruntergelassen. Aus Mangel an Ideen starre ich durch die Lüftungsschlitze ins Innere des Gehäuses der Leselampe oben und sehe neben einem schwarzen Plastikteil, der wohl als Halterung dient, ein kleines Stück in einen Kreis gedrehtes schwarzes Kabel. Du mußt nicht schreiben, wenn du keine Idee hast und dir nichts einfällt! Doch! Ich muß! Ich muß! Ich bin schon von Ehrgeiz zerfressen! Mindestens ein Text pro Tag! Das ist meine Überlebensgarantie! Mein noch traumverhangener und verschlafener Geist amüsiert sich an diesem inneren Diamonolog und wird munterer dabei. Frühstücken wäre keine schlechte Idee. Vorher werde ich mich noch rasieren und dann in die Badewanne mit dem kalten Wasser legen. Wen es interessiert: die werde ich heute nach dem Kältebad auslassen. Vier, fünf Tage sind genug: das Wasser ist nicht mehr so kalt, wie beim Einlassen, und ich befürchte, es könnte inzwischen schon etwas abgestanden und verschmutzt sein.

Beim Rasieren stelle ich fest, dass der elektrische Rasierapparat, wenn er da in der Nähe der Ohren herumkurvt, sehr laut ist und diese mit eben solchem hochfrequenten Gesurre in hohen Tonlagen malträtiert. Aber der Lärm, den man selbst erzeugt …

(12.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3281 Kaffeemaschinen

 



6:53 a.m. Diese heißen Sommermorgen mit ihren rundum offenen Fenstern und der Jalousieverdunkelung im Zimmer sind mir wegen ihrer exponierten und forcierten Geräuschkulisse (unpräzise Formulierung, aber ihr wißt was ich meine) schon etwas unheimlich. Die noch herumgeisternden Traumfragmente verstärken diesen Effekt. Der Himmel ist schon grau von Wolken, wie ich bei einem Blick hinter den Vorhang sehe. Die Kaffeemühle jault fürchterlich. Oder ist es doch eine andere Maschine? Arbeiten die schon um diese Zeit auf der Baustelle im Nachbarhof? Nein, das kann nicht sein. Mein Bewußtsein will wieder in den Schlaf absacken. Jemand pfeift. Doch Baustelle! Verdammt, ich kann es nicht heraushören. Jetzt bin ich wieder bei: Haushalt; es können ja nacheinander sämtliche Kaffeemühlen der einzelnen Wohnungen mit offenem Fenster in den Lichtschacht aufgetreten sein. Das ist jetzt aber Baustelle! Soviel Kaffeemaschinen und Kaffee kann es im Haus nicht geben. Und jetzt dreh ich die Leselampe ab und Schluß!

(12.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 11. Juli 2023

3280 Die Kapelle

 



Eine Bank im Schatten. Die Verkehrsader Obere Donaustraße hinter mir lärmt, hupt, brummt, tuckert, heult, quietscht. Links eine Kapelle – ich glaube einem St. Johannes geweiht (dann wäre das ein Sonne-Uranus-Ort). Vor mir der gesicherte Geländeabbruch zum Donaukanal, auf den ich von hier nicht hinuntersehen kann. Links und rechts von der Bank stehen Linden. Fast alle Bäume hier im Wilhelm-Kienzl-Park sind Linden. Die Wiese und vor allem der asphaltierte Weg sind voll von den abgeworfenen Früchten und ihren gelb und braun gewordenen Hochblättern, die ihnen als Flugsegel dienen. Vogelgezwitscher kommt manchmal durch den Verkehrslärm. Und Rasen gemäht wird auch irgendwo in Hörweite. Einige Leute mit Hunden. Die Wiese ist noch grün, zeigt jedoch die ersten Anzeichen einer beginnenden Austrocknung. Die Ampel an der nahen Kreuzung schaltet auf grün und der Lärm erreicht einen seiner periodischen Höhepunkte. Zwei Hunde – angeleint – schnüffeln an einem Laternenpfahl herum und plötzlich erkenne ich sie als personale Wesen, mit denen man ohne weiters reden könnte. Die barocke Kapelle stößt mich irgendwie ab und zieht mich irgendwie an; ihre Form ist angenehm und ansprechend, nur bin ich schon sehr ornamentallergisch. Dabei ist diese Kapelle auch diesbezüglich eher zurückhaltend. Habe ich wieder Weltgrant? (Wäre kein Wunder, wenn mir dieser Text schon zweimal vom Laptop verschwunden ist, nachdem ich in zweimal mühsam verbessert und eingetippt hatte. Jetzt schreibe ich ihn zum dritten Mal.) Der Weltgrant ist natürlich immer der Grant auf mich selbst (in der Welt). Ich gehe weiter.

Ach! Ein kleines Stück weiter direkt vor der Kapelle auf einem niederen Mäuerchen sitzend stelle ich fest: die Kapelle ist ein Fake! 1909 unter dem unsäglichen Lueger wiedererrichtet, wie eine Tafel verkündet. Videoüberwacht und von außen nicht eruierbar, wem sie geweiht ist. Ich kann keine entsprechende Inschrift oder einen eindeutigen Hinweis finden. Oder hat man 1909 nicht mehr ernsthaft geweiht, sondern nur mehr Kulissen aufgestellt? Der Verkehrslärm pausiert kurz, bevor die neue Verkehrswelle wieder angebraust kommt, dafür darf ich jetzt dem Baustellenlärm lauschen. Dem Wind ist das alles egal, er weht sanft und heiß darüber hinweg, bewegt das Lindenfrüchtelaub am Boden herunten und die Äste und Zweige darüber. Was die Kapelle betrifft weiß ich nicht, ob sie ein Neubau ist, oder ob sie tatsächlich an ihrem alten Platz abgetragen und hier an ihrer neuen, ihrer dritten Stelle in ihrer alten Gestalt wieder errichtet. Mein Stilgefühl läßt mich völlig im Stich. Mich zieht es nach Hause, in meine Kammer.

(11.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3279 Was sagst Du?

 



2:10 a.m. Trauer, Schmerz und Wut sind so schnell da und gehen so langsam weg. Wie empfohlen drehe ich meinen Kopf nach links um und versuche mit meinem Tod, der sich dort aufhält, zu reden. Was sagst Du? Diesmal hat es sogar geholfen, nur die Trauer bleibt noch, aber die ist mir sowieso willkommen. Ich atme durch und lege mich jetzt schlafen.

(11.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 10. Juli 2023

3278 Bursa, Palla und Velum

 



Ich habe mich auf die kleine Couch im sogenannten Musikzimmer gesetzt, den noch verhüllten Plattenspieler gerade vor mir an der gegenüberliegenden Wand, die zwei Lautsprecher und je ein umgelegter Plattenstapel rechts und links. Rechts lehnt als vorderste Platte „The Psyche“ vom geliebten Revolutionary Ensemble, links die Red Hot Chili Peppers Platte „Live at Pat O’Brien Pavilion Del Mar“ 1991. Ich werde jetzt Bursa, Palla und Velum vom Plattenspieler heben, die Anlage in Betrieb nehmen und die RHCP auflegen. Und ich werde laut aufdrehen.

Los geht’s! Der Bass! Sagen wir: deutlicher als über die Kopfhörer. Überhaupt eine mir nicht so bekannte Nummer (Love Trilogy). Ich denke an das Red-Hot-Cili-Peppers-Konzert im Happelstadion am Freitag und daran, wie die Pflanzen im Zimmer die Musik aushalten. Zwischendurch nehme ich schluckweise Wasser zu mir. Wie so oft beschäftige ich meine Augen mit den Schrunden und Unebenheiten der Wand vor mir. Ich nehme mir vor, nach dem Ende der Seite 1 die vielen abgefallenen Blätter der Zimmerpflanzen zusammenzukehren und zu entsorgen (wir sind jetzt bei Suck My Kiss). Meine Gedanken pendeln zwischen dem Freitagskonzert, das ich mir auszumalen beginne, und dem Wetter, ob denn heute noch Gewitter kommen.

Oh Gott! 1991! Wo war ich da? Weit weg. Darum sind mir damals die RHCP nicht untergekommen. Ich führe meinen Geist, der schon beim Aufkehren ist, zur Musik zurück. Wir sind bei Funky Crime und wechseln jetzt zu If You Have To Ask. Ja, wenn du mich fragst: ich bin nicht so ganz bei der Sache. Übrigens: jetzt schaut beim linken Stapel Leroy Jenkins mit seiner Geige aus der Schachtel hervor.

Ich habe den Boden gekehrt und dann meine Hände gewaschen. Give It Away. Ich bewege Füße und Beine ansatzweise im Rhythmus. Ach! Meine Phantasie! Die driftet schon wieder in Richtung Ersatzwunscherfüllung. Womit wünschen Sie befüllt zu werden? Blood Sugar Sex Magik, Subway to Venus, Me And My Friends.

(10.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3277 Vereinzelt lagern Menschen im Gras

 



Hof 9 im Alten AKH. Der Campus der Universität ist jetzt in den Ferien ziemlich verweist, nur einzelne Studenten und Studentinnen halten sich hier auf. Ich raste auf einer schattigen Bank – der Tag ist so heiß. Die Linden werfen ihre Früchte ab. Der Boden unter den Linden ist ganz braun davon (die Natur hat nicht viel übrig für Ästhetik). Ein leichter Wind hält alles ein wenig in Bewegung. Eine Taube kommt betteln. Nicht ungeschickt, wie sie auf ihre Wünsche aufmerksam macht, indem sie um einen herum aufpicken anfängt – da sollte es jedem klar sein, worum es geht. Anscheinend findet sie auch so von Zeit zu Zeit etwas, aber das fände sie auch vor einer leeren Bank oder zwischen den Bänken. Unangenehm sind mir diese arbeitenden Menschen: laut, rücksichtslos, alles aufwirbelnd – besonders wenn Maschinen zum Einsatz kommen (keine Sorge: ich kenne das auch von der anderen Seite – ich habe unter anderem auch als Rasenmäher gearbeitet bei meinen Taglöhnerjobs). Auch ein Koffer auf Rollen kann laut sein, aber wegen des Antriebs per Hand erträglicher. Ich nehme mein Handy heraus, um auf die Uhr zu schauen und lege es dann neben mich auf die Bank, um es nicht jedesmal aus der Hosentasche fischen zu müssen, weil ich öfters noch nachschauen muß, ob es schon Zeit ist, in die Therapiestunde zu gehen. Dann stecke ich das Handy aber wieder ein, weil ich fürchte, es hier auf der Bank zu vergessen (no risk, no fun). Irgendwo wird auch gesägt, höre ich jetzt, und ein Auto fährt im Hof herum, sicherlich mit Genehmigung. Ein Flugzeug hoch oben begleitet die Brise ganz herunten. Vereinzelt lagern Menschen im Gras. Wieder schaue ich auf die Handyuhr. Obwohl noch fünf Minuten Zeit bis zum Aufbruch ist, werde ich bald aufstehen, weil ich es aus Nervösität kaum noch aushalte. Jetzt stehe ich auf.

(10.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3276 Kaltes Wasser

 



Ich habe mir im abgedunkelten oberen Stockwerk einen Klappsessel aus meinem Zimmer geholt und mich damit ins Badezimmer gesetzt um zuzuschauen, wie sich die Badewanne mit kaltem Wasser füllt, das ich einzulassen beschlossen habe, um an diesem heißen Tag eine Kühlung der Luft zu bewirken und selbst auch darin eintauchen zu können. Das Wasser werde ich einige Tage in der Badewanne lassen. Ich sitze auch dort um nicht zu übersehen, wann die Wanne voll ist; dabei tröpfeln noch einzelne Wassertropfen vom Duschen vorhin aus Haar und Bart in mein Notizbuch und könnten die türkise Schrift auflösen, wenn ich nicht aufpasse. Das Wasser in der sich langsam füllenden Badewanne sprudelt erwartungsgemäß auf, dort, wo der dicke, kalte Wasserstrahl auf die Wasseroberfläche auftrifft. Luftblasen bilden sich, die sich schnell auflösen. Der Wellengang – wenn man das hier so nennen darf – erzeugt zuckende Lichteffekte, die ständig in Bewegung sind, aber dennoch mit sich wiederholenden Mustern. Das Wasser hat als Masse in der Badewanne eine eindeutig hellbläuliche Färbung, im Gegensatz zum Wasserstrahl aus dem Wasserhahn, der weißlich erscheint. Schon der Anblick des Wassers erzeugt einen Eindruck von Kühlung, obwohl es in der Wohnung schon recht heiß ist. Das Geräusch des einströmenden Wassers variiert leicht, aber verbleibt ebenfalls in sich wiederholenden Mustern, nur einmal sackt der Sound kurz ab wie in einer Art Generalpause, um dann weiterzumachen wie vorher. Die Badewanne ist bald voll. Habe ich die Wartezeit nicht gut genutzt? Habe ich.

(10.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 9. Juli 2023

3275 Am Rande

 



Ich komme vom Rande des Krieges: genaugenommen gerade noch von der Grenze außerhalb des Kampfgebietes; ein paar Meter oder hundert Meter weiter wäre schon geschossen worden. Meine Ohren dröhnen noch. Ich kann es kaum glauben, jetzt hier zu sein, aufgewacht im Bett. Gerade war noch Wald. Wald mit ein paar Lichtungen. Kleinere Gruppen der verfeindeten Nationen haben im Wald gelagert. In der Kampfzone hätten sie sofort aufeinander geschossen, hier schießen sie nicht. Mir war nicht ganz klar, wo genau die Grenze zum Kriegsgebiet verläuft, und mir war auch nicht klar, welche der lagernden Grüppchen Feinde waren und welche nicht. Ich konnte sie an der Sprache nicht unterscheiden. Außerdem haben alle mit Absicht sehr leise gesprochen, damit die verfeindete Gruppe nebenan sie nicht versteht, denn die Sprachen waren nicht so verschieden. Ich aber verstand weder die eine noch die andere.

Ich betrachte die verschwommenen Lichtflecken und ihre schattigen Auslagerungen an der weißen Wohnzimmerwand, als würden mir diese Muster und Formen irgendetwas ausrichten wollen; weil ich sie nicht lesen konnte, sehe ich sie nun einfach als graphisches Geschehen. Oh Gott! Mein Leben! Mir wird fast schlecht. Soll ich bei der Hitze, die heute kommen wird, raus ans Wasser oder mich in der abgedunkelten Wohnung verstecken? Ich weiß es nicht. Ratlos und ohne Fokus starre ich vor mich hin. Die Nase tropft als hätte ich Schnupfen. Ein leichter Wind bläht den Wohnzimmervorhang. Ich bekomme die Nase nicht frei. Und ich vergesse so viel. Was war mit Mittwoch Abend? Der Rotz wird richtig lästig.

(9.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 8. Juli 2023

3274 Das Hautstückchen

 



Meine Seele hat sich irgendwie leergelaufen - wahrscheinlich gestern im Dickicht des kleinen Waldes, wo ich mich und meine liebe, tapfere Frau verirrt und orientierungslos im Kreis geführt habe und dann im hitzeflirrenden Durchmarsch durch das OMV-Zentrallager mit dem Gedenkstein für die Zwangsarbeiter dort in der Nazizeit. Momentan geht nichts. Dabei ist dieser späte Nachmittag absolut still. Nichts durchdringt meinen Kokon aus Surren und Trägheit. Ich raffe mich zu nichts auf. Nichteinmal zum Lesen. Die Notizen bringens auch nicht. Mich sekkiert ein kleines, abstehendes Hautstücklein am linken Rand des Nagelbettes des rechten Zeigefingers. Ständig komme ich daran an und dann muß ich mit dem Daumen drüberfahren. Draußen ist es sehr heiß. Ich kann mich nicht motivieren, vom Bett aufzustehen, ins Badezimmer zu gehen und das lästige Hautstück wegzuklipsen.

Doch!

Done!

Mehrere Versuche mit verschiedenen Werkzeugen waren nötig. Und jetzt kündigt sich schon an einer anderen Stelle ein Hautstückchen an, das bald abzustehen und lästig zu werden droht. Sei es wie es sei!




(8.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3273 Nicht zur Gänze

 



Der schwarze Rabe mit dem fälschlicherweise gelben Riesenschnabel, der bei mir vorm Fenster hängt, wird von der Sonne von hinten beleuchtet. Nicht zur Gänze: sein Schwanz und der hinterste Teil seines ovalen Rumpfes verbleiben im Schatten, ebenso die Unterseiten und die schmalen Vorderkanten der Flügel; auch sein Kopf bekommt das Licht nur auf die Kante des Hinterkopfs und auf die Kante des – wieder fälschlich – übertrieben gekrümmten Schnabels. Und: die zwei Verbindungsteile – eigentlich sind es zwei schlichte, unlackierte Holzdübel – zwischen Flügel und Rumpf werfen zwei Schattenstreifen quer über den Rumpf. Auch eine sonst unauffällige und sicherlich ungeplante Rille entlang des ovalen Rumpfes wird jetzt als Schattenstreifen sichtbar.

Irgendwo schleudert eine Waschmaschine und ich muß mir vorsagen: meine ist es nicht; ich habe doch soeben erst die Wäsche aufgehängt! Ich bin jetzt am Nachmittag müde geworden, habe noch ein wenig gelesen und sehne mich nach einem wenn auch verspäteten Mittagsschlaf.




(8.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3272 Der Wecker neben dem Bett

 



Der Wecker neben dem Bett tickt verschämt und leise, seine Ziffernblattseite weggedreht – ich weiß nicht, was er angerichtet hat, dass er zur Strafe Winkerlstehen muß. Der dreifaltige Wohnzimmerbaum wirkt etwas zusammengezogen; ich speichere ab: „heute gießen!“. Die Hitze kündigt sich jetzt am Morgen schon an und ihre Vorboten umhüllen meinen Leib wie das Surren um und in meinen Ohren. Ich habe Mitleid mit dem bestraften Wecker; sein Ticken klingt so, als würde er schluchzen. Ich werde ihn wieder herdrehen, seine Untat kann doch nicht so gravierend sein! So ein kleiner Wecker! Ich betrachte die Schrunden und die sonstigen Unregelmäßigkeiten an der weißen Wand der Schlafkoje mit Wohlgefallen; das erfreut meine Sinne und mein Herz. Jetzt schaffe ich es, den Wecker herzudrehen, dass seine Ziffernblattseite zum Bett und nicht mehr zur Wand und zum Buch schaut. Ich bin ganz stolz auf meine Befreiungstat und sein Ticken klingt gleich viel offener und leichter.




(8.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 6. Juli 2023

3271 Täuberiche

 



Sagen wir es so: ich dachte, ich suche einmal einen ungewöhnlichen, zumindest unüblichen Ort zum Schreiben auf und so sitze ich auf einem Betonmäuerchen am Karmelitermarkt hinter dem verglasten Abgang zum untergründigen Parkhaus und blicke durch die teilweise mit Informationsplakaten und Hinweisen verklebten oder verhangenen Glasscheiben auf den weitgehend leeren, asphaltierten Platz geradeaus und auf eine Reihe von Verkaufsbuden links. Leute gehen hin und Leute gehen her und manchmal überquert jemand sogar den leeren Platz und kommt jemand von der Garage herauf. Tauben gurren. Vorallem ist das ein Täuberich, der „seine“ (?) Weibchen umgurrt, er versucht es von links, er versucht es von rechts, versucht der Umworbenen (beschönigende und verharmlosende Beschreibung!) den Weg abzuschneiden, aber sie weicht – wie die vorhin – nach links aus, weicht nach rechts aus, dreht eine halbe Pirouette und bleibt nicht stehen. Diverse unverständliche Gesprächsfetzen schwirren als zufällige, reizlose Symphonie durch die heiße Luft. Ich erwarte mir immer Inspiration, aber es kommt nicht viel – oder mein Wahrnehmungsapparat ist nicht offen genug. Mir ist es schon wieder ungemütlich hier, der Sitz zu hart, möchte jedoch aus verschiedenen Gründen kein Lokal aufsuchen. Also gut! Ortswechsel.

Nun, ein Bankerl im stilleren Werd gefunden. Das scheint jedoch der Rauchertreff der Gegend zu sein, denn ein umgedrehter Blechdeckel am Mäuerchen der Eingrenzung des baumbepflanzten Erdquadrats abgelegt, der als Aschenbecher dient und voll mit Zigarettenstummel ist, die sich sogar zu einem Berg aufhäufeln, stinkt aufdringlich, penetrant und unausstehlich vor sich hin, dass ich Kopfweh bekomme und Übelkeit. Ortswechsel!

Wieder ein Stücklein weiter auf der Steinbank im Beserlpark (wenn das nicht schon eine Übertreibung ist) an der Kreuzung. Hier kreuzen wieder mehr Passanten, aber meine Augen nehmen nichts Rechtes auf. Mütter mit Kindern, Autos, jede Menge RollerfahrerInnen … es ist genug da, aber nichts löst irgendetwas aus: kein Schub, keine Inspirationsexplosion, keine mäandernden Assoziationsketten … mir fehlt auch jeglicher Eifer. Baustellen da, und dort, und dort auch. Alles kommt mir bekannt vor. Eine Frau in Hotpaints geht vorbei, deren Beine zu beschreiben ich zu träge und zu feige bin. Tauben betteln. Und wieder so ein depperter Täuberich – kaum erträglich dieser Anblick des schäbigen, lächerlichen und völlig geistlosen Getues dieses tierischen Vertreters des männlichen Geschlechts. Man schämt sich als Mann und kommt sich vom beobachteten Geschehen wie in einem Spiegelbild ertappt vor. Ein Frau, die anscheinend etwas erschöpft aus dem Haustor ihrer Arbeitsstelle tritt, zündet sich wie erlöst eine Zigarette an. Ich blicke wieder zu den Passanten. Es mag kein Mensch illegal sein, aber heute geben sie nicht viel her. Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf die Bäume hier und die leichte Brise, die jetzt aufkommt oder die ich erst jetzt bemerke. Das verschafft mir etwas Erleichterung, aber gleich schweife ich wieder ab und bin mit den Gedanken irgendwo. Mir kommt vor, es ist ein wenig Weltekel, den ich nicht los werde und der sich mit dem Anblick von einem, nein: zwei weiteren trottelhaften Täuberichen verstärkt. Lärm ist auch ein Thema: meine Ohren dröhnen davon; nur zufällig entgeht mir das Schlagen der Kirchturmuhr nicht ganz. Der Baulärm steigert sich ins Unerträgliche; ich gehe weiter.

Auf dem Weg nach Haus versuche ich, mich innerlich und wirklich aufzurichten, indem ich den Beckenboden hochziehe, die Bauchmuskulatur einsetze, aber ohne den Bauch einzuziehen, und den Nacken mit ein paar Bewegungen des Kopfes lockere, dabei trotzdem tief atme und dann noch beim Gehen das Aufsetzen der Sohlen auf den Asphaltboden bewußt wahrzunehmen und sanft aufsetzend und fein abrollend zu gestalten, aber das gelingt nur ein paar Meter, dann ist meine Aufmerksamkeit schon wieder irgendwo und ich trample wie ein schwerfälliger Idiot durch die Gegend und durch mein Leben.




(6.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com