Samstag, 15. Juli 2023

3288 Rockkonzert III

 



Also gestern war ich dann endlich dort auf dem Konzert der Red Hot Chili Peppers. Ich bin nicht vorher zusammengebrochen. Ich bin von dem Erlebnis überwältigt, darum kann ich gar nicht viel dazu sagen. Es war das erste Mal, dass ich auf einem solchen Megaevent war und allein schon die Masse bewirkt eine tendenziell gemeinsame Ausrichtung der Intentionen. Ich weiß schon: auch in meinem Hinterkopf leuchtet sofort ein Warnsignal auf und blinkt „Nürnberger Parteitag! Nürnberger Parteitag!“. In unseren Breiten und bei meiner Familiengeschichte fällt es mir sehr schwer, mich ganz unbefangen dem Erlebnis hinzugeben (eigentlich gilt das für jedes Erlebnis, für jede Spontanität, denn man weiß ja nie, welche grauenhaften Taten herauskommen, läßt man seinen Impulsen freien Lauf. Der ererbte Schrecken sitzt tief und schockiert mein Leben). Es ist ja so, dass auch meine Sehnsucht dahin geht, mein lästiges, unzureichendes, erbärmliches, und überfordertes Ich für ein paar Stunden in einem euphorischen Rausch wenigstens ein wenig auflösen zu können, zumindest so weit, dass eine andere Dimension der Wirklichkeit ahnbar, wenn nicht sichtbar und erlebbar wird. Und das ist ja dann die entscheidende Frage, ob das, in das man sein Ich hingeben will, es das wert ist. Das entscheidet, ob es ein lebenszerstörerischer Nürnberger Parteitag ist oder ein lebensbejahender Kult. Und um einen Kult handelt es sich bei einer solchen Konzertveranstaltung; da hatte der Ratzinger schon recht, wenn ich auch seine Schlußfolgerungen nicht teile. Das zum Thema Massenveranstaltung, noch nicht zum Thema Red Hot Chili Peppers.

Wer solche Megakonzerte kennt, weiß, wie stark auch die Lautstärke auf das Publikum wirkt, wie sehr damit die Musik mit allen Sinnen wahrgenommen wird, wie die Bässe und Trommeln auf Bauch und Zwerchfell schlagen und wie einen das einhüllt, trägt und mitreißt. Auch das habe ich genossen; ich konnte die Vibrationen sogar mit den Fußsohlen spüren.

Das Konzert selbst war für mich ein beglückendes Erlebnis, in manchen Momenten war ich wirklich herausgehoben, was es nur umso schwerer macht, davon zu berichten. Darum schreibe ich jetzt nur mein Gestammel hin, das ich in der Wartezeit und während des Konzertes notiert habe, ergänzt mit nachträglich geschriebenen Eindrücken und Anmerkungen:

Ich bin schon sehr früh dort. Das Stadion ist noch fast leer. Ich liebe aber die Wartezeit auf ein besonderes Ereignis, da kann ich mich besser darauf einstimmen und meine Seele hat genug Zeit, sich vorzubereiten, sich mit dem Ambiente vertraut zu machen und in der Erwartungseuphorie zu zittern und zu schwelgen.

Das Enst-Happel-Stadion: die Toilettenanlagen sich echt super! Mann bekommt im Wandpisspissoir (keine Pissbecken!) beim Brunzen an die nackte Wand gleich eine leichte Fußdusche vom Wassersprühnebel der verkalkten Pisswandsprühanlage. Gottseidank hatte ich Sandalen an; sehr angenehm bei dieser Hitze! (Wie angenehm wurde mir erst bei einem späteren Besuch der Herrentoilette schon bei vollem Stadion bewußt, denn da war diese Sprühanlage nämlich ausgefallen und der Uringestank … lassen wir das. Die Besucher aus den „Bundesländern“ haben dann gemeint: typisch Wien.)

18:16. Langsam beginnt sich das Stadion zu füllen. Langsam. Sehr langsam. Als erstes tritt King Princess auf; ich kannte sie nicht, aber meine Töchter. Aber schon bin ich überwältigt und ich weine schon. Ich weine vor Glück, an diesem Event, mit der U-Bahn 10 oder 15 Minuten von zu Hause entfernt, teilnehmen zu können, ja, zu dürfen, denn es ist ein Wunder, dass sich das in meinem alten Leben noch ausgegangen ist. Und ich weine auch mit der Musik, die mich gleich in ihrer Intensität überwältigt und berührt.

Ich sitze ganz hinten oben in der letzten Reihe, aber genau gegenüber der Bühne. Dort fühle ich mich, gerade jetzt, da das Stadion beiweitem noch nicht voll ist und um mich herum fast alle Plätze leer, wie in der Königsloge. Die Akteurinnen und Akteure auf der Bühne sind aus dieser Entfernung winzig klein. Ich habe den Daumennagel als Vergleichsgröße angehalten und sie erreichen nicht einmal die halbe Größe meines Daumennagels.

Mister Iggy Pop: ein Wahnsinn! Er tritt als nächster auf (mit toller Begleitband). Der alte Mann, der da auf der Bühne herumhumpelt: immer noch oder erst recht so beeindruckend. Er schont sich nicht und ich nehme an, er hat starke Schmerzen. Ich bin ergriffen und wieder laufen ein paar Tränen über meine Wangen (was immer das heißt).

Dann wieder der Umbau auf der Bühne. In Erwartung – so würde ich dieses Kapitel überschreiben. In Erwartung des Auftritts der Kultband. Und hier reißen meine Notizen ab.

Das Stadion ist inzwischen voll. Wie viele tausend Besucher weiß ich nicht (angeblich um die 45.000). Als die Musiker – von hier aus kann ich es nicht eindeutig erkennen, aber ich nehme an Mister Smith, Mister Frusciante und Mister Flea die Bühne betreten geht ein Rauschen durch das Stadion und erst recht, als sie mit dem Intro beginnen. Dann, etwas später, als Mister Kiedis auf die Bühne gesprungen kommt, erhebt sich wieder ein großes Brausen. Das ist jetzt nicht so wichtig, aber diese Inszenierung und deren Elemente bauen die Atmosphäre auf, die solch ein Konzert zu einem Massenerlebnis und zu einem Kult machen. Ich aber höre vor allem die Musik, die ich so liebe, und die so kraftvoll, intensiv und schön rüberkommt – wiewohl hier oben unter dem Stadiondach der Schall auf seinem Weg schon einiges mitgemacht hat – aber das tut meinem Genießen keinen Abbruch. Weiter will ich nichts mehr darüber schreiben, denn auch beim Konzert habe ich nichts mehr notiert. Wie kann ich denn das alles beschreiben? Vor allem das, was sich in meiner Seele abspielt? Ich habe nur noch ein paar mißglückte, verdammenswerte Photos probiert und ein paar hatscherte Videos, die allesamt schrecklich geworden sind, so dass ich es schlußendlich aufgegeben habe und mich vom Zuhören nicht mehr ablenken wollte.

Nur soviel noch: das Publikum auf den Sitzplätzen im Rund ist nur bei den bekannten, älteren Hits aufgesprungen, bei den neueren Songs – und da sind welche darunter, die ich ganz besonders liebe – nicht. Das fand ich schade. (Ich habe ja gesagt, dass ich hier wie überall fremd sein werde. Aber verbunden mit der Musik!) Da war ich dann zeitweise der Einzige in der Umgebung, der aufgestanden ist und auf der kleinen Fläche – etwa ein Dezimeter um meine Fußsohlen herum – zu tanzen versucht hat. Manchmal gehemmt und verhalten, manchmal richtig im Flow. Danke Universum (und wer auch immer noch dazugehört) für dieses großartige Erlebnis!

(Übrigens, weil ich inzwischen ein paar Kritiken gelesen habe: das rein intellektuelle Sich-darüber-Stellen und Sich-Herausheben hilft nichts und giltet nicht! Damit ist man – auch als Musikkritiker - nicht aus dem Schneider!)

(15.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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