Freitag, 24. Februar 2017

609 Fehlgeschlagener Versuch

Alles mögliche schwirrt mir im Kopf. Erinnerungsfetzen, Phantasien, Überlegungen, Gedankensplitter … Aber alles bruchstückhaft, da ich nirgends verweilen kann. Wie die händische Sendersuche beim Radio vor vielen, vielen Jahren. Kaum hat man etwas gefunden, schiebt sich ein anderer Sender dazwischen. Wo ist denn die richtige, wichtige Welle?
Was fordert der Augenblick? Wie werden die nächsten sieben Jahre? In Siebenjahresmeilenstiefel unterwegs. Wohin, brauche ich nicht zu fragen.
Nein! Ich fange nochmals von vorne an.


Was fordert der Augenblick? Was bringen die nächsten sieben Jahre? Das plötzlich warme Wetter, föhnhaft, schwächt meine Konzentration (wußte gar nicht, daß ich eine solche habe).
So kommt der Text auch nicht weiter.


… die dritte. Sowohl mein äußerer als auch mein innerer Blick bleiben nirgends hängen. Immer wieder jedoch denke ich an die nächsten sieben Jahre, verliere sie aber gleich wieder aus dem Sinn. Ich stelle nur fest, daß ich an sie die Erwartung habe, daß etwas weitergeht. Ein bißchen riskant würde ich sagen, denn was spricht dafür? Wird da irgendwo jetzt in der Nacht aufgegraben? Ich höre einen entfernten Maschinenlärm.


Nein, das führt zu nichts. Ich lasse es für heute gut sein. Ein fehlgeschlagener Versuch, aber das kränkt mich überhaupt nicht. So ist es halt.





(23./24.2.2017)













©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 22. Februar 2017

608 Was mir einfällt

Abend. Was mir einfällt: ich kann aus Albträumen aufwachen, zitternd vor Angst, irritiert und verwirrt, aber – so kommt mir vor – mit dieser Angst komme ich irgendwie zurecht. Die ärgste, die größte Angst in meinem Leben, die stärkste, die ich je empfunden habe, erlebte ich vor Jahrzehnten, als ich in einem Traum, der sehr klar und sehr stabil war, von jenseitigen Mächten oder Kräften zerquetscht zu werden drohte. Ich glaubte, ich sterbe. Diese Kräfte waren nicht feindselig; ich war  ihnen nur ausgesetzt, wie einem übermächtigen Sturm, jedoch still, ohne herumgerissen zu werden, ich spürte nur einen enormen Druck.
Beim Aufwachen stellte ich fest, daß meine Seele schon dabei war, meinen Körper durch die aufgerissene Lücke zu verlassen, und nur indem ich die beiden wieder übereinanderlegte, bin ich nicht zerfallen. (Vgl. hier auf dieser Schublade Nr. 84 „Fut frißt Hose“, wo ich das alles erzähle.) Ich glaube heute noch, daß das der Beginn des Sterbens war, der Prozeß hatte schon begonnen, und wie gesagt, das war die stärkste Angst meines Lebens.
Trotzdem wollte ich es am nächsten Tag gleich nochmal erleben. Ich hoffte, beim Einschlafen wieder auf diese öde Ebene zu gelangen, wo sich das Ganze abgespielt hatte.

Die Angst aber, mit der ich überhaupt nicht zurecht komme, ist die Angst vor anderen Menschen. Sicher, ich habe gelernt, sie bis zu einem gewissen Grad zu überspielen. Oder überblödeln, mich  durch Unterwürfigkeit und Harmlosigkeit so einigermaßen mit der Umgebung zu arrangieren, oder durch fingierte Ernsthaftigkeit – wie es halt geht – aber die Angst ist unterschwellig immer da. Nur früher, im betrunkenen Zustand hat sie sich vorübergehend aufgelöst (um nachher wieder stärker aufzutauchen).

Die Angst im geschilderten Traum war kreatürlich, nicht sozial, in dieser weiten, unendlichen Ödnis war niemand, der mich beschimpft, bloßstellt, verspottet oder bestraft, und als ich mich dort mit meinem Zorn etwas lächerlich gemacht habe, habe ich trotz der Riesenangst innerlich darüber gelacht. Ich habe es als befreiend empfunden, es einfach mit einer unpersönlichen Kraft zu tun zu haben. Es war die natürliche Angst einer Kreatur, die sich auflöst und für nichts dabei mußte ich mich genieren.

Wenn ich an die soziale Angst denke, kommt mir sofort diese Erinnerung vors innere Auge: wie mich als Kind von vier oder fünf Jahren - oder war ich doch schon in der Volksschule? - ein paar ältere Buben auf einem ihrer Streifzüge mitgenommen haben, auf einen Baum geschleppt - auf den ich allein niemals hinaufgekommen wäre, aber auch nicht herunter – und dann, als ich oben war, mich oben zurücklassend heruntergestiegen sind und vortäuschten, sie gingen jetzt weg, während ich oben in Panik schrie. Sie hatten sich über meine Angst köstlich amüsiert (eine richtige „Hetz“ gehabt) und noch eins draufgelegt, indem sie zuerst wieder zurückkamen, dann jedoch ein Feuer am Fuße dieses schönen, alten Baumes entfachten und verkündeten, sie werden den Baum jetzt anzünden. (Vgl. hier in der Schublade Nr. 88 „Die Pachernegg-Szene“, wo ich das erzähle.) Ich hatte als das Kind, das ich war, nicht verstanden, daß sie nur ihre Scherze mit mir trieben, und nahm es ernst. Das Schlimme für mich war, daß ich auf ihre, gerade auf ihre Hilfe angewiesen war, um vom Baum herunterzukommen.

Das ist das Grundbild über die Gesellschaft und meinen Platz darin, das ich einprogrammiert habe, und alle anders gearteten Erfahrungen – die es ja auch gibt – und alle anderen Bilder, die ich gelesen, gehört oder gesehen habe, kommen gegen dieses Bild nicht wirklich auf. Das ist das Hintergrundrauschen, das mein Leben begleitet und ständig auf es einwirkt.


Morgen. In dieser Nacht bin ich alle ein oder zwei Stunden aus einem Traum aufgeschreckt aufgewacht. Aber es waren nicht die Träume, die mich aufgescheucht haben, sondern die Angst, den Wecker zu überhören und damit den Ansprüchen der Alltagswelt nicht zu genügen. Es hat die Angst vor der Alltagswelt auf die Träume abgefärbt, nicht umgekehrt. Diese Angst kommt aus der Menschenwelt und sie lähmt den von ihr Befallenen und schwächt ihn. Die oben beschriebene kreatürliche Angst hatte mich stark gemacht und kämpferisch. Sie ist etwas ganz anderes.








(21./22.2.2017)











©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 21. Februar 2017

607 Wir nähern uns dem Zustand, der ...

Wir nähern uns dem Zustand, der …   weg! Soviel tolle Sätze in der Nacht, die ich nicht aufgeschrieben habe. Und Träume, erotische und welche vom Sterben. Der sterbende Onkel hatte zum erstenmal seit ich ihn kenne einen offenen, weichen Blick. Nichts Verhangenes. Nichts Verstecktes. Das habe ich alles nicht geschafft aufzuschreiben. Wobei – an das kann ich mich noch erinnern – die erotischen Träume zu nichts geführt haben. Ständig hat irgendwer gestört, hat etwas mit der Wohnung nicht gestimmt, so dunkel erinnere ich mich, sogar der Papst war da.

Und zum sterbenden Onkel ist zu sagen: der war erstaunlich fit. Er hat sich ohne fremde Hilfe aufs Bett gelegt, schon in einer Extrakammer außerhalb des Hauses in einem eigenen Gebäude, dem ehemaligen Schuppen oder Stall. Erstaunlich, er war so freundlich zu mir und hat mich so offen wahrgenommen und mich so herzlich angesprochen. Er hat sich wirklich gefreut, mich zu sehen. Ganz anders als sonst. Er hat wirklich den Kontakt mit mir gesucht. Vielleicht sogar gebraucht?


So, jetzt habe ich den Wecker abgestellt. Wieder diese schleichende Angst. Mein Surren ist kompakt, kraftvoll und direkt. Und laut.

Aber diese Angst. Ein Knoten im Gedärm, die Atmung ein wenig stockend, jedenfalls flach. Ich habe es heute satt, diese Angst jeden Morgen zu erleben. Jeden Morgen zumindest, an dem ich zur Arbeit muß, oder irgendetwas zu erledigen habe. Ich meine, die Schulzeit ist vorbei! Meine Seele fürchtet sich immer noch. Angst vor den Autoritäten, aber auch vor „den anderen“. Von beiden Seiten droht Gewalt und Bloßstellung. Für meine Seele. Sie ist immer noch nicht ausgeheilt.

Die will da nicht hinaus. Ich will ja auch niemandem irgendwelche Plätze wegnehmen.






(21.2.2017)










©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

606 Etwas arbeitet noch in mir

Abend. Die kleinere Katze kommt her, schleicht herum, umkreist mich, tut herum, will gestreichelt werden und weicht dennoch immer wieder aus. Ein heikles Thema eigentlich, das ich jedoch links liegen lasse.

Ich bin müde. Ich gähne; fast schmerzhaft weit reiße ich mein Maul auf. Ich bin allein im Zimmer – soll ich schon schlafen? Ich denke, soweit ist es noch nicht; eine Unruhe arbeitet noch in mir. Und gähnen und wieder gähnen. Was ist diese Unruhe? Die Unruhe einer kleinen Sucht? Vielleicht. Ich pflege um diese Zeit aufrecht oder gekrümmt am Computer zu sitzen – während ich jetzt überhaupt ziemlich flach im Bett liege – und ich pflege am Computer nicht nur sinnvolle Sachen zu machen, sondern lasse zum Beispiel auch die kleinen Kugeln zerplatzen. Oder diese Unruhe ist die Folge meines Kaffeekonsums am Wochenende? – immerhin zwei Tassen!

Ich stehe auf und trete an den Computer. Ich setze mich hin, um ihn abzudrehen. Da fällt mir ein: ich habe meiner Tochter versprochen, etwas nachzuschauen. Das mache ich. Ich passe dabei sehr auf, ob mich etwas hineinzieht. Nein, heute nicht. Ich spüre nichts dergleichen. Ich horche ganz aufmerksam in mich hinein.

Das Unrunde bleibt.

Als ich mit der Recherche fertig bin – in ein, zwei Minuten erledigt – schalte ich das Gerät aus, lüfte, gehe ins Bad. Wieder zurück ins Bett.

Komisch, den halben Tag schon freue ich mich aufs Hinlegen, aber jetzt passt es mir gar nicht. Irgendetwas will noch abgehandelt werden, aber was?




(20.2.2017)









©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 20. Februar 2017

605 Der Zeiger der Uhr

Im Traum war ich vermutlich jünger. Der Zeiger der Uhr geht gnadenlos auf den Punkt zu, wo der Wecker losläutet. Ich werde ihn jetzt gleich abstellen, aber allein der Gedanke daran, wie er losschrillt und mich erschreckt und aufscheucht, bereitet mir Panik und einen Knoten im Bauch.

Nun ist der Wecker abgestellt, aber die Angst ist noch da. Die kommt aus einer tieferen Schicht; es ist die Angst, völlig unvorbereitet und ungerüstet sich dem da draußen stellen zu müssen. Dem Leben. Der Welt. Dem Lebenskampf. Der Hölle. Ohne je seine eigene Gestalt entwickeln gekonnt zu haben. Ich muß hinaus ohne Schutz und Panzer, ohne jeden Kampfunterricht, ohne den eigenen Plan, mit einer fremden, unterschobenen Landkarte in der Hand, die ich nicht lesen kann, wo nichts stimmt, weil sie nicht für mich bestimmt ist, weil sie nicht meinem Auftrag entspricht.

Es wird mir so nichts gelingen. Ich kann froh sein, wenn ich nicht auffliege; wenn ich durchkomme, ohne daß man mich schnappt. Ausgesetzt im Feindesland mit dem falschen Auftrag. Eine Verwechslung. Ein Fehler. Daß es Absicht ist, will ich nicht glauben. Ich glaube nicht, daß Die-Da-Oben die reinen Zyniker sind.

Diese Angst.






(20.2.2017)










©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

604 In meiner Kammer

In meiner Kammer. Ich liebe dieses Zimmer. Die Stille – keine Fenster zu Straße hinaus, kein Fenster zum Hof, wo immer wer durchgeht, redet, bellt, mit den Türen klescht; nur zum Lichtschacht gibt es ein Fenster, dort unten hält sich selten jemand auf.

Ich mach die Zimmertür und das Türl der Durchreiche zu und bin allein.

Dieser Raum hält mich zusammen. Darin kann ich auf meine Geistreisen gehen. (Ein Toast auf den verrückten Quirinus Kuhlmann!)

Ich atme auf. Ich bin einfach nur da. Ich kann schreiben; ich muß nicht schreiben. Ich kann lesen, ich muß nicht lesen.

Es ist Abend. Das Bett hat mich schon aufgenommen. Die Decke hüllt mich ein. Ich lasse meine Gedanken und Phantasien, meine Einfälle dahinströmen, ohne mich einzumischen. Ich kann sie aufschreiben, ich muß sie nicht aufschreiben. Ich will sie auch nicht stoppen und unterdrücke sie nicht. Dieser Fluß geht dahin; auch wenn ich ihn nicht beachte, unter der Oberfläche strömt er wortlos weiter.

Ich bin nahe an der Inneren Stille. Aber dann spiele ich mit irgendeinem Gedanken, oder überlege, wie und wo ich meine Texte am besten drucken kann, oder irgendetwas anderes. Das macht mir nichts aus. Ich bin im Zentrum eines Universums, auch wenn ich am Rand hocke. Und es dreht sich irgendwie und ich mich mit ihm mit. „Ich werde heute luzide träumen!“

Ich freue mich schon auf den Schlaf, auf das Hinübergleiten.







(19.2.2017)









©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 17. Februar 2017

603 Ich bin in den Untergrund gegangen

Ich bin in den Untergrund gegangen. Ich bin in die Virgilkapelle unter dem Stephansplatz hinuntergestiegen. (Wenn mir kein Titel einfällt, mache ich es wie die Päpste: ich nehme die ersten Wörter als Überschrift. Wie Gaudium et Spes zum Beispiel.) In einem (fragwürdigen?) Buch ist gestanden, hier wäre einer der stärksten Kraftplätze der Welt. Keine Ahnung! Daß es Kraftplätze gibt, Orte, wo besondere Energieströme zusammenfließen, bezweifle ich nicht. Ob das hier zutrifft, weiß und spüre ich nicht. (Umgekehrt wäre richtiger: spüre ich nicht und deshalb weiß ich es nicht.)

Ich schaue mich noch gar nicht richtig um. Ich bin der einzige Besucher. Ich sitze auf einer freistehenden Bank und habe den Rucksack noch umgeschnallt. Nachdem ich mein Notizbuch herausgenommen habe, ist er so gut wie leer, nur ein paar Packungen Taschentücher und Stifte und sonstiges Schreibzeug. Wahrscheinlich auch ein paar vergessene Zetteln – Rechnungen oder Notizen oder beides gleichzeitig in einem.

Ich drehe mich zur Ostwand, zur Apsis, zu einem noch halbwegs erkennbaren Radkreuz. Hier in dieser Kapelle gibt es nur Reste der schlichten, in roten Linien ausgeführten Wandmalerei, sonst nichts, aber das tut – so empfinde ich es – der Wirkung des Raumes keinen Abbruch.
Ich schiebe die Lesebrille nach oben über die Stirn, um besser herumschauen zu können; wenn ich das tue komme ich mir immer wie ein Angeber vor.

Das indirekte Licht hebt mit seinen Schatten die vielen Schrunden und Wunden der verletzten Mauern hervor. An manchen Stellen blüht – ich glaube es ist der Kalk aus. Es ist eine unfertige Kapelle, mehrmals schon umgebaut im Lauf der Jahrhunderte. Vielleicht mag ich deshalb diesen Ort. Oder ich bilde es mir ein. So genau weiß ich das bei mir nicht. Jedenfalls bin ich hier um  abzuwarten, was in mir hochkommt.

Ich schaue auf diese erstaunlichen Wände wie auf eine aufgestellte Landschaft, von hoch oben sozusagen, auf ein wüstes Hochplateau, von wilden Furchen durchzogen und mit vielen Löchern übersät.
Und dieses Auge, dieses eine rote Auge, in roter Farbe gezeichnet, das zweite mit dem Verputz abgefallen, vom Gesicht ist sonst kaum mehr etwas übrig geblieben.

Die verletzten Wände. Wird da etwas herausgeschrien aus den verwundeten Mauern? Jetzt höre ich nur die Videoguides der gerade herabgestiegenen Touristen.

Ich stehe auf und gehe ein wenig in den Nischen herum. Die harte Sitzfläche ist mir schon etwas unbequem. Viel Platz ist in der Kapelle nicht.

Man könnte das auch lächerlich finden, andächtig diese ziemlich hinigen, gut ausgeleuchteten Mauern anzugaffen wie abstrakte Kunstwerke. Arte povera.

Ich stehe vor einer Wand  und starre sie mit unkonzentriertem Blick an. Plötzlich rückt dieser Blick ein Stück tiefer in die Wand hinein und es ist, als schaute ich wirklich in eine fremde, faszinierende Welt. Ich schaue in eine fremde, faszinierende Welt, besonders die Schatten bekommen eine unglaubliche, fast dunkel leuchtende Intensität.

Jetzt ist der Aufseher, der erst vorhin mit der Touristengruppe heruntergekommen ist, auf mich aufmerksam geworden – so kommt es mir vor – und er stellt sich in meine Nähe. Mein erster Gedanke ist, er will sichergehen, daß ich mit dem Kugelschreiber nicht die Wand bekritzle oder sonst ein Attentat ausübe. Das kann freilich auch - nicht unwahrscheinlich - eine Unterstellung sein, aber so erlebe ich die Welt. Diese Unterstellung bewirkt, daß ich mich unwohl zu fühlen beginne und ans Weggehen denke.

Mir fällt jetzt ein, daß ich vor Jahrzehnten einmal den Pfarrer meiner damaligen Wohnsitzpfarre gebeten hatte, die Nacht in einer Kapelle verbringen zu dürfen; eine Kapelle für kleine Gottesdienste mit dem Allerheiligstentabernakel und dem anwesenden Leib Christi. Das war in meiner Zeit, als ich verzweifelt wieder zur Kirche zurückfinden wollte. Ich habe dabei an Samuel im Alten Testament und seinen Tempelschlaf gedacht, wo ihn der Herr mehrmals beim Namen ruft und er davon aufwacht. Das war der Einstieg in seine Berufungs- oder Initiationsvision. Jahre früher hatte ich ein ähnliches Erlebnis, nur daß die Stimme bei mir weiblich war und mich mit flehentlichem Unterton gerufen hat. Ich hatte aber nicht weiter gewußt.
Gerade wegen dieses Traumerlebnisses wollte ich hier jetzt auf diese Weise versuchen, Christus zu fragen, ob er mit mir irgendetwas vorhat, ob er mich in der Kirche oder sonstwo brauchen kann.
Der junge Pfarrer hat geantwortet, daß er da noch ein paar Tage überlegen muß, ob er mir das erlauben könne und sich dabei mit anderen beraten. Ich war dort in der Gemeinde ja tatsächlich ein Fremdkörper und habe überhaupt nicht in die Gemeinschaft gepasst. Nach ein paar Tagen hat der Pfarrer meine Bitte abschlägig beantwortet. Ich habe das sofort verstanden und akzeptiert; traurig zwar, aber ich habe eingesehen, daß das nicht geht.
Warum eigentlich? Ich habe ja nichts Böses vorgehabt, und man hätte mich dort auch einsperren können – das habe ich sogar vorgeschlagen; Toilette und Wasser zum Trinken hätte es gegeben. Das wäre kein Problem gewesen.

Noch etwas fällt mir ein. Noch länger her, Ende der Siebzigerjahre, da habe ich mich um eine Arbeit in einer Fabrik beworben, es waren Stellen für Arbeiter ausgeschrieben. Ich hatte gerade meine „linke“ Zeit hinter mich gelassen und meine Studien abgebrochen. Ich brauchte wirklich bloß Arbeit und Einkommen. Der Personalchef hat mich nicht genommen, weil er hier – wie er mir im Bewerbungsgespräch erklärte – keine Leute wie Gratt, Keplinger und Pitsch brauchen könne. Das waren hier in Österreich Mitglieder der terroristischen Bewegung 2. Juni, die einen Unterwäscheindustriellen entführt hatten. Anscheinend hatte der Personalchef befürchtet, ich wolle die Arbeiter missionieren und radikalisieren und plane Anschläge oder Entführungen. Oh Gott! Weit gefehlt! Ich wollte doch nur einen Arbeitsplatz und ein Auskommen finden. Aber auch da habe ich bei der Unterstellung bloß genickt und „alles verstanden“.

Ich nehme jede Unterstellung an und fühle mich sofort schuldig. Und ich rücke sie nicht zurecht. Hier habe ich mich tatsächlich gleich wie ein potentieller Terrorist gefühlt, nur weil ich vorher mit Links sympathisiert hatte. Nein, ich nicke ergeben und rücke das nicht zurecht.

(Hier zum Beispiel etwa: „Ja, Herr Personalchef, Sie haben recht, ich war vor nicht allzulanger Zeit noch sehr links unterwegs. Aber ich habe keine politischen Verbrechen begangen und habe das Ganze in einem zähen und ernüchternden Kampf abgeschüttelt und will nichts mehr mit Ideologien zu tun haben. Ich habe meine Studien abgebrochen und bin von meinem hohen Roß, das wohl nicht viel mehr als ein Steckenpferd war, herabgestiegen und will mein Leben in Ordnung bringen. Auf ganz normale Art. Ich will mit normaler Arbeit meinen Lebensunterhalt verdienen und ein bescheidenes Leben führen. Trotz meiner linken Attitüden vor ein paar Jahren bin ich im Grunde ein gehorsamer, braver und verlässlicher Arbeiter – vorausgesetzt, ich bin körperlich und handwerklich in der Lage, die aufgetragene Arbeit zu verrichten. In dieser Molkerei hier am Fließband sollte sich das ausgehen. Für eine Aufhetzung der Arbeiter bin ich viel zu ängstlich und schüchtern und für einen Terroranschlag oder eine Entführung – wenn ich sie wollte – wäre ich viel zu nervös und ungeschickt. Nein, ich wäre ein Arbeiter, der froh ist, daß er eine Arbeit gefunden hat und dankbar, wenn er dafür bezahlt wird und sein Auskommen findet.“)

Der Aufseher ist mit den Touristen wieder gegangen. Also hat meine Vermutung nicht gestimmt und meine Gedanken waren Unterstellungen. Trotzdem werde ich bald gehen.

Jetzt, wo ich aufstehe, mein Schreibzeug im Rucksack verstaue, merke ich, der Aufseher lehnt am oberen Ende der Wendeltreppe und beobachtet mich. Also vielleicht doch keine Unterstellung.
Es ist mir jedoch auch unangenehm, daß er wegen mir da stehen und mich im Auge behalten muß. Der Gedanke, daß das sein Job ist, hilft mir nichts. Es ist mir dennoch unangenehm. Er muß jetzt wegen mir Trottel da herumstehen und kann sich nicht gemütlich im Kassaraum hinsetzen. Es ist richtig, daß ich gehe.

Ich gehe. Ich schlendere in der Stadt herum und kehre in ein Kaffeehaus ein, lese Zeitungen, schreibe, esse und schaue in die Luft. Ich gönne mir eine Droge in Form einer Wiener Melanche.
Jetzt kommt ein ganzer Schwall Besucher ins Kaffeehaus und sucht Plätze. Sofort werde ich unruhig, weil ich das Gefühl habe, ich nehme ihnen den Platz weg. Ich rufe schüchtern und devot und mit vorsichtig aufzeigender linker Hand dem Kellner „zahlen!“ zu – nicht ohne zu betonen, daß er erst kommen möge, wenn es sich für ihn ausgeht.

Dann zahle ich, gebe reichlich Trinkgeld und gehe. Ich rufe im Hinausgehen noch „auf Wiedersehen!“, das in dem ganzen Wirbel da sang und klanglos untergeht.





(17.2.2017)












©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

602 Verdammt!

Herr Meiertag liest seiner Frau vor: „Auch in jener Nacht weckte den armen Signor Anselmo seine Frau, ihn wütend am Arm zerrend, aus tiefem Schlaf. „Du lachst!““ (Dieses Zitat und alle folgenden aus Luigi Pirandellos „Du lachst“ in „Angst vor dem Glück“, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Manesse Verlag, Zürich; hier S. 21).
Das Ehepaar Meiertag verbringt einen Kurzurlaub auf einem Berggasthof, hoch über dem Tal, oberhalb der winterlichen Nebelzone. Es ist später Nachmittag, sie liegen schon im Bett und beide lesen. Sie liebt es, von ihrem Mann vorgelesen zu bekommen und hat ihre Lektüre nach seiner Frage, ob er ihr etwas Lustiges vorlesen dürfe, unterbrochen.

„“Jede Nacht! Jede Nacht!“, faucht, bleich vor Ärger seine Frau“ (S.21) liest Herr Meiertag. Seine Frau hört ihm aufmerksam zu.

Herrn Meiertag gefällt diese Geschichte und er geht darin auf und liest mit aufgerissenen Augen und vor Begeisterung glühenden Wangen und vergißt beinahe die Welt um sich herum. Beinahe. Nur mit seiner Frau ist er im ausströmenden Lesefluß, der ein wenig unregelmäßig und nicht ohne Hindernisse dahinfließt, verbunden.

Er liest. „Gereiztheit und Beschämung, Zorn und Gram ließen die gequälte Seele des Signor Anselmo zusammenzucken wegen des kaum glaubhaften, allnächtlichen Lachens im Schlaf, das bei seiner Frau den Verdacht aufkommen ließ, er bade in wer weiß welchen Wonnen, während sie schlaflos ...“(S.22). Meiertag blickte kurz zu seiner Frau hinüber, die gerade wie bei einer Yogaübung ein Bein hoch- und ausstreckte. Herr Meiertag machte sich an und für sich keine Sorgen wegen dieser Textstelle, denn bei ihnen ist es eher er selber, der schlaflos neben seiner selig schlafenden Frau liegt, nur die „Wonnen“, die haben ihn für einen Moment herausgerissen und verunsichert und diesen vorsichtigen Blick auf seine Zuhörerin werfen lassen.

Er las weiter. „“Soll ich die Kerze anzünden?““ (S.22)  Schnell war Herr Meiertag mitten in der Geschichte. Bei der Stelle „Eifersucht“ (S.25) zieht seine Frau, am Rücken liegend, ihre Beine an sich heran und wippt ein wenig hin und her. Herr Meiertag schaut rasch auf und liest dann weiter.

Bei „Er träumte überhaupt nicht! Er träumte überhaupt nie!“ (S.27) schnauft Frau Meiertag und schnieft. Herr Meiertag blickt kurz hin.

Bei „Am nächsten Morgen entschloss er sich, den jungen Nervenarzt zu konsultieren“ (S. 28) kratzt sie sich am Scheitel und dreht dann ihre Haar zurecht. Dann lauschte sie wieder konzentriert seiner Stimme.

Bei „Doch nach langem Grübeln kam er endlich darauf! Ja, ja. So mußte es sein. Die gütige Natur half ihm heimlich im Schlaf.“ (S.30) legt sie sich auf die Seite, ihm den Rücken zukehrend. Irritiert schaut Herr Meiertag auf, aber weil sie nichts sagt, liest er wieder weiter.

Bei „Aber leider sollte Signor Anselmo auch diese Illusion verlieren.“ (S.31) steht Frau Meiertag auf und geht, ohne seinen Redefluß zu unterbrechen, Richtung Bad. Herr Meiertag stoppt sein Lesen und ruft ihr nach: „ Was! Mitten in meinem Vortrag stehst du einfach auf?!“ „Ja, ja“, sagt sie „und nachher putze ich mir noch die Zehen!“

Sie geht. Er erhebt sich vom Bett und tritt zum Fenster. Von diesem Fenster aus hat man eine weite Aussicht, einen Blick weit ins Land. Er betrachtet die Hügel, Berge und Täler, mit den Märkten und Dörfern, Straßen und Höfen, Feldern und Wiesen, den Wäldern und den Schipisten, den hinter Bäumen und Gebüsch versteckten Bächen und Flüssen. So weit es der Nebel zuläßt. Er schaut auf den Himmel und die Wolken und den immer stärker anrückenden Nebel. Lange steht er da. Es beginnt schon zu dämmern und die ersten Lichter gehen unten an. Er murmelt vor sich hin: „verdammt!“





(4./17.2.2017)









©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

601 Der reine Luxus

Eigenartig, aber wohl auch typisch. Heute habe ich nämlich keinen Dienst. Und ich wache knapp nach fünf Uhr früh auf. Ausgeschlafen, ohne Albträume, optimistisch, gefasst und bereit, mich dem neuen Tag zuzuwenden.
Keine Schweißausbrüche, kein Zittern vor Angst. Ruhig und tief atmend hocke ich jetzt da. Zuversicht erfüllt mich und Vorfreude auf alle meine heutigen Vorhaben. Meine Hauptarbeit wird sein, alle meine angesammelten und unveröffentlichten Texte zu überarbeiten und auf die Schublade zu stellen. Oder zu verwerfen. Ein wenig werde ich die morgendliche Ruhe und Stille noch genießen, dann gehe ich es an.

Jetzt weiß ich auch, warum ich so Angst vor der Welt habe: ich gehe hinaus ohne einen festen, inneren Kern; mich gibt es ja nicht als „Substanz“, deshalb bin ich allem so wehrlos und handlungsunfähig ausgeliefert.

Und wenn ich dann nicht hinaus will, bin ich nicht in der oft so genannten „Komfortzone“, sondern in einem Unterschlupf, wo ich mich versteckt und bedeckt halte.

Nur wenn ich schreiben kann bin ich glücklich und ich glaube schon, daß das meine Begabung und damit mein Aufgabenfeld ist; das beackere ich gerne, und es wird bessere und schlechtere Ernten geben. Mein Komfort besteht darin, daß ich im Bett hocke, warm zugedeckt, eine Lesebrille, Kugelschreiber und Notizbücher besitze und schreibe. Dann Computer und Internet, genug zu essen, natürlich ein ruhiges Zimmer. Bücher und Musikkonserven, das ist dann schon der reine Luxus.

Für eine Lesereise diese – ja, meinetwegen doch - „Komfortzone“ zu verlassen, wäre kein Problem, da hätte ich ja mit den Texten „meine Welt“ mit mir.


Mein Gott ist das schön! In der Dunkelheit wach dazuliegen, die Fühler in diese Schwärze hinauszustrecken, mit der Aufmerksamkeit die Umgebung abzutasten und alles, was da ist, auf einen einströmen zu lassen. Und alles, was vom Inneren hochkommt, aufsteigen zu lassen. Was für ein Moment! (Augenblick, verweile doch, du bist so schön!)

Fast glaube ich, daß ich jetzt ich selber bin.





(17.2.2017)










©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 16. Februar 2017

600 Sechsundzwanzig Stunden pro Tag

Wenn ich nicht sechsundzwanzig Stunden pro Tag gegen den einprogrammierten inneren Monolog kämpfe, der mir einredet, ein Versager und eine unnötige Existenz zu sein, dann gewinnt der sofort die Oberhand. Und es gab wohl keinen Tag in meinem Leben, wo ich diesen Kampf nicht verloren hätte. Irgendwann dann doch ein selbstgehässiger Gedanke, eine innere, verächtliche, wegwerfende Geste gegen mich selbst, irgendein „das ist nix! das wird nix!“, „das kannst du nicht!“, „das schaffst du niemals“ „lass es sein, gib auf“; manchmal gar nicht in Sprache, sondern einfach so als Gefühl.

Ich habe gegen diese Stimme in meinem Inneren kein Gegengewicht. Oder ich finde es nicht. Keine alternative Stimme in mir. Dann rutsche ich in diese Selbstzweifel und komme nur mehr schwer heraus. Ich muß es mir regelrecht vorsagen, daß das nicht stimmt, egal in welchem Sprachspiel. Sätze verwenden, die ich irgendwo gehört oder gelesen habe. „Gott liebt einen jeden einzelnen Menschen und gibt ihm einen erfüllenden Lebenssinn“ (Deshalb waren mir in meiner Kindheit Christentum und Kirche so wichtig). Oder: „Diese innere Stimme, das sind eingelernte Glaubenssätze und Urteile, die nur in Gedanken existieren und mit der Wirklichkeit kaum bis nichts zu tun haben.“ „Das Bewußtsein eines Menschen, und vor allem so ein verstörtes Bewußtsein, kann die Gesamtheit und Tiefe der Existenz nicht erfassen.“ „Du weißt gar nicht, was alles du - möglicherweise -  schon bewirkt hast.“ "Dein Energiekörper ist von all diesen Wunden unverletzt." „Du brauchst dich nicht verurteilen; schau dir im Sterben dann gefasst deinen Lebensfilm an und du wirst alles verstehen.“ „Den Tod brauchst du nicht suchen, der kommt von alleine.“

Oder ich kann lachen über die Absurdität in dieser Tragikomödie.

Mich reißt es viel hin und her dabei. Sehr anstrengend dieser Kampf!




(15./16.2.2017)












©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 15. Februar 2017

599 Klandestin

Nach der Arbeit. Wenn ich das Schreiben als meine wirkliche Arbeit bezeichnen würde, müßte ich „nach dem Job“ schreiben. Es gelingt mir jedoch nicht, dem Schreiben solch ein offizielles Gewicht zu geben. Ich bin mehr ein klandestiner Schriftsteller; aber um „Schriftsteller“ hinzuschreiben muß ich mich auch etwas überreden, und „klandestin“ ist Angeberei; da will ich mit meiner Bildung, ja, ja, angeben. (Zur Erklärung: „klandestine Ehen“ waren im katholischen Kirchenrecht Ehen, die geheim, aber im Sinne der Kirche gültig geschlossen wurden, in ein Geheimbuch eingetragen, aber nicht veröffentlicht. Wie ich einmal aus gewöhnlich gut informierten Kreisen gehört habe, sollen zum Beispiel Kaiser Franz Joseph I und Katharina Schratt eine klandestine Ehe geschlossen haben.)

Zurück in die Gegenwart. Ich sitze in einem Kaffeehaus. Das ist der Versuch, gegen meine Gewohnheit auch am Nachmittag zu schreiben. Schreiben zu können.

Ich sitze also da und schaue mich um. Die Köpfe hier im Saal bewegen sich ruckartig. Das fällt mir auf. Eine zufällige Dreifaltigkeit der gleich gekleideten Kellner – gerade nebeneinander einhergehend. Das fällt mir auch auf.

Tja, nichts greift so richtig. Mein Geist hat im Job schon zu viel Zeugs aufgenommen und meine Seele hat dabei ihre heutige Jungfräulichkeit verloren. Für heute. Anscheinend ist eine gewisse Unschuld und Reinheit – wie am Morgen – eine Voraussetzung für meine Schreiberei.

Es geht nicht. So habe ich hier nichts verloren. Ich gehe.



(15.2.2017)











©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

598 Fast nichts

Nichts. Ich bin zu nervös, weil ich bald aufstehen muß. Keine Muse.






(15.2.2017)







©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 9. Februar 2017

597 Die Jungfrau

Heute Nacht jage ich den Sternen hinterher, aber die Wolken haben sie immer wieder vor mir versteckt. Nur Rabe und Becher haben sich gezeigt, und manchmal erhaschte ich ein paar kurze Anblicke der Jungfrau – ihren ganzen viele tausende Jahre jungen Körper hat sie mir jedoch nicht gezeigt. Vielleicht habe ich auch Jupiter gefunden – hat er es auf die Jungfrau abgesehen? - aber sicher bin ich mir nicht. Der Becher scheint bis zur Neige ausgetrunken, der Rabe – keine Ahnung, was der macht.

Sicher bin ich mir nicht. Ich bin unsicherer denn je. Kann ich mich und mein Handeln und Agieren in der Welt überhaupt noch einigermaßen richtig einschätzen? Oder merke ich es überhaupt erst jetzt, wie falsch ich liege?

Draußen tobt ein herrlicher Sturm; wir sind auf einem Berg. Und wenn ich doch einen Blick auf die Sterne am Himmel ergattere, dann verwirrt mich die ungewohnte Fülle an Sternen und ich finde mich am Sternenhimmel nicht zurecht. Wenn ich mich zu orientieren versuche, kommen Wolken und verdecken mir die Sicht.
Ich weiß schon, daß sie mir das nicht zu Fleiß tun, sie agieren aus ihren Notwendigkeiten heraus.

Aber sonst? Was sind meine Not-wendigkeiten? Sterne! Sagt ihr mir was?




(4./5./9.2.2017)










©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

596 Es gibt keinen harten Kern

Von einem Albtraum verfolgt bin ich aufgewacht. Schauer der Angst laufen durch meinen Körper. Ich habe in der Arbeit jemanden umgebracht, oder sonstwie mitgewirkt, und die Leiche nur schlecht entsorgt. Ich kann jederzeit auffliegen. Ich fürchte noch dazu, daß das ein Kind war; an mehr kann ich mich nicht erinnern. Mir ist noch ganz schlecht; ich vermute, mehr wegen dem drohenden Entdecktwerden, als wegen dem Mord. In einer orientierungslosen Panik bleibe ich im Bett liegen. Eingekuschelt döse ich vor mich hin. Immer wieder reißt mich ein Schrecken hoch, als wäre plötzlich alles ins Rutschen gekommen. Ich spüre diese seelische Übelkeit auch körperlich. Ich kann nicht aufstehen, ich bin noch in diesem Alb gefangen. Der Gedanke, daß soetwas meistens beim Aufstehen abfällt, oder schneller abzuschütteln ist, hilft mir nichts. Ich trifte weg, wieder sehe ich die Vorgesetzten aus der Arbeit und fürchte, die Leiche wurde schon gefunden. Nein. Noch nicht. Dafür bin ich auch in der Arbeit eingeschlafen und wurde von der Chefin gerügt. Ich entschuldige mich dafür, erkläre es mit Übermüdung wegen Überanstrengung.

Meine Außengrenzen sind noch ganz unklar. In Gedanken lege ich mir die ersten Sätze zurecht, aber jetzt, wo ich sie aufschreiben will, sind sie mir bereits wieder entfallen. Ich habe noch diesen Angstgeschmack im Mund und das Zittern sitzt noch in den Eingeweiden. Habe ich immer noch Angst vor der Arbeit?

Ich existiere nicht. Es gibt keinen harten Kern. Es gibt nur ein Geflecht von verschiedenen Bildern, Elementen, Gefühlen, Erfahrungen, Erinnerungen etcetera, die nicht wissen, ob sie zusammengehören. Irgendetwas klammert sich schon an irgendetwas, aber es wirkt wie Zufall; wie man sich an dem Grasbüschel, das zufällig da ist, festhält, wenn man an einem steilen Hang abzurutschen droht. Aber wer ist es, der sich anklammert?

Einzelne, winzige Schneeflocken schweben in berührender Langsamkeit und tröstender Zeitlosigkeit nieder; ich schaue mehrmals aus dem Fenster, weil ich es nicht glauben kann. Meine Seele beginnt sich zu beruhigen.






(9.2.2017)















©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 3. Februar 2017

595 Von Schnüren, Bändern, Fäden und Kabeln

Ich sehe die verschiedenen Arten von Schnüren, Fäden und Kabeln. Ein paar davon sind mir jetzt aufgefallen und somit ist meine Aufmerksamkeit auf sie gelenkt. Kabel des CD-Players, der Lampe neben mir, der am Schreibtisch, das der Zimmerlampe (gehörte gereinigt), das Bandl an meinem Notizbuch, die Schnur am alten Rouleau, die Kette am neuen. Die zarten Ketten, an denen mein Weihrauchfaß hängt. Das Lesezeichenbändchen im Pirandello-Band (obwohl auch für letzteren „Bändchen“ richtiger wäre, denn es handelt sich dabei um ein kleines Buch). Die Bändchen an den Heiligenlegenden-Ausgaben, im schlafwandelnden Clark, in Brodkey's Engel, in den Knausgårds, im Codex Iuris Canonici, im Denzinger. Der Kabelsalat vom Laptop, die zwei Bändchen in den zwei Charms, in manchen abgelegten Notizbüchern, im Götz Aly, in der Freud Gesamtausgabe (wirklich? Darin ist auch ein Lesezeichenbändchen? Oder willst du nur mit der Freud-Gesamtausgabe angeben?). Das Körbchen mit den verschiedenen Kabeln für das Handy.
Ich denke auch an die Stromkabel in der Wand und schaue auf die Fäden, aus denen meine Bettdecke gemacht ist, ebenso das Leintuch, mein Pyjama, und vermutlich auch die Pölster in meinem Rücken, die ich nicht sehe. Mein Gewand dort am Sessel, alles aus Fäden – ich muß das nicht alles im Detail aufschreiben, oder?
Bademantel, Rekapitulationstuch, Fußballnationalmannschaftsfanschal – hängt alles dort links, die Sachen in Kasten, die im Kasten draußen – Nein! Wir bleiben im Zimmer; wir beschränken uns auf den Bereich meines Zimmers – man könnte meinen, die ganze Welt besteht aus Fäden und Schnüren. Molekülketten, DNA, Kühlketten (Halt! Das ist draußen!). Haben Glühlampen noch Glühfäden aus Draht? Ich weiß es nicht. Verhärtete Drähte wie Drahtstifte und Nägel. Jetzt wird’s schon ein bißchen manieriert  und dekadent, komm, laß es sein! - ah! Die Freundschaftsbänder und das Makrameeflechtwerk meiner Kinder dort an der Bilderwand, der blaue Fadenknäuel, der sich farblich so schön mit einem braunen Herbstblatt verwoben hat – ein Fundstück aus dem Augarten, auch dort an der Bildwand.
Nicht zu vergessen das Vinculum Matrimonii, das Eheband (Hey! Wir sind nicht kirchlich verheiratet! Gilt nicht!) - so, jetzt reicht's! Schluß mit dem Blödsinn!
Obwohl: das zerstückelte Band meiner kaum leserlichen Schrift hier im Notizbuch, das vor Jahren gerissene Band in meinem rechten Schultergelenk. Und das Gedärm? Könnte man das nicht auch … Nein! Schluß! Aus!

Das Kabel der Bohrmaschine, in der Schachtel versteckt. Die Schuhbänder meiner Indoorturnschuhe für meine Tensegrityübungen. Johannes von Kreuz und Teresa von Avila haben im Bücherregal keine Bandln als Lesezeichen. Ja, leider. Schade! Die Fäden der Spinnweben. Der eigenartige Faden meiner Assoziationen …

Die Biermann-Autobiographie hat auch ein Bandl.






(3.2.2017)












©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

594 Ich habe einen Fisch an der Angel

Ich habe einen Fisch an der Angel. Einen literarischen Fisch. Ohne Herumgetue: ich ziehe gerade einen Stoff für einen Text an Land. Fühlt sich spannend an. Schau ma mal!

Jetzt bin ich schon zu müde zum Schreiben. Meine Callcenterarbeit strengt mich mehr an, als mir lieb ist. Vielleicht lasse ich mich auch gehen und mache auf sensibel und bin dabei faul. Kann auch sein. Ausreden halt. Aber ich habe jetzt wirklich keine Lust mehr.

Ich habe den Computer eine Stunde früher abgedreht als sonst (Nein, nein, ich habe nicht mehr gearbeitet!) und will den Tag ausklingen lassen. Noch das Abendgebet sprechen (Gell, jetzt wollt ihr wissen, meint er das ernst oder scherzt er bloß!?), dann könnte ich mich zur Ruhe legen.
Mein Wecker zeigt zwanzig Minuten nach Mitternacht, aber der geht ein wenig vor.

Alle Dinge hier im Zimmer verharren ruhig an ihren Plätzen, trotzdem kommen sie mir gar nicht so tot vor - es sind ja auch so viele Bücher und Bilder.
Was aber unzweifelhaft lebendig ist, ist mein wandernder Blick. Über den Rand meiner Lesebrille lugend lasse ich meine Augen kreisen; sanft, mild, wohlwollend, ja, dankbar.

Ich warte noch ein wenig, fühle meine Umgebung ab und horche nach innen. Nur so nebenbei. Wie es gerade geht. Ich mache keine Meditation daraus.

Ich schiebe die Brille hinauf auf die Stirn um freier herumblicken zu können. (Männer mit hochgeschobener Sonnenbrille zum Beispiel lösen in mir sofort das Urteil „Angeber!“ aus. Nur, damit das auch einmal gesagt ist.) (Und um das aufschreiben zu können habe ich sie natürlich wieder auf die Nase herunterschieben müssen.)

Ich erfreue mich an meiner kleinen Kammer und ich schaue sie gern an. Und wenn ich dabei schreiben kann, dann steht meinem stillen Glück nichts mehr im Wege.

Ja, ich nehme mich ernst dabei.

Das zu sagen kann ich riskieren.





(2./3.2.2017)












©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

593 Achtung! Der Ich-Erzähler bin nicht ich!

Mein Name ist Josef Kammer. Ich bin Teilzeitangestellter in einem Callcenter mit einem Einkommen so zwischen 750 und 850 Euro im Monat. Manchmal ist es eben mehr, manchmal weniger. Das ist mein ganzes Einkommen, ich beziehe keine anderen Einkünfte, keine Arbeitslose, keinen Notstand.

Letztens war ich am Maturaball meiner Tochter. Ich habe einen schwarzen Anzug getragen, nicht neu, schon ein paar Jahre alt, aber noch in Ordnung. Die Schuhe detto.

Ich fühle mich auf solchen Veranstaltungen sowieso nicht so wohl. Dabei hätte ich durchaus eine Begabung, mich in solchen Kreisen zu bewegen, habe aber im Laufe meines Lebens den rechtzeitigen Anschluß verpaßt. Ein angefangenes Studium hatte ich nämlich vor Jahren abgebrochen.
Ich will bei solchen Veranstaltungen nicht auffallen, habe aber ständig Sorge, daß es passiert. Begutachtet da jemand meinen Anzug? Ich weiß nicht, vielleicht bilde ich mir das alles nur ein.
Ich weiß nicht recht, wie dastehen, wie dasitzen, wohin schauen, sicherheitshalber setze ich einen eher strengen, distanzierten Blick auf. Manchmal hilft das und ich bleibe getarnt als ernsthafter, nicht an Äußerlichkeiten interessierter Mensch. Mit Tiefgang sozusagen. Dabei stecke ich voller anderer Impulse! Viel Gewalt und …; viel innere Gewalt.

Ich habe mich dort auf dem Ball im üblichen Smalltalk geübt, und wenn mir die Leute nicht zu fremd sind, dann bekomme ich das auch so halbwegs hin. Es waren schließlich ja auch Eltern von Schülern da, die ich noch aus der gemeinsamen Kindergartenzeit unserer Kinder kannte.
Schwierig wird es für mich, wenn sie von ihren Reisen erzählen, Thailand, Malediven, Südamerika und so weiter. Oder von ihrem Wirken und ihrer beruflichen Arbeit. Oder von ihrem neuen Auto oder sonstigen neuesten Errungenschaften. Da kann ich überhaupt nicht mitreden. Da werde ich dann stumm. Es gäbe schon Bereiche, wo ich etwas zu sagen und zu erzählen hätte, und wo ich wirklich ungewöhnliche, ganz neue Sichtweisen und Ideen einbringen könnte, aber diese Bereiche gelten meistens als etwas abseitig.
Aber hier ist sowieso nicht der Ort dafür, viel zu viel Lärm und Wirbel. Also sitze ich halt so da.

Dann hat mich aber dieser Professor angesprochen, so ein … ich weiß nicht, wie ich sagen soll, meine Tochter hat ihn mir als Besserwisser geschildert, als jemand, der sich ständig einmischt, ständig ungefragt seine Ansichten und Urteile abgibt. Dabei sehr kontaktfreudig, wobei die Freude mehr auf seiner Seite verbleibt. Einer, der aus Pubertät und Schule nie hinausgekommen zu sein scheint.
Der hat mich da am Gang angesprochen, gefragt, wer ich bin und auf meine ausweichende Antwort, ich bin der Vater einer Maturantin, hat er nachgefragt von welcher, und widerwillig habe ich Auskunft gegeben.
Und dann sagt er: „Und für dieses große Fest ihrer Tochter haben Sie sich keinen besseren Anzug besorgt? Das ist nicht sehr wertschätzend!“

Ich glaubte, ich spinne! Mir wurde es schwarz vor den Augen. Das darf er nicht sagen! Aber ich antworte nicht, mir fällt nichts ein, ich stammle nur verlegen ein paar zusammenhanglose Silben und Laute, bin rot im Gesicht und stehe bloß mit offenem Mund da.
Gerade daß ich mich umdrehe und weggehe schaffe ich mit äußerster Anstrengung.
Das Ganze hat in dem Trubel keiner der Umstehenden gehört oder bemerkt.

In mir tobt eine ungeheure Wut, mein Gesicht zuckt, deshalb halte ich den Kopf gesenkt und blicke zu Boden, aber meine Fäuste sind geballt. Bis ich es merke, dann lasse ich meine Arme baumeln, als wäre nichts geschehen. So stapfe und renne ich herum. Früher hätte ich mir etwas hinuntergekippt, aber das tue ich nicht mehr. Ich will weggehen, aber dann denke ich an meine Tochter und bleibe. Ich gehe einfach herum, als hätte ich ein Ziel und irgendetwas vor, während es in meinem Inneren kocht. Und schmerzt. So ein Arschloch! Das darf er sich denken, aber niemals aussprechen! Und ich verfluche mich, daß ich noch nie einen niedergeschlagen habe und daß ich das einfach nicht kann! Nur in meiner Phantasie lasse ich einen Gewaltfilm ablaufen, in dem ich ihn niederschlage, niedertrete, die Knochen breche und sein Kiefer zermalme – er soll nie mehr sein Drecksmaul aufmachen können.

Obwohl ich herumrenne wie gehetzt fühle ich mich im Innern gelähmt, starr, unbeweglich. Nur das Gehen verschafft mir etwas Erleichterung und verhindert meinen Zusammenbruch. Ich laufe herum bis mir die Beine schmerzen, dann kehre ich zu meinem Platz zurück und lasse mich erschöpft, ausgelaugt und leer in den Sessel sinken. Jetzt sitze ich halt so da.



(2.2.2017)













©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 2. Februar 2017

592 Zwanzig Entschuldigungen

Gerade habe ich zwanzig Entschuldigungen (Schule!) ausgedruckt. Weil der Drucker spinnt und ich deswegen in gebückter und hockender Haltung den Drucker bearbeiten mußte, habe ich jetzt Kreuzschmerzen. Ich finde, das ist beinahe eine inhaltliche Aussage. Es passt zusammen: Entschuldigungen – Kreuzschmerzen (fehlendes Rückgrat).

Soviel Tiefsinn gleich nach dem Aufwachen ist mir eigentlich zu fett, zu krass, zu geil. Um diese Zeit habe ich es lieber kalorienärmer.

Im Traum vorhin war ein Bild von mir in einer schicken Zeitung abgedruckt gewesen, gemeinsam mit anderen Kunstwerken, aber anscheinend ohne es als mein Werk zu bezeichnen. Zuerst war mein Name noch dort gestanden, dann habe ich ihn nicht mehr gefunden. Oder war es doch nicht mein Bild? In Träumen sind Ergebnisse, Besitzverhältnisse und Autorenschaft immer so unklar. Auch das, was geschehen ist. Was ist geschehen? Und eigentlich auch das Ich. „Bin ich es, der …?“ (Juan Ramón Jiménez, ein wunderbares Gedicht! Jardines místicos) Unsere Festlegungen sind traumlöslich. Das ist aber auch keine neue Erkenntnis. Morgendlicher seichter Smalltalk.

Auf einmal kommt mir eine ungeheure Erkenntnis über mein Aufwachsen, die ich gar nicht ganz erfassen kann und die mich fast umhaut; in der Körpermitte breitet sich eine kleine Schockwelle aus. Ich zögere, sie herzuschreiben, vielleicht ist sie noch halbtraumverhangener Stuss und hält keiner ernsthaften Überprüfung stand.
Irgendwie, daß sich meine Eltern, vor allem meine Mutter, an mir orientiert haben; ich war ihr Leuchtturm, nicht umgekehrt. Ich fühle mich gleich ganz unbehaglich und unsicher. Möglicherweise, weil ich dann auch Täter und Tyrann war, und ihre häufige Wut auf mich der von Wutbürgern gegen die da oben, die sie drangsalieren und im Stich lassen, gleicht.
Und wie schon gesagt: das ganze Ausmaß dieser Erkenntnis – wenn sie denn wirklich eine ist - und der Folgen daraus kann ich noch gar nicht überblicken.

Und auch nicht, ob das wirklich zugetroffen hat. Es könnte ja auch eine leichtfertig von irgendwelchen leerlaufenden psychoaktiven Abteilungen meines Gedankenproduktionsapparates produzierte „alternative“ Idee sein, die sich als „Fakt“ ausgibt.

So, jetzt habe ich mich mit Wortspielereien gut aus dem unangenehmen Bereich in meine Komfortzone, die Sprache, gerettet!

Damit lasse ich das einmal so stehen – denn ich liebe ja schließlich nicht nur Wortspielereien, sondern - wie alle falschen Größen - auch Floskeln, wenn auch in Ironie verkleidet und getarnt.






(2.2.2017)










©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

591 Nachdenklich

Nachdenklich. Auf eine gute Art. Ich grüble nicht; ich schaue nur nach.

Draußen fällt so alle fünf Sekunden ein Wassertropfen aufs Fensterglas. Schade, daß es taut.

Ich schaue ein bißchen auf alle meine Verstrickungen und gleich weht Trauer durch meine Seele und löst einen Seufzer aus, der mir wieder Luft verschafft und Raum für das Herz, damit es sich öffnen kann und nicht verzagt.

Aber mir kommen auch Zusammenhänge in den Sinn, die anders gestrickt waren; Situationen, wo ich mich klar und furchtlos artikulieren konnte.

Oder?

Gleich kommt wieder die Unsicherheit, ob ich mich denn nicht täusche, mir etwas vormache. Ich lache darüber, ich kenne das schon, der destruktive Impuls kommt immer daher, wenn ich eine positive Aussage im Zusammenhang mit mir mache. Im Moment ist es mir jedoch egal, was er sagt, auch wenn er manchmal recht hat. Es wird sich schon herausstellen. Spätestens beim Tod, wenn ich meinen Lebensfilm ohne alle Scheuklappen und frei von Blindheit anschauen darf.



(1./2.2.2017)













©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 1. Februar 2017

590 Schnee

Schnee. Das Licht ist selbst im abgedunkelten Zimmer anders. Was für eine friedliche, stille Stimmung, bevor die Schneeräumung kommt. Aber ich habe keine Zeit für diese Stimmung, weil meine Seele mit etwas anderem beschäftigt ist. Ich habe soetwas wie eine seelische Übelkeit, vielleicht noch von meinem Umgang in den Träumen.

Jetzt geht eine Bohrmaschine los. Oder etwas ähnliches. Ganz laut, als wäre der Bohrer, die Bohrerin mitten in meinem Zimmer.
Aha, und jetzt die Schneeräumung. Oder war das was anderes? Es muß war anderes gewesen sein. Ein Heidenlärm jedenfalls. (In meiner Lärmempfindlichkeit bin ich anscheinend wirklich christlich.)
Ja, doch; ich liebe die Stille eines Klosters, wenn dort der Lärm der Welt wirklich ausgeschlossen ist.
Geist und Seele beruhigen, damit sie nicht so herumjagen müssen und von allem und jedem aufgescheucht werden.

Jetzt ist es wieder ruhig, nur weiter weg läuft ein Motor.

Meine Seele oder mein Geist – ihre Arbeitsteilung ist mir im Moment nicht klar – produzieren Bilder am laufenden Band, einen holprigen Film, mit vielen Filmrissen. (Wir arbeiten hier noch analog!)

Ich bin jetzt zu ernst, um über die Absurdität meiner inneren Bilder zu lachen.
„Der Kaiser schickt Soldaten aus!“ - eine schwer verständliche Assoziation. Welchem Herrn soll ich dienen?
Jetzt habe ich zeitlupenverlangsamtes Vogelgezwitscher vor meinem inneren Auge und im Ohr. Wieder vorbei. Aber damit bin ich wieder beim Surren in den Ohren. Wie immer, wenn meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird, wird es sehr laut. Das heißt, ich trage genug Lärm in mir selber herum; den äußeren braucht es gar nicht unbedingt, um die innere Stille zu verlieren.

Wo sind eigentlich meine Stutzen? Ich werde sie bald brauchen. Nicht heute, aber am Wochenende.
Aha, jetzt beginnt sich der Alltag festzukrallen.

Schnelle Überlegungen zur Freiheit. Zu schnell, um sie mir zu merken.
Meine falschen Demonstrationen. Ich meine die, wo sich mein Engagement als fataler Irrtum herausgestellt hat.
Filmausschnitte, die ich vor über dreißig Jahren gesehen habe, kurze Einblendungen von Dialogen. („Nein, das ist mir viel zu unübersichtlich!“)

Ja, mir eigentlich auch. Ich werde noch ein wenig schlafen; ich war gestern bis zwei Uhr früh auf.



(1.2.2017)










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