Freitag, 28. April 2023

3184 Ein ganz normaler Morgen

 



8:06 a.m. Ein Morgen, wie er im Buche steht. Wie in meinem noch nicht oder vielleicht gar nie veröffentlichen Buch: ein wenig grau, frisch wirkend, Baustellenlärm, die Katze schon gestreichelt und massiert, nur, dass ich mir beim Aufsetzen der Lesebrille unabsichtlich die Ziehschnur des Holzmöwenmobile über meinem Kopf mit dem Brillenbügel an meine linke Schläfe geklemmt habe. Sonst ist alles ganz normal. Mein Geist wandert vordergründig ziellos herum und erinnert sich dann an die Radiosendungen des Schriftstellers Humbert Fink aus meiner naiven frühen Jugend. Was der wohl erzählt hat? Ich kann mich nicht erinnern, nur an seine markante Stimme und dass er von seinen Reisen erzählt und dass er die besuchten Ort von ihrer Geschichte her geschildert hat. Und dass er mich damals sehr beeindruckt hat. Ich bin unsicher, wo Herr Fink hingehörte: konservativ? Fortschrittlich (was immer das heißt)? Ich will dem Mann nicht Unrecht tun, aber ich mißtraue meinem damaligen Intelligenz und der damaligen, medialen Umgebung.

Wie gesagt: ansonsten ist der Morgen normal: schrill in meinen Ohren, etwas grau (was nicht heißt, dass draußen keine Sonne scheint; meine Kemenate liegt sehr abgelegen). Mein Gesicht, meine Maske eigentlich wird noch von unsichtbaren Wellen bewegt und ist noch nicht fest. Dann lasse ich den Schlaf wieder an mir heraufkriechen, der mir immer wieder die Augen schließt.

Das Nächste, womit sich mein Geist – halb schon im Traum – beschäftigt, ist die Sojabohne. Weit ist er damit nicht gekommen, weil ich ihn mit meiner Aufschreiberei gestört habe. Sojabohnen; angeblich wurde Tofu von Mönchen entwickelt, um ihre Libido herunterzufahren. „So schmeckt es auch!“ sagt mein innerer Zyniker. Wie schaut der eigentlich aus? Ich habe starkes Ziehen um die Wangenknochen und starken Druck darunter. Tränendrüsen? Keine Ahnung, wo die sitzen (also: Morgenrecherche: Humbert Fink, Sojabohne, Tränendrüsen. Mein Arbeitsprogramm für den Vormittag gewinnt an Kontur.) (Mein innerer Zyniker: „so ein Angeber!“) (Mein innerer Leibwächter: „Hunger! Frühstück!“)

Die Frau vom Katz da an der Wand des Kastens am Fußende des Bettes hat heute ganz zugeklebte Augen. Zumindest solange ich keine Brillen aufhabe.

12:14. Die Ergebnisse der Recherche:

Humbert Fink: amtlich Luigi Umberto Fink, geboren am 13.8.1933 in Vietri sul Mare bei Salerno; gestorben am 16.5.1992 in Maria Saal. Mitglied der Gruppe 47.

Sojabohne: ob sie – wie oft behauptet – Männer verweiblicht, ist nicht belegbar; die Forschungsergebnisse sind widersprüchlich. Über Tofu und die Mönche habe ich auf die Schnelle nichts gefunden (schnell und blind ermittelt), aber was ich gefunden habe genügt.

Tränendrüsen: liegen wo anders, als ich vermutet habe.




(28.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3183 Kleine Wanderung zum Georgenberg

 



Die Stadt liegt mir zu Füßen. Zu recht! Denn ich habe mich genug angestrengt. Schon auf den Stiegen der Lilienbergasse haben mir die Beine bis ins Kreuz herauf geschmerzt und die Markwardstiege hinauf mußte ich - im Gegensatz zu früher – zwei oder dreimal stehenbleiben und verschnaufen. Und jetzt liegt die Stadt vor mir, inklusive dem – ich nenne keine Eigenschaftswörter – Rapidstadion. Kein Sturm, nur eine leichte Brise geht durch die Luft. Jetzt erhebt sich natürlich die Frage – wiewohl ich noch sitze – ob das mit dem Zu-Füßen-Liegen präzise zutrifft, denn die Sitzbank ist so hoch, dass meine Füße den Boden nicht erreichen. Ich schwebe über der Erde – fußmäßig – und man denkt doch beim Zu-Füßen-Liegen an eine Art Besitz- oder Aufmerksamkeitsergreifung, an eine Art Okkupation und Unterwerfung, also dass man den Fuß drauf hat. Ich aber bekomme die Füße nicht auf den Boden. Mir gefällt das eh! Keine Sorge! Was fänge ich mit der Welt – inklusive der Rapid – an?

Und – ich sage es nocheinmal – das junge Grün. Ich werde die Mauer des Lainzer Tiergartens außen entlang wandern. Weit geht hier mein Blick nach Osten, bis über die Grenze.

Beim großen Handymasten brunze ich in die Natur – nicht was-weiß-ich-was! nein, so großartig war mein Brunnen nicht, aber das Surren vom Masten ist stärker als mein eigenes.

Am Georgenberg im Sternengarten. Der Wind kommt von links, vom Süden und blättert mir in die vergangenen Tage zurück. Aber nicht bis 1938, als da noch eine Luftnachrichtentruppen-Kaserne errichtet wurde.

Auf der Wanderung hierher war ich für eine kurze Weile im neunzehnten Jahrhundert, ausgelöst vielleicht durch eine lange Steinmauer und durch die unasphaltierten, aber zivilisationsnahen Wege, erdig, schottrig, mit den Lacken vom letzten Regen. Und mich hat dabei ein starkes Gefühl angeweht, eine starke Empfindung ist in mir aufgestiegen – hat mich emotional überwältigt, aber ich weiß nicht, was das war und woher das gekommen ist. Wie eine tief verdrängte, nur mehr ganz vage Erinnerung, als wäre ich damals hier oder an einem ähnlichen Ort gewesen und da wäre etwas Einschneidendes, eher Schreckliches passiert. Im neunzehnten Jahrhundert habe ich aber noch nicht gelebt, oder?

Aber jetzt sitze ich im Sternenpark in der moderaten Sonne – über den herrlich hellblauen Himmel ziehen viele dünne, weiße Wolken – auf einer freien Wiese, an manchen Stellen steinig, rundum eingesäumt von Bäumen und Sträuchern in ihrem jugendlichen Grün (die Kindheit ist vorbei!). Ich bin jetzt – so behaupte ich mal – in der Realität angekommen: unter der Föhre vor mir liegen Steine, lose aufgeschichtet; auf dem Holztisch, an dem ich schreibe, hat jemand Zweige und Stöcke abgelegt, auch ferner Baustellenlärm rundet die Realitätsidylle ab. Tauben gurren, der Wald rauscht jetzt im aufgekommenen starken Wind und die Birkenblätter rechts neben mir rascheln zustimmend. Es ist schön hier, aber ich will zur Wotrubakirche vor gehen. Ein Schluck von meinem mitgebrachten Kräutertee noch. Wieder blättert mir der Wind das Notizbuch bis 22.4. zurück, als ich die Hände von meinem Arbeitsgerät nehme, um die Trinkflasche aus dem Rucksack zu nehmen.

Nun sitze ich auf einem kalten Betonsockel der Wotrubakirche und blicke gegen Süden ins grünende Gebüsch und in den weißwolkigen hellblauen Himmel. Die Uhrzeit. Die Bäume und Büsche, die ich anstarre, starren zurück. Trotzdem werde ich unruhig. Mein Hintern ist kalt und ein Hungergefühl deutet sich an. Also bald nach Hause. Ich stelle mir immer vor, ich harre hier stundenlang aus. Aber das tue ich nie (ein naziverseuchter Ort?). Das Aufschlagen des legère hingeworfenen Notizbuches auf den Betonsockel hallt hier in dieser Nische sehr laut. Flugzeug und Amseln und ferner Baustellenlärm.




(27.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3182 Welcher Titel?





9:19 a.m. Es ist still hier und ungewöhnlich ruhig. Frau Katz hat mich nicht aufgeweckt, mich bis jetzt gar nicht besucht. Meine Realität ist noch ganz verschwommen und von unsicherer Kontur, mein Herz pulsiert bis über den Kopf hinauf und mein Surren hüllt mich noch ein wie ein akustischer Kokon. Die CD-Säule steht bunt leuchtend und aufrecht zwischen Bett und Bücherregal beim Schreibtischsessel. Von der Decke rieselt fast unsichtbar und langsam mehr Wahrnehmungsklarheit herab; unterm Plafond ist die Welt schon ganz realistisch. In meinem Körper und seiner Aura ruckelt und zuckelt es noch ein wenig und schrillt. Die Tageskinder kämpfen sich schreiend und rufend die Stiegen herauf, wo ihre Rufe so schön hallen. Jetzt sind sie im Vorzimmer unten. Normalerweise würde genau jetzt die Katze ein zweites Mal an mein Bett kommen, aber heute war sie noch gar nicht da. Ist sie krank? Mein Magen knurrt und erinnert mich daran, mich bald um ein Frühstück zu kümmern. Ich warte noch ein wenig. Die Tageskinder kommen schon in ihre Spielzimmer herein, wie ich von unten höre. Jetzt kommt auch die Katze, schaut etwas derangiert aus und hüpft erst nach ungewöhnlich langem Zögern aufs Bett. Als ich sie zu streicheln beginne, beginnt sie heiser und wie abwesend zu schnurren.




(27.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 26. April 2023

3181 Oben





Ich sitz im “Oben“ am Dach der Hauptbücherei und spiel Kaffeehausliterat (Single). Ein schlechtes Gewissen habe ich schon, weil Mittagszeit ist und hier doch Restaurantbetrieb gewollt ist – wie mir scheint – und ich nichts esse. Ich sehe in der Helligkeit des Höhenstandorts, dass die Haut meiner Hände wie Schlangenhaut ausschaut. Ich reptiliere (gefällt mir besser als verkäfern!). Wurscht! Ich hasse Lokale, die auf Café machen, aber Bobo-Restaurants sein wollen und der Tisch wackelt. Aber – was wirklich für diese Stätte spricht – es gibt echte, bittere Zotter-Trinkschokolade, da nehme ich alles andere gern in Kauf. Abgesehen davon, dass mir bisher niemand Vorwürfe gemacht hat, dass ich um diese Mittagszeit bloß köstliche Trinkschokolade trinke (Kaffee verbiete ich mir zurzeit).

Ach ja! Der Blick über die Stadt. Und die dramatischen Wolken am Himmel. Das abwechslungsreiche Licht. Und unten das junge Grün. Das Häusermeer hat von hier aus gesehen auch etwas. Und die ziehenden Wolken mit ihren dunkleren und helleren Wölbungen, den festeren und fragileren Konturen, ihrem diffizilen Leuchten - sie fließen langsam nach Osten und verändern sich in Zeitlupe.

Jetzt gehen mir die Gespräche hier rein akustisch und vom Sound her zu nah. Und die Autoschlangen unten – ich weiß von denen nicht viel zu sagen – nur: befremdlich, sehr befremdlich. Außerdem zappelt der Mann am Nebentisch herum und stößt mit seinem Fuß ständig gegen das Topfpflanzenbäumchen zwischen unseren Tischen, sodass dieses ständig wackelt und seine Blätter in meine Aufmerksamkeit wacheln und mich auch irritieren.

Der Horizont wird dunkler und könnte Regen ankündigen. Genaues weiß man nicht. Die Autokolonne ist im Heranfahren von vorne bedrohlicher als von hinten im Wegfahren (No-Na!). Am Horizont lösen sich jetzt die Wolken in eine Art Nebelwand auf – zumindest schaut es von hier so aus. Das Urban-Loritz’sche Zeltdach strahlt in spontan und kurz erscheinendem Sonnenlicht regelrecht auf und setzt zum Abheben an. Zwei Bäume drücken sich an eine dunkle, nördliche Hauswand. Kein Mensch ist illegal. Auch ich nicht. Ich werde unruhig. Ich fühle mich für diesen edlen Ort zu schäbig. Ich sitze schon wie auf Nadeln. (An schäbigen Orten würde ich mich ebenso deplatziert vorkommen, dort weil viel zu … was weiß ich … intellektuell, gebildet, oberschichtig, leichtgewichtig, substanzlos … naja … jedenfalls sehr deplatziert und gefährdet.) Trinkschokolade ist halt auch so ein Bobo-Weicheigetränk! Vielleicht sollte ich doch zum Alkohol zurückkehren. In den Krimis trinken die Kommissare (ich schaue deutsche Krimis) Wiskey und Co. (ja, ich suche immer noch meine Identität!).

Der Himmel wird blauer, die verbleibenden Wolken dünkler. Ich bin zu nervös. Ich werde immer unruhiger. Text ist da. Die Schokolade ausgetrunken. Ich werde gehen. Ach, dieses junge Grün da unten. Ich werde weinerlich; drücke das jedoch tapfer hinunter. Ich gehe jetzt.

Beim Hinabstieg über die große, lange, steile Freitreppe habe ich ein wenig Höhenangst. Aber ich setze mich für ein paar Minuten auf eine Stufe und genieße den Wind, die Weite, den Überblick und die Offenheit; sogar den lauteren Verkehrslärm und die dunkle Regenwolke direkt über mir, die so schön zum gedunkelten, stumpfen Rot der Dachziegel über dem Grau des schmucklosen Hauses dort drüben passt. Ja, ich gehe heim in meine Kemenate. Eine neue, frisch installierte Autokolonne braust auf mich zu, aber kann mich hier heroben nicht erreichen.

Ich erreiche über die Straßen rennend gerade noch die Straßenbahn, weil mir der freundliche Fahrer noch die bereits geschlossene Tür aufgemacht hat. „Danke!“ sage ich laut und betone das mit dem „Chaire!“-Handzeichen und freue mich sehr, dass ich ihn so unauffällig segnen konnte.

Als ich bei der Bellaria umsteige, gerate ich in eine Absence, in eine Deprivationstrance und für einen Augenblick weiß ich nicht, wo ich bin und wie ich gehen muß – links oder rechts. Das geht nicht ohne mittleren Schock ab. Schön daran ist, dass ich mich in solchen Momenten überhaupt nicht frage, wer ich und ob ich richtig bin.




(26.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3180 Heben sie einander auf?

 



9:59 a.m. Was macht da die dumpfe Angst in meinem Bauch? Wer bist du? Was machst du? Woher kommst du? Wohin gehst du? Also ich sehe, du löst so kleine Schockwellen aus. „Kling!“ macht mein Smartphone, aber ich schau nicht nach. Auch dieses „Kling!“ hat kleine Schockwellen ausgelöst. Verstärken die sich? Heben sie einander auf? Ich seufze. Die Angst wird leichter und dünner. Ich möchte gar nicht mehr von „Angst“ sprechen. Ich nenne dich jetzt leichter Druck im Bauch. Ich seufze nochmals und tiefer. Kein Mensch ist illegal. Auch ich nicht. Wolken verdecken die Sonne, wie ich an der Verdüsterung in meiner Kemenate sehe. Ich seufze. Noch tiefer. Der Knoten im Bauch ist schon sehr klein. Er wandert ein wenig nach links. Ich seufze noch tiefer. Mein Atemzug zittert am Schluß. Ich lockere meine verkrampfte linke Hand.




(26.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 25. April 2023

3179 Ich schüttle meinen Kakao





Ich schüttle meinen Kakao in der angenehmen Schaukel (Katscheli) bei französischem Rap untermalt mit dem Zischen und Gurgeln der Kaffeemaschine des Lokals auf. Aus dem Spiegel links dort an der Wand schaut mich ein alter, aber mit seiner Brille nicht unsympathischer, seriös wirkender Mann an. Ich bin mir nicht sicher, wer der klandestine Alpenkönig und wer der Menschenfeind ist.

Im Klo mit den nostalgischen Plakaten und Pickerln an der Wand lese ich ohne Lesebrille statt „#Nazisraus“ „Knazis raus“. Tät auch gut passen, diese Melange aus Knackies und Nazis.
Inzwischen ist die Musik melancholisch orientalisch geworden. Übrigens ist der Tag heute merklich kühler. Die Musik nun wird italienisch. Die Musik – jetzt textlos – ist mir trotz ihrer aufmunternden Art schwermütig genug und nicht unsympathisch. Die Sonne kommt heraus und wärmt mir hinter der Fensterscheibe den Rücken und scheint auf Teile des Tisches und auf Teile meiner linken Hand, wodurch meine alte, weiße, männliche Haut ganz hellbraun wird. Und wieder schüttle ich den Kakao auf. Draußen ist es für kurze Zeit extrem laut, weil etwas vorbeigerollt wird (ich sitze mit dem Rücken zum Fenster). Die Musik wird bobo-country-amerikanisch mit spezifisch kunstvoll reduzierter und supertransparenter Mundharmonika. So auch das Banjo. Auch hier die elegisch kultivierte Schwermut. Ich trinke den Kakao aus und überlege, nach Hause zu gehen. Warten wir noch das nächste Musikstück ab. Rap-amerikanisch. Alles sehr kunstvoll, einfach zum Teil, aber nie primitiv – eine sehr disziplinierte, bewußte Zurückhaltung, hinter der eindeutig große Könnerschaft steht. Auch hier die schöne, vielgeliebte, tröstliche Schwermut. Ich meine die, die einem ein Lächeln ins Gesicht zeichnet.




(25.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3178 Die Heizung ist aufgedreht






8:25 a.m. Der Rabe schaukelt hölzern. Ich frage mich warum? Die Heizung ist doch aus. Ungereimtheiten können mich aufregen, müssen aber nicht. Ich kann auch gelassen sein. Der Rabe hört nicht auf, also muß er Aufwind haben. Dann müßte die Heizung an sein. Dafür ist heute Mali Lošinj so klar wie schon lange nicht. Aber nur für einen kurzen, den ersten Augenblick. Zwei Felstrümmer liegen heute auf der Hafenstraße von Mali Lošinj, dort, wo der Kai eine Ecke macht. Jetzt haben die Felsbrocken zuerst den Eindruck erweckt, sie könnten zu dritt sein, aber dann verschwimmen sie wieder ins Undeutliche. Meinen Blick haben vorhin dunkle Streifen begleitet. Die Felsblöcke mutieren zu schemenhaften, aber kopulierenden Tieren. Vielleicht ist es mein Blick, der alles bewegt, weil er nichts mehr richtig festhalten will.

Der vermeintliche oder der echte Geruch von Katzenscheiße holt mich aus meinen binnensoziologischen, erkenntnistheoretischen und wahrnehmungspsychophysiologischen Übungen heraus. Ich werde das „echt“ oder „nicht-echt“ empirisch überprüfen. Die Katzenscheiße war nur vermutlich, willsagen: sie ist nicht da. Wieviel „Realität“ produziere ich eigentlich selber? Ach ja! Tatsächlich! Die Heizung ist aufgedreht.




(25.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3177 Klopfenden Herzens

 



4:32 a.m. Klopfenden Herzens komme ich die Stiege herauf vom Katzenfütterungsdienst. Mein schlecht konturierter und weicher Kopf pulsiert den Herzschlag aus und Aufregung und Anstrengung dünken mich unangebracht. Gesicht und Lippen fühlen sich bamstig an wie nach einer schwächelnden Zahnarztspritze. Ich halte die Augen aufgerissen und die Augenbrauen hochgezogen, aber es hilft nichts: die Lider legen sich immer wieder über meine Augenäpfel. Weich rutsche ich immer stärker in die Pölster und meine Nase kitzelt. Und damit ihr seht, wie weit die Sache schon gediehen ist und wie gut ich Traumhäuser bauen kann: es ist jetzt 4:52.




(24.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3176 Muß nicht





7:25 a.m. „Sag an, oh Wächter der Nacht, wo ist die Stätte des Feuers?!“ Also: erstens ist schon Tag und zweitens brennt es hier nirgends. Ich habe einfach irgendeinen Satz gebraucht um zu starten, und der blöde da ist mir gerade in den Sinn gekommen. Ich entschuldige mich bei meinen Leser*innen und schaue, wie es weitergeht (und drittens würde ich gerne weniger geschraubt schreiben; also im Beispielsatz einfach: „wo brennt’s?“. Ich würde viel geben, schlicht wie Eleonore Berger schreiben zu können!).

Und wie geht es weiter? Weiter geht es mit „la Bostella!“ Nein, nein nein! Den dummen Trick mit der Reminiszenz an meine jugendliche Diskozeit erlaube ich mir nicht! Kein zweites Mal so eine windschiefe Trickserei! (Das „Sag an …“ war schon eine Reminiszenz an einen Musiklehrer aus der Gymnasialzeit mit seinem Witz über Wagner Richard.) Wenn dir nichts besseres einfällt, dann lass es gut sein. Du mußt ja nicht schreiben. Du darfst auch einfach im Bett hocken und auf das morgendliche Bücherregal starren; einfach so.




(24.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 22. April 2023

3175 In einem Garten




Ein angenehmer, warmer Frühlingstag. Ein leichter Wind kommt manchmal auf und geht wieder. Ich sitze als Gast in einem Garten in einem Gartenstuhl und blicke weggetreten ins wechselnde Grün. Die Gespräche der anderen diffundieren an meinen Ohren mehr vorbei, als dass ich ihnen lausche. Von Spielplatz hinter der dichten Hecke tönen Kindergeschrei und das vielstimmige Konzert von Kindertröten. Das alles stört mich nicht und berührt mich nicht. Ich drifte weg und versinke in eine undifferenzierte Trance. Meinetwegen kann die neuerliche Brise die Welt verblasen und mich auflösen; ich werde mich nicht wehren. Was will ich, was soll ich noch hier? Ein bißchen Sonne auf der Haut, ein bißchen Wind im Haar, ein paar Photos, ein paar Zeilen, das war’s.




(22.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 21. April 2023

3174 We wisper ...



Ich sitze unter ein paar noch jungen und noch weichblättrigen Kastanien auf einer Bank im grünen Prater. Meine erste Idee heute war, außen an der Mauer des Lainzer Tiergartens entlang bis zur Wotrubakirche zu wandern, aber ein körperlicher Schwächeanfall läßt mich eine bescheidenere Variante suchen.

Es ist das, was man einen herrlichen Frühlingstag und ein herrliches Wetter nennt. Trotzdem mußte ich mich überreden, meine Kemenate zu verlassen und hinaus zu gehen. Wogegen ich da ankämpfen muß, ist immer noch die Stimme meiner hysterischen Mutter, die mich, ein so zum Geistigen und zu den Büchern tendierendes Kind, immer hinaus ins „Leben“, für das ich nicht gerüstet war und dem ich bis heute wehrlos gegenüberstehe, jagen will und mich als Stubenhocker beschimpft. Ich muß darum kämpfen, einigermaßen aus eigener Lust und Freude ins Grüne zu gehen und nicht im Auftrag.

Wie ich also auf einer mir unbekannten und unklaren Route nur so ungefähr in die Richtung, wo ich den grünen Prater vermute, gehe, im Versuch, dem verhaßten Wurstlprater – allein schon sein Name ist eine Sünde wider den Heiligen Geist – halbwegs großräumig auszuweichen – was nicht ganz, aber in akzeptabler Weise gelang – als ich also über meine Vergangenheit und die immer noch nicht abgestellten Windmühlenkämpfe mit dieser blöden Mutter grüble – und ich schäme mich meiner neurotischen Verstrickung – in unbekannten Stadtbereichen Richtung Prater wandere, da komme ich an einem Gebäude vorbei, auf dem in Neonleuchtschrift steht: „We wisper to our past, we didn’t have another choise to do what we did.“ Da muß ich lachen. Das gefällt mir. Das sitzt. Da freue ich mich über mein schönes Unterbewußtsein, das mich stadtplanlos Herumwandernden genau an diesen Ort geführt hat.

Freilich ist es hier im grünen Prater schön. Freilich strahlt das hier und freilich tut das meiner wunden Seele gut. Aber nur, wenn ich mich schwermütig damit abfinde, bloß ein Zuschauer, bestenfalls Voyeur des Lebens zu sein. Würde ich mich hier zugehörig, legal, ortsberechtigt und anerkannt fühlen wollen, würde ich in der Hölle der Verzweiflung landen. Das will ich aber nicht. Darum lasse ich die aufkommende Brise die Blätter der Bäume und ihre Schatten schaukeln, über mich hinwegstreichen, probiere, mich mit den Bäumen ein wenig anzufreunden und widme mich der Schreiberei.

Viele Leute streifen hier herum, mit vielen Hunden, aber das flache Gelände ist weitläufig genug, dass man sich nicht bedrängt fühlen muß und die Radfahrerkolonnen sind in großem Abstand zu sehen. Es passt. Ich brauche nichts. Ich werde in Ruh gelassen. Selbst der in zwanzig, dreißig Meter Entfernung vorbeifahrenden Mähtraktor ist mir wurscht. Mäh! Mäh! Mäh! Mit meiner Traurigkeit komme ich gut zurecht.

Ich wandere weiter und komme auf einen Weg, der die pratersche Liliputbahn kreuzt. Ich warte den heranschnaufenden Zug ab und als ein Kind mir aus dem fahrenden Waggon zuwinkt – ich winke voller Freude zurück – kommen mir die Tränen und versiegen dann gleich wieder.

Wo ich jetzt bin sind die unangenehmen Radfahrer, Jogger und Scooteristen massenweise unterwegs. Ich werde weitergehen.

Ich bin nun sozusagen in einem Wald, der von mehreren Polizeisirenen hallt. Die Stadt ist nicht weit und viele, viele Hunde laufen herum.

Jetzt bin ich aus dem „Wald“ herausgetreten und gehe über die freie, sonnige Jesuitenwiese. Es ist fast schon heiß. Die Schotterwege gefallen mir mit ihren Wasserlacken noch vom letzten Regen. Auch das stößt tiefe, aber undeutliche Erinnerungen aus meiner Kindheit an, wo solche ungeteerte Straßen und Wege noch ganz normal waren.

Ich stehe schon länger an der Straßenbahnhaltestelle und höre die Gespräche rundherum und gerate in ganz milde Stimmung, eine innerlich segnende Stimmung, ohne mit den Händen herumfuchteln zu müssen (wogegen ich auch nichts hätte).




(21.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3173 Anstrengende Abenteuer

 



10:20 a.m. Ich hocke im Bett und stehe nicht auf und lasse meine Gedanken schweifen. Was passiert? Wo treiben sich meine Gedanken herum? Da treiben sich meine Gedanken herum:

Ich steige als Kind verängstigt den Irdninger Kirchturm nach einer kollektiven Besichtigung der Glockenstube hinunter. Ich habe wegen der desolaten Holztreppen Angst – der Bretterboden hat große Spalten und große Löcher, Teile sind abgebrochen und es gibt in manchen Stockwerken auch zweite Holztreppen, die aber zerbrochen sind und ins Leere sprich in den Abgrund führen. Ich als verängstigtes, aus meinem Körper vertriebenes und vom Selbstgefühl abgeschnittenes Kind bleibe hinter der fröhlich die Stufen hinablaufenden Ministranten- oder Jungscharschar zurück und bleibe allein und in Panik und steige zitternd die Stufen hinunter – oft nicht wissend, welche Treppe weiterführt und welche nicht. Ich erinnere mich nicht, wer da als erwachsene Begleitperson dabei war und wo sich die befunden hat.

Oder: fast meine Lieblingsphantasie: ich bin – wie so oft – unschuldig verhaftet und wegen eines Verbrechens, das ich nicht begangen habe angeklagt und die korrupte Polizei, deren einige dieses scheußliche Verbrechen begangen haben könnten – fälschen die Beweismittel zu meinen Ungunsten. Ich werde vom Psychiater H. untersucht und will ihm meine Unschuld aufzeigen, stoße aber auf großes Mißtrauen, denn auch er glaubt den inszenierten Indizien. Psychiater haben keine Lehr- und Selbstanalyse, denke ich mir, eine schreckliche Unterlassung, jemanden in solcher Funktion auf die Klienten loszulassen, der schlimmstenfalls nur brav studiert hat, aber nie in die eigenen Abgründe geschaut. Trotzdem hoffe ich bei Herrn H. auf seinen angeblich christlichen Background und versuche, ihn mit meiner Offenheit, Ehrlichkeit und Selbstreflektiertheit dazu zu bringen, meine Erzählung nicht von vornherein als neurotisch und falsch abzutun. Wir reden auch über Kunst, Virtuosentum und Kafkas Mäusesängerin. Leicht wird das nicht; die Geschichte ist ergebnisoffen.

Oder: ich werde als Schriftsteller entdeckt und komme groß heraus. Trotz heftiger Einwände und Warnungen aus mir selbst ziehe ich die Geschichte durch und als ich feststelle, dass das geht, traue ich es mir tatsächlich zu.

Naja und jetzt – nach so vielen anstrengenden Abenteuern – werde ich hungrig mir ein Frühstück zugbereiten.




(21.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 20. April 2023

3172 Time to go




Im Augarten. Die Sonne zerreißt gerade die dünne Wolkennebeldecke. Und es wird wärmer, als es die Medien melden. Der Frühling ist unübersehbar und unüberhörbar angekommen. Der Anblick der frischen, grünen und auch blühenden Wiesen, der ausschlagenden Bäume ist trotz dem, dass das wiederkehrende Frühjahr nichts Neues ist, doch überraschend und atemberaubend. Wie es in diesen Zeiten der technisch-naturwissenschaftlichen Besatzung nicht anders möglich ist, hört man überall irgendwelche Gartenmaschinen heulen. Schulklassen werden vorbeigetrieben; nicht unlustig die hüpfende Herde. Ich mein’, mir ist es auch recht, dass das hier keine Wildnis ist. Noch winterlich gekleidete Personen sinnieren gesenkten Hauptes vorbei; die Krähen singen (Singvögel!) und die Kinder und Jugendlichen auf ihren Sportplätzen rufen und schreien. Radfahrer*innen, Kinderwagenschieber*innen. Jetzt kann ich auch so einen dezent aufdringlichen Rasenmähertraktor sehen. Ich ziehe mich ins Parkinnere zurück.

Jetzt sitze ich mitten im „Wald“ auf einem umgelegten Baumstamm, eingehüllt vom Grün der jungen Blätter, dem Duft des Frühlings, dem angenehmen Geruchs moderat feuchter Erde, der wärmenden Sonnenbestrahlung, dem Zwitschern der Vögel und den Rufen der Krähen, von einem ganzen Schwarm junger, argloser Fliegen und vom Lärm der Rasenmäher rundherum, die ich hier im Dickicht nicht sehen kann. Noch übertrifft das frische Grün alles. Optisch könnte man meinen, man wäre in einer freieren Landschaft; akustisch gar nicht. Jetzt höre ich es: anscheinend wird irgendwo in der Nähe auch gesägt. Ab- und Umsäger sind unterwegs. Woher kommt eigentlich die Illusion, dass es nur einen Großen Umsäger, nur einen Großen Rasenmäher, nur einen Großen Sensenmann gibt? Ich vermute, es sind deren viele kleine. Eine Waldtaube gurrt mir als Antwort. Eine Fliege setzt sich im Notizbuch auf die Textstelle „einem ganzen Schwarm … Fliegen“ – wußte gar nicht, dass die lesen können. Der Krieg ist auch allgegenwärtig, denn immer wieder kann man einen der Flaktürme durchs Dickicht schimmern sehen. „Never again“ steht auf einem.

Ich habe mich auf einer kühlen Bank im Schatten niedergelassen. Die Kirchenglocken rundum läuten den Mittag. Vor mir liegt die ebene Wiese ausgebreitet. Ein kleiner Wind kommt und geht. Alles sagt mir, dass das so schön ist. Noch dazu jetzt, wo tatsächlich alle Motoren schweigen. Der Autoverkehr rauscht kaum hörbar hinter den Mauern. Ein Flugzeug drängt sich dröhnend in meine Aufmerksamkeit. Zwei Flugzeuge. Kein Mensch ist illegal. Auch ich nicht. Der Autoverkehr erstarkt wieder. Zwei Nebelkrähen landen nicht weit von mir und beobachten mich, rufen. Wollen sie von mir Futter oder zum Abfalleimer neben der Sitzbank? Viele Passanten. Einige laufen. Immer mehr Krähen; sie übernehmen hier das Kommando (wieso Militärsprache?). Der Wind schüttelt die jungen, weichen Blätter der Roßkastanien. Time to go? Time to go.




(20.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3171 C’est la vie



9:03 a.m. Ach! Ich war wieder in Paris! Bin in der Stadt herumgeirrt und dann in einem historischen Gebäude, in dem ich mich verlaufen habe. Gebäude ist eine unzureichende Beschreibung: es war eine unglaublich große Anlage an einem riesigen, steilen Hang, zum Teil unterirdisch wie ein Bergwerk. Vielleicht war es gar nicht Paris – wo käme denn dieser hohe Berg her? Jedenfalls habe ich Französisch zu sprechen versucht und doch nur gestottert und gestammelt. Gut, das tät’ der Realität entsprechen. Meine Begleiter oder meine Begleiterin (ich kann mich nicht erinnern) hatte ich auch verloren. Keine Ahnung, wer das war. Also bin ich im verdreckten Stiegenhaus gestanden und habe gewartet, aber anscheinend ging diese Person – wenn sie überhaupt eine Durch-Masken-Tönerin war – einen anderen Weg hinunter. Bin ich dann eingeschlafen? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Aber dann fand ich mich ohne Pass, ohne Geld, ohne Handy, ohne all dieses Cards wieder. Das wird bei der arroganten französischen Polizei noch lustig! Ich kann nur erwarten, schlecht behandelt zu werden, noch dazu, wo ich ihre Sprache nicht spreche. Und Geduld, mein Gestottere zu verstehen, werden sie nicht haben. Mißtrauen wird mir entgegenschlagen. Ich werde wie ein Verbrecher oder Asozialer gehandelt werden; wie ein für kriminell gehaltener Ausländer. Was beklage ich mich! C’est la vie!




(20.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 19. April 2023

3170 Mittagszeit

 



11:03 a.m. Wie ich diese regnerischen, grauen Vormittage liebe, wenn ich mich nur ganz langsam aus Traum und Schlaf schälen kann und ich noch einige Zeit vor der Realität durch dieses verworrene Kokon aus dämmrigen Traum- und Schlafgefühlen geschützt bin. Der Regen und sein Getröpfel gehören dann auch noch mehr der Transzendenz an als der sogenannten Realität, der ich ihre Wirklichkeit nicht recht glaube. Meine wunde Seele kann in solchen Stunden gut ausheilen, meine vielen Seufzer können das bestätigen. Und dass der Regen – inzwischen zu einem echten Landregen angewachsen – in dieser industriell-naturwissenschaftlich vertrocknenden Landschaft vom Himmel kommt und die Erde bewässert und befruchtet, ist auch ein tröstliches Geschehen, das meiner wunden Seele gut tut.

Still möchte ich sein. Ganz still.

Ich pfeife auf den frühen Wurm. Mir reicht das Frühstück um die Mittagszeit.




(19.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3169 Da wird nichts





0:52 a.m. Von einem „schönen Leben“ kann ich nur träumen. Vorstellen kann ich es mir nicht. Denn stelle ich mir vor – nehmen wir ruhig das Handelsübliche – ich wäre reich – und so schlecht wäre das nicht, denn auch die Schwermut hat ihre Reize und man kann sie besser genießen, wenn man einfach essen gehen, schöne Kleidung und Schmuck kaufen, Musik, Bücher nach Herzenslust, und reisen kann – wenn ich mir also vorstelle, reich zu sein, kommt sofort der gedankliche Einwand: ich kann doch mich, meine Stellung und meinen Besitz gar nicht behaupten. Mir fehlen doch Souveränität und Selbstbewußtsein – um zum Beispiel ein Haus zu kaufen, eine Architektin zu beauftragen, dieses Anwesen am Land umzubauen und meine Wünsche und Ideen gegen die Intentionen der Beauftragten durchzusetzen und mich vor den Aufdringlichkeiten der Landbevölkerung zu schützen. Nur als ein Beispiel. Aber auch wenn ich „edlere“ Vorstellungen vom schönen Leben herbeirufe, läuft ganz Ähnliches ab und ich werde mutlos und traue mir soetwas gar nicht zu. Der Wunsch hat schon bei seinem Auftauchen in mir selbst die stärkste Konkurrenz und kann sich nicht entfalten. Darum wird das auch nichts.




(19.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 18. April 2023

3168 Baustellenlärm der moderaten Art




1:29 a.m.

5:43 a.m. Es gibt keine böse linke Hand mehr wie in meiner Kindheit. In meinem Bauch grummelt und knurrt es, als würde ein Oger erwachen. Die Frau vom Katz kann mich nicht mehr schrecken. Die Frau vom Munch kann mich nicht mehr zücken. Zu den übrigen Frauen sage ich nichts. Ich bin müde. Meinen Kopf fühle ich als gedämpft. Mein frontales Bücherregal scheint sich ein wenig zu verändern. Ich freue mich aufs Weiterschlafen, genieße aber das morgendliche Lauern jetzt in Echtzeit. Meine inneren Bilder und Gedanken gleiten in Krieg und Verfolgung ab (können die alle aus meinem Nachkriegsleben kommen?). Ich bin sehr leicht zu beeindrucken. Ich bewege die hölzerne Möwe, die über meinem Kopf hängt. Lange schaukelt der Faden mit der kleinen Holzkugel nach. Ich poste Selfies auf Facebook.

9:42 a.m. Um den Morgen vielversprechend zu machen, ziehe ich das Rollo hoch, kehre aber ins Bett zurück, denn ich brauche zur Zeit viel Schlaf, Erholung und Ruhe. Die Katze verhindert jede Morgenidylle, indem sie mir ins Vorzimmer pischt. Dass sie dort hinscheißt – daran habe ich mich schon gewöhnt und konnte es schon recht unhysterisch handlen. Aber jetzt fängt sie auch noch mit dem Soachen an. Frau Katz wird alt und dement. Vermute ich. Oder sie ist besonders schlau, hatte beobachtet, wie ich das Kisterl ausräume und will mir aus reiner Liebe diese Mühe ersparen. Oder sie hat beim Reinsteigen ins Kisterl Kreuzweh. Oder ich habe vergessen, das Kisterl zu leeren.

Zurück zum vielversprechenden Morgen. Es muß bewölkt sein, wie ich aus den kemenatischen Lichtverhältnissen schließe. Ich erhole mich in meiner Betthockerstellung, mein Gehirnplasma (manchmal muß man Worte erfinden oder kühn kombinieren, auch dann, wenn man nicht weiß, ob es sie gibt, ob sie Sinn ergeben, oder ob sie zutreffend sind) wird entsulzt und heilt sich offensichtlich aus.

Der penetrante Geruch von Katzenpisse läßt mich mich wieder recht unfeierlich vom Bett erheben und das über die Lacke gebreitete Papier dürfte jetzt vollgesogen sein. Also räume ich das ekelhafte Zeugs weg und putze die kontaminierte Stelle gründlich nach (ich hatte „kondaminiert“ geschrieben und kurz überlegt, ob ich auf „kondamminiert“ erweitern soll, im Sinne von „verdammt!“ und „mitverdammt“). Und kehre wieder ins Bett zurück.

Zurück zum vielversprechenden Morgen. Ich höre die Tageskinder unten fröhlich singen und spielen. Beim offenen Vorzimmerfenster drängt Baustellenlärm der moderateren Art herein. Meine körpereigenen (hoffentlich!) Sirenen surren aufgeregt. Man kann sagen: ich bin wach. Und bereit für das Frühstück. Auf zum vorläufig und jeweils letzten Gefecht.




(18.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 17. April 2023

3167 Wasserstrahl





13:29 Ich sitze in der Sonne auf einer Bank im Hof 8, vorm nicht springenden Springbrunnen, dessen Becken aber gerade mittels dickem Schlauch aus dem blauen Hydranten mit Wasser befüllt wird und dessen Wasserstrahl den Sockel der noch stillen Springanlage frech anspritzt, dass die Tropfen laut nur so herumspringen. Ein leichte Brise geht, die meinem leichten Kopfweh Abhilfe zu verschaffen verspricht. Ich bin zu warm angezogen. Löwenzahn und Gänseblümchen blühen massenhaft, die Bäume grünen in den verschiedenen Stadien; der Frühling ist unwiderruflich da. Ein Mann in roter Arbeitskleidung schaut dem Wasser zu. Vermutlich ist er für die Wasserbefüllung des Springbrunnenbeckens zuständig. Er meditiert sekundenlang und immer wieder den heftigen Wasserstrahl. (Ich frage mich, ob ich seinen Job gern machen würde.) Jetzt geht der Mann in den Schatten. Sein Dienstauto stört freilich im Innenhof 8. Ein anderer Mann steht auf und schaut auch ins Wasserbecken. Ich will es auch tun. Der Arbeiter ist zurückgekehrt und betrachtet wieder Wasserbecken und Wasserstrahl. Ich steh jetzt auch auf und gehe hin. Der Arbeiter geht wieder weg. Ich mache ein Photo. Lange bleibe ich nicht stehen. Ich gehe weiter. Im Durchgang zu Hof 9 muß ich zweimal laut niesen, die Schallwellen werden von den einige Meter tiefen Mauern des Torbogens zurückgeworfen und verstärkt. Der Wind zieht mir nun einzelne Haarsträhnen aus meiner sorgfältig zu einem sogenannten Roßschwanz gebundenen Haarpracht.




(17.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3166 Im zugigen Wartebereich

 



Am Bahnhof. Am Bahnhof im an und für sich zugigen (wie passend!) Wartebereich ist es erstaunlich warm. Die Menschen, die hier sitzen, und das sind viele, machen mir einen erschöpften Eindruck – wenn es denn nicht meine Erschöpfung ist, die ich an ihnen sehe. Die Durchsagen sind etwas viel. Die Unruhe des großen Bahnhofs schlägt sich auf mich. Ich spüre die Vibrationen in der Leibesmitte. Zumindest die, die von meinem zappelnden, vermutlich betrunkenen Sitznachbarn ausgehen und über die Sitzbank weiter geleitet werden. Zu viel Werbung. Eindeutig zu viel Werbung hier allüberall. Ich sitze wieder einmal wie auf Nadeln. Ich werde es nicht mehr lange aushalten hier und aufstehen.

Ich bin aufgestanden und tanze vor den großen Anzeigetafeln herum, gehe hin und her, nervös, den anderen Umherirrenden ausweichend, drehe meine lächerlichen Pirouetten. Der Tanz der – Verdammten möchte ich auch nicht sagen. Der Zug, auf den ich warte, hat Verspätung. Und dann gibt es noch einen Satz, den hinzuschreiben ich mir verbiete. Und ich muß zugeben, dass ich vor Menschen Angst habe.

Nun sitze ich am Bahnsteig, wo es kälter, aber auch ein wenig freier ist. Und werde wieder unruhig und werde wieder hinuntergehen. Ich warte noch. Jetzt gehe ich hinunter. Ich komme wieder herauf. Ich gehe wieder hinunter. Ich komme wieder herauf. Ich warte. Der Zug fährt ein.




(15.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3165 Nur deswegen

 



Die Stille tröpfelt mir als Ticken der Küchenuhr ein. Die Stille ist so köstlich wie der Schlaf. Die drei großen Pflanzen, die das Wohnzimmerfenster ineinander verschlungen zu drei Viertel bedecken, wirken gesund und kräftig. Die Holzstiege in den oberen Stock – obwohl im dunkleren Bereich – wirkt verheißungsvoll. Der Durchblick von hier durch die beleuchtete Küche ins beleuchtete Bad – ein Blick quer durch die ganze Wohnung von einem Ende zum anderen – beruhigt und fördert meinen Optimismus. Es ist unsagbar schön hier. Deswegen seufze ich. Nur deswegen.

Meine Brust weitet sich. Lasten fallen von mir ab und auf meinem Gesicht spüre ich das Lächeln.

Ich koche: Erdäpfel und Karfiol. Ich werde sie mit Brösel abbraten.




(15.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3164 Sobriety

 



5:40 a.m. Wie fühlt sich die neue Sobriety an? Die neue Sobriety fühlt sich gut an! Ausgeschlafen. Klar. Zentriert. Entschieden. Ein neuer Mensch. Gut, diese Behauptung macht mir fast wieder Angst, aber nur fast. Einzelne Regentropfen klopfen auf das Fensterbrett, eine Melodie in extremer Zeitlupe begleitet mein intensives Surren im Ohr. Was für ein schöner dunkler Morgen! Eingehüllt in Dämmerung, und jetzt regnet es wieder. Wie schön das anzuhören ist. Alles ist gut.

Mein Blick ist heute - sagen wir: transzendenzphysikalisch: ich blicke die Dinge an, sehe nichts, aber ahne viel. Sie blicken sozusagen zurück. Zum Beispiel das Trinkglas am Schreibtisch: Glas halt, im Halbdunkel, glitzert mit ein paar Lichtreflexionen her, steht da, ruhig, still, bewegt sich nicht; ich weiß nicht viel über das Glas. Das macht meinen Blick interessant. Das Glas erzählt mir nichts, aber ich weiß, dass es viel zu erzählen hätte. Ich denke mir auch nichts aus. Aber jetzt werde ich müde.

Trotzdem bekomme ich noch Botschaften von drüben. Und so erfahre ich: ich bin ein Vermittler zwischen Staub und Kitsch.




(15.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 14. April 2023

3163 Schlussstrich

 



16:16 Ich harre der Dinge, die da kommen werden. Kein Mensch ist illegal. Auch ich nicht. Anständig muß nicht sein. Angeblich eine gute Zeit für einen Neustart. Rettenschoess grünt ganz furchtbar auf; das sehe ich von meiner Kammer aus. Ich gebe nicht klein bei; ich gebe groß bei. Warten wir noch ein wenig. Ich gehe ein wenig herum. Ich gehe dabei mit dem sich im Holzfußboden spiegelnden Licht. Und nicht vergessen: am rechten Schlapfen hängt die halbe Sohle ab: Stolpergefahr.

16:37 Das Licht fängt sich überhaupt zu verselbständigen an. Ich werde wieder herumgehen.

„Ich segne euch!“ poste ich noch, dann sollte Schluß sein. Sagt auch mein Weib.

Gut, ich hab auch telephoniert. Ist gegangen.

Die Uhrzeit zwischendurch? Ja, gut: 17:11

Der verhaltene späte Licht legt sich wie Schimmel auf die kahlen Zweige der Bäume (habe ich das gestohlen? Mir kommt vor! Dubravka Ugrĕsić?).

Frau Apothekerin! Nein! Nein! Nein! Sie unterliegen der apothekerlichen Schweigerpflicht!

Brüder! Zur Sonne! Zur Freiheit! Der Säbelzahntiger wartet schon.

Ich weiß nicht: sehe ich besser mit oder ohne Brille? Vom Schreibtisch blitzt’s her. Stell dich nicht schlafend!

Die Zähne klappern. Ich werde mir selber die Hände lesen. So viel verlorener Glanz, so viel Elend (nicht das große! das kleine!). Wenn du dich nur herausbeugen kannst! Warum wartest du mir jetzt mit meiner Mutter auf? Wär dir so ein Schieber lieber? Die Zähne klappern wieder. Solides Zähneklappern. Dieser Lackgestank! Soll ich lieber einschlafen? Das hieße aufgeben. Eine solche Explosion! Eine solche. Das Licht leuchtet sich in die Mittelpünkte. Kettenhemden. Die geschlossenen Augen glaube ich dir nicht. Das Handhaben kann man bis zu einem gewissen Grad erlernen. Frontbereinigung. Der Mund von der verselbständigt sich. Alle auf eigene Faust unterwegs! (was immer das heißt und was immer für Verletzungen das zeitigt.) Darf man sich am Nachmittag ins Bett legen?

Gute Arbeit!

Kreatürln. Wo die wieder hinführen! Mir is so koid. Da tät ich schön dastehen, wenn mich die führt. Aus dem Zentrum des Stiegenhauses jault es auf. Jetzt schreib endlich! Moment! Moooment! Der hat mich abgepasst. Das Zähneklappern. Das ist keine gute Brut (oder Brust? Oder Brutpflege? Kann es nicht mehr entziffern). Aj ja, geht schon!

Ich lass nach! Ja?!




6:54 a.m. Was für eine Klärung! Was für eine Erleichterung! Was für eine Befreiung! Die Dinge sind in Bewegung geraten. Die Infragestellung kommt prompt aus unerwarteten Ecken aber sie kommt. Zu Recht. Jetzt nicht gleich wieder fromm werden! Offen bleiben. Und wachsam.




(13./14.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 12. April 2023

3162 Ein halber Tag im Leben des Pjotr Emericowič

 



7:17 a.m. Selten stört mich die Surrerei in meinen Ohren, aber jetzt nervt mich dieser Aufregung erzeugende Alarm am frühen Morgen. Es ist doch alles gut! Ich habe keinen Termin, kann den Tag frei gestalten, kann aufstehen, kann weiterschlafen; ich habe die freie Wahl. Ich aber entscheide mich nicht, ich lehne hockend in meinem Pölstern und habe keinen Plan. Auch keinen Impuls. Keine Idee, nichts, was mich animiert oder anzieht. Gut: Frühstück in einem Café … geht bei meinem Kontostand nicht. Kleine Wanderung? Regen angesagt. Museumsbesuch? Hm! Momentan keine Lust; weder auf die Albertinas, noch auf die Belvederes, wo ich Jahreskarten besitze (Ich habe „besitzen“ geschrieben statt „haben“, weil mir das edler vorgekommen ist, aber „besitzen“ tu ich die eigentlich nicht, denn ich trage die Jahreskarten in der Brusttasche des jeweilig aktuellen Sakkos und nicht hinten in der Arschtasche der jeweils aktuellen Hose). Ich muß meinen Kontostand checken; das werde ich heute tun. Meine Frau unten in der Küche niest zweimal laut und kräftig. Ihr Arbeitstag hat längst begonnen. Jetzt gerät meine Psyche ins Wanken und there is no mercy. Ein Schmerz beginnt in meiner rechten Seite an der Hüfte zu pochen, unangenehme Erinnerungen überschwemmen meinen Geist und mein Gemüt, ich beginne mit den Zähnen zu knirschen. Hilft alles nichts. Verlegen blicke ich auf die toten Bilder an meinen Wänden. Ich warte noch, bis unsere kleine Küche frei ist, dann stehe ich auf.

8:15 a.m. Ich habe es nicht ausgehalten und meinen Kontostand überprüft: ich bin tatsächlich schon – geringfügig – im Minus. Kaffeehausbesuche sind für den Rest des Monats gestrichen. Ich kann draußen in der Stadt oder rundum in der Landschaft herumrennen. Ich kann die genannten Museen besuchen. Ich kann in die Bücherei fahren (Jahreskarte Wiener Verkehrsbetriebe). Sonst nichts. Immerhin! Dann wollte ich mich im Internet ablenken, aber das ist gründlich danebengegangen. Nicht, weil die Nachrichten und Meldungen so schrecklich gewesen wären – ich glaube, die schrecklichen habe ich gar nicht herangelassen – sondern weil sie so uninteressant, so beliebig, so gleichgültig, so belanglos, so unwürdig, so unerleuchtet, so fremd waren. Ich habe nun Magenschmerzen vor Angst und Panik: ich weiß gar nichts von der Welt, ich kenne mich nicht aus und verstehe nichts von dem, was da und wie das abläuft. Gut, ich werde auch diesen Anfall überstehen, aber Leben ist das nicht.

13:27 So bin ich: am Vormittag streiche ich alle Kaffeehausbesuche und Einkäufe für den Rest des Monats und um Mittag sitze ich im Diglas in der touristischen Innenstadt bei heißer Schokolade, nachdem ich vorher zwei Rollen Kohlenstücke für den Weihrauchkessel in einem Geschäft am Stephansplatz erstanden habe – alles vom Geld, das ich noch in der Geldbörse hatte – für den Weihrauchkessel, den ich so gut wie nie gebrauche. Das ist wahrlich mein Verhältnis zur Welt und ihren Anforderungen: wenn ich nichts mehr habe, dann gebe ich das letzte aus (um Obdachlosigkeit und Verhungern geht es dabei heute nicht mehr – schließlich bin ich verheiratet und meine Frau wird mich voraussichtlich weiterhin durchfüttern und mir Obdach gewähren, was für ein männlich angelegtes Wesen, das noch in den Fünfzigerjahren zum Scheitern hin sozialisiert wurde, ein seelisches Desaster und eine Selbstwertkatastrophe ist. Ich muß mich so beherrschen, nicht so oder so auszuzucken und 23 Stunden am Tag hart arbeiten, das Ganze auszutarieren, in Relation zu stellen und von den Windmühlenkämpfen etwas Abstand zu gewinnen) und tätige dann möglichst absurde Handlungen und Einkäufe. So etwa in dem Sinn „ich pfeife auf den Gurkenkönig“ – wer immer das in meinem Leben ist (die Nöstlinger möge mir verzeihen). Spucken könnte ich auch auf den Döb ...äh! … Gurkenkönig. Bytheway: heute habe ich eineinhalb Stunden das Telephon läuten lassen, um das Reparatur-und-Service-Zentrum zu erreichen, das mich per SMS um einen Rückruf gebeten hat, ob wir unsere Kaffeemaschine (eigentlich gehört sie meiner Frau) zu den vorgeschlagenen Kosten reparieren lassen wollen. Die Reparatur wäre trotz Reparaturbonus teurer als eine Neuanschaffung. Die Begutachtung des Schadens hat 60.- € gekostet. Meine Schuld! Ich war es, der diesen Versuch vorgeschlagen hat. Meine dumme Idee. Dann eben keine Kaffeemaschine.

Erst recht trinke ich die viel zu süße Schokolade aus (ich vermute, dass das Getränk irgendsoein Aufgußscheiß ist, aber hic et nunc nie einen bitteren Kakao gesehen hat). Dann trinke ich das beigestellte Wasser aus – weil wenn ich schon überteuert zahle, trinke ich alles weg. Außer man hätte mich beleidigt, dann würde ich zahlen und gehen und das Zeugs zurücklassen.

13:57 Nun sitze ich im selten besuchten Stadtpark (warum selten? Keine Ahnung. Steht nicht auf meiner Liste) und habe am Herweg - um dem Ganzen noch eins draufzusetzen – fünf – schon preisgünstige – Bücher antiquarisch gekauft und dafür meinen letzten Zwanzigeuroschein hergegeben (Mario Vargas Llosa, Seher Çakir, Mircea Lǎcǎtuş (warum kann das Scheißgerät die eingefügten Sonderzeichen nicht einfach übernehmen?), Ernst Petzoldt und Nathan Englander – und glaubt nicht, dass ich weiß, was ich da gekauft habe!)

Viel kann ich mit dem Sonnenschein und dem Grün gar nicht anfangen; ich fühle mich bloß verpflichtet, das schön zu finden (man will ja nicht depressiv sein und verzweifeln, dass überall das Leben aufblüht, nur man selber nicht), wie ich es wirklich jenseits der Verpflichtung fände, weiß ich nicht. Heute stören mich auch die Bettler; ich will meine Ruhe haben und unbehelligt ins gleichgültige Grün starren, ob es mich erleichtert oder nicht. Ich bin schon ganz unruhig und will heim in meine Kammer um mich dort zu verkriechen. Ich fürchte nur, in den Trubel der Abholzeit der Tageskinder zu geraten und somit zu stören. Ich breche trotzdem auf.




(12.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 11. April 2023

3161 Wollzeile

 



8:24 a.m. Termine machen mir immer Aufregung. Aus meinem Zimmer kommt heut’ keine Inspiration. Aus meinem Inneren springt mich nichts an. Der Geruch von Katzenscheiße treibt mich aus dem Bett. Vielmehr ist heute nicht zu sagen.

10:56 a.m. Mein Gott! Was führ ich für ein Leben! Ich bin in der Wollzeile und eine junge Frau mit rotem Hut und Hund telephoniert auf der Straße (genauer: am Trottoir) und sagt: „Nächste Woche bin ich in Marrakesch, zum Geburtstag von …“. Und ich auf meiner Seite frage mich, um wie viel ich mit dem Einkauf von Zahnbürsten, Zahnpasta, Haarshampoo und einem Buch als Geburtstagsgeschenk für eine meiner Töchter mein Konto überzogen habe. Ein bißchen mehr Spielraum wäre nicht schlecht. Aber gut! Ich kenne ja den Preis nicht. Ich weiß ja nicht, was die Nornen alles in den jeweiligen wollenen Schicksalsfaden eingesponnen haben (der Schicksalsfaden aus Wolle? Steht das irgendwo? Hab ich das erfunden? Von der Zerreißbarkeit her tät es vielleicht passen). (Außerdem: vielleicht hat sie ein Lokal namens „Marrakesch“ gemeint …)

11:30 a.m. Im Votivpark hinter der ungeliebten Votivkirchn. Der Frühling ist da. Die Bäume schlagen aus und die rasierten Wiesen sind grün. Die Baustellen lärmen tapfer vor sich hin und übertönen sogar den Verkehrslärm. Der Vormittag ist schon die beste Erledigungszeit. Alle meine Erledigungen in einer Wanderung von Zuhause Richtung Taborstraße – dabei sowohl Biomüll als auch Recyclingsmüll in die entsprechenden Container entsorgt – Taborstraße die Zahnzeugeinkäufe, weiter zum Schwedenplatz und dann über den schmerzlichen Fleischmarkt in die Wollzeile zum Herder (Buch), dann über die Hohe Brücke (der Weg zum Glücke) und durch ein paar Gassen im Zick-Zack zum Schottentor und von dort in den Votivpark und bald weiter in die Therapie, da jedoch noch im Antiquariat Klabund ein Ein-Euro-Buch erstanden. Alles Zu Fuß! Ich bin ja so stolz auf mich!




(11.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 8. April 2023

3160 Complainte





7:12 a.m. Das Lied „Complainte“ von Juliette Gréco geht mir im Kopf herum, nachdem ich von der Katze aufgeweckt wurde und ich ihr wankend und taumelnd unten im Bad das Futter bereitet habe. Gerade hatte ich es noch mit extrem dicht- und langhaarigen Schweizer Menschen zu tun – einer hat sich zu mir gesetzt und mir Trost zugesprochen - während ich mit gemischten Gefühlen die Renovierung meiner ebenerdigen Substandardwohnung, die ich in Träumen schon oft besucht habe, begutachtete: Kochstelle und Heizung sollten jetzt funktionieren - ich versuche mir diese elende Wohnung aus der Not heraus schön zu reden. „Erdgeschoß“ so könnte man auch eine Grabstelle nennen. Die Gefühle aus dem Traum und die, die das Lied der Gréco, das mir die unschuldigen Hoffnungen meiner Jugend wie aus der Ferne aufruft, auslösen – das sind zwei völlig verschiedene Welten, die sich zu einem eigenartigen emotionalen Kokon, in dem ich still verharrend hocke, vermischen. Nachdenklich und nachfühlend lehne ich im Bett in meinem verdunkelten Zimmer und suche das ganze emotionale Chaos zu ordnen: ich hoffe, ich schlafe bald wieder ein.




(5.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3159 Glatzen



Ich sitze im Katscheli und mir fällt auf: erstens: alle drei Gäste sind glatzköpfige Männer. Und zweitens: ich lese keine Artikel mehr fertig.

Jetzt kommt noch ein Mann herein und als er die Kappe abnimmt: Glatze.

Anscheinend macht mich auch die heiße Schokolade aufgeregt wie vordem der Kaffee.

Noch ein Mann mit Glatze.

Ich gehe lieber; ich sitze schon zu lange da.




(4.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 4. April 2023

3158 Der Paketbote ist da

 



11:48 a.m. Meine neue Schreibstube ist das Vorzimmer, denn ich soll auf den Paketboten warten. Ich sehe mich gegenüber im Ganzkörperspiegel, aber die selbst schon düstere Beleuchtung kommt von hinten aus dem Lichtschachtfenster; eine verschwärzelte Gestalt – meine Vorderseite und vor allem mein Gesicht völlig im Schatten – sitzt auf der Vorzimmerholzbank mit Stauraum, die Füße auf den aufgereihten Hockern der Tageskinder und versucht zu schreiben. Ich höre die Tageskinder im Wohnzimmer spielen und rechts fast an meinem Ohr den Gaszähler tuckern und gurgeln. Oh! Links oben an der Wand hängt ein altes Bild, von mir im Jahre 1999 gemalt. Und an der Tür zur Küche eine wunderschöne Kinderzeichnung meiner Kinder. Viele Jacken und Mäntel hängen da, dass sie sogar den Raum verkleinern. Ich drehe den Kopf von rechts nach links und von links nach rechts, von Schulter zu Schulter, und lasse es dann sein. Was soll ich mit diesem angefangenen Vormittag – der gerade zu Ende geht – anfangen? „Sammeln Sie Herzen?“ fragt ein altes Plakat links an der Tür. Ich schaue im amerikanisch designten Holzhackerhemd recht kräftig und robust aus (was ich nicht bin). Angeblich kräftigendes Holzhackerbrot hat es auch einmal gegeben – war das noch in Graz? -ich weiß es nicht; meine Erinnerungen sind meistens vage, wenn sie auftauchen.

Die Tageskinder bereiten sich auf den Mittagsschlaf vor, indem sie beim Bücherschauen und Vorlesen beisammen sitzen und aufmerksam zuhören und mitsprechen. Auf der harten Holzbank tun mir schon Hintern und Rücken weh; aber ich bleibe pflichtbewußt auf meinem Posten. Das Geräusch des Gaszählers klingt jetzt schlürfend. Was der wohl schlürft? Draußen hat es nur ein Grad über Null, also müssen wir für die Tagis einheizen. Jemand kommt im Stiegenhaus die Treppe herauf. Ein recht interessantes Hörspiel; mein Herz klopft vor Aufregung. Der Paketbote ist es nicht, da ich einen Schlüssel höre.

Jetzt läutet es, der Paketbote ist da.




(4.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3157 Immer

 



9:22 a.m. „Baba Jaga legt ein Ei“ steht auf dem obersten Buch meines viersäuligen Bücherstapels neben dem Bett, an der Stelle, wo ich die aktuell zu lesenden Bücher griffbereit liegen habe. Ich jedoch komme gerade aus einem verstörenden Traum, wo der Krieg über uns gekommen ist und alle im Fluchtbus sich in ihre Sitze ducken, um zu verhindern, dass ihre Köpfe im Fenster gesehen werden. Nur ich und der Mann, den ich als den Busfahrer vermute, ziehen unsere Köpfe nicht ein: ich im Sitzen, er steht überhaupt aufrecht bei der vorderen Eingangstür. Der Bus sollte mit einem „Tankstellenstart“ – was immer das ist – los und in der Kolonne mitfahren. Aber er fährt nicht – was immer das heißt: noch kein Startsignal oder Startsignal verpasst?

Mir fällt ein, dass ich immer so ein sprödes, steifes, verklemmtes altertümliches Professorengehabe an den Tag lege: nicht im Flow, übertrieben auf Korrektheit bedacht, das entscheidende Geschehen nicht mitbekomme oder mit säuerlichem Frust betrachte. Jemand, der hilflos Angst hat, dass und wenn man ihm sein Jausenbrot wegnimmt. Einer von denen, die in den Filmen immer die Deppen sind. Gut, könnte ich sagen, wir sind ja nicht im Film. Und ich weiß nicht: ist das besser oder schlechter?

Ich starte nun meine fragwürdige Morgenmeditation, bei der ich im Bett hocken bleibe, das Schreibzeug weglege, das Licht abdrehe, mir die Bettdecke ganz herauf über die Schultern ziehe und meine Aufmerksamkeit auf die Körperzustände lenke. Und dabei oft döse oder überhaupt einschlafe.




(4.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 3. April 2023

3156 Hotspot





9:54 a.m. Ein schöner Morgen, wie ich mich langsam und verschlafen aus den heftigen Träumen und fremdartigen Begegnungen drüben schäle, den Träumen, deren Geschichten ich vergessen habe, deren Gefühle und Stimmungen mich jedoch noch völlig einhüllen und mir die Alltagswelt ganz fremd und neu machen. Ich liebe diesen Zustand der dunklen Ahnungen und vergessenen, undeutlichen und inhaltsverlorenen Leidenschaften, bevor einen unsere vielgerühmte Alltagswelt total vereinnahmt. Und wenn es einem in dieser anderen – wörtlich! - undeutlichen Welt unangenehm ist, ist es ganz leicht, sich daraus herauszuschleichen: man dreht irgendein Gedüdel auf, am besten hysterisch moderierte Endorphinmusik, oder liest, hört, schaut irgendwelche Nachrichten. Ich aber mag diese Abkürzung und gouvernantische Morgenbeschleunigungshilfe nicht; es müssen schon wahrhaft schreckliche Albträume sein, die mich verfolgen, dass ich diese fragwürdige Abkürzung zulasse.

In meiner Körpermitte vibriert es noch; es – von dem ich nicht weiß, was es ist. Ich seufze mich näher an die Alltagswelt heran. Meine linke Hand hält verkrampft mein Notizbuch. Wenn ich mich nicht selbst daran erinnere, fällt mir diese ständige und wie automatisch generierte Verkrampfung nicht auf. Bewußt versuche ich sie zu lockern, schüttle Arm und Hand aus, bewege die Finger und lege sie wieder, aber sanft an mein Notizbuch. Ganz passt es noch nicht, darum strecke ich Hand und Finger, versuche, da die Muskeln zu lockern, bis es so einigermaßen passt und ich meine Aufmerksamkeit wieder abziehen kann. Aber gerade jetzt erlebe ich in meiner linken Hand und da besonders in meinem zur Hälfte amputierten Daumen das intensivste Kribbeln und die interessantesten Vibrationen, als würde diese Stelle Wellen aussenden und empfangen, als würde sich an dieser Stelle ein energetischer Hotspot ausbilden.

So, jetzt habe ich mich abgelenkt, mich mit meinem Wecker befasst – auf dass er doch nicht losgehe – und werde aufstehen.




(3.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3155 Jetzt kommt es schon

 



Im Geäst des dreifaltigen Wohnzimmerbaumes sehe ich die Adern der Welt. Ja, gut, das klingt sehr übertrieben bis deppert, aber so will ich es schreiben, weil sich für einen kurzen Moment das chaotische Wirrwarr der Zweige zu einer anderen Gestalt zusammengesetzt hat als der üblichen. Ich bin ja noch recht verschlafen, da geht das. Und was mache ich jetzt damit? Ich richte mir die Lesebrille, wische ein Katzenhaar von der aufgeschlagenen Notizbuchseite und versuche, die Wartezeit aufs Frühstück mit einer Schreiberei zu überbrücken.

Jetzt kommt es schon, das Frühstück. Ein bißchen grantig werde ich auch, weil sich das ganze Arrangement aus den Pölstern im Rücken, Decken, Müslischüssel, Kurkumalattehäferl auf dem Tablett und meinem anfälligen Körper nicht ganz ausbalanciert anfühlt.




(2.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3154 Ohne Kopfbedeckung

 



Die Uhr von Maria am Gestade schlägt zehn. Ich sitze da am schönen Platz und bin ohne Kopfbedeckung unterwegs. Die Bücherei hat noch zu. Eine Schulklasse in Begleitung marschiert hinterm Brunnen vorbei. Ein akustisches Klavier fährt unten auf der Straße vorbei. Ich entwickle mich durchaus zum Smartphonejunkie. Eine extrem heißere Krähe (Stimmbruch?) schreit die ganze Zeit in heller Aufregung. Ein sehr großes Tier, das da im Baum über mir sitzt, kommt mir vor. Will sie mich von der Bank vertreiben und an den Mistkübel kommen? Diese Vormittagsstimmung hat was! Die Uhr von Maria am Gestade schlägt Viertel. Mir wird fad. Auf in die Bücherei; ich gehe zu Fuß hin (teilweise, wie sich später herausstellt). Der innere Aufruf verhallt ungehört. Dafür gebe ich Touristen Auskunft. Ich freue mich immer, wenn ich für jemanden etwas tun kann. Oder soll ich sagen: wenn ich jemanden belehren kann? Ich studiere unauffällig (kommt mir vor) die Menschen, die vorbeigehen. Sehr weit komme ich damit nicht. He! He! Warum ist mir jetzt komisch? Ich scheine in eine Trance zu rutschen mit Andrängen uralter Erinnerungen. Es sind das die Lastwagengeräusche, die mein Bewußtsein wegzerren. Ich werde mich körperlich bewegen; das könnte helfen. Auf in die Bücherei.

In der Hauptbücherei betrachte ich aus dem Panoramafenster das Kollektiv der Tauben am Dach der Stadtbahnstation, die Berge in der Ferne und die zunehmende, noch flache Bewölkung (beim Weggehen hat noch die Sonne geschienen). Und die Schienen der U6, die betrachte ich auch. Die Gürtelbäume unten schlagen aus, das Polizeiauto blinkt blau (wie passend!), der Verkehr ist lebhaft („lebhaft“ – unpassendes Wort in Bezug auf Container-, will sagen: Autoverkehr). Ich bin nervös, da ich die ausgeliehenen Bücher noch nicht verbucht habe, aber schon in meinem Rucksack sind („Bücher verbuchen“ – eigentlich auch merkwürdig). Auf ein Buch warte ich noch, das aus dem Magazin geholt wird. Noch ein Blaulicht, das ich nicht identifizieren kann. Ich sitze wie auf Nadeln, ich kann mich hier nicht entspannen, trotz Aussichtsplatz in der ersten Reihe. Wie gesagt: die Bäume schlagen aus, die Tauben fliegen auf, mehrere Sirenen, wieder Blaulicht. Vielleicht ist das, was ich da unten sehe, zu unruhig, zu funktionell, zu laut und zu nah.




(31.3.2023)

©Peter Alois Rumpf März 2023 peteraloisrumpf@gmail.com