Freitag, 24. November 2017

829 Das kann doch wirklich nicht so schwer sein!

Heute ist der wirkliche „Heilige Abend“. Glaube ich halt. Weil das eine Seherin des 19. Jahrhunderts behauptet hat und mir vorkommt, das paßt besser. (Anna Katharina Emmerich sieht in ihren Visionen, das Jesus von Nazareth am Katharinentag – 25.11. - acht Jahre vor unserer Zeitrechnung geboren wurde. Aufgeschrieben wurden ihre Visionen von Clemens Brentano.) Der Arbeiter im Stiegenhaus pfeift aber ganz unweihnachtlich.
Es ist schwer, völlig gegen den Strom zu empfinden. Obwohl der Strom, insoferne er „richtig“ ist, immer schwächer, insoferne er „falsch“ ist, immer stärker wird. Nur, beim Datum wäre auch der „richtige“ falsch. Also fühle ich gegen beide Strömungen an.

Ich weiß schon, für diese Theorie werde ich keine Verbündeten finden; die Gläubigen wollen ihren Glauben oder ihre Aufgeklärtheit nicht durcheinanderbringen, die Ungläubigen wollen das erst recht nicht (die meisten „Ungläubigen“ glauben viel fanatischer und naiver als die meisten „Gläubigen“). Dieses Weihnachtsfest muß ich ganz alleine feiern. Clandestin sozusagen. So gesehen bin ich für mich allein meine eigene Sekte, wie der Quirinus Kuhlmann zum Schluß, bevor er verbrannt wurde.
Wobei ich schon davon überzeugt bin, daß mein „Glaube“ (der ganze Horizont an Bildern, Annahmen etcetera) der Wirklichkeit angemessener ist, als der vom Kuhlmann (und vieler anderer auch).  -  Das könnte ein böses Erwachen geben.

Ich will jetzt von diesem Weihnachtsthema und allem, was dazugehört, wegkommen. Es ist mir unangenehm, mich so zu exponieren und angreifbar zu machen, und ich habe es mit einigem inneren Widerstand geschrieben, wenn ich ans Publikum dachte.

HimmelHerrGottnochmal! Was ist mit mir los? In was schreibe ich mich da hinein? Ich schreibe mich um Kopf und Kragen. Wer kann das noch ernst nehmen? Angst vor der Inquisition? Ja, durchaus. Also wie schreibe ich mich da wieder raus? Mit einem geschickten Themenwechsel? Kann das noch den Text retten? Ich glaube nicht! (Genug der Glauberei!)

Die Arbeiter draußen lärmen ganz profan. … Und wenn du jetzt einfach aufhörst? Und den Text nicht auf der Schublade veröffentlichst? Das kann doch nicht so schwer sein! Den Text durchstreichen. Du nimmst den Kugelschreiber und machst über den Text einen kraftvollen Strich von der einen Ecke der Seite zur anderen. Ob von links oben nach rechts unten oder umgekehrt, oder von rechts oben nach links unten oder umgekehrt ist egal. Das kann doch wirklich nicht so schwer sein!






(24.11.2017)









©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 23. November 2017

828 Trefflichster Kubin!

„Trefflichster Kubin!“ hat einmal Paul Klee in einem Brief den Alfred Kubin angeredet. Lang ist es her. Lang vor meiner Zeit.

Ich habe es mit mir und meinen Assoziationen durchaus lustig, darum kichere ich in dieser Stille hier in mich hinein. „Trefflichster Kubin!“ … Nicht ohne Wehmut. Bin ich aus dem vorvorigen Jahrhundert? Möglich.

Unwichtig.

7 Blätter hängen jetzt an der Wand. 7, eine der vollkommenen Zahlen. 7 Tage hat die Woche. 7 Todsünden, 7 Tugenden, die 7 Stämme der Nahua, die glorreichen Sieben, die 7 Samurai, die 7 Helden von Theben, die 7 Weisen, die 7 Sinne, die 7 Sakramente, der 7. Himmel, die 7 Weltwunder, die 7 Weltmeere, die 7 Zwerge, 7 Kontinente, die 7 Hügel Roms, die 7 letzten Worte Jesu am Kreuz, 7 Bitten des Vaterunsers, das Buch mit den 7 Siegeln, die 7 Posaunen am Jüngsten Tag, 7 Gaben des Heiligen Geistes, 7 Werke der Barmherzigkeit (Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten), die 7 Planeten, Siebenschläfer, siebengescheit (für Besserwisser), das verflixte 7. Jahr, 7 fette und 7 dürre Jahre, die 7 freien Künste.

Neun Primzahlen unter der ersten zwanzig.

Jetzt kommen die kleinen Stiegensteiger. Tapfer und unter Rufen und Schreien kämpfen sie sich die zwei Stockwerke hinauf (52 Stufen).

Irgendetwas aus meinem Leben fällt mir ein und zieht mir den Boden unter den Füßen weg (richtiger: das Bett unter dem Hintern). Ich schnappe ein wenig nach Luft und beruhige mich dann wieder. Wehmut bleibt zurück (und fast beneide ich die, die sich geistig entfalten durften – aber das geht zu weit).

So ein Trümmerhaufen! Mein Leben, so ein Trümmerhaufen.
Das führt erst recht zu weit. Ich habe keine Lust mehr, das alles präzise zu beschreiben und sorgfältig die richtigen Wörter zu suchen.





(23.11.2017)











©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 22. November 2017

827 Vielleicht beim Lycée français de Vienne

Im Traum habe ich jemanden richtig niedergeschlagen. Kraftvoll, gezielt, professionell, ohne Skrupel zugeschlagen. Hat das gut getan! Als Niederlagenspezialist einmal als Sieger vom Platz gehen! Und ich habe mir Raum verschafft und Selbstverständlichkeit gewonnen. Im Traum.
Würde mich gerne erinnern, wer der Feind war. Aber: wen, was, wie, wo, warum – alles vergessen.

Der Morgenlärm ist stärker als sonst; an der Kippe zum Bedrohlichen. Vom Niederschlagen bin ich weit entfernt. Eher, daß ich mich zitternd verkriechen würde. Die Mächte draußen sind zu stark.

Ein wenig hektischer kommt mir auch alles vor. Ruhe stellt sich nicht ein.

Mein Geist tritt gerade durch ein großes Gartentor auf die Straße hinaus. Vielleicht beim Lycée français de Vienne; jedenfalls sieht man (=mind, Geist) auf der Straße Straßenbahnschienen.

Wieder ohne weitere Erfahrungen retour im Morgenlärm, der sich ziemlich heruntergepegelt hat und jetzt eher unterschwellig bedrohlich wirkt. Ruhe ist immer noch keine da.

Die Zehennägel sind nach amerikanischer Façon geschnitten. Was das für Auswirkungen hat, weiß ich nicht. Wie dieser amerikanische Schnitt ausschaut, in Wirklichkeit auch nicht.


Doch. Jetzt ist Ruhe.

Für kurze Zeit.








(22.11.2017)












©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

826 Bitte einen ordentlichen Größenwahn

Ich glaub', mich rettet nurmehr Größenwahn. Ein ordentlicher Größenwahn. Ein richtiger, wenn auch heimlicher Größenwahn. Gut, vor einem wirklich aufmerksamen Beobachter wird er nicht zu verstecken sein, aber egal.
Ja, so ein richtiger Größenwahn. Vielleicht kann ich mich dann noch mit einer solchen echten Allmachtsphantasie bis zu meinem Lebensende durchtragen. Dann brauche ich noch irgendsoeine zünftige Abschlußphantasie - eine, wo ich am Schluß endlich so richtig auftrumpfe. Das als die berühmte Karotte, die man auf dem Esel sitzend diesem dummen Esel auf einem Stock mit einer Schnur befestigt vor die Nase hält, damit er auf die Karotte losmarschiert und naja, eh klar. Damit ich noch irgendwie weitertrabe. Ein bissi muß ich halt auf den eigenen Trick hereinfallen, sonst geht’s nicht. Darum brauche ich den Größenwahn. Damit ich selber glaube, ich könne mich selbst am Schopf aus dem Sumpf ziehen. (Sumpf, nicht Rumpf) (Mit dem Haarschopf muß ich mir noch etwas überlegen! - Glatze!)

Es ist wurscht, wenn ich's zum Schluß merke, daß ich mich habe reinlegen lassen und auf eine falsche Hoffnung gesetzt habe. Nur, daß ich mich bis dahin derschleppe.

Und auch sonst brauche ich noch eine ordentliche Portion Lebenslüge; irgendetwas, was mein Leben verklärt. Meinetwegen vom Ende her.

Vielleicht könnte ich mit der Rolle des verkannten Genies arbeiten? Naja, es muß ja nicht ein großes Genie sein. Ein kleines. Ein ganz kleines. Ein wengerl ein Genie halt, das könnte ausreichen.

Oder verkannter Künstler. Oder verkannter Philosoph – ich meine eh nur im umgangssprachlichen Sinn, keinesfalls im akademischen.
Von mir aus auch ein übersehener Theologe, wenn's unbedingt sein muß. Vor Jahren wäre ich darauf mit Begeisterung angesprungen, jetzt nicht mehr. Aber wenn es nicht anders geht, dann halt als Theologe. Kann ich damit noch einen Größenwahn aufbauen? Mit dem – lebenshistorisch gesehen – alten Käse? Und was wäre das dann für ein Abgang? Eine Himmelfahrt? Paßt überhaupt nicht zu Theologen! (Für die ist das doch bloß ein literarisches Schema.)

Irgendetwas muß ich mir einbilden können, damit ich es noch weiter schaffe. Vielleicht die Vorstellung, daß ich oder meine Schreiberei oder meine Bilder oder was auch immer nach meinem Tod „entdeckt“ werden.
Ja, das könnte gehen!
Das ist gar nicht einmal so blöd! Eigentlich ist es genial! Ja, richtig genial!

Ein bißchen müßte ich diese Illusion zu Lebzeiten füttern, daß sie mir nicht vorm Ende verhungert. Irgendwann wird man ja auch dem Esel mit der Karotte etwas zu fressen geben, damit er nicht zusammenbricht.
Wie könnte ich das anlegen, daß die Illusion aufrecht erhalten werden kann? Schwanken darf sie, aber nicht tot umfallen.

Ja, da müßte schon gehen. Wenn ich ab und zu etwas schreibe, das ich für halbwegs gelungen halten kann, dann sollte das ausreichen. Ja, das wird schon gehen! Und das Geniale daran: diese Illusion fliegt zu Lebzeiten nie auf! Der Erfolg kommt ja erst nach meinem Tod – stelle ich mir vor.

Nur sollte ich diese Illusion heimlich pflegen. Wenn ich zu viel davon rede, wird sie möglicherweise schal. Oder wenn ein Lektor oder Kritiker meine Texte liest, dann lasse ich mir vielleicht, nein, wahrscheinlich die Illusion zerstören.

Ich darf gar nicht zu viele Leser haben!










(21./22.11.2017)













©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 21. November 2017

825 Und, was jetzt?

Und, was jetzt? Nachdem ich wiedereinmal einen kurzen, erschreckenden Blick auf mein Leben geworfen habe und mich frage, was aus der Verpuppung geworden ist. So, wie es ausschaut: nichts. Und was jetzt?
Alltag. Du wirst ein bißerl schreiben und lesen. Vielleicht sogar üben, die Wäsche abfertigen, am Computer hängen, Essen, dich für die Arbeit zusammenpacken, hingehen, wahrscheinlich zu Fuß, dich dort abmühen, froh sein, wenn die Schicht vorbei ist, nach Hause fahren, aufgekratzt sehr spät schlafen gehen.

Die Wäsche habe ich schon in die Waschmaschine gestopft; mit dem Schreiben komme ich nicht weiter; nächster Punkt: lesen.


Und heute? Neuer Tag, neue Chance.
Ich verhalte mich ruhig. Ich höre dem Leben zu, ich lausche geradezu, nicht gierig, auch nicht neugierig. Einfach so. Kommt ein Stichwort, das mich auf die Bühne ruft? Fast nie. Aber ich bin pflichtbewußt und sprungbereit; wenn man mich ruft, komme ich. Ansonsten warte ich am Rand und bin still. Denn eigentlich habe ich hier nichts verloren.

Ich verlasse wieder die bösen Worte und wende mich von den bösen Gedanken ab und schaue mich um. Nichts Auffälliges. Ein neues Blatt an der Wand – ist mir auch nicht aufgefallen, sondern eingefallen. Es ist mir eingefallen, daß ich es gestern an die Wand genagelt habe (der Wind hat es dreimal um mich herum geweht). Ich schaue genauer hin, einen kleinen Vorhof aus Licht scheint es zu haben. Zu flüchtig jedoch, um eine eindeutige Aussage machen zu können.

Ich lache innerlich um meine lächerlichen Bemühungen. (“lachen um“? Wie komme ich auf diese eigenartige Formulierung? Gut, probieren wir sie aus.)

Unten wird die Stiegensperre eingelegt und auch sonst einiges zurechtgerückt. Das würde ich auch gerne, in meinem Leben so einiges zurechtrücken. Aber nur, wenn es nicht anstrengend ist. Anstrengen will ich mich nicht mehr.

Ich schließe die Augen. Ich sehe faszinierende Farb- und Musterspiele. Die Augen nach innen, die Ohren nach außen; nur mit dem Surren weiß ich nicht wohin.

Ein paar peinliche Versuche für eine Geldbeschaffungsaktion von früher fallen mir ein (wo man fast ein wenig rot wird, wenn es einem auch für sich allein einfällt), so in Richtung Bettelbriefe. - damals mit dem Flair des „armen Künstlers“ vor meinem ungute Gefühl legitimiert. Aber der Künstler hat nicht gehalten, was er versprochen hat, ich habe selber nicht so stark dran glauben können.

Interessant, daß ich mir die Rekapitulation so schnell als unmöglich habe ausreden lassen. An Gläubigkeit jedenfalls hatte es mir dabei nicht gefehlt. Da sieht man, daß Gläubigkeit an sich nicht viel hergibt und nicht allzuviel nützt. Höchstens als Radikalstarter. Höchstens.

Die Regentropfen beginnen gerade mit ihrer Blechmusik, und hören gleich wieder damit auf, als ich das erzählt habe. Na geh! Wer wird denn gleich so empfindlich sein?!

Nein, anstrengen will ich mich nicht mehr. Nur mehr schlafen, essen, lesen. (Das Internet lasse ich jetzt weg, das paßt nicht so recht zur suggerierten Idylle – also nicht darauf reinfallen, liebe Leserin, lieber Leser!)









(20./21.11.2017)














©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 19. November 2017

824 Aus der Bahn! Aus der Bahn!

„Aus der Bahn! Aus der Bahn! Hinten hängt der Teufel dran!“ So haben wir als Kinder gerufen, wenn wir im Winter mit dem Schlitten den kleinen verschneiten Hügel – tief, gering verschneit, eisig, fast aper – hinunterfahren und vorher noch die Schlittenheraufzieher aus der Bahn scheuchen wollten. Hügel ist eigentlich zu viel gesagt, ein kleines Hügelchen und dann eine leicht abschüssige Wiese. Aber wo bin ich denn?, frage ich mich, aus dem Mittagsschlaf aufgeschreckt, und weiß es eine Sekunde lang nicht und auch nicht, ob jetzt schon Winter ist.
In welcher Mission war ich unterwegs? Ich weiß es nicht. Mein Körper ist ausgekühlt und mein Herz wirkt erschöpft. Wieder mischt sich wer von außen von der Traumseite her in meine Schreiberei. Nein! Mein Geschreibsel gehört mir!

Oder doch nicht? Spricht da tatsächlich eine kosmische Kraft – da gibt es ja auch recht verschiedene – durch mich? Und? Tut sie sich schwer mit meinen subjektivistischen Widerständen? Oder meiner seelischen Tumbheit, Verkorkstheit? Oder spielt sie geschickt darauf? Oder darf ich so nebenbei mein Gejammere loswerden, als Kollateralgewinn? Ist das der Deal?

Jedenfalls ist es jetzt ganz still hier und das tut meiner Seele gut und ist sehr angenehm. Und weil mir kalt ist, werde ich bald unter die Decke schlüpfen und lesen oder einen zweiten Mittagsschlafdurchgang anhängen.

Mein Gott! „Aus der Bahn!“ … und als dieses kleine, ängstliche Nichts, das ich war, mit dem Teufel drohen! Und dieser holprige Vers – Bahn – langes a – dran – kurzes a – durch unzählige Wiederholungen selbstverständlich gemacht, daß es fast schon normal klingt. Fast!

„Zweimal! Einmal fast und einmal gar nicht!“ - das war auch noch so ein Spruch. „Als ich noch versuchte, ein Angeber zu sein“, so könnte das Ganze da auch heißen.










(19.11.2017)











©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

823 Runter mit der Dornenkrone!

Ich habe nicht mehr die Kraft, so zu tun, als wäre alles normal. Nichts ist normal.

Ich sollte wieder Castaneda lesen. Das Castanedalesen hat immer bewirkt, daß das Negative von mir abgefallen ist, meine Seele aufgeatmet und sich neu ausgerichtet hat und eine neue, aber ganz nüchterne und unverlogene Zuversicht eingezogen ist.

Draußen geht der Wind. Es ist fünf Uhr am Morgen. Ich bin wie betäubt, wie vor den Kopf gestoßen. Meine Sirenen surren wild drauflos. Ein Flugzeug heult vorbei. Mein Herz ist verkrampft, ich fühle mich ganz fremd. Dann verliere ich den Faden. Das Wort „erloschen“ fällt mir ein. Ein „erloschener Vulkan“ - . Gut, das wäre ich gern, aber ich war nie ein Vulkan. Eine lächerliche Zuschreibung.

Ich kriege das, was mich quält, nicht wirklich zu fassen.
Falsch! Es ist bloß zu banal.
Falsch! Ich habe es wirklich noch nicht richtig verstanden.
So, das lasse ich jetzt, sonst drehe ich mich im Kreis.

Es gibt nichts zu beurteilen und nichts zu bewerten. Schau, …
Laß es gut sein! Laß es einfach gut sein.


Weißt was? Schreib etwas Lustiges! Erzähle eine deiner vielen Niederlagen, damit sie was zu lachen haben. Komm! Sei nicht so!


Und: Runter mit der Dornenkrone! Oder willst du wie deine Mutter enden?










(19.11.2017)











©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

822 Huuuuhuu

In mir arbeitet etwas, das ich gut kenne, aber wenn es aus mir herausbricht, ist es mir fremd und erschreckt mich.
Und umgekehrt: In mir arbeitet etwas, das mir fremd ist, und wenn es aus mir herausbricht, ist es der alte Scheiß, den ich schon zur Genüge kenne. Aber die Heftigkeit, mit der er ausbricht, erschreckt mich doch.
Ich höre dann nicht mehr auf, bis alles niedergerissen zu sein droht. Ja, ja, dieser holprige Satz ist genau passend.

Ich weiß, ich bin unglücklich. Mein Leben habe ich mir verpfuscht – Ach! Es wurde mir schon auch übel mitgespielt! So tapfer und stark bin ich nicht, daß ich alles auf mich nehmen muß. Wofür auch? Um die anderen zu entlasten? Nein! Nein! Nein! Du trag' deine eigene Last selber! Und du auch! Und du! Du erst recht! Und von dem da will ich erst gar nicht reden!

Also: mein Leben ist in der Sackgasse und momentan schaffe ich es nicht zum 23.314sten Anlauf, das zu ändern. Ich kann mich einfach nicht aufraffen, nochmals einen Anlauf zu nehmen.
Jeden Tag habe ich es vor mir, wie ich diesen neuen Anlauf mache. Aber am Abend lege ich mich ins Bett und habe den Neuen Anlauf nicht gemacht. „Vielleicht schaffe ich es morgen“, denke ich. Aber wenn das Morgen das Heute ist, schaffe ich es nicht.

Ich kann mir schon die ersten Schritte des neuen Anlaufs vorstellen – die kenne ich – aber ich glaube nicht mehr, daß das irgendwohin führt. Ich habe den Glauben verloren. Und die Hoffnung. Von der Liebe wollen wir gar nicht reden.

Das Gefühl, daß alles zu spät ist und vergeblich. Ich weiß, mit solchen Aussagen mache ich mich lächerlich, aber mir ist zum Heulen.

Na gut, heul'! Ja, heul' einmal!
Es geht gegen Mitternacht, da kann ich nicht wie ein Wolf heulen! Das geht nicht! Da bin ich zu gut erzogen (hahaha).
Ich versuche es leise. …. Huuuuhuu ... Naja, ein fauler Kompromiss.
Ich versuche es nocheinmal, leise. Huuuuhuuuuhuuoa.

Ich könnte mich auch zum Schlafen hinlegen und dann eine WolfsgeheulCD abspielen. Vielleicht verschafft das meiner gequälten Seele Erleichterung.





(18.11.2017)










©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 17. November 2017

821 Eine gerade Linie vertikal und eine gerade Linie horizontal

Kalt ist es hier.
In meiner typischen Schreibhaltung, die ihr alle schon kennt, warte ich auf Eingebung und versuche mich gut zugedeckt warm zu halten.
Wie so oft schlafe ich dabei zu - sagen wir – neunzig Prozent ein und kann dann die vorbeisausenden Bilder und Gedanken vom Schlaf gelähmt nicht aufschreiben.

Ich bekomme am Rande meines nach innen gerichteten Wahrnehmungsfeldes mit, daß meine Tochter zur Schule aufbricht. In die Alltagswelt rauf schaffe ich es jetzt nicht und somit auch nicht so weit in meinen physischen Körper hinein, daß ich ihr einen Abschiedsgruß oder einen Schönen Tag nachrufen kann oder einen Segen hinterherschicken. Mein physischer Körper bleibt unbewegt, mein Mund verschlossen und meine rechte Hand hält mit Mühe den Schreibgriffel und die linke das Notizbuch. Aber mein Traumkörper schafft es, seinen rechten Arm zu heben und das uralte Segenszeichen – eine gerade Linie vertikal von oben nach unten und in der Mitte dieser vertikalen Linie im rechten Winkel eine horizontale Linie von links, wo das Herz ist, nach rechts zu ziehen. Diachron und synchron. Also von unseren Vorfahren her bis zu unsere Nachkommen hin, segnend auf die Zukunft ausgreifend, von der Unendlichkeit, aus der wir kommen, bis zur Unendlichkeit, in die wir verschwinden werden. Und die Verbindung von Himmel und Erde; von dem, was sie, die Erde und uns, ihre Kinder „von oben her“ hält zu dem, was sie (?) und uns von unten her trägt. Und die horizontale Verbindung mit allem hier und jetzt auf der Welt, den Mitmenschen und Mitlebewesen, den Steinen, dem Wasser, dem Lebewesen Erde selbst und so weiter.

Erst nach einigem Gestrampel gelingt es mir dann, richtig hier in dieser Welt aufzutauchen. Ja, denke ich mir, heute habe ich mehr Texte als sonst zu bearbeiten und fertig zu machen (Isch mach disch fertig, Text!) und besonders der eine scheint mir recht schwer; da werde ich viel daran herumtüfteln müssen. Ich werde gleich nach einem soliden Frühstück – schaumamal, ob ich's schon vertrage – mit meiner Schreibarbeit am Computer beginnen.









(17.11.2017)













©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

820 Die Katze meditiert

Die Katze meditiert gegen die Fußwand des Bettgestells hin, indem sie aus einem Zentimeter Entfernung auf diese Holzwand starrt. Ich schaue zum erstenmal in meinem Leben bewußt und mit voller Absicht auf den Schatten einer Katze. Vielleicht war sie während ihrer Meditation auch eingeschlafen, aber ihren Kopf hat sie dabei aufrecht gehalten. Das nur zur Einleitung.

Ich freue mich jedesmal auf das morgendliche oder nächtliche Schreiben, gleich nach dem Aufwachen oder vorm Einschlafen, entweder – wie jetzt – gleich nachdem ich mich ins Bett gelegt habe, oder kurz bevor ich das Licht abdrehe. Ich freue mich und bin neugierig, was kommt.


Zuerst kommt eine kleine Ergänzung zum vorigen Text (Nr. 819) vom heutigen Nachmittag, der spontan aus einer Lektüre entstanden ist.

Dann … ja, wirklich, es taucht ein schüchternes Glücksgefühl auf; eines mehr von der universellen Sorte, mit Kosmos und so und Unendlichkeit.

Dann lache ich innerlich über meinen schnoddrigen Ton bei dieser Beschreibung des Glücksgefühls („Ironie ist ein Idealismus, der sich nicht traut.“ Romano Guardini).

Dann spüre ich – weil ich meine Aufmerksamkeit darauf hingewendet habe – mein ständig schmerzendes Kreuz. Ansonsten bleibt es  - ausgeblendet - so an der Wahrnehmungsgrenze. Das geht natürlich nur in einer guten Phase, wenn der ständige Schmerz nur ganz leicht ist.

Dann taucht der Impuls auf, den Tag jetzt bald abzuschließen - vorher noch ein wenig zu lesen, auf das ich mich schon freue.

Also ich finde, daß ich den heutigen Tag gut zusammenräume (schon mit dem Krankenstand im Rücken, der mir Erleichterung und - was die Tagesleistung betrifft - Nachsicht gewährt). Nein, nein – ich räume ihn gut zusammen; langsam, bewußt, friedlich.

Genauso – langsam, bewußt, friedlich – gleite ich in eine angenehme und als rechtschaffen empfundene Müdigkeit.







(16.11.2017)










©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

819 Mir geht es genauso wie Henischs Vater

Vor kurzem habe ich in einem Buch eine Stelle gelesen, wo ein Sohn seinen Vater als sentimental bezeichnet und als Beispiel anführt, daß der Vater beim Betrachten eines Films – zu einer Zeit, als man Jesus Christus im Film noch nicht aus der Nähe zeigen konnte oder wollte – an einer Passage, bei der man Jesus am Horizont - also in der Ferne - vorübergehen sah, geweint hat. (Peter Henisch; Die kleine Figur meines Vaters; – übrigens und nebenbei: auch seine Geschichte ist ein Beleg für die Richtigkeit W. Döbereiners „Peter-Theorie“: Peter heißen die Söhne, wenn die Mutter eigentlich einen anderen heiraten wollte und ihr Sohn Peter sie als Stellvertreter an den eigentlichen Geliebten erinnern soll und sie ihn damit von vornherein gegen den Vater stellt.)

Mir geht es aber genauso wie Henischs Vater. Mir steigen schon die Tränen in die Augen, wenn ich diese Geschichte vom Film lese. Auch ich hege mir gegenüber den Verdacht, daß ich sentimental bin, denn gerade bei Filmen, oder auch bei Musik, aber überhaupt bin ich ganz nah am Wasser gebaut. Wenn ich in einer Messe sitze – was ich seit Jahren nicht mehr mache – muß ich mich immer sehr zusammenreißen, daß ich beim „Herr, erbarme dich unser“ oder beim „Oh Herr, ich bin nicht würdig ... aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“ nicht losheule. Oder früher, als die Kinder noch klein waren, und ich ihnen zu Weihnachten die Geschichte vom Mooswaberl aus Peter ((!) - auch bei ihm dasselbe Peterszenario) Roseggers Kindheitserzählungen vorgelesen habe, da haben sie schon immer gelacht, wenn ich an die Stelle gekommen bin, an der ich immer so heftig weinen mußte, daß ich nicht weiterlesen konnte.

Und das wird immer stärker.

Was ist Sentimentalität? Jedenfalls war ich in den Siebzigerjahren sehr damit beschäftigt, in mir diese Sentimentalität niederzuringen – aber vom Intellekt her. Ich habe sie mir verboten. Sentimentalität, das wären die falschen und unechten Gefühle, vergleichbar mit dem Kitsch, der Unechtes zu behübschen versucht und nicht merkt, wie häßlich er dabei ist.

Aber ist alles, was vom Intellekt her als sentimental bezeichnet wird, wirklich immer sentimental? Indem wir uns intellektuell zu „neutralisieren“ versuchen, denunzieren wir da vor unserem strengen inneren Gerichtshof nicht auch unsere echten Gefühle und zerstören sie? Und landen wir damit nicht erst recht in der Lebenslüge und werden damit erst recht anfällig für die falschen Gefühle, weil wir unsere echten abgeschnitten haben? Und stecken in den falschen Gefühlen – so verdreht und verlogen sie sein mögen – nicht irgendwo ganz tief unten die echten? Und sollten die nicht besser aus ihrer Verdrehtheit erlöst, denn abgeschnitten werden?

Ich weiß nicht, um welchen Film es sich in Peter Henischs Erzählung handelt – ganz vage und ganz hinten im Hinterkopf könnte eine Erinnerung sein, daß ich den auch gesehen habe – aber wie auch immer: diese Tränen des Walter Henisch verstehe ich gut und ich kann sie nachfühlen: da geht er, dem es gelungen ist, sein physisches und sein – wie nenne ich das? - transzendentales Wesen zu vereinen, die Ganzheit des Selbst zu leben. Er kann es einem zeigen, wie es geht und uns dadurch helfen, uns aus Lebenslüge und Elend zu befreien. Das ist die Chance meines Lebens! Ich bräuchte ihm nur nachgehen, aber was mache ich? Ich bin berührt, aber lasse ihn vorübergehen. Ich bleibe auf Distanz. (für Tolteken: da ist mein Kubikzentimeter Möglichkeit, die Chance, mich mit dem Nagual zu verbinden und die andere Wirklichkeit zu erreichen, aber ich ergreife diese Möglichkeit nicht.) (Zur Erklärung: ich spiritualisiere zweisprachig!) Nein, das sind nicht einfach falsche Tränen! Diese Tränen sind auch echt! (Ja, ich weiß schon!: „Hüte dich vor denen, die bei ihren Einsichten weinen, denn die haben nichts begriffen!“ aus C. Castaneda. Dennoch: an dieser Stelle wäre ein Neustart möglich.)

Oder einfach so! Da geht einer vorbei, der seine Ganzheit lebt, und das kann ich spüren und das erschüttert mich, weil meine tiefste, wahrhaftigste Sehnsucht angesprochen wird, die nach der Verbindung mit der Unendlichkeit. Auch wenn mit dem Weinen noch kein Schritt in diese Richtung getan wurde, so kann es zutreffen, daß man dabei mit seinem tiefsten Schichten der Seele in Verbindung kommt.

Also anders gesagt: ich finde nichts mehr dabei, wenn ich bei einer solchen Filmszene weine, oder bei der Mooswaberlgeschichte oder bei einem Gottesdienst oder bei Musik oder bei was auch immer. (Gilt das auch für „Ich hatt' einen Kameraden ...“, wo ich auch bei meinem Vater Tränen in den Augen gesehen habe? Hm?!? Im Kameradschaftsbundkontext? Hm?!?)

Es ist, was es ist, nicht mehr und nicht weniger. Und wenn es falsche Gefühle waren, dann kann sich das ja eh auch noch später herausstellen.












(16./17.11.2017)
















©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 16. November 2017

818 Das eine oder andere

In körperlicher Schwäche aufgewacht. Das heißt auch, es macht sich meine auferlegte Schonkost bemerkbar, das verordnete Fasten wirkt sich schon aus. Ich sollte schauen, ob es wieder möglich ist, allmählich auf Normalkost umzusteigen, ob sie mein geschwächter, aber vielleicht schon halb gesundeter Körper wieder verträgt.

Warum ich das erzähle? Ich kann nicht mehr anders; kaum bin ich aufgewacht, greife ich zum Schreibzeug. (Natürlich: in Wirklichkeit kann man immer anders. Aber die Schreibsucht will ich nicht bekämpfen; die ist mir schon recht.)

Ach ja, ich muß schreiben, damit ich mich spüren und empfinden traue. Es geht fast nur auf diesem Umweg. (Und ich bin mir bewußt, daß man sich dabei auch das eine oder andere einhandeln kann.)









(16.11.2017)












©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

817 Sie beginnt ein wenig zu lächeln

Viel schwere Trauer ist in mir und gerade spüre ich sie schmerzhaft. Ich muß mich jetzt entscheiden, ob ich darüber schreiben will oder nicht. Die Entscheidung kann auch in zehn Minuten fallen oder in einer halben Stunde.

Ich will die Trauer gerne ausdrücken, aber nicht erklären, nichteinmal erzählen, was sie ausgelöst hat (nur ein kleines Alltagsproblem mit einem Nachbarn). (Es gibt keine „nur kleinen“ … Was-Auch-Immer. Im Kleinen zeigt sich das Ganze – und das kann weh tun, was sich da zeigt.)

Ich fühle mich für diese Welt überhaupt nicht stark genug. Überhaupt nicht! Das tut so weh!

Es fällt mir ganz schwer, mich zu beruhigen. Ganz verstört bin ich.

Einzelne kleine Elemente einer schönen, traurigen Musik bewegen sich in sanftem Auf und Ab durch meine inneren Räume und trösten meine verletzte Seele. Ja, diese innig klingenden Wellenbewegungen helfen. (Man möchte ja glauben, daß alle irdischen Geschehnisse wie die Musik und die Bewegungen der Planeten und des ganzen Universums in einer höheren Harmonie ablaufen, daß sie von sinnvollen, nicht sinnlosen Gesetzen getragen sind.)

Ja, diese Musik hilft. Alles nur ganz schlicht, was ich da innen höre, keine großen Symphonien, sondern Songs. Bruchstücke von ein wenig zerbrochenen Liedern, von einer weichen, schönen, aber angsterfahrenen männlichen Stimme gesungen, und die begleitenden oder eingeschobenen Gitarrenriffs oder Bruchstücke der tragenden Gitarren- oder Baßmelodien. (Momentan finde ich Gitarren ganz angemessen dafür.)

Langsam beginne ich, mich wieder aushalten zu können. Das ändert nichts an der Trauer – die ist nicht eingebildet, sondern gehört zu mir – aber sie wird heller; vielleicht kann ich sagen: sie beginnt ein wenig zu lächeln.









(15./16.11.2017)











©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 14. November 2017

816 Morrissey

Mit einem Hustenanfall aus kompaktem Schlaf aufgewacht, vom Fieber in fette Traum- und Schlafphasen versunken gewesen, schaue ich mich um und bin erstaunlich realistisch. Ganz nüchtern. Die Fiebertrance kommt erst gegen Abend wieder, wenn die Dämmerung beginnt.
Ich kann es spüren, wie die ganze Nacht mein Körper an seiner Erholung gearbeitet hat.

Meine liebende Frau hat mir vorher noch - weil sie mich husten gehört hat – Ingwer-Zitrone-Tee heraufgebracht. Ich war noch zu langsam um angemessen zu reagieren. Ich werde hinunter gehen, mich bedanken und erzählen, daß Morrissey den gleichen Geburtstag hat - so als kleine Gegengabe.

Für die Katze scheint mein Krank-Sein ein Segen zu sein; jedenfalls nützt sie es aus, daß sie mich immer erreichen kann, um sich Steicheleinheiten zu holen.

Mein Geist schweift in die Vergangenheit ab und die Szenen, die er dort sieht, sind nicht erfreulich; sie zeigen mich kleinlich, ängstlich, neidisch.

Eine halbe Minute lang können meine Augen die Zeile, die ich gerade schreibe, beleuchten, sodaß sie heller ist als ihre Umgebung. Fiebergelockert kommen sie auf solche Einfälle und zeigen Fähigkeiten, die sie vor mir ansonsten verbergen.

Meine Nüchternheit und mein Realitätssinn bringen mich dazu, das Radio aufzudrehen, bevor ich – vom Schreiben und Katzenstreicheln und Wachsein und Realistisch-Sein schon wieder so erschöpft – nochmals einschlafe.
Die Erlaubnis zum Sich-Gehen-Lassen (wohin?) erlaubt mir auch, mich vom Radio künstlich aufmuntern zu lassen.

Geht’s noch? (Mister Morrissey, excue me to – ähh, ähh ... using your name … äh ...)









(14.11.2017)












©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

815 Mir ist schlecht!

Mir ist schlecht! Jetzt bin ich richtig krank. Entgegen meinen strikten Gewohnheiten habe ich das (obwohl innen spreche ich „den“) Radio laufen ohne richtig zuzuhören. Ausnahmezustand Kranksein. Mit Lizenz zum sich-Gehen-Lassen (wohin?). Meine Konzentrationsfähigkeit ist sowieso eingeschränkt, also könnte ich genausogut abdrehen. Schöne Barockmusik wird gespielt, die Vögel zwitschern in Sopran und Blockflöte. So wirklich jedoch kommt das alles nicht an mich heran.

Umbau, der Quarantäne erfordert, der einen Verpuppungszustand braucht, ohne von äußeren Eindrücken gestört zu werden. Hoffentlich komme ich da als schöner Schmetterling heraus! (Und vielleicht schafft er es dann über die Alpen zu fliegen.)

Das Manierierte und das Virtuose. Im Barock ist es gerade noch schön, später wird es unerträglich, wenn es sich endgültig herausgelöst und verselbständigt hat. Ich gehöre woanders hin. Ich habe anscheinend nichts mit Hochkultur zu tun (ich stamme auch nicht von dort), das Überfeinerte ist mir suspekt. (Das Gegenteil auch!) (Nieder mit dem Rustikalen!) (Das ist auch manieriert.)

(Die Lizenz zum Sich-Gehen-Lassen bezieht sich auch auf das Schreiben.)










(13.11.2017)













©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

814 Eleonore Berger

Geschüttelt vom Schüttelfrost - so, daß ich kaum schreiben kann – das Geschriebene wird kaum mehr zu derlesen sein – bekenne ich, daß ich so wie Eleonore Berger schreiben können möchte. Sie ist eine der besten SchriftstellerInnen! Das sage ich nicht im Fieberwahn! Denn ich habe kein Fieber! Nur Schüttelfrost. Mich reißt's. Meine Frau lacht (als ich das bisher Geschriebene vorlese und beim Weiterschreiben dann den Stift kaum halten kann und unleserliche, zittrige Zeichen und Zeichenkonglomerate auf dem Papier produziere). Ich messe nochmals fieber. Ich bin krank und kann es nicht beweisen. Ist dieses Zittern das Anfangsstadium von Demenz, Alzheimer, Parkinson? Sucht es euch aus.
Jetzt geht es besser, das Zittern ist nur mehr innen. Fast nur mehr innen.

Meine Kulthandlung heute am Sonntag war das Anhören des ganzen Slane-Castle-Konzerts von RHCP. Zum drittenmal seit gestern.

Essen mag ich nichts, dabei habe ich heute soviel gekocht, aber wir sind alle angeschlagen.

Ich habe mich heute ins Bett gelegt. Warum habe ich mich heute ins Bett gelegt? Um es wärmer zu haben. Im Bett habe ich es wärmer.

In irgendwelchen zufälligen Mustern der zufällig zusammen liegenden und an der Wand hängenden Blättern sehe ich ein Babygesicht. Ich schaue aufs Papier um zu schreiben. Ich schaue wieder zur Wand – das Babygesicht ist weg. Das erinnert mich an die Fieberwahnvorstellungen meiner Kindheit, wo aus den Mustern der Vorhänge, der Schrunden an der Wand, des Lichtflecks im gewellten Glas der Zimmertür alle möglichen Gestalten gestiegen sind.
Weit habe ich es gebracht, daß ich es nicht mehr schaffe, ordentlich krank zu sein, mit richtigem Fieber. Mein Körper wehrt sich nicht mehr gegen die Krankheit. Er will nicht mehr. Er gibt auf. So fühle ich mich auch.

Ich muß mich nicht mehr zwingen, die Schreibhand ruhig zu halten. Eigentlich (!) wäre die linke Hand meine Schreibhand. Ich bin ein Linker (linkisch, link …), auf rechts umgezwungen. Ich glaube nicht, daß ich damals eine reele Chance gehabt habe, mich erfolgreich zu wehren und durchzusetzen. Aber wer weiß! Fieber hatte ich ja noch.

Oh! Jetzt 37,7! (Ab 38,5 habe ich früher phantasiert). Ein bißerl wehrt er sich doch, der alte Körper.

Ach! (Wegwerfende Geste der rechten Hand.)

(Entschuldigen Sie, Frau Eleonore Berger (deren Vorname in manchen Ausgabe mit e, bei anderen mit a endet), daß ich ihren werten Namen als Überschrift für so einen elenden Text mißbrauche.)




(12.10.2017)






©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 12. November 2017

813 Wenn ich nicht schon zu spät bin

Ich meditiere vor dem leeren Blatt mit dem Griffel in der Hand. Wie immer am Morgen im Bett hockend mit der Lizenz zum Schreiben. Es schwirren jedoch zuviele Gedanken und Sorgen im Kopf (oder im Herzen?) herum, als daß ich wirklich ruhig werden könnte. Permanent springt mein Geist vom einen zum andern und verweilt nirgends und kommt nicht zur Ruhe. In der Brust kratzt der Husten innen an den Lungenflügeln, bricht aus, aber verläßt seinen Unterschlupf nicht.

Es wäre für meine LeserInnen bestimmt ganz nett, würde ich mehr und deutlicher schreiben, aber ich bin von Müdigkeit gelähmt. Es sind keine Traumfetzen, die mich heute niederhalten, sondern … sondern was? Ich bin im richtigen Wachzustand, aber sehr … irgendwie angeschlagen.

Es ist Sonntag, aber mehr kann ich dazu auch nicht sagen. Ich denke an früher, als ich noch die Messe besucht habe und an das Euphoriegefühl dabei und nachher. War es jedesmal da? Idealisiere ich es im Nachhinein?

Egal, ich werde aufstehen und meiner Frau bei der Frühstückszubereitung helfen, wenn ich nicht schon zu spät bin.










(12.11.2017)










©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 10. November 2017

812 36,4 Grad

Es fühlt sich an, als hätte ich Fieber, das Thermometer zeigt aber bloß 36,4 Grad an. Die Surrerei läuft auf Hochtouren im Modus des Alarms. Ich finde mich weggetretener als sonst am Morgen nach dem Aufwachen.
Mein Husten unterbricht immer wieder und rücksichtslos die schrille Stille. Wie gesagt, die Ohren schreien wie nach einem stundenlangen Popkonzert. Wo war ich denn in der Nacht? Ich erinnere mich vage an einen therapeutischen Workshop. Zertanzte Schuhe finde ich nicht und von einem Popkonzert gibt es keine Erinnerungssplitter.
Der Blick der zwei Visionäre da vorne an der Regalwand ist heute mindestens so schrill wie mein Gesurre. Von wo her starren die mich denn an? Sie blicken jedenfalls von irgendwo außen in diese Welt hier.

Mein trockener, bellender Husten übersteuert immer und immer wieder meine Stimmungssensoren und ich muß warten, bis das System wieder auf Normalbetrieb absinkt.

Mir fällt im Zimmer hier das eine oder andere auf, das mir aber zu mühsam ist zu beschreiben. Zum Beispiel, daß die ausgeschaltete lampenschirmlose Deckenlampe so vorm Schwimmbeckenbild hängt, daß ihre Farben mit denen im Bild übereinstimmen: die weiße Glühbirne hängt vorm hellen Weiß des Schwimmbeckens; über diesem ein dunkler gelblich-grünlicher Farbton, der mit dem der metallenen Fassung davor ausgesprochen kompatibel ist; und dann darüber der gelblich-weiße Farbfleck der offenen Garage, der im Farbton gut mit dem letzten oberen Keramikstück der Lampenfassung übereinstimmt, die direkt vor diesem Farbfleck schwebt.

So, jetzt habe ich mich in die Morgenrealität geschrieben und stehe auf.

Nur das noch: eine Motte fliegt herum und ich kann in ihrer Herumfliegerei absolut keinen Sinn erkennen. Warum zum Beispiel setzt sie sich kurz auf den metallenen Fuß eines Sessels, während sich auf diesem Sessel ein ganzer Berg von Gewand stapelt, den sie – bis jetzt, wie es ausschaut – ignoriert? Weil sie müde ist? Und noch nicht eine Sekunde später ist sie wieder fit zum Weiterfliegen?









(10.11.2017)










©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

811 Meine sexuellen Übergriffe 2

Lieber Leser, liebe Leserin: Ätsch! Vorerst keine weitere Lebensbeichte. (Material gäbe es genug.) Ich habe nämlich festgestellt, daß mein Text Nr. 808 „Meine sexuellen Übergriffe“ um ein Vielfaches öfter angeklickt wurde als die anderen Texte. Bei anderen Texten steht 0, 1, 2, manchmal 3, wenn's hochkommt 5 mal aufgerufen. Deshalb habe ich mir gedacht: ich lege meine Leser und Leserinnen mit einer irreführenden Überschrift ein wenig hinein. Ich weiß schon, „Sex sells“ wäre letztlich zu einfach, es geht ja um etwas Wichtiges. Gut, das tut es auch in meinen anderen Texten, zumindest kann man ablesen, wie solche Typen ticken, innen. Ich versteh's eh! Ich versteh's eh! Ich habe ja auch fast alles übern Pilz gelesen. Gleicher Vorname, gleiche Generation, vermutlich ähnliche spätachtundsechziger Sozialisation – vielleicht hat auch er noch irgendeinen alten Kämpfer gekannt, aus der Zeit, wo noch jede neue Genossin  - zumindest wenn sie halbwegs hübsch war – vom Obergenossen angefangen durch die ganze Truppe durchgevögelt wurde. Zu unserer Zeit war das schon eher vorbei. Also alles kein Vorwurf! Es hat mich nur gereizt, euch ein bißchen an der Nase herumzuführen, beziehungsweise euch ein bißchen tiefer in meine Schublade zu locken. (An dieser Stelle möchte ich aber einen herzlichen Dank an meine ganz treuen Leserinnen und Leser einfügen: Danke!)

Und jetzt? Jetzt bin ich müde und mir fällt nichts mehr ein. Bitte! Glaubt mir! Das war nicht geplant! Ich wollte euch nur zu meine anderen Texte hinführen, die üblichen, die weniger sexy sind. Wie etwa die vielen, die vom Einschlafen und die vom Aufwachen handeln.

Daß mir jetzt nichts einfällt, war nicht mein Vorsatz. Gut, in kann vielleicht darauf hinweisen, daß in meiner Textsammlung von 1 bis 808 einige Erzählungen über Peinlichkeiten und Sünden von mir eingestreut sind. Einschlägig interessierte Leser können schon noch etwas finden.

Aber ich wollte das nur als literarische Geruchsfalle benutzen: in der Überschrift steht etwas von Sex und Übergriff, der Leser klickt's an, liest und findet sich zum Beispiel in einem poetischen Text wieder. Schade, wirklich schade, daß mir das nicht gelingt. Die Poesie verträgt anscheinend keine Werbetricks, das wird der Grund sein, warum mir kein schöner Text einfällt. Ich bin auf der falschen Straße unterwegs, ich folge der falschen Fährte.

Gut, aber irgendetwas muß ich noch schreiben, ich will euch wenigstens ein wenig noch bei Laune halten. (Ist euch schon aufgefallen, daß ich solche Wiederholungen liebe: wenigstens – ein wenig? Das kommt sehr oft vor.) (Oder auch Wortspiele wie: per Du – perdu. Um ein bißchen aus der Werkstatt zu plaudern.) (Mein Gott, jetzt gibt er wieder an!) (Wer spricht da eigentlich?) („eigentlich“ wurde eigentlich schon abgeschafft – ich verwende es immer noch gern.) (Und daß ich meistens, aber nicht immer, die alte Rechtschreibung verwende? Beziehungsweise zu verwenden versuche? Aber manchmal alle Rechtschreibungen über Bord werfe?)

Meine Uhr geht falsch. Jetzt weiß ich nicht, wie spät es ist. Ich schätze, ungefähr ein Uhr nachts. Handy und Computer sind schon abgedreht.

Ja.    Hm.    Na!   Sagen wir, das war's dann schon.









(9./10.11.2017)











©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 8. November 2017

810 Die Umbauarbeiten

Die Umbauarbeiten in der gegenüber liegenden Wohnung sind so laut. Ich selber bin noch eingesurrt und ganz damisch und verloren hänge ich im Bett, zu sechzig Prozent aus dem Traum herausgerissen, zu vierzig Prozent noch darin verfangen. Die Zurufe und Telefonate der Arbeiter gehen mir viel zu nahe, als würden sie direkt vor meiner offenen Zimmertür reden. Gottseidank verstehe ich nichts, aber meine Insel ist bedroht. Mein seelisches Biotop wird mit der Flex bearbeitet. Zwischendurch ist es ganz still, als wäre alles normal. Umso erschreckender, wenn es wieder losgeht.
Von innen sägen und fräsen sich Schluckschmerzen und Schnupfen ins restliche, übergebliebene Inselgefühl.

Mein Gott! Was mach ich, wenn's wirklich losgeht? Wenn's richtig ernst wird? Wenn sie sich mit ihren Maschinen durch die Wohnungstür arbeiten und in Echt auf mein Inselbewußtsein losgehen? Wenn ich jetzt schon verschreckt bin, wo man doch glauben kann, sie halten sich noch an die rechtsstaatlichen Spielregeln. Ich weiche der Gewalt.


Nachdem ich mit dem Text da oben nicht recht weitergekommen bin und ihn auch als nicht wirklich gelungen empfinde – zu holprig, zu konstruiert, man merkt ihm an, daß er nicht im Schreibfluß entstanden ist – habe ich das Notizbuch weggelegt und zu lesen begonnen. Aber jetzt – das ausgelesene Buch zusammengeklappt auf den Stapel neben dem Bett gegeben - fühle ich mich ohne mein Notizbuch in der Hand nackt und ungeschützt. Mein Schreiben dient dazu, meine Blößen zu bedecken?
Ist meine Schreiberei nichts anderes, als mein letztendlich vergeblicher Abwehrkampf gegen den ständig näher heranschleichenden Tod? Der Versuch, durch Beschreiben und Erzählen Geist und Bewußtsein zusammenzuhalten und meinen Verfall zu stoppen und damit zu verlangsamen?

Jetzt liege ich da, döse vor mich hin, schreibe nicht mehr, aber klammere mich – immer weniger fest – mit der linken Hand ans Notizbuch, während ich mit der rechten irgendwie den Kugelschreiber halte, so, daß er mir gerade noch nicht aus der Hand fällt.







(8.11.2017)












©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 7. November 2017

809 Dieses mein kleines Glück

Ich warte, welche Bilder auftauchen. Aber keines paßt mir. An jedem habe ich etwas auszusetzen und ich weigere mich, es zu beschreiben oder als Ausgangspunkt zu nehmen.

Ich bin in meiner typischen Hock-Liege-Stellung im Bett, gut zugedeckt, die Beine angezogen und das Notizbuch auf den Oberschenkeln aufgelegt.

Ein Niesreflex löst ein feines Kribbeln in den Waden bis hinunter zum Sprunggelenk aus. Ah ja! Der Uranus!

Mir kommt vor, heute bleibe ich kryptisch. Ein Versteckspiel sozusagen. Ich will schreiben und nichts sagen. In meinem Kopf singen The B-52's „Al- Al- Alkohol! Al- Al- Alkohol!“ - aber Achtung! Ich habe wegen meiner schlechten Englischkenntnisse schon öfters englische Liedtexte völlig falsch gehört und verstanden. Manche Irrtümer waren extrem peinlich (Statt „wind up workin in a gas station“ irrrgendwas mit „fucking“ zum Beispiel im Jahre 1977).

Es sind dies wirklich meine schönsten und friedlichsten Stunden, wenn ich nach noch zu kurzem Schlaf aufgewacht – heute habe ich dann gleich die Blumen gegossen, nachdem ich vorher die Katzenscheiße vor meiner Tür entfernt habe – in der stillen Wohnung jetzt wieder in der Hockstellung im Bett liegend Zeit habe, wieder eindösen kann, oder lesen, schreiben …
Drei tiefe Seufzer bestätigen dieses mein kleines Glück.

Jetzt singen in mir die Red Hot Chili Peppers auf dem Slane-Castle-Konzert, also mit dem Publikum, eine Passage und wiederholen sie ständig. John Frusciante ist so schön angezogen und hat so schöne lange Haare und Flea im Tod-Kostüm.
Wieder sinke ich in meinen Dämmerzustand zurück.

Das Hineinhorchen und Hineinfühlen in meinem Körper bringt zu Tage, daß meine Muskeln um den Mund am stärksten beansprucht und fast verkrampft sind und ich denke dabei gleich an einen steckengebliebenen, säuglingshaften Saugreflex.

Jetzt spüre ich die angenehme Leere in meinem Gedärm. Und wenn ich meine Aufmerksamkeit bewußt dort hin lenke, dann spüre ich meine Fußsohlen, beim Abstützen meines schräg liegenden Körpers fest in die Matratze gedrückt, regelrecht brennen.

Körpergrenzen auflösende, pulsierende und unsichtbare Bewegungen umhüllen meinen Körper, aber immer wieder und abwechselnd meldet sich eine andere Körperstelle und zieht meine Aufmerksamkeit auf sich: die Finger, die Hüfte … dann bin ich wieder weg und schwebe in verwirrenden, extrem flüchtigen Traumbildern herum.



Und jetzt spielen Miles Davis und seine Leute ein paar Phrasen von „Time After Time“.








(7.11.2017)











©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 6. November 2017

808 Meine sexuellen Übergriffe

Ich habe mir dieser Tage gedacht, ich könnte auch etwas beitragen zur Diskussion über sexuelle Belästigungen, am einfachsten – me too – in dem ich meine eigenen erzähle.

Manche solcher Szenen kommen schon in anderen meiner Geschichten vor - alle hier auf der Schublade nachzulesen – für diesmal habe ich drei Szenen ausgewählt, an die ich mich so halbwegs gut erinnern kann.

Ich möchte jedoch zur Klarstellung eine Vorbemerkung machen: diese Szenen haben sich alle im betrunkenen Zustand abgespielt. Wenn ich das herausstreiche, heißt das nicht, daß ich das als mildernden Umstand werte. Ich bin für diese Taten verantwortlich, denn ich bin auch für mein Trinken verantwortlich. Das gilt auch für alles andere, das ich schildere und das als mildernder Umstand mißverstanden werden könnte. Für meine Handlungen bin ich verantwortlich. Und wir reden von Ereignissen, die Jahrzehnte zurückliegen.


Ich stehe in meinem Lieblingslokal schon ziemlich betrunken an der Bar. Damals bin ich so gut wie jeden Tag dort hingegangen. Im Hinterkopf immer - ob ausgesprochen oder unbewußt – die Hoffnung, etwas Tolles zu erleben. Meistens aber habe ich dort einfach Freunde oder Freundinnen getroffen und mit ihnen geredet. Es kann ja wirklich toll sein, wenn durch den langsam steigenden Rausch die Gespräche immer intensiver und leidenschaftlicher werden. Aber diesmal waren anscheinend keine Freunde da und mir war etwas fad; das Lokal war so voll, daß alle Sitzplätze und auch mein Lieblingsplatz auf der Fensterbank besetzt waren. Nikotin und Alkohol hatten schon ihre bewußtseinserweiternde und bewußtseinsverengende Wirkung entfaltet, und unterstützt von der herrlichen, lauten Musik war ich schon in eine schräge Euphorie geraten, in der einem alles egal ist und alles möglich erscheint.

Ich stehe also im Gedränge an der Bar dieses Szenelokales, wo alle irgendetwas mit Kunst zu tun hatten und man selbstverständlich per Du war. (Nachträglich betrachtet sehe ich auch etwas Verlorenes in dieser ganzen Stimmung dort.) Neben mir steht eine Frau, mit dem Rücken zu mir, und spricht mit einem Mann und schmust auch mit ihm. Ungefähr genauso betrunken wie ich. Im Gedränge – vor der Bar standen alle dicht an dicht und immer wieder drängten Leute von hinten heran und schoben sich zwischen die Barsteher, um sich ihre Getränke zu holen – waren so Berührungen unvermeidlich und wurden auch als normal angesehen.

Aber wie ich so dastehe - schon mit dem alkoholischen Tunnelblick - und durch das Gedränge immer wieder zu dieser Frau hingestoßen werde, und wie ich so sehe, wie der Mann, mit dem sie schmust, ihr über Rücken und Hintern streicht, da habe ich eine Idee, die sich schnell zu einem Impuls verfestigt: ich warte ab, bis der Mann mit seinen Händen am Rücken ist und fange meinerseits an, ihr den Hintern zu streicheln. Ich bin mir gar nicht sicher, ob sie gleich bemerkt hat, daß da jetzt ein Zweiter mitspielt – schließlich war sie auch ziemlich betrunken. Mein Eindruck war, daß sie es sich eine zeitlang einfach gefallen lassen hat – aber Eindrücke, vor allem im Rausch, können ziemlich falsch sein.

Ich bin unverschämter geworden und habe dann nicht nur ihren Hintern gestreichelt, sondern bin mit meiner Hand zwischen ihre Schenkel gefahren um dort – wie kann ich das ausdrücken? - herumzufummeln. Da dreht sie sich dann doch zu mir um und sagt – wörtlich weiß ich es nicht mehr – etwas wie „Hör jetzt auf! Es ist genug!“ Und ich antworte – an das erinnere ich mich wörtlich: „Wieso? Gefällt es dir denn nicht?“ und sie: „doch! Eigentlich schon.“ Und ich mache noch ein wenig weiter. Irgendwann reicht es ihr endgültig und ich höre auf damit. Aber nicht ohne mir ihre Telefonnummer geben zu lassen und ein Treffen irgendwann einmal auszumachen. Vereinbart war: ich rufe an.

Was mir im betrunkenen Zustand recht lustig vorgekommen und – in diesem Fall fast wörtlich – einigermaßen leicht von der Hand gegangen ist, schaut im nüchternen Zustand ganz anders aus. Aber trotzdem wollte ich diese  - wie mir ich mir eingebildet habe im beiderseitigen Einvernehmen eingegangene -  Vereinbarung anzurufen einhalten. Ich wartete ein paar Tage ab. Ich hatte große Angst anzurufen. Immer, wenn ich es versuchte, bekam ich Herzklopfen und einen trockenen Mund. Aber warum habe ich es dann nicht bleiben lassen?

Da muß ich etwas ausholen. Ich bin aufgewachsen mit dem Urteil über mich, kein richtiger Bub, später kein richtiger Bursche, kein richtiger Mann zu sein. Übrigens von Vater und Mutter. Das ist bei mir angewachsen und dieses Urteil bin ich nur sehr schwer losgeworden. So hat sich auch dieses Denkmuster festgesetzt: eigentlich sollte ich dieses und jenes, und eben als Mann eine Frau „aufreißen“ können – die Sprache ist ja oft so schön verräterisch. Ich glaubte in meiner Jugend wirklich, das wäre das Normale und es ist ein Versagen meinerseits, so schüchtern zu sein. Bei aller Verdrehtheit ist da ja auch etwas Wahres daran, denn eine gewisse Aggression gehört ja dazu, um sich im Lebenskampf behaupten zu können und da habe ich tatsächlich ein großes Manko, aber natürlich, ein souveräner Mann hat es nicht nötig und will es auch nicht, eine Frau „aufzureißen“, denn er will ihr auf Augenhöhe begegnen. Aber ich glaubte immer, ein solches erobernde Verhalten lernen zu müssen, auch wenn mein reflektierter Standpunkt damals schon differenzierter war. Der Gedanke, eine „solche Chance“ „ausnützen“ zu „müssen“ war offensichtlich immer noch da.

Also habe ich mit Herzklopfen, trockenem Mund und Zittern angerufen. Beim erstenmal hat niemand abgehoben. Beim zweiten Anruf ein paar Tage später habe ich sie erreicht und wollte das vereinbarte Treffen sozusagen „einfordern.“ (Erinnert ein bißchen an den Froschkönig, nicht wahr? Den die Prinzessin an die Wand schmeißen muß, denn in ihrem Bettchen hat er nichts verloren, solange er so unreif ist. Das nur nebenbei.) Meine Stimme hat mir fast versagt dabei und sie hat mir dann in durchaus freundlichem Ton klar gemacht, daß diese Verabredung doch im Vollrausch abgegeben wurde und sie kein Interesse an einem Treffen hat. Ich habe das sofort akzeptiert, und ob ich mich entschuldigt habe, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls habe ich aufgelegt und nie mehr angerufen.

Und ich war erleichtert. Ein großer Stress und eine große Last ist von mir abgefallen, denn den Macho spielen zu müssen oder zu wollen oder glauben, zu müssen oder zu wollen, hat mich immer überfordert. Und nie funktioniert, wie man oder frau auch an dieser Geschichte ablesen kann. Ich bin das im Tiefsten einfach nicht, auch wenn viele Versatzstücke dieses Rollenmodells in meiner Seele und meinem Denken – von außen implantiert – herumschwimmen oder gar angewachsen sind - das ist eine fremde Installation. Ich war über ihre Absage – wie immer in vergleichbaren Situationen – richtiggehend erleichtert.


Es ist in den selben Jahren, aber dürfte etwas später gewesen sein, daß ich bei einem Freund auf ein Fest eingeladen war. Wenn ich die Feste nicht verwechsle, dann könnte es sich zu Weihnachten abgespielt haben. Da kann ich mich aber irren.
Ich war damals in regem Kontakt mit der jungen Tiroler Künstlercommunity in Wien. Wo ich immer spöttisch gesagt habe, die kommen alle als angehende Kunststudenten oder Künstler und Musiker am Westbahnhof an, gehen in die Bluebox, wo sie auf Landsleute treffen und bei denen oder deren WGs sie vorübergehend unterschlupfen und sich dann auch im siebenten Bezirk ansiedeln.

Feste mit meiner Beteiligung – da war schon klar, daß da ausreichend Wodka eingekauft werden mußte. Meistens ist dann in Wirklichkeit eh alles sehr schnell gegangen – viel habe ich nie vertragen – mein Ziel war der Zustand der Betrunkenheit.
So war es auch bei diesem Fest. Und wenn ich schon in diesem Zustand aus Euphorie, Gleichgültigkeit und sozusagen existentialistischer Melancholie war, da hat es mich oft gereizt, einen Vorfall zu inszenieren, gerne dann mit sexuellen Übergriffen.

Auf dem Fest war auch ein junges Tiroler Paar. Und das wußte ich, diese jungen Tiroler Männer, meistens Punk & Co nahestehend, waren keine Weicheier wie ich; die konnten sich schon behaupten und hatten durchaus auch rustikale Reflexe.

Und dennoch: es hat mich gereizt. Und so habe ich der jungen Frau, als sie an mir vorbei ging, auf den Hintern gegriffen. Für mich war das eher eine Auseinandersetzung mit der mir eingepflanzten, aber nie erfüllten Machorolle – die Frau als Person war gar nicht in meinem Fokus – sie war nur eine Figur im Spiel meiner inneren Widersprüche - was als solches schon eine üble Sache ist – und das ganze eher ein Versuch, mein Scheitern und die sich daraus ergebenden Absurditäten zu „feiern“ („ist der Ruf einmal ruiniert, lebt sich's völlig ungeniert“). Was alles keine Ausrede ist!

Jedenfalls tue ich das alles  im Gefühl einer euphorischen Absurdität, im vollen Bewußtsein, daß mich das dieser Frau nicht näher bringen wird, im Gegenteil, daß sie sich – zu recht – empören wird und ich mir Schwierigkeiten einhandeln werde.
Sie sagt es ihrem Freund und der, wie zu erwarten war, kommt auf mich zu und schlägt mich nieder. Ich habe mich überhaupt nicht gewehrt – das war auch gar nicht vorgesehen – sondern ich bin am Boden gelegen und habe gelacht. Ich mußte einfach lachen. Mir ist vorgekommen, daß er durch meinen Lachanfall Hemmungen bekommen hat, weiter zuzuschlagen; jedenfalls hat er nach ein paar Schlägen aufgehört.  Muß ich das herschreiben, daß diese meine Aktion nicht nur etwas Pubertäres, sondern regelrecht etwas Kindisches hatte, auch indem ich mich gar nicht zu wehren versuchte? Oder kann das als absurdes Theater durchgehen? Ich glaube nicht. (Damit meine ich nicht meinen Übergriff – da ist die Sache klar, sondern mein Verhalten dem jungen Mann gegenüber.)


Vernissagen eigener Ausstellungen waren für mich immer Anlass großer alkoholischer Gefährdung. Denn die größere Angst ist nicht die vorm Versagen, sondern – bei mir und vielen anderen – die vorm Erfolg. Es wird keine Vernissage gegeben haben, die ich nicht bloß betrunken überstanden habe.

So auch bei dieser - aber schon Jahre später. Ich war inzwischen verheiratet und Vater zweier Kinder und hatte meine künstlerische Tätigkeit eigentlich schon endgültig aufgegeben. Auch die Zeit des permanenten Trinkens war vorbei. Es konnte schon vorkommen, daß ich auf einem Fest oder bei einem Treffen mit  Freunden etwas beschwipst war, aber der torkelnde Idiot war nicht mehr unterwegs. Mein Alkoholkonsum hielt sich im Rahmen - ich vermute, er war geringer als der österreichische Durchschnitt. Überhaupt ging ich nur mehr selten aus, und zu Hause trinken habe ich nie gebraucht.
Da wurde ich eben zu einer Gemeinschaftsausstellung eingeladen und öfters zu den vorbereitenden Besprechungen gerufen, die aber gerne einen gemütlichen Symposionscharakter - im wörtlichen Sinn - bekamen. Mir viel auf, daß ich wieder sehr schnell und etwas zu viel trank für mein Fassungsvermögen, merkte dennoch nicht, daß ich allmählich in die alten Gewohnheiten rutschte. Aber noch war alles lustig und ohne Exzess.
Dann kam die Vernissage. Ich hatte schon während der Eröffnung der Ausstellung in der Galerie zu trinken begonnen. Veranstalter, Künstler und Gäste trafen sich dann zu einer Nachfeier in einem Lokal. Jetzt war ich schon voll. Schon hatte ich ein Gesichtsfeld, das an den Rändern dunkel, grau und verschwommen wurde, und somit schon den typischen alkoholischen Tunnelblick. Viele Künstler, befreundete und unbekannte, viele Kunstinteressierte waren anwesend. Unter anderem auch eine Frau aus dem Management eines Konzerns. Wie wir ins Gespräch kamen, weiß ich nicht mehr, wahrscheinlich vermittelt durch einen befreundeten Künstler. Seine mir unbekannte Freundin stand auch dabei. Was und wie lang wir geredet haben, weiß ich auch nicht mehr. Jedenfalls wurde ich immer betrunkener und betrunkener, bis ich dann – in diesem Zustand fast schon unvermeidlich, denn schließlich holt der Alkohol - im Gegensatz zu manchen anderen Drogen – sehr oft das Primitivste und Niedrigste in einem hervor – bis ich dann also diese Frau zu belästigen begann.

Wieweit auch körperlich und handgreiflich kann ich mich nicht erinnern – ich glaube nicht, aber möglich ist es schon, ich weiß es einfach nicht sicher – auf jeden Fall aber verbal. Ungefähr so: ob sie sich mir nicht einmal als Aktmodell zur Verfügung stellen würde, ich möchte sie so gern einmal nackt sehen. So in dieser Tonart.

Es ist wichtig, festzuhalten, daß ich mich dieser Frau gegenüber als sozial tiefer stehend empfunden habe und wenn man die üblichen sozialen Parameter anlegt, dann war dem auch so. Die Kunst scheint eine Kompensation gewesen zu sein, um sich einbilden zu können, als soziales Nichts doch irgendwie reussieren und sich an eine gesellschaftlich höher stehende Frau heranmachen zu dürfen; sozusagen - ein letztes Mal - mit künstlerischem oder pseudokünstlerischem Rückenwind in derselben Liga zu spielen.

Ich weiß schon noch, daß mir im Rausch auch bewußt war, daß das zu nichts führen wird, und wieder dieses Absurditätsgefühl wie in der vorigen Szene mitgeschwungen ist. (Das ist alles keine Ausrede! Ich bin für meine Handlungen, Äußerungen – auch im Rausch – verantwortlich.)

Die Dame hat dann das Lokal verlassen. Aber die Geschichte war noch nicht aus, denn die mir bis dahin unbekannte Freundin des befreundeten Künstlers hat angefangen, mir einzureden, diese Frau doch anzurufen, sie würde sich sicher sehr freuen. „Nein, nein“, habe ich abgewunken, „das geht zu weit!“ „Doch!“ hat meine Einflüsterin geantwortet, „ruf sie an! Ich weiß, sie steht auf dich. Sie hat es mir selbst gesagt.“ „Nein, nein, ich bin schon viel zu besoffen. Außerdem habe ich  keine Telefonnummer. Nein, nein.“ Daraufhin hat sie mir die Telefonnummer der Dame gegeben. Oder sie hat die Nummer für mich eingetippt? – ich war ja schon so betrunken, daß ich kaum noch stehen konnte und permanent um den letzten Rest Gleichgewicht verbissen kämpfen mußte – oder hat sie mir ihr Handy zum Anrufen gegeben? Ich weiß es nicht mehr. Ich kann mich auch nicht erinnern, ob die Angerufene geantwortet oder gleich aufgelegt hat. Ich nehme an, letzteres.

Ich habe dann eine ganze Woche gebraucht, um mich an das Wenige, das ich hier beschrieben habe, zu erinnern. Das war für mich ein Schock, wie dann jeden Tag mehr von diesem Absturz ins Licht des Bewußtseins gehoben wurde. Da hat es mir endgültig gereicht. Ich wollte nicht, daß ich tagsüber als Papa mit meiner jüngeren Tochter im Buggy im Park herumfahre und die ältere vom Kindergarten abhole und dann doch wieder so abstürzen kann. Und ich belaste und zerstöre dabei ja auch die Beziehung zu meiner Frau und verletze sie selbst, meine Gefährtin. Für mich stand sehr viel auf dem Spiel. Da war ich endlich fähig, diese Entscheidung zu treffen: von einem Tag auf den anderen habe ich Alkohol und Nikotin gestrichen und  beschlossen, das nie mehr anzurühren. Ohne jeden Zweifel.

Die  körperlichen Entzugserscheinungen waren beim Nikotin heftig, nicht beim Alkohol, denn in der Phase vorher habe ich ja nur mehr selten getrunken. Aber trotzdem ist mir da erst so recht bewußt geworden, wieviel Angst ich in sozialen Situationen habe und auf ein Fest oder eine Party zu gehen, war mir nur unter Überwindung hartnäckigster Ängste und innerer Widerstände möglich, denn meistens bin ich nur verlegen herumgestanden, sodaß ich solche Feste möglichst vermieden habe.
Und somit bin ich auch ein fader Zipf geworden, denn nicht alle Räusche mußten gleich so eskalieren, wenn es gepaßt hat, konnte ich betrunken ganze Runden mit Witz und Charme und (verbaler!) Schlagfertigkeit unterhalten und zum Lachen bringen. Zumindest solange mein Rausch nicht ins Große Desaster gekippt ist.
Mit all dem war es jetzt vorbei.

Ich will es nocheinmal deutlich sagen: daß ich mich von der Freundin des künstlerischen Freundes so aufhussen habe lassen, ist in meiner Verantwortung, auch wenn ich mich da in meinem Rausch trotz innerem Widerstand brav wie ein dummer Ochs tiefer in den Irrsinn führen habe lassen. Aber was bei dieser Freundin des Freundes, die ich seitdem nie mehr gesehen habe, abgegangen ist, würde mich auch interessieren.

Und zum Schluß möchte ich noch bekennen, daß meine Frau die Details dieses Absturzes auch erst aus diesem Text erfahren hat. Ich hatte lediglich gesagt, daß ich sturzbetrunken war, angedeutet, daß ich mich ganz furchtbar benommen habe, und erzählt, daß ich eine Woche gebraucht habe, um mich zu erinnern. Das nur zum Thema „mutige Geständnisse“.













(6./8./9.11.2017)











©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 3. November 2017

807 Die optimistischen Morgengeräusche

Die auf den ersten Blick (!) optimistischen Morgengeräusche – aufgedrehte Radios mit Stimmen in Animateurmanier - dringen durch die Wände und stecken mich etwas an: der Reiz, gleich fröhlich loszustarten. Jedenfalls rufen sie eine Erinnerung an „früher“ hervor, irgendwelche optimistischen Morgenszenen, die ich aber nicht bildhaft vor mir habe, sondern lediglich als ein Gefühl. Bei uns zu Hause nämlich, in meinem Aufwachsen, ist in der Küche, wo wir uns zum gemeinsamen Frühstück trafen, kein Radio gelaufen. Wo kommt dieses erinnerte Gefühl also her?
Es steckt mich an und will mich verführen, dem Morgen und dem kommenden Tag und mir selber in meinen Handlungen zu vertrauen; (der Animationscharakter der Stimmen und der Musik sollte einen jedoch schon warnen, daß da etwas nicht stimmt.) Dieser Morgenoptimismus stößt mich nämlich gleichzeitig ab. Dieser Morgenoptimismus ist mir – obwohl er mich anzieht – gleichzeitig verdächtig. Weil ich daran denken muß, daß die Nazisoldaten mit ähnlich morgenoptimistischen Liedern auf den Lippen ausgezogen sind, ihre massenhaften Verbrechen zu begehen. Auch wenn ich nicht regelrecht daran denke, die Warnung ist sofort da, auch wenn sie nicht explizit und ausgesprochen im Bewußtsein aufgetaucht ist, sondern als ein bloßes Gefühl, als ein "Achtung!", „Stop!“.
Jetzt war ich natürlich damals nicht dabei, und weiß nicht, ob die wirklich mit solchen Liedern losgezogen sind, aber für mich hat sich dieser (Morgen-)Optimismus unweigerlich mit der Aufbruchsmentalität der Nazis verknüpft. Darum, denke ich, ziehe ich wohl meistens einem solchen animierten Optimismus die (Morgen-)Depression vor. Man kann ja nicht wissen, ob nicht doch etwas ganz Schreckliches herauskommt, wenn man so optimistisch, frisch, fröhlich, frei draufloshandelt. Vor allem „frei“ natürlich unter Anführungszeichen, denn das ist ja die Angst, daß im Untergrund der Seele die Kräfte an eine schreckliche Destruktivität gebunden sind, die dann an die Oberfläche kommt und explodiert.

(Wie steht in der Bibel? Gott straft die Sünden der Väter bis in die dritte Generation. Eine kluge Beobachtung! Vor allem trifft dies zu, wenn die Väter (und Mütter) sich nicht ihren Taten stellen und ihre Sünden nicht aufrichtig und offen bereuen.)


Ja, und im Traum bin ich diese Nacht endlos eine Leiter hinaufgeklettert.








(3.11.2017)











©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

806 Die Freuden meines Lebens

Lesen, Schreiben, Internet – das sind jetzt die Freuden meines Lebens. Ich würde – wenn es möglich wäre – nur mehr selten Zimmer und Wohnung verlassen. Für einen Spaziergang etwa oder einen kleinen Ausflug. Ein paar Einkäufe und Erledigungen; ab und zu in ein Kaffeehaus.
Wo ist mein Mäzen, der mir das ermöglicht und mich vor mich hinspinnen läßt, ohne daß ich dabei meine Familie beraube?
Ach! Ich verdiene keinen?    Ja, das könnte zutreffend sein!
Na gut, dann wollen wir uns fügen.








(2./3.11.2017)













©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 2. November 2017

805 Einzelne Notizen

Allerheiligen. Früher habe ich dieses Fest gefeiert und mit Freuden die Allerheiligenlitaneien angehört und mitgebetet und gesungen. Sie waren mir immer zu kurz; ich hätte sie gerne viel länger und ausdauernder gehabt. Mein Herz hatte sich geöffnet bei der namentlichen Anrufung so vieler „Vorfahren“ und Vorbilder. Daß dabei viele geschönt waren, störte mich nicht. Im Gegenteil: auch solche fragwürdigen Existenzen wie ich hätten dann eine Chance.
Jetzt ist das alles verweht.

Was soll dieses teilverschmierte Blatt? Kann ich mir keine leeren Blätter für die Notizen leisten? Doch! Aber ich trage noch eine Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsmentalität in mir. Unter dieser wahrscheinlich eine noch ältere Mentalität: man wirft nichts Brauchbares weg. Auch beim Essen. Man wirft kein unverdorbenes Essen weg. Schon gar nicht Brot. Wenn es hart ist, kann man es gewürfelt noch in eine Suppe geben. Zwar verletzte ich diesen Anspruch immer wieder, aber … das gehört zu meinen Werten. Zum Großteil empfinde ich diesen Wert als echt, aber er hat auch zwanghafte Komponenten. Nicht ganz ausgereift.

Rette sich wer kann!, denke ich mir nach dem Aufwachen.  Aber meine Propaganda mir selbst gegenüber gelingt nicht, hilft nichts und rüttelt mich nicht auf. Mein Geist kommt nicht in Schwung und meine Schreiberei versandet.

Und noch etwas: weil ich meine Texte nicht bei einem Verlag zu veröffentlichen versuche, vermeide ich Kritik und kann mir einen gewissen schreiberischen Größenwahn bewahren. Ich schreibe de facto ja wirklich nur für meine Schublade. Ziemlich unbehelligt.








(1./2.11.2017)













©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com