Montag, 29. Februar 2016

306 Ost und West

Ich schaue ungewöhnlicherweise gegen Osten, auf die Straßen hinunter. Viele Autotüren werden aufgemacht und zugeknallt, wie ein Flashmob, von allen heimlich abgesprochen, eine konzertierte Aktion, um viel Wind zu erzeugen, wenn nicht überhaupt ein Shitstorm, um die Stille zu vertreiben. Aber es gelingt nicht, der Regen dämpft es und dieser schöne, leicht schwermütige Regenoptimismus bleibt.
Die drei neuen Bäume da unten, erst voriges Jahr gepflanzt, werden erstmals ihre Blätter an diesem Standort austreiben; sie wissen schon, wo die Sonne geht und werden sich danach richten. Auch ich weiß, wo der Osten ist und blicke in diese Richtung.
Viel Rot von Autos und den Deckeln der Papiercontainer, die schon zum Ausleeren bereit stehen. Unscheinbarer, aber sehr schön ist das Rostrotbraun der Kanaldeckel, auf die ich runterschaue.
Jetzt schiebt die Tagesmutter vier Kinder Richtung Park, sie lassen sich vom Wetter nicht abhalten.
Der Regen prasselt sanft aufs Fensterblech; die Menschen unten gehen konzentriert zwischen den Regentropfen hindurch und werden doch erwischt. Viele husten und haben Zigaretten in der Hand; manche, auch ohne Rauch, schreiten ganz stolz, fest und fast feierlich, den Regen ignorierend.
Immer wieder kurvende Autos – es bleibt ihnen da auch nichts anderes über –, die Aufregungslärm erzeugen, der sogleich wieder untergeht, ins Stadtgeräuschemeer versinkt.
Hundegebell, das die Wut auf der anderen Seite der Leine ausspricht, ich will mehr Revier und mehr Raum, aber nur kurz, dann ist es wieder vorbei und der zivilisierte Alltag regiert bis zum nächsten Event.
Jetzt bei den Bäumen ein scheißender Hund, seine Chefin ist so ins Betrachten ihrer Fingernägel vertieft, daß sie aufs Sackerl vergißt. Nicht nur ich bin am Morgen sehr langsam. Hoffentlich überleben die drei aufgerichteten Bäume diese Konzentration an Fäkalstoffen und Nägelmeditation.

Und im Westen? Nichts Neues, nur eine junge Amsel sitzt im Kirschbaum und plustert ihr Gefieder im Regen. Der kleine gartengeschmückte Hof. Die Bäume ragen nass in den Regen hinauf und sind still. Die Dächer glänzen zukunftsfroh vom Wasser. Die Überwachungskamera schaut unbeachtet vor sich hin, bis zu mir herauf sieht sie – glaube ich – nicht; ich weiß sowieso nicht, ob sie echt ist oder eine Attrappe.
Ein Mann, vom Tempo her zwischen Müdigkeit und Aufbruch, geht durch den Hof und schaut zu mir herauf; den Blick von mir hat er gespürt, nicht den der Kamera.

Oh, wie ich diese Regenvormittage liebe, so still; und wie es in den Räumen eher dunkel ist und trotzdem hell genug fürs Schreiben. Die Regentropfen hängen in den Zweigen und an den Dachlawinenstangen; ein jeder ist ein Tropfen Zukunft, Leben, Fruchtbarkeit, in dieser Form nun bloß glitzernde Gegenwärtigkeit.

Mein Spiegelbild trägt andere Augen. (Das ist ein schreiberischer Trick; mein Gesicht hat sich beim Üben von Tensegrity im Glas des linken Bildes an der Wand gespiegelt, ein intensiv und geheimnisvoll blickendes Selbstporträt meiner älteren Tochter.)

Die Kinder singen unten, vor allem einer improvisiert voll Inbrunst über Autos/Selbsts und Motorsägen, um dann zum Thema blau überzugehen und schmettert begeistert sein archaisches Lied.
Wann habe ich zuletzt so frei gesungen? Wenn ich allen bin, will ich die seltene Stille nicht stören; wenn andere da sind, habe ich oft Scheu. Oder ich habe überhaupt darauf vergessen.









©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 27. Februar 2016

305 Wundertäterfragment 11

„Wundertäter! Was ist ein Größenwahn nach unten?“

„Um das zu klären müssen wir erst einmal untersuchen, was ein normaler Größenwahn, sozusagen ein Größenwahn nach oben ist. Beim Größenwahn macht sich das Ego ein Bild von sich, das übertrieben, überhöht und unrealistisch ist. Es schreibt sich Eigenschaften zu, die es so nicht hat.“

„Warum macht das das Ego?“

„Das Ego hat die Verbindung zur inneren Quelle, zum inneren Wesenskern, der mit dem Transzendenten, dem tragenden Urgrund verbunden ist, verloren. Deshalb fühlt es sich verloren und einsam. Und weil es außerdem von der ganzen Umgebung verlangt, daß es ihm die überhöhten Eigenschaften, die es an sich sehen will, bestätigt, kommt es auch weder mit seinen Mitmenschen, noch mit den anderen Lebewesen in einen wirklichen Kontakt.“

„Wieso hat es den Kontakt zum Urgrund verloren?“

„Im innersten Wesen, im wahren Selbst, sind wir alle mit dem Urgrund verbunden. Das Ego hat das vergessen und sich damit zu etwas Kleinem gemacht und glaubt nun, sich aufblähen zu müssen, um die verlorene Größe zu kompensieren. Verloren hat der Mensch (hebräisch: adam) diese Verbindung, als er sich für die Unterscheidung von gut und böse entschieden hat, und darum hat er auch den Paradieszustand des stillen Wissens verloren. Das kannst du alles bei Castaneda nachlesen.“

„Das Ego ist kleiner als das wahre Selbst?“

„Ja, und alle seine größenwahnsinnigen Phantasien, auch die aufgeblasensten, sind viel erbärmlicher als das wahre Selbst. Der Mensch ist in seinem wahren Selbst unendlich größer als alles, was sich das Ego ausdenken kann. Das Ego reicht nie an des wahre Selbst heran.“

„Kann das wahre Selbst Wunder wirken?“

„Du hast gut aufgepasst, das ist eine sehr gute Frage! Ja. Genauer gesagt, es erlaubt den Wundern, durch es hindurchzuwirken. Im wahren Selbst sind alle Wundertäter.“

„Wow! Und wie ist das nun mit dem Größenwahn nach unten? Ich glaub, ich ahne es schon.“

„Genau gleich. Während der Größenwahn nach oben sagt: ich bin der Beste, der Tollste, der Schönste, der Reichste, der Sieger und so weiter, sagt der Größenwahn nach unten, daß er der Schlechteste, der Mieseste, der Häßlichste, der Ärmste, der größte Versager aller Zeiten und so weiter ist. Aber es ist genau das gleiche Ego, das sich da aufbläst, nur – scheinbar – in die andere Richtung. Das Ganze hat exakt die gleiche Struktur, das gleiche Muster. Da ist kein Unterschied.“

„Ja, ja! Ich glaube, ich verstehe es! Da ist gar kein echter Gegensatz zwischen „positiv“ und „negativ“ Aufgeblasenem; beide sind einsame, isolierte Egos.“

„Ja, genau. Beide Egos haben den Kontakt zum wahren Selbst verloren. Wobei diese Verbindung nie ganz abgerissen ist. Der Mensch braucht nur seinem wahren Selbst erlauben, wieder in den Vordergrund zu treten.“

„Warum machen wir das nicht?“

„Weil wir uns meistens mit dem Ego identifizieren und es nicht loslassen wollen. Wir klammern uns an und verstecken uns hinter seiner erstarrten Maske, weil das wahre Selbst nicht mehr hindurchtönt.“

„Ich beginne zu begreifen! Danke, Wundertäter!“

„Aber gerne! Frag nur, wenn du wieder Fragen hast. Ich rede und erkläre gerne; ich liebe es, zu lehren.“













©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com


Freitag, 26. Februar 2016

304 Unten und oben

Unten läutet es an der Tür; in mir klopft das Herz, nachdem ich mich beim Wäschemachen etwas angestrengt habe. Sonst – kommt mir vor – klopft es nicht. Der Begrüßungssingsang unten, heroben der Selbstbetrachtungssingsang, ein Spiegelspiel, das nicht und nicht zerbrechen will.

Die üblichen Ingredienzien für meine Morgensuppe: Weckerticken, Ohrensurren, Aufregung im Bauch, eine Stille, die vom Dröhnen eines Dunstabzugs und fernen Straßengeräuschen begleitet ist – denn ich habe das Fenster offen.
Ah, jetzt das Krähen der Krähen, weit weg! „Heute ist schöne Sonne!“ höre ich unten, und Kinderlachen und Kinderintensität.
Ich lockere bewußt meine zusammengebissenen Zähne und wiederhole mein neues Mantra, das mir am Dienstag geschenkt wurde: „ich lebe meine Spiritualität und ich lebe in dieser Welt und nehme dabei den Geist mit. Schön, daß es heute und alle Tage meines Lebens so ist.“

Der Luftzug läßt die offene Zimmertüre knarren; unten singen und jubeln die Kinder auf ihrem Weg in den Park.
Interessant, daß oben bei mir das größere Bedürfnis nach Schwermut ist, als unten. Vielleicht ist es oft so gewesen: ich hatte mich verstiegen, weil ich zu hoch hinaus wollte, und hänge dann schwerfällig – im wahrsten Sinne des Wortes – in schwankendem, zu dünnem Geäst und trau mich nicht runter. An zerbrechlichen Zweigen mich anklammernd, den Kontakt zum Boden verloren?
Die Spinnweben dort werde ich heute entfernen, über so viel Tatendrang muß ich lachen, während meine Augen vom Schlaf noch verklebt sind.

Die kleinere Katze ist hereingekommen und hat mich abgelenkt, so daß plötzlich eigentümliche Erinnerungen aufgetaucht sind aus den Tiefen des Seelensees, für die ich im Moment keine Erklärungen habe. Ich habe meine Aufmerksamkeit kurz weggedreht und wie ich sie wieder hingedreht habe, was dieses Bild da.
Ein Song von John Frusciante geht mir immer wieder durch den Kopf, genauer gesagt, ein paar Bruchstücke davon, aber frage mich nicht, wie er heißt.

Jetzt sind es viele Krähen und viel näher; ihr Palaver begleitet schon mein ganzes Leben. Sie kommen immer näher. Holen sie mich schon ab? Nein, sie entfernen sich wieder. Die Krähenschreie rufen das Bild vom weiten Tal meiner Kindheit herbei, und den großen Baum da unten in der Teufelsgrube, und meine Angst und Fremdheit; sie rufen sie herbei wie einen Film auf der Leinwand, oder statischer wie eine Diashow; ich bleibe Zuschauer und betrachte von außen meine Erinnerungen und Todesängste dort an der Wand, und meine Ausweglosigkeit damals.

Ich selber im Hier und Jetzt bleibe gelassen.
Nun ist es wirklich still.











©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 25. Februar 2016

303 Ich bin gut zu mir selbst

Für heute morgen und vormittag habe ich mir nichts vorgenommen, auch nicht zu schreiben, nur in Stille Tensegrity zu üben. Ich will gut zu mir sein und es ist genug Zeit dafür. Ich muß nicht sofort aufstehen und kann das Aufwachen genießen. Ich kann im Bett bleiben und weiterdösen; ich spüre, wie es meiner angegriffenen, müden Seele gut tut. Zuerst mache ich im Bett noch die Übung zur Inneren Stille, wo man sich den magischen Briefbeschwerer auflegt und wie sie oft schlafe ich dabei immer wieder ein. Aber allmählich schleicht sich ein „Du mußt aufstehen!“ ein und wird immer aufdringlicher, versucht Druck und Panik zu erzeugen. Immer, wenn ich zum Aufstehen bereit bin, ist es das „Du mußt!“, das mich wieder aufs Bett zurück wirft. Meine Ruhe sagt. „auch das ist okay!“ - denn auch der Auftreiber hat etwas zu erzählen, vom fröhlichen Tagesbeginn zum Beispiel, obwohl er seine Geschichte sehr entstellt hat und sich wie ein kleinlicher Wärter aufführt. Also genieße ich es, wieder im Bett zu bleiben und strecke mich.
Schließlich greife ich gegen meinen Vorsatz zum Notizbuch und schreibe. Dann stehe ich auf. Das Schreiben versöhnt mich offensichtlich mit allem.












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302 Vorgestrige Verzweiflung

Nulluhrfünfunddreißig. Ein weinerlicher Druck in der Brust; das Gefühl, unendlich versagt zu haben. Ein unglaublicher Größenwahn nach unten. Der Druck in der Brust ist dennoch da. Ich finde den Ausweg nicht. Ich laufe gegen die Wand; ich finde die Tür nicht.









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Dienstag, 23. Februar 2016

301 Wundertäterfragment 10

Ein warmer Tag im Februar. Der Wundertäter überlegt bei sich: Soll ich die Winterkleidung weglegen und die Sommerkleidung anziehen? Draußen ist es sehr warm, aber es können noch kalte Tage kommen. Sicher kommen noch kalte Tage.
Am liebsten würde der Wundertäter nur einmal im Jahr von Winterkleidung auf Sommerkleidung und einmal von Sommerkleidung auf Winterkleidung wechseln. Wie es vom Adel in Tibet erzählt wird. Die haben dann – so wurde erzählt – lange diskutiert, ob jetzt schon der richtige Zeitpunkt für den Wechsel gekommen ist, oder ob man noch warten soll, ob die Hofastrologen das Wetter richtig berechnet haben oder nicht.
Der Wundertäter mag das Umräumen all der Dinge, die sich in den Taschen seiner Jacken und Sakkos befinden, nicht. Das schiebt er gerne hinaus, so lange es geht. Und wenn er einmal alles umgeräumt hat, dann will er es nicht mehr zurückräumen, wenn das Wetter doch wieder in die sich verabschiedende Jahreszeit zurückfällt. Ich kann ja die Winterjacke offen tragen, denkt er sich, es wird sicher wieder kalt.
Wenn er seine Ausweise, Kundenkarten, Notizzettel, Brillen, Kämme, Kugelschreiber, Notizbüchlein, Flugzettel, Eintrittskarten, Handschuhe, Taschentücherpackerl, seinen MP3-Player undsoweiter aus der Winterjacke raus in ein Sommersakko gibt, dann dauert das eine halbe Minute, aber er macht es ungern. Was ihn aufhält sind die vielen Notizen auf Zettel, in Büchlein, auf der Rückseite von Kinokarten, schnell festgehaltene Gedanken, oder Telefonnummern, Adressen – oft hat er vergessen von wem – oder Veranstaltungsankündigungen, Orientierungshilfen für irgendwelche Wege in unbekanntes Gebiet etcetera, die er alle durchlesen muß und aussortieren. Manchmal kann er seine Schrift nicht mehr lesen. Seinetwegen könnte das Papier in den Taschen verrotten.
Er will unbedingt alles wichtige bei sich tragen: Reisepass, Notizen, Papier, Schreibzeug, Taschentücher, mindestens eine Packung Zünder für den Fall, daß es ihn in die Wildnis verschlägt – meistens ist das Zündholzschachterl schon zerfallen und die Zündholzer kugeln offen in der Tasche herum, die Reibfläche unbrauchbar geworden wie auch die Zündköpfe – dann seine Diamanten (die er gar nicht besitzt, sich jedoch gerne vorstellt, solche zu besitzen; ihm gefällt die Vorstellung, seinen Reichtum immer bei sich herumzutragen), jedenfalls ständig bereit zur Flucht. Denn das weiß er: Wundertäter sind sehr gefährdet und werden bei Volkszorn schnell gelyncht.
















©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 22. Februar 2016

300 Zweitagesprotokoll

Die Sohle des rechten Fußes an die Innenseite des linken Knies gelegt und die Finger der überkreuzten Hände bei den Schlüsselbeinen eingehängt – so bin ich aufgewacht. Eine Stellung, die mir schon vor Jahren im Traum gezeigt wurde. Hin und her getaumelt zwischen Schlafen und Aufwachen hat das Schnarchen eine große Bedeutung gehabt, die ich bereits wieder vergessen habe; den Faden zigmal verloren und wieder aufgenommen.

...

Jetzt senst links von mir der Tod Könige und schöne Frauen nieder; ich werde mir eine neue Tarotkarte legen. Die unendlich behütete Kraft bezwingt den Löwen und hält seine Kiefer fest. Na gut, Tarotkarte Nummer elf.

...

Jetzt ist es Abend. Der Tag ist vorbei. Ich liege im Bett und lese, dann betrachte ich die Flecken auf meiner Haut, die Gedanken sind weich und ohne Kanten, die Pölster im Rücken noch nicht richtig eingepaßt. Meine Hände sind schon recht alt, ein paar Narben und kleine, frisch verheilte Wunden. Was weiß ich schon von der Welt – gar nichts. Es ist ein Wunder, daß es mich gibt. Mir fällt erst jetzt auf, daß ich nur meine linke Hand betrachte, die mit dem zur Hälfte abgeschnittenen Daumen; sie ist auch im linken Licht. Die rechte muß schreiben, auf meinen Befehl. Dabei will ich eigentlich gar nichts.

...

Jetzt ist es späte Nacht. Schwermut und Traurigkeit legen sich auf mich, daß mir das Atmen schwerfällt. Tapfer sauge ich ein paar Atemzüge lang die frische Luft tief ein und dehne Brustkorb und Bauch gegen den Druck. Hinter den Augen das Ziehen der Tränen. Warum es so ist, weiß ich nicht; ich habe ein paar Gedanken dazu, aber die scheinen mir nicht überzeugend zu sein; kein Ah! Das ist es!
Von der Ferne höre ich Rufe durch die Nacht, der Wind heult und heute höre ich die Autos deutlich.

Ich versuche das abzuschütteln, aber es will nicht so recht gelingen. Dabei war es ein schöner Tag.
Mitten in dieser Trauer ist ein wenig Lachen eingebaut, nicht unfreundlich. Es ist eine Art "Liebeskummer mit mir selbst" (Karin Fuest).

...

Morgen. Unsicherheit und Angst fressen sich in mein Gedärm; Schuldgefühle machen mein Herz schwach und verzagt und meine Augen verschlossen und starr. Wohin wird sich alles entwickeln? Beim Wasser wäre es der tiefste Punkt. Will ich überhaupt, daß es weiterfließt? Meiner Seele ist immer noch schlecht.

...

Abend. Wie ein Nachhall einer unhörbaren, unsichtbaren Explosion, die Ohren dröhnen, aber ich habe den Knall nicht gehört, der dies ausgelöst hat. Es muß etwas gewesen sein, das sich jenseits meiner Wahrnehmung abgespielt hat. Ein Druck und Zerren und Ziehen in mir, von unbekannten Kräften, die auf mich einwirken. Und Tränen hinter den Augen. Ich möchte weinen. Ich möchte drei Tage einfach nur weinen, und nochmals drei Tage, wenn es noch nicht gereicht hat. Aber diese Vorstellung läßt sofort die aufsteigenden Tränen versiegen, bevor sie noch die Augen erreicht haben, und ich bin vom heilsamen Schmerz wieder abgeschnitten und meine spöttischen Gedanken sagen: Was für ein Theater! Da ist doch nichts!
Diese Gedanken sind mehr als bloße Gedanken, sie sind Gefühlsimplantate, unecht, schauen echten Gefühlen nur ähnlich.
Jetzt ist es zu spät.















©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 19. Februar 2016

299 Einuhrfünfundzwanzig

Einuhrfünfundzwanzig in der Früh. Sorgen haben mich in die Schlaflosigkeit getrieben und ich weiß nicht, wie ich jene loswerden kann. Aus Angst komplett die innere Orientierung verloren. Dabei bin ich müde. Plötzlich habe ich den Eindruck, daß es im Raum heller wird. Der Regen legt zu. Ich höre ein leises, fernes Rauschen; ich könnte es fast für Waldesrauschen halten, wenn ich will. Zum erstenmal in meinem Leben geht mir mein Surren auf die Nerven, mein armes, überanstrengtes Gehör, von der Headsetarbeit angegriffen.
Jetzt geht die blöde Lüftung im Lichtschacht los, okay, der Ton ist komplex und hat Schwingung. Bevor ich zu fluchen anfange mache ich Schluß.

Sechsuhrfünfundzwanzig. Von einem Albtraum in Angst versetzt und von düsteren Gedanken heimgesucht. Dabei innerlich ganz gefühllos und kalt, ohne jedes Mitgefühl. Die Panik pocht noch in meinem Inneren, wo genau kann ich nicht feststellen. Ums Herz herum ist es laut; die Ohren gehen über von Surren. Meine Angst ist irgendwie egoistisch. Bayern will seine Gebiete zurück; ich weiß aber nicht, was passiert ist. Im Meer drängen meterhohe Wellen ans Hafenbecken, an eine Überfahrt ist nicht zu denken. Der Stoff entgleitet mir dauernd den Fingern. Um mich herum herrscht große Unruhe, die aber ziemlich leise daherkommt. Selbst der geliebte Regen wirkt anders. Mir fallen immer nur die gleichen Blumen ein. Was wird da auf mich zukommen? Allmählich normalisiert sich der Ausnahmezustand, die Intensität des Alarms kommt mir jetzt durchschnittlich vor.
Meiner Seele ist immer noch speiübel, von Seekrankheit gezeichnet sucht sie abwechselnd Schutz und Frischluft. Mein dummer Verstand glaubt mir das alles nicht, aber auskennen tut er sich auch nicht. Ich imaginiere meine Kindheitskirche, und versuche, sie als Zuflucht zu nützen. Es scheint zu wirken, denn ich atme jetzt tiefer. Das Herz klopft noch, schnell, deutlich und heftig. Ich versuche vergeblich, irgendwelche Berechnungen anzustellen, mir ist entglitten, was ich ausrechnen will. Ein Regentropfen klatscht dröhnend laut an die Scheibe und ich schrecke aufgescheucht auf. Obwohl ich die Traumtür zudrücke, geht sie sofort wieder auf. Ich verliere die Lust zum Aufschreiben, ein fader Geschmack bleibt im Mund. Aus dem Lautsprecher ertönt eine erklärende Stimme, was sie erklärt, verstehe ich nicht. Ich zwing mich, das Schreibzeug beiseite zu legen. Ist es Versäumnisangst, die mich da abhält? Oder klammert's mich an die Schreiberei.

Die linke Hand an der Schnittstelle zwischen Oberschenkel und Rumpf abgelegt, die rechte nahe beim Herzen, so bin ich aufgewacht. Diesen Satz hab ich durch zwanzig Träume gerettet, dabei aber zweihunderteinundsiebzig andere verloren, genauso wie diese zwanzig Träume auch. Der Kollateralschaden ist trotzdem nicht groß. Ein paar Traumerinnerungen drängen noch heran, aber sie platzen nicht mehr auf, ich fühle sie noch, aber erinner mich nicht an den Inhalt. Dieser Vormittag wird anders als sonst, für die Routine fehlt mir die Kraft. Meine alte Ironie liegt mir schal geworden im Mund, nichtsdestotrotz werde ich ihr nicht entkommen. Die ersten Tagesschreie hallen herauf, das ist viel harmloser, als es klingt.

Hier bricht der Text ab.

Das möchte ich noch hinzufügen: Bald wird hier wieder Wäsche hängen; die Waschmaschine läuft schon.













©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 18. Februar 2016

298 Krafttag oder ein höflicher Schmerz

Ein grauer, verregneter Krafttag. Ich will meinen Blick nicht von den Ziegeldächern, den Mauern und den kahlen Bäumen wenden. Mächtige Gefühle dröhnen still aus unausgeleuchteten Tiefen in mir heran. (Die Katze will gestreichelt werden und läßt mich nicht schreiben.) Kein Windhauch regt sich. Ferne Ahnungen, und ferne Erinnerungen aus den ganz frühen versunkenen Tagen dämmern unauffällig durch das Grau. Wissen und Nichtwissen gleichzeitig. Ich habe alles gesehen und ich habe nichts richtig gesehen.

Die Wäsche habe ich abgenommen und der Raum ist freier. Beinah zu offen, ich fühle mich wie eine kleine graue Kugel. Ich schaue über den Rand meiner Brille zum Fenster hinaus. Die kahlen, braunen Essigbäume vor den rötlichen Ziegeldächern. Rotz und Wasser rinnen, aber das schaut mehr nach einem kurzen Katzenhaarallergieanfall aus als nach Schmerz.

Der Schmerz ist heute sehr zurückhaltend, bleibt fast ganz verborgen, will mir nicht zu nahe treten. Ein ausgesprochen höflicher Schmerz. Es ist Stille trotz vieler Geräusche, ihren Schwerpunkt, ihr Zentrum hält sie draußen in den Kronen der Essigbäume.
„Frauen haben einen Busen!“ sagt ein kleiner Bub unten. Ein Lächeln huscht durch das Ambiente, ich kann ihn gut verstehen. Jetzt klopft er männlichkeitsübend und hämmert wie wild, so viel Zuversicht in dem Jungen!
Da schleicht eine kleine Trauer durch mein Gesichtsfeld. Aber alles nicht so wichtig. Wichtig ist nur die Stille. Wie leuchtend und farbenprächtig das rötliche Braun der Äste und das bräunliche Rot der Dachziegel in dem Grau da; auch das Weiß der Wände und das Grau selber strahlen verhalten und deutlich. Ein heller Farbton ist allem unterlegt. (Oder umgekehrt? Ist es ein dunkler Untergrund, der die gedämpften Farben so leuchten läßt?)

Jetzt plaudern die Kinder unten über Landwirtschaft. Die Heiterkeit daraus tut mir gut und ein wenig weh – so viel Zukunft, so viel Zuversicht in dieser Gegenwart. Aber es ist kein Neid; ich segne sie und wünsche ihnen alles Gute.

Diese Stille da vorne zieht mich so sehr an. Nichts regt sich. Kein Wind. Nur der stille, feierliche Strom der Gegenwärtigkeit, das großartige Dröhnen der ruhigen Gewahrsamkeit. Lediglich die Zeit fließt noch langsam und leise. Bleibt die stehen, dann ist alles nur mehr bloße Intensität. Die reine  Herrlichkeit.

















©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 17. Februar 2016

297 Zähnezusammenbeißen

In Polen mit dem Zug unterwegs, aber das Ziel vergessen und beim Umsteigen meinen Rucksack im Waggon. Alle Unterlagen hat meine Schwester, die fliegt jedoch zu diesem Workshop oder Kongress oder Treffen. Verwirrt und frustriert bin ich aus dem Traum erwacht und noch ganz in die Traumgefühle eingetaucht. Die Gefühle sind langsamer als die Bilder der Wahrnehmung. Außerdem kippe ich schon wieder in die Traumwelt zurück. Mein Gebiß schmerzt vor lauter Zähnezusammenbeißen.
Zurück im Traum vergesse ich alle Sätze und Bilder, wenn ich sie aufschreiben will. Mein Gebiß halte ich jetzt trotz aller Anstrengung locker.

Ich scheine mit den Falschen sprechen zu wollen, denn immer, wenn ich mich ihnen zuwende, lösen sie sich auf. Das wäre auch etwas für diese Welt – immer, wenn man von jemandem etwas will, verschwindet der in andere Welten; Begegnung ist nur in Absichtslosigkeit möglich, nur wenn man in sich selbst, in seiner Ganzheit ruht. Das wäre endlich ein revolutionäres Konzept. Wie kann ich es verbreiten?
Mit dem Von-den-andern-was-Wollen ist wieder die Anspannung in mein Gesicht zurück, ich habe gleich mit Loslassen reagiert. Auch diese schwächelnde Idee habe ich weggeschickt, noch dazu, wo mir bewußt wurde, daß es sowieso so ist: echte Begegnungen findet in Absichtslosigkeit statt, sonst verderben alles die Projektionen und Erwartungen und das konkrete Gegenüber verflüchtigt sich und nur die roboterhaft agierenden Hüllen und Masken bleiben vis a vis.

Hat die Anmeldung gestern funktioniert? - jetzt kommen schon die Alltagssorgen herein.
Ich strecke wohlig meine schmerzenden Glieder und auch meine Knochen erholen sich. Ich konzentriere mich kurz auf den Knochenmann in mir, aber wo ist seine Sense? Lehnt sie schon  irgendwo herum wie da drüben meine Walkingsstecken? Ich kann sie nicht finden, die Sense, mein Sense of Awareness reicht nicht aus.

Ja, über den Tod hinwegzublödeln wird dir genausowenig helfen wie irgendetwas anderes. Am Ende wird er dreinfahren.
„Marsch“, das Stück der Ruben-Fraga-Truppe fällt mir dazu ein. Vor beinah dreißig Jahren habe ich am Karlsplatz das Theaterstück gesehen und es beeindruckt mich noch immer. Wie es so harmlos beginnt und dann so ernst und steil wird; wie es eine solch erschütternde Atmosphäre erzeugt, obwohl es auf der Straße gespielt wird. Was die jetzt alle machen?

Diese Erinnerung hat mich hellwach gerüttelt, ein Zurückgleiten in den Traum ist nicht mehr möglich. Ich liege nur da und erhole mich. Dieses ewige Bedürfnis nach Erholung macht mir Sorgen, kommt es vom ständigen Zähnezusammenbeißen? Seit über sechzig Jahren?
Lassen wir es für heute gut sein.










©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 16. Februar 2016

296 Bellevuewiese

Gut ausgeschlafen, von der gestrigen Erschöpfung erholt, noch mit einem vergessenen Traum eingehüllt, liege ich da und fühle mich rund; ein leichtes Ziehen in der Gegend des Herzens – wo will es mich hindrehen? „Es ist, was es ist.“ Es surrt um mich und vibriert in mir; kleine Wellen gehen durch mich und durch meine Umgebung, durch die Sphäre, die noch zu mir gehört. Von unten höre ich das fröhliche Kinderleben, auch davon kommt die Botschaft: es ist alles gut.

Ich frage mich schon die ganze Zeit, welches Kraut es war, das so schnell die Wunden schließt. War es das Johanniskraut? Mein Gedächtnis ist noch schlaftrunken und nicht funktionsbereit. Das kommt in letzter Zeit oft vor und hält länger an; ich will mir aber keine Sorgen machen. Ich werde aufstehen und die Wäsche in die Waschmaschine legen, jetzt ist ein guter Zeitpunkt, die Tageskinder sind schon zum Park unterwegs; ich höre ihr Singen im Stiegenhaus.

Ich bin wirklich vom Schlaf gestärkt, auch meine Traumverfangenheit macht keine Probleme. Ich stehe auf und komm dann wieder.

Die Waschmaschine funktioniert. Rundherum ist alles stabil. Unruhig ist nur die Katze, die wuselt hin und her um sich Streicheleinheiten zu holen und zugleich davor zu flüchten.
Jetzt hat sie sich sogar hingelegt und ruckelt nur noch ein wenig herum.

Das Surren und das Vibrieren in mir sind schwächer geworden; ich spüre Puls und Atemzüge; ich spüre meine Muskeln, den Druck dort, wo ich an die Welt stoße und aufliege, ahne meine Knochen durch die Muskeln und Sehen hindurch, das Skelett in mir, meine künftige Gestalt.

Eine Tante fällt mir ein, die verfügt hat, daß ihre Asche in den Bergen verstreut wird. Bei mir wäre das ein Platz an der Enns, direkt gegenüber dem steirischen Wenzel, wo links der Grimming majestätisch vom Talboden aufragt, meine Asche könnte in der Enns treiben, wenn ich nicht doch lieber vermodern will, anscheinend hänge ich an der Knochengestalt. Wirklich lieber in Plastikplanen eingehüllt, obwohl wir Sternenstaub sind? Diese Sandbank an der Enns, die wäre schon okay, dort habe ich die Fluß- und Berggeister gespürt und Wünsche ins Wasser geworfen, die sich erfüllt haben. Ich lache darüber, wie ich meine Geschichten hinbiege, aber egal, es ist ein schöner, geeigneter Platz.

Die Bellevuewiese in Wien wäre auch nicht schlecht, nur habe ich mit Wein nichts im Sinn, aber das könnte ich vor meinem Tod noch ändern. Auch das ist ein magischer Ort, der den Blick auf die Stadt zu einer Erscheinung macht, fast traumhaft, besonders am Abend, wenn die Lichter unten und oben zu funkeln beginnen und einem die Stadt dort unter den Weingärten hingestreckt liegt.

Ich horche, ob das Surren noch da ist und gleich wird es stärker. Ich pendle mit meiner Aufmerksamkeit noch eine Zeit lang zwischen den Wirklichkeiten hin und her und fühle mich dabei immer selbstverständlicher. Nun betrachte ich die Wunde an meinem kleinen Finger und schaue, ob das Johanniskrautöl sie schon geschlossen hat. Dann wende ich mich wieder dem Wundertäter zu.










©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com


295 Wundertäterfragment 9

die Mutter des Wundertäters:
„Ich trage einen Wundertäter in mir – der wird mich retten. Vor kurzem habe ich geheiratet, aber nicht den, der mir zugestanden wäre – das hat irgendwie nicht geklappt. Da habe ich halt den genommen, mit dem ich im Krieg ein wenig geflirtet habe, aber da war er noch ein aufgedrehter SS-Mann voller Zukunft; jetzt ist er ein einarmiger Krüppel von schlechter Herkunft, ein Arbeiterkind, nicht einmal ein Keuschlersohn, hat nichts, kann mir nichts bieten, ich muß mit meinem Ersparten einspringen – denn sparen, das kann ich! Aber jetzt bin ich achtundzwanzig Jahre alt und es ist Zeit zum Heiraten. Also habe ich ihn genommen, obwohl ich eine Bürgerliche bin. Mein Vater hat zwar fast alles bei Wein, Weib und Gesang durchgebracht, aber Geschäftsleute waren wir immer noch!
Mein Sohn, den ich in mir trage, wird mich da herausholen; herausholen aus dieser unguten Verwandtschaft, diesen Arbeitern und Knechten, aus diesem Milieu mit den ständig zweideutigen Arbeitskollegen meines Mannes, aus diesem Untermietzimmer, weg von dieser Schlampe von Hauseigentümerin, mit ihren „Mann-heim“ und „Schwein-furt“- Botschaften an ihren heimlichen Liebhaber, der mich auch immer so eigenartig anschaut – mein Sohn wird mich beschützen, denn mein Mann ist nur alle zwei Wochen für eineinhalb Tage da. Mein Sohn wird stark und fest sein, aufrichtig, stolz, frei, fröhlich, durchsetzungsmächtig, er wird alle selbstbewußt und mit offenem Blick grüßen, ein Sieger, der mir alles Siege schenkt, der mich herausholt, stark wie der, den ich eigentlich heiraten wollte, an ihn wird er mich immer erinnern; er wird mich lieben, verehren und alles für mich tun, er wird mir meine Wünsche von den Augen ablesen und mich hier herausholen. Er wird mir große Freude machen; er wird ein großer Frauenheld sein, die Frauen werden hinschmelzen, wenn sie ihn sehen, er wird sich die Hörner ordentlich abstoßen, wie es sich für einen Mann gehört. Beim Raufen ist er schon als Kind immer obenauf, ein toller Sportler, sportlich und brav, aber wild; er wird mich da herausholen und immer verehren, wenn ich ihn rufe wird er immer zu mir eilen, und zu Muttertag und Geburtstag und zu allen anderen Festen kommt er mit Blumen und Geschenken mit seinem tollen Auto angefahren. Ich werde mich an ihm ergötzen und erfreuen; alle werden mich um ihn beneiden und alle Mütter werden eifersüchtig sein, weil ich so einen Sohn habe, einen Wundertäter. Mit einem Fingerschnippsen vertreibt er alle Feinde, mit seiner Intelligenz übertrumpft er seinen Vater und mit seiner Autorität bringt er ihm Manieren bei und seine Verwandten werden es nicht mehr wagen, aufdringlich zu sein und mich heimlich zu verachten. Mit einem Wundertäter werde ich mich in der Welt sehen lassen können.

Ach, ich kann mir das schon vorstellen, was das für eine Erfolgsgeschichte sein wird! Ich male es mir oft aus und reibe mir dabei schon die Hände. Beim Raufen wird er immer siegen, beim Fußballspielen viele Tore schießen – ja, er könnte auch ein bekannter Spitzensportler werden.
Vor kurzem hat mich mein Mann, der mich hier, wo ich Angst habe, im Stich lässt, auch noch auf eine Bergwanderung mitgeschleppt und ich hatte solche Angst in den Felsen und habe gefürchtet, meinen Sohn zu verlieren; ich war ja schon schwanger!

Mein Sohn wird auf mich Rücksicht nehmen! In seinem Schutz werde auch ich mutig werden. Eigentlich bin ich schon jetzt recht mutig, und dafür, daß ich nicht im Gebirge aufgewachsen bin, fahre ich auch recht gut Schi. Zwar schauen mich dabei alle so komisch an, aber … mein Sohn wird sie in die Schranken weisen! Er wird nicht zulassen, daß sie über mich spotten. Ich habe es ja nicht leicht gehabt.
Mit meinem Sohn jedoch werde ich es leicht haben, denn er ist ein Wundertäter. Er wird groß und stark sein und wird mich beschützen und retten.“









©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 12. Februar 2016

294 Morgenrot

Heute stechen mir die roten Dinge in meinem Zimmer ins Auge und ich muß an den Waschlappen denken, den mit den kleinen, blutroten Rechtecken in seiner Musterung, die mir in meiner düstersten Zeit das Leben gerettet haben. Liebe Leserin, lieber Leser, ich muß innerlich laut lachen über das Rätsel, das ich euch damit stelle.

Es war nämlich so: damals hat mich, der ich mich komplett verstiegen hatte in inneren Windmühlenkämpfen, das Betrachten dieser lebensfarbigen Farbtupfer am Waschlappen – das einzige warme Rot in meiner Einsiedlerwohnung – dazu verleitet, meinen Blick wieder mehr zum Leben hin zu wenden und meine innere Fokussierung auf diese lebensbejahende Richtung umzujustieren; und tatsächlich, allmählich löste ich mich von dieser ständigen lebensgefährdenden Selbstzerfleischung; nicht vollständig, aber ich gewann etwas Abstand und konnte mich wieder ein wenig der Welt und dem Leben zuwenden.

Und genauso wirkt das Rot auch heute auf mich, lebensvoll und lebensbejahend, lebendig, mit der Welt und dem Leben versöhnend. Ich fühle mich gut, und Zuversicht und Optimismus erhellen meinen Blick. Der Wecker tickt langsam, aber fröhlich, in meinem inneren Kino taucht dabei das Bild eines alten Mannes auf, der langsam, aber mit Inbrunst seinen Tanz hinlegt. Darauf meldet sich gleich mein Kreuz, ein leichtes Ziehen plötzlich, nicht unbedingt unfreundlich, eher wie ein Lebenszeichen, als eine sanfte Botschaft meiner kaputten Wirbelsäulenscheibe. Ich verstehe nicht ganz, was sie sagen will, vielleicht nur  „ich bin auch noch da!“. Oder sollte ich mich vom Rot in Regionen locken lassen haben, in denen ich nichts verloren habe? Ist das die Botschaft? Dann ist es zu spät – aber ich glaube dieser Versuchung zum Totalrückzug auch gar nicht mehr.

Mein Blick fällt auf das Photo eines Granatapfels, eines Marienkäfers und auf eine Zeichnung meiner damals kleinen Tochter, das mich mit lächelnden roten Lippen zeigt. Selbst ein verhalten rotes Radkreuz finde ich, und eine von meinen Kindern gebastelte Fußballplakette – aus der Zeit, als ich im Fernsehen noch Fußballspiele schaute – wo der gezeichnete Fußball von einem warmen Rot umkränzt ist.

Der kleine Cedeplayer glänzt in Rot und eine Rolle Geschenkpapier – wie passend, ersterer steht für die Musik, die mein Leben bereichert, und zweitere für das, was ich geben kann.

Und viele Bücher in Rot, darunter auch Gedichte von Juan Ramon Jimenez.
Auch mein Notizbuch hat ein rotes Bändchen, mein Lesezeichen und Leitfaden beim Schreiben.

„Rotlichtmilieu“ und „Rot-arier“ fallen mir ein; aber jetzt wird es ungemütlich, obwohl mir eine schnurrende Katze auf der Brust liegt. Jetzt droht meine Lebensbejahung zu kippen, denn etwas Ungutes und Angst versuchen sich einzuschleichen, und so etwas wie Gier, Lebensgier.

Aber draußen, draußen ist ein herrlicher Morgen, wo die Sonne gerade ihre ersten roten Strahlen auf die Dächer wirft.
Und nun, wo ich das Notizbuch weglege und meine aufgestellten Beine ausstrecke, sehe ich auch noch meine rote Tagesdecke im Schreibtischsessel liegen.

Ich bleibe in Balance.








©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 11. Februar 2016

293 Wundertäterfragment 8

Es war ein regenverhangener Tag im Feb...   Es war ein regenverhangener Tag. Der kalte ...    An einem regenverhangenen Tag im Februar ging der Wundertäter warm eingehüllt …  Der kalte, stoßweise …. Wind …  Es ist diese Jahreszeit, wo der Winter seine Kraft schon verloren …  Es ist die Jahreszeit, wo der Winter den Krieg …   … wo der Winter seinen Kampf schon verloren hat, aber immer noch unangenehm zuschlagen kann. … Es ist diese …  Das ist diese Jahreszeit, wo die Wiesen schon aper, aber …  Der Wundertäter schritt die Straßen entlang. Der Himmel wolkenverhüllt, … Am Himmel treibt der Wind die Wolken … Am Himmel jagt der Wind die... seine Wolken dramatisch … Am Himmel treibt der Wind seine Wolken umher und der trägt … und der Regen klatscht dazu in unterschiedlicher Intensitäts...
Am grauen Himmel treibt der Wind seine Wolken und der Regen … fällt dem Wundertäter auf den Kopf! Nein, nein, nein, so geht das nicht!

Es gibt diese Tage, manchmal schon im Jänner, aber meistens im Februar, auch noch im März, bis in den April hinein, wo der Winter schon vorbei, aber der Frühling noch nicht angekommen ist. Die Wiesen und Parks sind braun und aper; schaut man genau, dann sieht man schon viele kleine grüne Pflänzchen zwischen den abgestorbenen Gräsern und Unkräutern aufkommen, aber das Grün kommt gegen das Grau des Himmels mit seinem dramatisch vom Wind inszenierten Wolkentheater noch nicht richtig an, erst ein längerer Blick nimmt das starke, regengewaschene Grün wahr, das verspricht, daß die Pflanzen überleben und Frühling und Sommer unaufhaltsam kommen werden.

An so einem Tag geht der Wundertäter die graue Straße zum Bahnhof entlang. Der Wind bläst ihm und der kleinen Stadt einen kleinen Regenschauer zu, kalt und mit zustichelnden Regentropfen, der sehr bald wieder aufhört und unter dem Geheul des Windes abzieht. Stoßartig arbeitet dieser Wind an seiner Wolkendramatik herum, bis ihm eine kleine Lücke aufreißt und ein paar Momente lang das Sonnenlicht durchkommt und die Straßen glänzen und das Grau strahlen läßt. Hektisch versucht der Wind die Lücke zu schließen, es gelingt ihm auch gleich, aber ein Nachglanz bleibt noch am Asphalt liegen.
Der Wundertäter mag solche Tage weniger, wenn er aus dem Fenster schaut, aber liebt sie, wenn er durch die Stadt geht, warm eingehüllt in seine dunkelblaue Winterjacke, die Kapuze über den Kopf gezogen. In festen, warmen Schuhen eilt er ruhig und stetig in festen, starken Schritten dem Bahnhof zu. Das Stadtzentrum mit dem großen, weiten Platz und der schönen Altstadt hat er bereits durch ein paar enge Gassen verlassen; die Straßen werden breiter, offener, die Häuser häßlicher und treten von der Straße weiter zurück. Autoverkehr mit seiner Tankstelle und den fußgängerfeindlichen Übergängen und Kreuzungen dominiert hier, kleine Häuser mit brettervernagelten Erdgeschoßfenstern verfallen neben dem unvermeidlichen modernen Großsupermarkt, von scheinfunktionaler Häßlichkeit, aufgemotzt mit grausligem und sinnlosen Dekor, der schon zwei Tage nach der Eröffnung heruntergekommen wirkt. Plastikmüll liegt herum. Ein paar einfache Einfamilienhäuser verstecken sich hinter zart angegrünten Hecken und Gärten ins Grau, als wollten sie von der Straße aus nicht gesehen werden. Nur eines versucht sich vergeblich mit akuratest geschnittenem, kränklich gelblichen Rasen, einer überdimensionalen Garagentür, großen, nachträglich in den ursprünglich kleinhäuslerischen Bau eingefügten, modernen, häßlichen Fenstern und einer in scheußlichen Farben lackiert wirkenden Fassade herauszuputzen; vergeblich wie alle diese Verschönerungsanstrengungen größenwahnsinnig gewordener Gartenzwerge.

Der Wundertäter kennt das und kümmert sich nicht darum, er nimmt den windgetriebenen Regen und die kalten, stechenden Regentropfen im Gesicht wahr, als erfrischende Aufmunterung, er richtet sich von der Kälte angestupst auf, innerlich jubelnd, jubelt dann über das Glänzen am Asphalt, saugt das kurze Aufleuchten der häßlichen Umgebung im Sonnenlicht auf und seine Wärme in seinem Gesicht und genießt es, sich im Vorhinein gegen die Windstöße zu rüsten, die an ihm spielerisch und nicht unfreundlich herumzerren. Was für ein herrlicher Tag! Daß die Tristesse dieser Nicht-Jahreszeit, die Tristesse dieser Bahnhofsvorstadt so schön sein kann!
Er freut sich, daß kaum andere Menschen zu Fuß unterwegs sind – die in den Autos sieht er nicht, und wenn doch, dann nicht als Menschen, sondern als alienartige Wesen in ihren rückständigen Ufos aus schon vergangenen Zeiten, hängen geblieben in einer Zeitablagerung, einer  gleichgültig übriggelassenen Endmörane des vorigen Jahrhunderts. Wie er überhaupt das Gefühl pflegt, eine Welt zu durchschreiten, die ihn nichts angeht.
Auch im Zug, in den er bald steigen wird, wird er einen Platz in einem möglichst leeren Abteil suchen, am liebsten an einem Fenster, um auch während der Fahrt seine Augen an der vorbeiziehenden Landschaft, an den herumziehenden Wolken, den Licht und Schattenspielen, am Nahen und Fernen weiden zu können.
















©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 10. Februar 2016

292 Wundertäterfragment 7

Das Wundertäterthema ist ein wenig eingeschlafen, weil ich erst ein Photo finden muß. Muß ich das wirklich? Kann ich nicht weitermachen wie bisher?

Hat der Wundertäter Spinnweben in der Wohnung, die der übersieht? Wie wohnt er überhaupt, allein? Hat er eine Putzfrau (Putzmann – soll ich das einführen?) oder staubt er selber ab. Oder staubt er gar nicht, oder äußerst selten ab und der Staub wirbelt im Luftzug herum?
Große Wohnung, kleine Wohnung? Ich glaube schon, daß eher ein kleines Zimmer zu ihm passt. Das kleine Zimmer: in der Wohnung einer oder seiner Familie? In Untermiete, in einer Wohngemeinschaft, in einem Kloster? Allein in einer Hütte? Wie ist das Zimmer eingerichtet: gestylt, welcher Stil, durchdacht, geplant, zufällig, sorgfältig, nachlässig? Hat der Bücher? Viele, wenige? Ich warte auf das Photo.

Ich mache ihn eher bescheiden und arm; nicht zu intellektuell – schließlich muß er ja an einer lebendigen Kraft angeschlossen sein, sonst könnte er kein Wundertäter sein. Geistig ist er schon.

Süchtig darf er nicht sein, aber darf er süchtig gewesen sein? Hat er eine Drogenphase hinter sich und ist geläutert daraus hervorgegangen? Ist er durch den Drogenkonsum so sehr mit jenseitigen Kräften in Verbindung gekommen, daß er seine Wunderkräfte begriffen und über einen kalten Entzug - aus eigener Entscheidung - aufgehört, Körper und Geist gereinigt hat und dann mehr wußte als zuvor?

Ich bleibe dabei – er hält seine Wunderkraft zurück und sammelt sie, um das finale Wunder, die Rettung seines Schöpfers Charms, vollbringen zu können.

Damit komme ich wieder an den Anfang zurück: Ist er so sehr auf sein Ziel gerichtet, daß er seine Umgebung, sein eigenes Äußeres, sein eigenes Leben vernachlässigt, oder – im Gegenteil – daß er seinen Alltag dankbar als Übung und Training für sein Vorhaben nimmt. Dann wischt er eher selber den Staub. Wenn die Rettung Charms gelingen soll, muß es die zweite Variante sein.

Oder ganz anders. Könnte der Wundertäter – wenn er im christlichen Kontext geboren und aufgewachsen ist – jemand sein, der sich als Kind zum Priester berufen fühlte und dann damit nicht durchgekommen und gescheitert ist, und somit das Wunder der Wandlung von Brot und Wein, also von irdischen Substanzen in himmlische „Substanz“, nie vollzogen hat? Das wäre ein komplett anderer Ansatz. Die Idee mit dem finalen Wunder würde dann nicht mehr recht passen und es wäre noch weiter weg von Charms.
Er ist als Kind in Umstände geraten, die die Erfüllung seiner Berufung verhindert haben; er hatte nicht den Mut, oder die Kraft, oder die Selbstsicherheit, sie durchzusetzen. Und bleibt so ein Wundertäter ohne Wunder. Dann wäre er tatsächlich eine gescheiterte Figur. Er will zum Beispiel seine Eltern nicht verletzen und verzichtet und gehorcht und bis er merkt, daß er ihnen gerade so nicht helfen kann, ist es zu spät. (Keine Vollmacht zum Sündenvergeben etwa.) Er hat sich zu sehr in die ihm aufgedrängte Welt verstrickt und kommt sich wertlos vor.

Das wäre eine ganz andere Geschichte und ich müßte zurück zum Start. („Mensch ärgere dich nicht!“ „Keine Spur! Ich finde das auch eine aufregende Variante.“)

Und „der Wundertäter war von hohem Wuchs“ würde auch ausdrücken, daß er zu etwas großem angesetzt hat, so, als würde man hinter einem beschnittenen und zusammengestutzten Baum noch sein Urbild sehen können, aufrecht, frei, hochwachsend, aufragend.

Gäbe das genug für einen ganzen Roman her oder bliebe das eine kleine Episode am Rand.












©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

291 Bedenke, oh Mensch …

Ich bin im Aufwach-/Einschlafmodus, der wunderbare Zustand, wo das Denken dauernd ins Absurde stolpert, die Bilder der Wahrnehmung ständig kippen, wie in Vexierbildern, die zwischen Traum und Wirklichkeit changieren und in dem die Assoziationen wie in einem lebendigen Fluß von trägem Dahinfließen bis zu überraschenden Kaskaden und Wasserfällen gelangen und in unerwartete Schluchten des Unbewußten stürzen können, um sich dann wieder in still mäanderndem Dahinfließen des Gewahrseins zu beruhigen. Dem Einschlaf- und den Aufwachkräften gleichzeitig ausgesetzt, manchmal in schwebender Balance, manchmal da und manchmal dort.
Unten scheucht jemand mit Klatschen und Rufen eine Katze vielleicht vom Tisch und mich und mein katzenartig umherschleichendes Bewußtsein Richtung Realität, sodaß ich das Licht aufdrehen, Notizbuch, Stift und Brille nehmen kann und schreiben.
Ich liebe diesen Zustand zwischen Verlieren und Sich-Finden, zwischen Auflösung und „Wiederaufbau“, die heruntergefahrene Kontrolle gibt vielen Bildern, Gefühlen, Gedanken die Chance durchzukommen. Manche gehen auch verloren, weil meine Aufmerksamkeit nur halb wach ist. Fast eine Stunde habe ich in diesem Zustand verbracht, mir erscheint sie wie fünf, zehn Minuten.
Die Gerüche narren mich etwas, weil ich genau weiß, was sie sind, aber mir trotzdem als etwas anderes erscheinen; wie ein verspäteter Faschingsnarr am Aschermittwochmorgen erscheint mir der Geruch von Kaffee zum Beispiel als als etwas anderes verkleidet; er riecht nach – ich weiß nicht recht, ich weiß nicht, als was er geht.

Heute ist wirklich der Tag, wo der Mensch aus Staub ist und zu Staub zurückkehren wird. Sternenstaub, genauer gesagt. Ein aufregender Gedanke! Ein Gedanke, der hellwach macht. Aber die schlafziehenden Kräfte sind noch da.

Eine gewisse Unruhe geht umher, vermutlich gespeist aus Angst, die auch mich erfaßt, obwohl ich jetzt nicht in die Schule muß und in die Arbeit erst in knapp sieben Stunden. Es ist diese Scheißangst vor diesen entwürdigenden Situationen, wie sie bei solchen Veranstaltungen als zwangsläufig erscheinen, obwohl sie es in Wirklichkeit überhaupt nicht sind. Antrainiert durch die gewalttätige Schulpflicht vor allem, dabei jahrelangen Entwürdigungen und Bloßstellungen und Entwertungen ausgesetzt. Ausgeübt von Leuten, die glauben, die Schöpfung, die gut ist, be- und verurteilen zu können oder zu müssen.
Diese Angst frißt sich in den Eingeweiden fest und hält ständig einen gesundheitsschädlichen Alarmzustand aufrecht. Warum kann man, frau, kind und teenager nicht einfach in die Schule und in die Arbeit gehen und sich freuen, weil es ein interessanter Tag zu werden verspricht, neugierig auf die Begegnungen mit Erfahrungen, Wissen, dem Lernen und Wachsen, den Begegnungen mit Menschen, dort fröhlich die Talente einbringen, willkommen und geachtet und wo man grundsätzlich einmal gut genug ist? Daß wir an diesen Orten nicht anständig behandelt werden, ist – vor allem für Kinder und Jugendliche – wie ein Säureattentat auf die Seele. Ständig.

Mit meinem inneren Auge blicke ich jetzt trauernd die Jahrhunderte zurück, durch diese ganzen Schichten an abgelagertem „Du bist nur Dreck!“ hindurch und sage nochmals: Ja, Staub. Aber Sternenstaub! Sternenstaub!

Und daß wir unsere Leiber wieder der lebendigen Erde zurückgeben – obwohl wir es so nicht unbedingt müßten – ist kein Grund für Feindseligkeit und Haß; schon gar nicht von Leuten, die selber die Unendlichkeit nicht erreichen, sondern selber in Selbsttäuschung, Hochmut und Eigendünkel verfangen sind. Nein, dieses „Bedenke oh Mensch“ müßte keine Drohung sein und bräuchte nicht Angststarre und Schuld erzeugen, sondern könnte das Herz öffnen für den Augenblick, für das Jetzt.












©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 8. Februar 2016

290 Von Katzen eskortiert

Von den Katzen eskortiert bin ich mühsam die neunzehn Stufen hinunter gestiegen, die Beine steif und ungelenk, den Kopf voll dumpfen, traum-atischen Getöses, wie versulzt von weltfremden Substanzen. Nicht ganz hier und nicht ganz dort. Und unten dann: sinnlos herumgestanden, nur zu 20 Prozent sinnenfähig, konnte ich noch kaum sprechen, mühsam nur ein paar Worte herausgebracht. Wieder in meine Kemenate zurück (ich weiß, romantisch gesehen heißt das eigentlich Frauenzimmer, aber es heißt auch beheizbarer Raum für Kranke) beginnt nun um mich das volle Leben, von rauschendem Wasser angekündigt, von Geschirrgeschepper aufgescheucht und angetrieben. Ich selber sinke wieder in die Auflösung zurück, etwa 2421954 hoch 13 hoch 11 Pixel, verlasse wieder die feste Form und wende mich dem Traumkörper zu und verliere dabei neunundneunzig Prozent meines irdischen Bewußtseins. Ich liege im Niemandsland wie ein Badender in der Badewanne. Meine Finger geben ihre Konturen auf und beginnen sich mit dem Notizbuch, das sie halten, zu vermischen, indem sich beide in Moleküle auflösen und einander anvibrieren. Ähnlich wie in der Badewanne die Haut das Wasser aufnimmt. Das war an der linken Hand. Die rechte macht dasselbe mit dem Kugelschreiber. Das Intermezzo am Drucker reißt mich mit in die volle Realität. Ich stehe auf und repariere den Drucker. (Einen Fehler, den ich selbst verursacht habe.)

Ich lege mich wieder hin und heile meine Seele. Eine schüchterne, leise Stimme flüstert „Hallo“ in mein Ohr. Anstatt zu antworten frage ich mich noch, wer das war. Dann platzt die Erkenntnis auf: das war sie! Das war meine Seele!

Später macht dann ein Luftzug mein hölzernes Durchreichetürchen klacken.

Für Meditation und Innere Stille lege ich mir den magischen Briefbeschwerer auf den Bauch, die Wahrnehmung meiner Mitte zu verstärken, aber – ehrlich gesagt – ich liebe es auch, wenn ich dabei einschlafe und träume.
Mein Geist ist noch damit beschäftigt zu klären, ob die Seite vor ihm, die er sieht, echt oder geträumt ist, hat es kaum zu einem Ergebnis geschafft. Jetzt, wo ich wach bin, lächle ich über diese Frage und die anstrengende Antwortsuche und sehe beim Schreiben ein paar Sekunden lang weißes Licht rund um meine Hände aufleuchten. Was immer das auch ist.

Was immer das auch ist – es ist Zeit zum Aufstehen.













©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 7. Februar 2016

289 Heute ist Sonntag

Heute ist Sonntag und ich schreibe nur, wenn mir etwas inspirierendes zufällt oder ein Thema sich aufdringlich aufdrängt. Ich werde mir heute sicher keinen Text aus den Fingern saugen. Und keine Scherze und keine Wortspiele. Ich habe seit 1.3.2015 über zweihundert Texte geschrieben und brauche keine Angst mehr haben, daß die Lust am Schreiben versiegt. Das ist doch eine Grundlage. Außerdem ist heute sowieso wenig Zeit. Es ist früher Morgen und ich nehme in meinen Eingeweiden ein leichtes Vibrieren wahr. Scherze mit dem Eingeweihten verbiete ich mir.


Die schwere Stille nehme ich ganz leicht. Es ist Abend und es dämmert bereits. Die schlanke Kerze hält ihre warmlichtige Flamme ruhig und aufrecht und macht auf mich dabei einen stolzen Eindruck. Ich meine den guten, edlen Stolz, wie er mir fehlt. Ich liebe diese Stunde, auch wenn mir der zu Ende gehende Tag zusetzt, denn meine Ergebnisse heute sind – soweit ich es sehe – gering. Ich weiß nicht, ob ich auch nur einen Zentimeter weitergekommen bin; abgesehen davon, meinem Todesdatum einen Tag nähergerückt zu sein. Eine fast verzweifelte Gleichgültigkeit macht sich breit; aber nur fast und nur kurz, denn ich bin ganz ruhig und fromm. Ich schaue das Licht an und die Schatten und atme. Und lausche auf die Geräusche innen und außen. Nein, Verzweiflung ist es dezidiert nicht; ich winde mich nicht, werfe mich nicht hin und her, laufe nicht im Kreis; ich sitze und blicke umher. Immer wieder schaue ich mich um. Was ich sehe gefällt mir. Ich habe an nichts etwas auszusetzen. Das Verzweifelte war kurz wie eine kleine Welle angerollt und ist wieder verschwunden. Nein, es ist gut und schön und wahr.

Der hellgraue Himmel und die dunkelgrauen Wolken gehen eine Symbiose eigener Art ein. Ohren und Kühlschrank singen ihre angenehm eintönigen Surrelieder im Duett. Es fehlt mir nichts. Mit dem Umwerfen von Vorsätzen habe ich kein echtes Problem.









©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

288 Gut, ich muß keinen Text erzwingen.

Im Traum lastete eine Aufgabe auf mir, die ich kaum bewältigen konnte – ich bin noch ganz verwirrt und irritiert und traumverfangen.
Mir fällt hier jedoch nichts zu schreiben ein. Es zieht mich zum Wundertäterfragment.

Im Wundertäterfragment habe ich drei Wörter wieder hinzugefügt, die ich gestern gestrichen hatte, dann ist mir auch dort nichts mehr eingefallen.

Eigenartig, ich bin so voller Emotionen und fühle mich so leer. Vielleicht haben diese sich schon aus mir herausbewegt und hängen nur noch ein wenig um mich herum und verflüchtigen sich gleich im Unendlichen.
Oder wem „das Unendliche“ zu übertrieben klingt, in der von meiner Kleinheit aus gesehen beinah unendlichen Weite und Fülle der lebendigen Erde.
Oder wem das zu wenig ist, in der beinah unendlichen Weite und Fülle des Universums.
Noch besser – in der unendlichen Weite und Leere des Universums. Meine Emotionen bereichern oder stören das Universum in homöopathischer Hochpotenz. Wirken meine Emotionen auf Geist und Schicksal des Universums?

Die Katze, die in mein Zimmer kommt, lenkt führt holt mich von meiner weit gegangenen Spekulation zurück.

Daher blicke ich im Zimmer umher, und lächle, als mir mein gestriger Tag einfällt.

Gut, ich muß keinen Text erzwingen.

Ich bin wieder eingeschlafen und das laute Heranfliegen eines Hubschraubers hat mich wiederum aufgeweckt und erschreckt, bis der sich in einer anderen Tonlage entfernt hat. Ich bin zurück geblieben und wieder eingesunken in den Schlaf. Unruhig, gespickt mit Traumfetzen und unterbrochen von den Versuchen aufzuwachen.

Endlich bin ich schnell aufgesprungen, aber ich merke schnell, mein Körper hat nicht mitgemacht und ist liegen geblieben. Der Aufgestandene neben dem Bett wußte nicht weiter und hat sich gleich wieder aufgelöst. Wohin aufgelöst? Ist er zum Körper zurückgekommen oder ist er in die Umgebung abgestrahlt? Hat auch er das Universum beeinflußt oder hat ihn die Katze gefressen?














©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

287 Wundertäterfragment 6

Darf der Wundertäter schlecht hören, weil er zu oft in Diskotheken und bei Popkonzerten war? Hat er überhaupt etwas mit diesen Kulten zu tun? Oder ist er nur bis zum Existentialismus gekommen? Darf er billige Scherze von sich geben, oder muß er sehr korrekt sein?

Alle diese Entscheidungen werden mir zu viel. Ich brauche ein Ur-Bild vom Wundertäter, einen Prototyp, zu dem ich immer zurückkehren kann, wenn mir die Gedanken zu sehr ausufern.
Ich nehme ein Photo und sage, das ist der Wundertäter, und gehe dann immer davon aus – welches Gewand trägt er, was sagen seine Gesichtszüge aus, was könnte er mögen, was könnte er machen. Das Photo müßte ich sorgfältig auswählen und dann die Figur des Wundertäters um dieses Photo herum zeichnen und alles, was ich mir ausdenke, an Hand dieses Photos überprüfen. Der Mann am Photo sollte ein unbekannter, auf den ersten Blick eher ein alltäglicher Mensch sein, aber auf den zweiten ein Geheimnis oder eine Kraft ausstrahlen. Im Moment denke ich eher an einen Mann aus den Fünfzigerjahren, oder von noch früher, etwa ein Typus wie Juan Ramon Jimenez, markantes Gesicht, das Stärke und Sensibilität vereint. Natürlich kann ich Juan Ramon Jimenez, einer meiner Lieblingsdichter, nicht als Prototyp nehmen; sein Bild war nur ein Beispiel, das nicht ganz trifft. Außerdem muß es das Bild eines Unbekannten sein. Ich werde mich in der Welt umschauen müssen. Vielleicht trägt der Wundertäter doch einen Bart.













©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 5. Februar 2016

286 Ein dunkler Morgen

Die frische Morgenluft bei geöffnetem Fenster. Noch ist es finster. Die Minimal-Musik der von den Dächern fallenden und unten aufklatschenden Wassertropfen. Gerade hat es zu regnen aufgehört. Es riecht so gut.

Ein Fernseh-Kanal weit zurück in meine Kindheit tut sich auf; ich muß damals auch schon den Wassertropfen zugehört haben. Das Gefühl von einer Atempause in Not und Bedrängnis damals, trotzdem vertraut und Normalität vortäuschend, aber mit einem riesigen Reservoir an Hoffnung. Mein kleines, fernes Ich schaut mich fragend und bittend an. Ich spreche zu ihm, aber ich kann dem Kind nichts Tröstendes sagen. Es ist mit der Zeit nicht alles gut geworden. Ich stocke und suche nach Worten. Schließlich komme ich auf „wir haben bis jetzt überlebt“. Aber ich spreche es nicht aus; es muß etwas besseres geben. Das Kind braucht einen besseren Zuspruch. Ich suche herum und verliere den Kontakt. Es fallen kaum noch Wassertropfen. Ich kann nicht aussprechen, was ich wirklich denke: wir haben unsere Chancen verpasst. Ratlos und ängstlich lasse ich das alles sausen und atme die frische Luft ein. Ich werde das Fenster bald schließen. Ich bin distanziert und gleichgültig. Vielleicht habe ich in der falschen Gegend nach Worten gesucht. Das Fenster ist noch immer offen.

Mir fällt an der Wand meines Zimmer zum erstenmal ein überputztes Türchen auf, zu einem Rauchfang kann es nicht gehören. Was war es dann? Wie oft ich schon auf diese Wand geschaut habe! Was nehme ich eigentlich wahr? Ich schließe das Fenster. Ah! Der alter Gashahn! Dann habe ich es doch schon registriert, nur vergessen.

Es ist jetzt halb sechs in der Früh. Ich habe eine gute Stunde geschrieben.

Jetzt ist es neunzehn Uhr abends und mir sind die richtigen Worte eingefallen: Gott segne und behüte dich, Kind, und er lasse sein Angesicht über dich leuchten. Amen.
















©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com


Donnerstag, 4. Februar 2016

285 Wundertäterfragment 5

Ich wurde gefragt (Augenzwinker!), wieso diese Pariser Geschichte, die ich im Wundertäterfragment 4 erzählt habe, die Amerikaperspektive geändert hat. Nun – es gibt jetzt einen Bezug Charms – Amerika. Möglicherweise will Charms zu dem russischen Amerikaner flüchten, vielleicht fühlt er sich bei ihm sicher, möchte sich dort umschauen und diese irdische Welt noch nicht verlassen.

Hat der Wundertäter oder seine menschliche Natur Depressionen? Liegt er oder seine menschliche Natur manchmal im Bett, deckt sich zu und hüllt sich ein, bis er oder sie wieder im inneren Gleichgewicht ist? Ja. Ja? Ja! Dann muß ich die Figur wieder umschreiben. Dann ist es nur seine „göttliche“ Natur die weiß, was sie will und beschlossen hat, alle Kraft bis zum finalen Wunder aufzuheben. Seine „menschliche Natur“ … „menschliche Natur“ ist nicht ganz richtig, denn es gehört zur menschlichen Natur, daß der Mensch Anteil an beiden – Himmel und Erde – hat. Wir nennen das, was wir bisher „menschliche Natur“ genannt haben, ab jetzt „irdische Natur“; wenn man auf Castaneda zurückgreift „Tonal“. Und das andere ist in dieser Diktion „Nagual“. Dann nenne ich das jetzt auch anders; was ich bisher als „göttliche Natur“ bezeichnet habe, nenne ich ab jetzt … seien wir sehr geschwollen ... „transzendentale Natur“. Ich fürchte „transzendent“ wäre angemessener; ich bleibe trotzdem dabei. Dann geht aber „Natur“ nicht mehr, weil wir quasi schon im „Übernatürlichen“ sind. Gut, dann rede ich ab jetzt vom „irdischen Anteil“ im Gegensatz zum „transzendentalen Anteil“, wobei ersterer wie eine Insel in Zweiterem als seinem tragenden Urgrund schwimmt. Dann passt „transzendental“ vielleicht eh wieder besser. Aber Inseln schwimmen nicht! Trotzdem, es passt besser: schwimmt. Und Wasser als „tragender Urgrund“? Klingt das nicht nach einer ziemlich schiefen Metapher? Aber doch, panta rhei, wenn eigentlich alles fließt, ich bleibe dabei. Sein irdischer Anteil kann Depressionen haben (weil er nicht fließt).


Der Wundertäter liegt am Rücken und horcht in sich hinein. Er ahnt von seinem transzendentalen Anteil und will ihn finden. Er hat gehört, daß er in der inneren Stille zu finden ist. Dann redet er: ich spüre im Nacken ein Ziehen. Ich spüre den Atem fast bis zum Hals. Und so weiter.
Eine Hand schiebt sich unter seinen Nacken und er weiß nicht so recht. Ein wenig erstarrt er, macht sich zur Abwehr und Flucht bereit, wie ein scheues, wildes Tier. Er verharrt in dieser Bereitschaft, aber redet weiter: jetzt spüre ich ein Vibrieren im Bauch. Und so weiter.
Als sich die Hand wieder zurückzieht, merkt er, daß er erleichtert ist.
Er legt seine Hände schützend auf sein Herz. Jetzt, jetzt fühlt er sich wohl! Er merkt, daß er stark und gern allein ist. Für seine große Tat, von der er nichts weiß, muß er allein sein; sein transzendentaler Anteil sagt es ihm ohne Worte.
So liegt er, lange, bis er für die Welt bereit ist.



Kann das ein Text im Roman sein? Ich weiß nicht so recht.









©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

284 Ein dunkler Abend

Ich sitze im Dunklen und lausche der Musik. Ich kann es gar nicht ausdrücken, was mir Musik bedeutet!

Eine schwere Trauer legt sich auf mich und umarmt mich. Das stört mich nicht. Im Gegenteil, ich empfinde sie als etwas, das zum Reichtum gehört. Sie hat etwas mit Intensität zu tun.
Der Schmerz, den ich spüre, will und soll empfunden werden. Er ist natürlich. Und es ist mein Schmerz. Ich leihe mir die Musik nur aus, um mich mit ihm in Verbindung zu bringen.
Der Schmerz fängt bei mir selber an, in meiner Kindheit, führt mich weiter und tiefer, bis zum gegenwärtigen Augenblick, bis in einen Zustand, wo ich sogar Paulus von Tarsus, den ich überhaupt nicht mag, verstehe, wenn er schreibt: „Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Röm 8,22).

Der Schmerz darüber, daß wir, daß ich nicht unser angeborenes Potential entfalte, daß wir unsere Flügel nicht ausbreiten.

Ich spüre, wie es meiner Seele – verschreckt wie sie ist – schwerfällt, sich in meinem Körper auszuleben; wie schwer sich mein Körper – verschreckt wie er ist – tut, das Fließen zuzulassen. Beim Tanzen zum Beispiel, zu dem mich die Musik verlockt. Aber so ist es jetzt.

Und ich bin alt und viele Möglichkeiten sind schon gestorben, die meisten davon verhungert. Aber so ist es gewesen. Vielleicht werde ich noch ganz bescheiden. Vielleicht auch nicht. Ich atme tief durch. Drehe das Licht auf um zu schreiben. Ich bin müde. Ich geh bald liegen.

Wie schön der Anblick ist! Das Licht dort in der Küche. Ich weide meine Augen. Das Holz, die Körbe, der eiserne Ofen; die schönen, weißen Wände voller Schrunden und Spuren. Lebensspuren der Kinder hier vor allem. Bilder an den Wänden. Die Kerze am Ofen leuchtet ihr schönes Licht kurz vorm Verlöschen. Ganz tief schon ist die Flamme ins Wachs eingesunken und man sieht sie nicht mehr.

Die Musik ist jetzt zu Ende und ich horche auf die rhythmischen Drehungen im Geschirrspüler – auch sie sind voller Elegie.
Ich atme tief durch und lächle über meine Trauer, fühle den Keim zur Freude in ihr. (Ich glaube, ohne diese Trauer wäre ich ein ganz unerträglicher Mensch. So bin ich es nur teilweise.)

Die Kerze ist noch nicht verloschen; ich mußte sie beim Verlassen des Raumes ausblasen.

Ich mache alles ganz langsam, fast feierlich. Mir kommt es würdevoll vor, wie ich meine Vorbereitungen auf den Schlaf erledige. Ein Glitzern läuft über den Badezimmerboden. Jetzt liege ich schon im Bett, aber ganz fertig bin ich noch nicht. Das macht nichts. Es ist viel früher als sonst.

Bald bin ich wieder aufgestanden und habe etwas völlig anderes gemacht.
Und Wut kenne ich auch.







©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 2. Februar 2016

283 Wundertäterfragment 4

Und wenn Wundertäter – als Zauberlehrlinge – vorher Wunder üben müssen, um dann so ein Superwunder vollbringen zu können? Wenn das gar nicht geht – nie ein Wunder und dann ein solches? Kann ich mich dann auf die literarische Freiheit ausreden?

Eventuell auch das Zitat von Nikolai Chardschiew über Charms für den Wundertäter verwenden: „Charms war nicht für diese Welt geschaffen. Er war zu zerbrechlich, zu zart“  (Wikipedia, Artikel über Daniil Charms). Andererseits aber ein kraftvoller Wundertäter. Verhältnis „göttliche“ und „menschliche“ Natur als Vorbild nehmen? Nicht getrennt und unvermischt? Nachdenken! Das Dogma lautet: unvermischt,  unveränderlich, ungetrennt, ungeteilt. Hm. Unveränderlich kann sich nur auf das strukturelle Verhältnis der beiden Naturen beziehen, nicht auf die menschliche Natur in ihrer Entwicklung. Egal! Lassen wir das vorerst. Ich kann ja schreiben, was ich will.

Änderung: Die „Himmelfahrt“ kann ruhig auch nach Amerika führen. Mein Sinneswandel kommt aus einer Erinnerung, die in mir hochgestiegen ist. Mir ist nämlich eingefallen, wie mir während meines Pariser Exils (Nummer 93 hier in der Schublade) in meiner Lieblingsbar – so eine Art Pariser Blue Box (vgl. Nummer 87 „Maler Krönchen“ hier in der Schublade) – eine amerikanische Studentengruppe begegnet ist, wo einer sich dann als mit russischer Abstammung outete, und ich ihn fragte, ob er die Werke Daniil Charms kenne. Der weinte fast vor Rührung und Glück, einen zu finden, der Charms kennt. Ich habe dann gleich für die ganze Gruppe und mich Wodka bestellt, aber sie wollten nichts trinken, weil sie am nächsten Tag etwas wichtiges vorhatten, auch der Russe wollte nicht trinken, aber ich habe bemerkt, wie er geschwankt ist und gern mit mir auf Charms angestoßen hätte; zuerst habe ich sie etwas gedrängt, aber, als ich dann seine Qualen sah, habe ich ihm versichert, daß alles okay ist und daß ich ihn verstehe und habe alle bestellten Wodkas alleine ausgetrunken. Oder haben sie meine erste Runde noch mitgemacht, aber bei der zweiten gestreikt? Egal! Also Amerika geht auch, obwohl mir die Unendlichkeit lieber wäre.

Noch eine Idee: der Wundertäter übt seine Wunder in anderen Dimensionen; ich habe ja am Anfang geschrieben, daß er „in den Himmel geholt“ wurde – Himmel als schlampiger Begriff für Jenseits oder andere Dimensionen der Wirklichkeit; schon eher dort wo die unterstützenden Kräfte wohnen. Vielleicht ist das die Lösung für das Lehrlingsproblem – nämlich daß der Wundertäter hier auf Erden kein Wunder übt, weil er seine Lehrzeit oben verbringt. Oder immer wieder zu den Kursen hinreist. Ja, das könnte gehen.

Geht dabei nicht die Grundidee von Charms verloren, wenn ich den Wundertäter eine Lehre im Jenseits machen lasse? Ja, sicherlich. Aber die Idee Charms' geht sowieso verloren, wenn ich die Geschichte schreibe, das ist unvermeidlich, daß sie sich verändert und auflöst. Erst recht, wenn ich ihn hier auf Erden schlußendlich doch ein Wunder vollbringen lasse.

Inwieweit ist das denn Ideendiebstahl? Diebstahl … nun, ich sage ja: diese Idee vom Wundertäter ohne Wunder habe ich von Daniil Charms aus seiner Geschichte „die alte Frau“ genommen. Gut, er kann sich nicht wehren. (Und seine Erben? Sein Verlag? Von rechtlichen Angelegenheiten habe ich keine Ahnung.) Und immerhin, er wird gerettet.
Ich kann ja, wenn der Roman ein Riesenerfolg wird und ich damit wohlhabend, einen ordentlichen Anteil am Gewinn Charms' Erben und/oder  einer unabhängigen Institution zur Förderung russischer Schriftsteller überlassen. Da läßt sich eine anständige Lösung finden. Wenn der Roman ein Riesenerfolg wird.

Frage an mich selber: glaube ich selber, daß der Roman ein Erfolg wird? Glaube ich mir das selber? Glaube ich es mir nicht? Kann ich glauben, daß ich mir das glaube respektive nicht glaube – weil ich es dahinter heimlich doch nicht oder doch schon glaube? (Achtung! Nicht in den K-Effekt abgleiten. Ulrich Freund, der K-Effekt. eine Kapitulationsurkunde. Vom Unvermögen, eigenes und fremdes Leid zu lindern. Achenbach Verlag; 1976).

Traust du dir das überhaupt zu, einen Roman zu schreiben? Kaum. Heimlich vielleicht doch. Das läuft wieder auf den K-Effekt hinaus! Das ist ja völlig wurscht! Ich bin ein alter Mann und kann schreiben was ich will. Möglicherweise bin ich auch ein gebrochener alter Mann mit angeknackstem Rücken – na, dann schreibst halt Bruchstücke! Wäre schon schön, wenn daraus ein wirklicher Roman entstünde. Das ja.

Ich soll in den Wundertäterfragmenten nicht so viel über mich schreiben, sondern über den Wundertäter.
Ich soll in den Wundertäterfragmenten nicht so viel über mich schreiben, sondern über den Wundertäter.
Ich soll in den Wundertäterfragmenten nicht so viel über mich schreiben, sondern über den Wundertäter.
Ich soll in den Wundertäterfragmenten nicht so viel über mich schreiben, sondern über den Wundertäter.
Ich soll in den Wundertäterfragmenten nicht so viel über mich schreiben, sondern über den Wundertäter.
Ich soll in den Wundertäterfragmenten nicht so viel über mich schreiben, sondern über den Wundertäter.
Ich soll in den Wundertäterfragmenten nicht so viel über mich schreiben, sondern über den Wundertäter.
Ich soll in den Wundertäterfragmenten nicht so viel über mich schreiben, sondern über den Wundertäter.
Ich soll in den Wundertäterfragmenten nicht so viel über mich schreiben, sondern über den Wundertäter.
Ich soll in den Wundertäterfragmenten nicht so viel über mich schreiben, sondern über den Wundertäter.
Ich soll in den Wundertäterfragmenten nicht so viel über mich schreiben, sondern über den Wundertäter.













©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

282 Wundertäterfragment 3

Wie wäre es damit: der Wundertäter vollbringt doch ein Wunder, ein einziges. Er sammelt und spart seine ganze Wunderkraft auf, er staut seine ganze Energie für dieses eine Wunder: seinen Schöpfer und Erfinder, Daniil Charms, der unter Stalin im damaligen Leningrad im Gefängnis saß, während die Hitlertruppen die Stadt neunundzwanzig Monate belagerten und gezielt und mit Absicht eine furchtbare Hungersnot auslösten, wo über eine Million Zivilisten verhungerten und sich keiner mehr um die Insassen der Gefängnisse kümmerte, so daß auch sie verhungerten, zu retten. Ein äußerst schwieriges Wunder, Daniil Iwanowitsch Juwatschow vor Stalins Schergen, die ihm defätistische Propaganda vorwarfen und ihn auch der jüdischen Herkunft «verdächtigten», zu retten, aber so, daß er nicht den deutschen Belagerern in die Hände fällt!

Oh! Eine geniale Idee! Die Leser werden staunen! Die Geschichte kann sich so entwickeln wie vorgesehen, denn ich lasse das Wunder erst am Schluß geschehen. Die Leser/innen werden total überrascht sein. Diese Wendung wird niemand und nieweibd erwartet haben, weil es vorher keine Andeutung gibt. Das wird einen Schock auslösen, einen heilsamen. Das wird das Leben von fünfunddreißig Prozent meiner Leserschaft ändern! Oh, genial! Aaaah!

Am Schluß des Romans oder am Schluß des Lebens des Wundertäters? Opfert er sein Leben bei diesem Wunder, indem er all seine Kraft hergibt? Überlebt er sein Wunder nicht? Dann wäre er eher jung gestorben und ich bräuchte nur die kurze Zeit von — sagen wir — dreißig bis dreiunddreißig beschreiben.

Und wenn man es so sieht: Der Wundertäter gibt sein Leben für seinen Erzeuger hin? Nein, das wäre eine falsche Perspektive. Nein, das ist keine gute Idee, denn daß Söhne ihr Leben für ihre Väter opfern, kommt öfters vor und ist beschissen.

Aber der Wundertäter ist nicht der Sohn von Charms, sondern seine Idee, sein Werk. Das Werk wächst über seinen Schöpfer hinaus und diesen gelingt der «Salto ins Unvorstellbare» (Carlos Castaneda). Ja, ja, ja! So ist es! So ist es super! Toll!

Aber dieses Wunder darf die Figur des Wundertäters vorher nicht beeinflußen. Er muß ganz klar der Wundertäter ohne Wunder bleiben. Aber nein, nein! Das geht nicht! Kein Wunder: ja, aber beeinflußt schon, nämlich seine innere Haltung. Genau, das Aufschieben erklärt doch seine Zurückhaltung und Selbstdisziplin wunderbar: er sammelt alle seine Kraft für dieses eine, eigentlich unmögliche Wunder. Er ist dabei ganz, ganz bewußt, ganz, ganz entschieden, nichts mit eingebremst und geschockt, nichts mit eingeschüchtert und verloren; nein, er hat ein glasklares Ziel. Er ist in jedem Moment seines Lebens ein Wundertäter, der sich zurückhält.

Das wird nicht leicht werden, ihn so zu beschreiben.
Ich könnte einen Erzähler einführen, der weiß, daß der Wundertäter ein Wundertäter ist, aber nichts von dem kommenden Wunder ahnt und erstaunt ist, daß der Wundertäter nichts gegen die Unbill macht, der er ausgesetzt ist. Wie Charms schreibt: ein Fingerschnipsen und schon hat er eine ordentliche Wohnung. Der Pöbel, der den Wundertäter quält, weiß nichts von dessen Kraft, nicht bewußt; unbewußt vielleicht schon, denn der Neid darauf nährt ja seinen Haß. Der Erzähler weiß es, darum wundert es sich über die selbstauferlegte Wehrlosigkeit. Erst zum Schluß offenbart sich das Geheimnis.

Wie ist dann das Leben des Wundertäters? Greift er ins Leben ein? Ich meine, hilft er zum Beispiel einer bedrängten Frau? Ohne Wunder, auf normale Art? Da könnte er sehr viel Unangenehmes auf sich ziehen — und gleichzeitig etwas dualitätsabweisendes ausstrahlen, was die Schergen der Dualität erst recht zu Aggressionen anstachelt.

Die Rettung von Daniil Charms sollte nicht zu schwer zu beschreiben sein: mit einer Energiekörperreise kann er an jeden Ort dieses Universums, an Orte in anderen Welten, zu seiner Zeit, oder in jede andere Zeit, ob Vergangenheit, ob Zukunft, gebracht werden, oder überhaupt mit seinem ganzen Körper in die Unendlichkeit. Wohin, ich glaube, das kann ich offen lassen. Vielleicht nur die Möglichkeiten einer solchen Reise mit dem Energiekörper — der gesamte, auch der irdische Körper kann dabei gänzlich in Energie verwandelt und zum Traumkörper hinzugefügt werden — kurz andeuten. Beide, natürlicher und «übernatürlicher» Körper sausen als vereinigte, reine Energie davon. Genau! Und der Wundertäter fliegt auch mit! Jaaaa! Das wäre der logischste, klarste und eindeutigste Abgang! Abgang per Himmelfahrt (oder auch woanders hin; nur muß es nicht immer Amerika sein). Ein wunderschöner Abgang, ein wunderschöner Schluß!

Ich freue mich so, ich freue mich so, auch für Daniil Charms!













©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com