304 Unten und oben
Unten läutet es an der Tür; in mir klopft das Herz, nachdem
ich mich beim Wäschemachen etwas angestrengt habe. Sonst – kommt mir vor –
klopft es nicht. Der Begrüßungssingsang unten, heroben der
Selbstbetrachtungssingsang, ein Spiegelspiel, das nicht und nicht zerbrechen
will.
Die üblichen Ingredienzien für meine Morgensuppe:
Weckerticken, Ohrensurren, Aufregung im Bauch, eine Stille, die vom Dröhnen
eines Dunstabzugs und fernen Straßengeräuschen begleitet ist – denn ich habe
das Fenster offen.
Ah, jetzt das Krähen der Krähen, weit weg! „Heute ist schöne
Sonne!“ höre ich unten, und Kinderlachen und Kinderintensität.
Ich lockere bewußt meine zusammengebissenen Zähne und
wiederhole mein neues Mantra, das mir am Dienstag geschenkt wurde: „ich lebe
meine Spiritualität und ich lebe in dieser Welt und nehme dabei den Geist mit.
Schön, daß es heute und alle Tage meines Lebens so ist.“
Der Luftzug läßt die offene Zimmertüre knarren; unten singen
und jubeln die Kinder auf ihrem Weg in den Park.
Interessant, daß oben bei mir das größere Bedürfnis
nach Schwermut ist, als unten. Vielleicht ist es oft so gewesen: ich
hatte mich verstiegen, weil ich zu hoch hinaus wollte, und hänge dann
schwerfällig – im wahrsten Sinne des Wortes – in schwankendem, zu dünnem Geäst
und trau mich nicht runter. An zerbrechlichen Zweigen mich anklammernd, den
Kontakt zum Boden verloren?
Die Spinnweben dort werde ich heute entfernen, über so viel Tatendrang
muß ich lachen, während meine Augen vom Schlaf noch verklebt sind.
Die kleinere Katze ist hereingekommen und hat mich
abgelenkt, so daß plötzlich eigentümliche Erinnerungen aufgetaucht sind aus den
Tiefen des Seelensees, für die ich im Moment keine Erklärungen habe. Ich habe
meine Aufmerksamkeit kurz weggedreht und wie ich sie wieder hingedreht habe,
was dieses Bild da.
Ein Song von John Frusciante geht mir immer wieder durch den
Kopf, genauer gesagt, ein paar Bruchstücke davon, aber frage mich nicht, wie er
heißt.
Jetzt sind es viele Krähen und viel näher; ihr Palaver
begleitet schon mein ganzes Leben. Sie kommen immer näher. Holen sie mich schon
ab? Nein, sie entfernen sich wieder. Die Krähenschreie rufen das Bild vom
weiten Tal meiner Kindheit herbei, und den großen Baum da unten in der
Teufelsgrube, und meine Angst und Fremdheit; sie rufen sie herbei wie einen
Film auf der Leinwand, oder statischer wie eine Diashow; ich bleibe Zuschauer
und betrachte von außen meine Erinnerungen und Todesängste dort an der Wand,
und meine Ausweglosigkeit damals.
Ich selber im Hier und Jetzt bleibe gelassen.
Nun ist es wirklich still.
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