Freitag, 12. Februar 2016

294 Morgenrot

Heute stechen mir die roten Dinge in meinem Zimmer ins Auge und ich muß an den Waschlappen denken, den mit den kleinen, blutroten Rechtecken in seiner Musterung, die mir in meiner düstersten Zeit das Leben gerettet haben. Liebe Leserin, lieber Leser, ich muß innerlich laut lachen über das Rätsel, das ich euch damit stelle.

Es war nämlich so: damals hat mich, der ich mich komplett verstiegen hatte in inneren Windmühlenkämpfen, das Betrachten dieser lebensfarbigen Farbtupfer am Waschlappen – das einzige warme Rot in meiner Einsiedlerwohnung – dazu verleitet, meinen Blick wieder mehr zum Leben hin zu wenden und meine innere Fokussierung auf diese lebensbejahende Richtung umzujustieren; und tatsächlich, allmählich löste ich mich von dieser ständigen lebensgefährdenden Selbstzerfleischung; nicht vollständig, aber ich gewann etwas Abstand und konnte mich wieder ein wenig der Welt und dem Leben zuwenden.

Und genauso wirkt das Rot auch heute auf mich, lebensvoll und lebensbejahend, lebendig, mit der Welt und dem Leben versöhnend. Ich fühle mich gut, und Zuversicht und Optimismus erhellen meinen Blick. Der Wecker tickt langsam, aber fröhlich, in meinem inneren Kino taucht dabei das Bild eines alten Mannes auf, der langsam, aber mit Inbrunst seinen Tanz hinlegt. Darauf meldet sich gleich mein Kreuz, ein leichtes Ziehen plötzlich, nicht unbedingt unfreundlich, eher wie ein Lebenszeichen, als eine sanfte Botschaft meiner kaputten Wirbelsäulenscheibe. Ich verstehe nicht ganz, was sie sagen will, vielleicht nur  „ich bin auch noch da!“. Oder sollte ich mich vom Rot in Regionen locken lassen haben, in denen ich nichts verloren habe? Ist das die Botschaft? Dann ist es zu spät – aber ich glaube dieser Versuchung zum Totalrückzug auch gar nicht mehr.

Mein Blick fällt auf das Photo eines Granatapfels, eines Marienkäfers und auf eine Zeichnung meiner damals kleinen Tochter, das mich mit lächelnden roten Lippen zeigt. Selbst ein verhalten rotes Radkreuz finde ich, und eine von meinen Kindern gebastelte Fußballplakette – aus der Zeit, als ich im Fernsehen noch Fußballspiele schaute – wo der gezeichnete Fußball von einem warmen Rot umkränzt ist.

Der kleine Cedeplayer glänzt in Rot und eine Rolle Geschenkpapier – wie passend, ersterer steht für die Musik, die mein Leben bereichert, und zweitere für das, was ich geben kann.

Und viele Bücher in Rot, darunter auch Gedichte von Juan Ramon Jimenez.
Auch mein Notizbuch hat ein rotes Bändchen, mein Lesezeichen und Leitfaden beim Schreiben.

„Rotlichtmilieu“ und „Rot-arier“ fallen mir ein; aber jetzt wird es ungemütlich, obwohl mir eine schnurrende Katze auf der Brust liegt. Jetzt droht meine Lebensbejahung zu kippen, denn etwas Ungutes und Angst versuchen sich einzuschleichen, und so etwas wie Gier, Lebensgier.

Aber draußen, draußen ist ein herrlicher Morgen, wo die Sonne gerade ihre ersten roten Strahlen auf die Dächer wirft.
Und nun, wo ich das Notizbuch weglege und meine aufgestellten Beine ausstrecke, sehe ich auch noch meine rote Tagesdecke im Schreibtischsessel liegen.

Ich bleibe in Balance.








©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

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