Mittwoch, 10. Februar 2016

291 Bedenke, oh Mensch …

Ich bin im Aufwach-/Einschlafmodus, der wunderbare Zustand, wo das Denken dauernd ins Absurde stolpert, die Bilder der Wahrnehmung ständig kippen, wie in Vexierbildern, die zwischen Traum und Wirklichkeit changieren und in dem die Assoziationen wie in einem lebendigen Fluß von trägem Dahinfließen bis zu überraschenden Kaskaden und Wasserfällen gelangen und in unerwartete Schluchten des Unbewußten stürzen können, um sich dann wieder in still mäanderndem Dahinfließen des Gewahrseins zu beruhigen. Dem Einschlaf- und den Aufwachkräften gleichzeitig ausgesetzt, manchmal in schwebender Balance, manchmal da und manchmal dort.
Unten scheucht jemand mit Klatschen und Rufen eine Katze vielleicht vom Tisch und mich und mein katzenartig umherschleichendes Bewußtsein Richtung Realität, sodaß ich das Licht aufdrehen, Notizbuch, Stift und Brille nehmen kann und schreiben.
Ich liebe diesen Zustand zwischen Verlieren und Sich-Finden, zwischen Auflösung und „Wiederaufbau“, die heruntergefahrene Kontrolle gibt vielen Bildern, Gefühlen, Gedanken die Chance durchzukommen. Manche gehen auch verloren, weil meine Aufmerksamkeit nur halb wach ist. Fast eine Stunde habe ich in diesem Zustand verbracht, mir erscheint sie wie fünf, zehn Minuten.
Die Gerüche narren mich etwas, weil ich genau weiß, was sie sind, aber mir trotzdem als etwas anderes erscheinen; wie ein verspäteter Faschingsnarr am Aschermittwochmorgen erscheint mir der Geruch von Kaffee zum Beispiel als als etwas anderes verkleidet; er riecht nach – ich weiß nicht recht, ich weiß nicht, als was er geht.

Heute ist wirklich der Tag, wo der Mensch aus Staub ist und zu Staub zurückkehren wird. Sternenstaub, genauer gesagt. Ein aufregender Gedanke! Ein Gedanke, der hellwach macht. Aber die schlafziehenden Kräfte sind noch da.

Eine gewisse Unruhe geht umher, vermutlich gespeist aus Angst, die auch mich erfaßt, obwohl ich jetzt nicht in die Schule muß und in die Arbeit erst in knapp sieben Stunden. Es ist diese Scheißangst vor diesen entwürdigenden Situationen, wie sie bei solchen Veranstaltungen als zwangsläufig erscheinen, obwohl sie es in Wirklichkeit überhaupt nicht sind. Antrainiert durch die gewalttätige Schulpflicht vor allem, dabei jahrelangen Entwürdigungen und Bloßstellungen und Entwertungen ausgesetzt. Ausgeübt von Leuten, die glauben, die Schöpfung, die gut ist, be- und verurteilen zu können oder zu müssen.
Diese Angst frißt sich in den Eingeweiden fest und hält ständig einen gesundheitsschädlichen Alarmzustand aufrecht. Warum kann man, frau, kind und teenager nicht einfach in die Schule und in die Arbeit gehen und sich freuen, weil es ein interessanter Tag zu werden verspricht, neugierig auf die Begegnungen mit Erfahrungen, Wissen, dem Lernen und Wachsen, den Begegnungen mit Menschen, dort fröhlich die Talente einbringen, willkommen und geachtet und wo man grundsätzlich einmal gut genug ist? Daß wir an diesen Orten nicht anständig behandelt werden, ist – vor allem für Kinder und Jugendliche – wie ein Säureattentat auf die Seele. Ständig.

Mit meinem inneren Auge blicke ich jetzt trauernd die Jahrhunderte zurück, durch diese ganzen Schichten an abgelagertem „Du bist nur Dreck!“ hindurch und sage nochmals: Ja, Staub. Aber Sternenstaub! Sternenstaub!

Und daß wir unsere Leiber wieder der lebendigen Erde zurückgeben – obwohl wir es so nicht unbedingt müßten – ist kein Grund für Feindseligkeit und Haß; schon gar nicht von Leuten, die selber die Unendlichkeit nicht erreichen, sondern selber in Selbsttäuschung, Hochmut und Eigendünkel verfangen sind. Nein, dieses „Bedenke oh Mensch“ müßte keine Drohung sein und bräuchte nicht Angststarre und Schuld erzeugen, sondern könnte das Herz öffnen für den Augenblick, für das Jetzt.












©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite