286 Ein dunkler Morgen
Die frische Morgenluft bei geöffnetem Fenster. Noch ist es
finster. Die Minimal-Musik der von den Dächern fallenden und unten
aufklatschenden Wassertropfen. Gerade hat es zu regnen aufgehört. Es riecht so
gut.
Ein Fernseh-Kanal weit zurück in meine Kindheit tut sich
auf; ich muß damals auch schon den Wassertropfen zugehört haben. Das Gefühl von
einer Atempause in Not und Bedrängnis damals, trotzdem vertraut und Normalität
vortäuschend, aber mit einem riesigen Reservoir an Hoffnung. Mein kleines,
fernes Ich schaut mich fragend und bittend an. Ich spreche zu ihm, aber ich
kann dem Kind nichts Tröstendes sagen. Es ist mit der Zeit nicht alles
gut geworden. Ich stocke und suche nach Worten. Schließlich komme ich auf „wir
haben bis jetzt überlebt“. Aber ich spreche es nicht aus; es muß etwas besseres
geben. Das Kind braucht einen besseren Zuspruch. Ich suche herum und verliere
den Kontakt. Es fallen kaum noch Wassertropfen. Ich kann nicht aussprechen, was
ich wirklich denke: wir haben unsere Chancen verpasst. Ratlos und ängstlich
lasse ich das alles sausen und atme die frische Luft ein. Ich werde das Fenster
bald schließen. Ich bin distanziert und gleichgültig. Vielleicht habe ich in
der falschen Gegend nach Worten gesucht. Das Fenster ist noch immer offen.
Mir fällt an der Wand meines Zimmer zum erstenmal ein
überputztes Türchen auf, zu einem Rauchfang kann es nicht gehören. Was war es
dann? Wie oft ich schon auf diese Wand geschaut habe! Was nehme ich eigentlich
wahr? Ich schließe das Fenster. Ah! Der alter Gashahn! Dann habe ich es doch
schon registriert, nur vergessen.
Es ist jetzt halb sechs in der Früh. Ich habe eine gute
Stunde geschrieben.
Jetzt ist es neunzehn Uhr abends und mir sind die richtigen
Worte eingefallen: Gott segne und behüte dich, Kind, und er lasse sein Angesicht über
dich leuchten. Amen.
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