276 Material
Die kalte Luft strömt ein. Es ist zwei Uhr nachts. Begierig
sauge ich die frische Luft in tiefen Atemzügen auf. Mein Denken hat viel zu
verarbeiten. Wie im Karussell drehen sich Gedanken, Erinnerungen, Befürchtungen
und Gefühlsfragmente um mein zagendes Herz. Weil ich nicht genau hinschauen
will, ist mir das Ganze unangenehm. „Die Wahrheit wird dich befreien.“
Ich bitte um eine Botschaft im Traum.
Eine Eskimofrau hat mich angeschaut, gelächelt und dann
geweint. Ihr breites, rundes Gesicht strahlt vor Offenheit und echten Gefühlen.
Auch ihre Tränen in ihrem Gesicht strahlen. Ich muß ihr sehr leid getan haben.
Ihr Blick ist voller Mitgefühl.
Aber was ich wirklich in meinem Leben erreichen wollte, habe
ich erreicht.
Im Traum habe ich mit einem kleinen, schmalen Spaten – einem
Kinderspaten ähnlich – in Gasthäusern und Lokalen kaputtes, mürbe und porös
gewordenes Material von Fußböden, Speisekarten, Tischen etcetera entfernt.
Ausgesehen hat das, wie wenn ich etwas Gebackenes vom Backblech hebe, aber es
war alles verdorbenes Material. MATERIAL. Dabei habe ich denen bloß gezeigt,
daß und wie ich das mache – um dann den Auftrag zu bekommen, auf diese Weise
alles Verdorbene zu entfernen. Da hätte ich dann einen erwachsenen Spaten
verwendet.
Getragen habe ich dabei einen Wahnsinnsledermantel, lang bis
zum Boden, das Leder sehr dick, sehr steif, aber auf schlank geschnitten.
Manchmal hat er mich bei der Arbeit gestört. Ich gehe als Kunde ins Lokal und
teste mit dem Kinderspaten verschiedene Stellen. Wenn ich merke, da ist etwas
porös, das Material ermüdet, fahre ich mit dem Spaten rein und hebe das
verdorbene Material heraus, egal, ob das eine Stelle am Fußboden, am Tisch, an
der Wand oder auf einer Speisekarte ist. Ich habe noch das Bild vor mir, wie
ein Blatt der Speisekarte aufgedunsen und dick ist, weil es vollgesogen ist mit
irgendetwas, das inzwischen schon wieder getrocknet ist. Das aufgedunsene,
dicke Papierblatt, vermischt mit der Plastikhülle, ist schon porös und schaut
aus wie ein bleich gebackener Teig in einem Blech. Ich fahre mit dem Spaten
unter die zersetzte Schicht, hebe sie in die Höhe und zeige damit, daß schon
alles aufgelöst und porös ist und unbrauchbar und sage zum Barkeeper: „Siehst
du, so mache ich das.“
Die Möndin schaut betropetzt drein, hat etwas verlorenes im
Blick und trägt ein Kopftuch. Dicke Strahlen gehen von ihrem Gesicht aus und
ziehen dicke, bunte Tropfen an; der Sog des Mondes, wie wir ihn kennen.
Eine Kirche und ein Turm begrenzen den Horizont, von dem
sich eine wellige Landschaft herunterwölbt, herunter zu einem gemauerten
Wasserbassin – ein Schwimmbecken vermute ich in diesen alten Zeiten noch nicht.
Bei diesem Bassin hocken zwei Hunde und heulen die Möndin an, auf die Mauern
dieses Bassins fallen von den Hunden zwei ganz dunkle, finstere Schatten
herunter.
Im Wasser schimmt ein eigenartig verwuzzelter Krebs; schaut
fast schon aus wie ein Wurzelstock, der im Wasser treibt. XVIII. La Luna.
©Peter
Alois Rumpf Jänner 2016 peteraloisrumpf@gmail.com
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