273 Rationales oder die Einkaufstour
Es ist dreiuhrsiebenundzwanzig in der Früh und diesmal ist
meine Schlaflosigkeit wirklich hausgemacht. Erstens, indem ich gestern für
unsere Gäste eine Thermoskanne mit gutem, starken Kaffee aus biologischem Anbau
gemacht und dann nicht ausreichend dafür gesorgt habe, daß sie leer getrunken
wird; und zweitens, indem ich es heute nachmittags nicht geschafft habe, den
Rest einfach wegzuschütten – beim Wegwerfen von Lebensmitteln bin ich einer
Zwischenkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsmentalität verhaftet – und ihn deshalb
selber ausgetrunken habe.
Ich bin mit klopfendem Herzen in der Dunkelheit gelegen und
habe mich abstrusen Gedankenspielen und Phantasien hingegeben. Zum Beispiel
habe ich mir ausgemalt, daß ich Kinder habe, von denen ich nichts weiß. |: |: Äußerst unwahrscheinlich! :| :| Und wenn, sind sie über dreißig Jahre alt.
Gut, habe ich mir gedacht, du kannst nicht schlafen. Dann
schalte halt das Licht ein, nimm dein Notizbuch und schreibe. Und öffne das
Fenster, der Raum braucht frische Luft.
Gutes Timing, denn soeben hat es zu regnen begonnen und ich
liebe das Geräusch und den Geruch von Regen. Ich höre auch ein Summen, als
stünde im Lichthof ein Kühlschrank und kühlte vor sich hin.
Kaffee ist eindeutig eine rationalistische Droge. Nichts
poetisches in meinem Geist, nur trockene, dürre Gedanken, die nicht ausufernd
und nicht ausschweifend mäandern; keine ordentlichen Sprünge und Wasserfälle.
Eine richtige Selbstantreiberdroge. Keine Traumfetzen, in deren Nachklängen und
Nachbildern man kleine Schätze, Perlen, Formulierungen, Botschaften,
Bildpuzzelteilchen entdecken, keine Zwischenräume, durch die irgendetwas
verheißungsvolles durchschimmern könnte. Eine geschlossene Welt. Kein Aufzug
nach oben oder unten.
Der Regen hat aufgehört; auch den Klang der letzten Tropfen,
die sich vom Dach stürzen, mag ich.
Gut, denke ich mir, dir fällt nichts rechtes zu schreiben
ein. Dann leg dich halt wieder hin. Und wenn du nicht schlafen kannst, dann
spinn weiter deine witzlosen Gedankenfäden.
Ich bin aus einem spannenden Traum aufgewacht, wo ich in
eine fremde Wohnung eingedrungen und auf Abenteuer aus war. Vorher bin ich zu
fünfzig Stockhieben verurteilt worden. In dieser Wohnung pflanze ich heimlich
ein ganz kleines Pflänzchen, aber jetzt kommt die Inhaberin telefonierend
zurück und muß mich gleich durch die Glastür sehen. Ich habe ja auch das Licht
aufgedreht. Schnell versuche ich mit der Pflanzerei fertig zu werden und gehe
jetzt sehr schlampig vor. Sie tanzt die ganze Zeit vor der Tür herum, geht hin
und her, und telefoniert. Ich kenne sie eh, aber es ist mir deswegen erst recht
unangenehm, wenn sie mich hier erwischt. Zunächst war ich sehr nervös, aber
schließlich bin ich durch meine Kühnheit und Nervenstärke entkommen. Denn
plötzlich war mir alles egal, auch, was mit mir selber passiert, und eine Welle
von innere Kälte hat mich erfaßt, ich bin einfach durch die Tür raus – in einem
Moment, wo sie beim Hin- und Hergehen links von der Tür war – aber so, als wäre
es das Selbstverständlichste auf der Welt, habe mich nicht umgedreht, bin auf
die Stiegen zugegangen und schließlich fröhlich, unbekümmert und unentdeckt
hinuntergehopst.
Ich scheine trotz aller Traumsymptome wie heftiges Surren in
den Ohren noch immer ganz rationalistisch geladen zu sein, denn es tauchen
keine Bilder mehr auf, keine Stimmen, die mir etwas sagen, keine
herumgeisternden Traumfetzen. Ich bin viel zu wach.
Gerade setzt draußen der Regen ein mit seinen edlen, schönen
Geräuschen und zieht sich doch gleich wieder zurück. In meinem Körper spüre ich
eine Spannung und ein still aufgeregt Vibration. Meine hingerichtete
Aufmerksamkeit verscheucht die Empfindung.
Ich bin voller Tatendrang – ich muß ja schließlich einkaufen
gehen! Es amüsiert mich, wie das freche Abenteuer des Traumes sich im Diesseits
in eine Einkaufstour zu einem Baumarkt verwandelt hat. Aber Baumärkte sind für
mich doch äußerst fremde Reviere, fast so fremd und unheimlich wie
Saudi-Arabien. Ich brauche eine minimale, aber notwendige Masse an Mut um dort
hinzugehen. Unter dieser kritischen Masse kein Baumarktbesuch.
©Peter
Alois Rumpf Jänner 2016 peteraloisrumpf@gmail.com
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