267 Unerlebte Schrift
Früher Abend gegen Mitternacht. Ich weiß. Aber ich bin in
letzter Zeit sehr spät zu Bett gegangen. Eine gefährliche Traurigkeit hat mich
erfaßt. Ich mag darüber nicht nachdenken und dem nicht auf den Grund gehen. Ich
werde mir einen Internet-Surf-Stop verordnen. Aufgewühlt, konfus und ratlos
liege ich da. Jetzt ist die Traurigkeit in Wut umgeschlagen. Es zuckt und reißt
in mir. Irgendetwas stimmt nicht. Mein Herz klopft noch, aber ich beruhige mich
wieder. Eine „unerlebte Schrift“ ist nicht die Schrift eines Unerlebten,
sondern die eines Eingeschüchterten. Was sollen solche Sätze! Rede klar und
deutlich oder halte den Mund! Manche fangen halt an, indem sie murmeln und
stottern und vorsichtig reden, indem sie undeutliche Wörter wie Versuchsballone
vorausschicken. Ja, und manche fangen an und machen nicht weiter.
Früher Morgen gegen sechs. Ich habe einen unklaren Traum
aufgeschrieben und bin daraus nicht schlau geworden. Ein gewisser,
morgendlicher Optimismus, der sich dem Tag zuwenden traut, ist da. Das Surren
ist auch da. Und im Nacken eine Unsicherheit und Unruhe, ein Druck, ausgelöst
von einer Starre. Ich finde keine Ruhe- und Schreibposition. Sehnt sich mein
Körper nach Rekapitulation? Das Zurückholen meiner Illusionen und Träume?
Und du – wie gut kennst du dich im Internet aus? Kannst du
gut recherchieren? Und deine Englischkenntnisse? Willst du meine
Privatsekretärin sein? Agentin? Managerin bei gutem Gehalt? Manchmal wird es
wenig zu tun geben, manchmal viel. Du müßtest meine Kommunikation nach außen
organisieren und alles finden, was ich dazu brauche: RechtsanwältInnen,
Druckereien, Verlage … . Und wie gesagt – du wirst sehr gut bezahlt und ich
bleibe höflich und distanziert und lebe keusch.
Ich begebe mich in Ruheposition und werde sehr unruhig
dabei, fast zornig. Nichts passt, etwas sitzt mir im Nacken.
Die vorbeigehenden Kinder spüre ich in meinem Inneren.
Mensch! Warum hast du nicht Malerei studiert?! Nein, nein, ich meine nicht
mich, sondern einen anderen in Graz, der mich nichts angeht. Noch ein anderer:
mein wörtlicher Doppelgänger in der Elektrik.
Ich warte auf das Weckerläuten. Haus-am-Fluß-ähnliche
Erinnerungsfetzen. Aber ich war mit Schreiben beschäftigt. Nicht schlecht! Ich
geb nicht auf. Es riecht komisch. Schluß. Aus.
Das Wohnzimmer, ungewohnt um diese Zeit. Die Kerze unter den
Bildern brennt nicht. Ich fürchte, daß ich sie dann vergessen würde. Ruhig ist
es an diesem Vormittag in der Gasse. Das Licht ist vertrauenserweckend. Die
Sonne wirft Weidenbaumschatten an die Hausmauer. Der Miesberg zum Beispiel
hängt hinten in der Küche. Aus dieser Entfernung schaut er ganz realistisch
aus, aus der Nähe sind es nur Farbflecken. Dieses Bild hat von der Weiten eine
unglaubliche Intensität, das ist mit bis jetzt noch nie aufgefallen.
Die Katzen schnurren und kratzen und bringen Unruhe ins
Spiel, dann wieder Ruhe. Alles sinkt tiefer. Alles, deshalb bleiben die
Proportionen gleich. Beim Einatmen hebt es sich wieder. AOUM läßt die Katzen
flüchten. Die Müllabfuhr bringt leben in die Bude. Aber nur kurz, dann zieht
sie wieder lärmend von dannen. Wie ein Gewitter hört man sie noch polternd und
scheppernd abziehen.
Fast alles kann an Intensität gewinnen, wenn man es lange
anschaut. Alles, das sich nicht gegen Intensität versperrt. Möglicherweise ist
es nur eine Frage der Dosierung. Möglicherweise! Tauben rufen im Winter. - ich
habe mich nicht geirrt. Ich warte. Ich warte auf den Installateur.
Ich liebe den Blick von der Wohnzimmercouch auf die Stiege
und durch die Tür in die Küche. Ein schöner Platz zum Verweilen; man sieht viel
Holz, aber nicht zu viel. Ich lache über den Wankelmut der Beurteiler und was
ihn hervorruft: zuerst märchenhaft schön, dann märchenhaft kitschig. Nein,
nein, nicht das hier. Das hier ist schön. Nur das Kerzenlicht fehlt mir ein
wenig dort drüben am Ofen, unter den Bildern. Was für eine Kraft in einer
gewissen Blindheit stecken kann! Nämlich in einer Blindheit für die Welt.
©Peter
Alois Rumpf Jänner 2016 peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite