266 Im Wald
Vor einer halben Stunde noch wollte ich in einem Wald
übernachten, aber die Decke war viel zu klein, nur ein Drittel meiner
Körperlänge. Außerdem hätte es ein Zelt sein sollen. Und außerdem: wo ist meine
Frau? Wer immer das ist. Wo ist sie hin und warum kommt sie nicht zurück? Wegen
der Kinder?
Jetzt sehe ich am Hang drüben links auf einer Lichtung einen
Jäger sitzen und mich beobachten. Ah, wegen Feuer! Was habe ich vorher
angezündet? War das ein kleines Probefeuer? Oder eine Zigarette? Habe ich
überhaupt etwas angezündet? Ich weiß es nicht mehr. Ich fühle mich schuldig und
fürchte mich vor dem Jäger.
Ansonsten rundherum Wald. Dichter, aber von Lichtungen und
niedrigen Jungwaldbeständen durchsetzter Wald. Rechts von meinem Lagerplatz,
nicht weit von hier, hinter einer Baumreihe hinter einer Lichtung fließt ein
größerer Bach; ja, es hilft nichts, ich denke, es ist ein Fluß, obwohl mir ein
solcher hier unwahrscheinlich vorkommt. Ein Fluß ungefähr von der Größe der
Enns. Aber das Ennstal, glaube ich, ist es hier nicht. Eher das Waldviertel.
Obwohl mich die Landschaft hier nicht ans Waldviertel erinnert. Nur der große
Wald, der sich viele Kilometer in alle Richtungen ausdehnt, erinnert mich ans
Waldviertel. Wie das im Traum halt so ist: man träumt, man ist im Waldviertel,
es schaut jedoch gar nicht so aus.
Ich werde etwas unruhig, weil es jetzt finster wird und
offensichtlich mit dem Zelt nichts ist und mich der Jäger beobachtet. Schießt
der auch? So genau weiß man das bei denen nie.
Ein breiterer Weg führt links an meinem Lagerplatz vorbei
und plötzlich geht da ein jüngerer Mann; ich denke gleich, der sucht auch
Quartier. Er ist wie aus dem nichts aufgetaucht. Ich gehe hinter ihm her, mit
etwas Abstand, und gleich zwanzig, dreißig Meter weiter steht dort linker Hand
ein altes, verfallenes Haus, das mir bis jetzt nicht aufgefallen ist.
Anscheinend ist es in den Hang hineingebaut, von der Architektur her ähnlich
wie es manchmal Weinkeller im Weinviertel sind.
Aber wir sind hier im Traumwaldviertel und ringsherum ist riesiger Wald.
Fenster sehe ich keines am Haus.
Ich klopfe an die Tür, versuche die Tür zu öffnen, eine
alte, verfallende Holztüre, aber das Haus scheint verlassen zu sein. Da kommt
der junge Mann daher und zeigt mir, wie die Tür aufgeht. Nebenbei: wie geht
das, wenn ich hinter ihm gegangen, und jetzt vor ihm beim Haus
bin? Egal. Jedenfalls schiebt er die Tür zuerst in die Höhe, dann kann er sie
aufmachen. Aha! So geht das! Und schon ist der junge Mann verschwunden.
Offensichtlich ein Türöffnungshilfsgeist.
Ich trete ein in einen düsteren, schmalen, lang nach hinten
gehenden Raum, der eigenartigerweise zwei verschiedene Fußbodenhöhen hat –
rechts ist der Fußboden um mindestens einen Meter höher als links, wo ich jetzt
in der Tür stehe. Es geht sozusagen eine Geländestufe durch den Raum. Und vorne
rechts, aber hier noch auf gleichem Niveau, sitzen ein jüngerer Mann und ein
Kind – ich glaube ein Mädchen – an einem kleinen Tisch und machen gemeinsam die
Hausaufgaben, Etwas weiter hinten, rechts, schon erhöht, sitzt, wie auf einem
Thron vom Eindruck her, aber auch nur auf einem normalen Sessel, der bei einem
kleinen Tischchen steht, der Hausherr; ein Mann in mittleren Jahren, mit
landesüblichem Bauch, nicht übertrieben, aber deutlich. Er ist eindeutig der
Chef hier. Ich frage ihn, ob ich eintreten darf und er – ja was? Nickt er? Sagt
er ja? Keine Ahnung! Irgendwie ist sein Ja bei mir angekommen.
Er ist kein Typ, der mir sonderlich sympathisch ist, eher
einer von denen, die ich fürchte, aber denen ich mich gerne unterwerfe. Das
habe ich natürlich nicht gern und ist mir äußerst unangenehm. Aber hier, in
diesem Wald - draußen ist es Nacht - bin ich froh, Unterschlupf gefunden zu
haben.
Ich sehe jetzt in diesem länglichen Raum, rechts im erhöhten
Bereich, aber noch weiter hinten, einen offenen Durchgang zu einem anderen
Raum, in dem mehrere Leute an verschiedenen kleinen Tischen in kleinen Gruppen
sitzen. Ist das vielleicht ein Gasthaus? Der Gedanke erleichtert mich, dann
braucht mir meine Anwesenheit hier nicht so unangenehm und peinlich sein.
Aber wo ist meine Frau? Wer immer das ist. Kommt sie noch
wie abgesprochen? Oder nicht mehr? Ist sie bei den Kindern? Wo sind die Kinder
eigentlich? Wo haben wir sie zurückgelassen? Bei Freunden oder Verwandten? Im
Wald, wie bei Hänsel und Gretel? Nur daß wir selber nicht mehr zurückfinden?
Oder meine Frau – wer immer das ist – schon, nur ich nicht? Bin ich da in
diesem Haus in Sicherheit oder muß ich Angriffe und Attacken befürchten?
Erst jetzt fällt mir das laute, hohe, durchdringende Singen
in meinen Ohren auf.
Ich strecke mich. Ho! Ho! Ho! Ho!
©Peter Alois Rumpf Jänner 2016
peteraloisrumpf@gmail.com
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