259 Gesäuse
Im Traum bin ich die Enns flußaufwärts gegangen, durchs
Gesäuse, ganz unten am Ufer, zeitweise durch seichtes Wasser. Nur, daß da keine
Straßen, keine Bahngleise, keine Siedlungen waren. Lediglich dort vorne, hinter
der nächsten Flußbiegung, ahnte ich das Haus meiner Großeltern. Meiner
Traumgroßeltern, denn das Haus meiner Diesseitsgroßeltern stand nicht auf einem
Hügel direkt am Ufer der Enns.
Es war also ein Traumgesäuse und ich bin im Traum schon
öfters diesen Weg gegangen – ich kann mich erinnern. In den früheren Träumen
bis nach Admont; in diesem sind wir an dieser Flußbiegung vorm Großelternhaus
wieder umgedreht. Wir - mein Begleiter und ich. Ich weiß nicht, wer mein Begleiter war; er wollte nicht weitergehen, ich schon. Wegen ihm bin auch ich umgedreht. Wir waren noch im nördlichen, sanfteren, grüneren Bereich des Gesäuses, so zwischen Weißenbach an der Enns und Wolfsbachau, oder ein bißchen weiter. Bevor es mit den Felsen und Schluchten richtig losgeht. Ab dem Großelternhaus wird es steil und eng. Und Admont ist der Ort meiner Geburt.
Jetzt liege ich wach, erfüllt und eingehüllt von heftigen
Traumgefühlen. Ein traumhafter Morgen voller Intensität und Ratlosigkeit. Was
ist eigentlich los? Mein Herz pocht laut wie nach einem Schrecken, ist jedoch
von einer starken Sehnsucht erfüllt. Wonach sehnt sich mein Herz?
Es ist ein stiller Morgen, wie ich ihn hier oft erlebe. Ganz
ruhig, kaum Geräusche von außen. Das obligatorische, intensive Surren in den
Ohren, das den Eindruck von Stille und Alleinsein verstärkt, als deren
rechtmäßige, artgerechte, charakteristische Bergleitmusik. So wie im Gesäuse
die Enns rauscht und trotzdem die Gegend still ist.
Eine Pattsituation, aber wem oder was gegenüber? Wellen
eines undefinierten Gefühls gehen durch mich hindurch. Ich kann dieses Gefühl
nicht zuordnen, aber nicht, weil es so fremd ist - nein, es ist mir sehr
vertraut – sondern weil es … ja was?
Weil es zu groß ist? Zu alt? Zu lange her? Weil es in einer
anderen Sprache „spricht“, die ich oft gehört, aber nie erlernt habe? Oder
schon längst vergessen?
Ein altrosa Fleck taucht vor meinem inneren Auge auf und das
Geklapper aus der Küche in meinem Ohr. Die hiesige Wirklichkeit wird lauter.
Jetzt ist wieder das Surren dominant mit seiner ruhigen,
kontinuierlichen Aufgeregtheit. Etwas alarmierendes haftet ihm schon an, nur
daß ich mich nicht alarmieren lasse. Auch nicht vom Herzklopfen. Ja, das kommt
noch alles aus dem Traum, aber dort bin ich nicht mehr.
Der Wind pfeift durch den Schornstein. Ich stolpere über das
Wort „Schornstein“. Warum nicht „Rauchfang“, wie ich im Sprechen sagen würde?
Ist meine Schriftsprache stärker eingedeutscht? Weil ich im Grunde heimatlos
bin? Ein Anschluß des wachen Bewußtseins? Der Wind hat sich nicht mehr gerührt.
Ich schnaube durch die verstopfte Nase. Das Gefühl jetzt kann ich
identifizieren: Traurigkeit. Trauer, weswegen? Das weiß ich nicht. Ich will
darüber nicht nachdenken. Ich lasse es einfach gut sein.
©Peter
Alois Rumpf Jänner 2016
peteraloisrumpf@gmail.com
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