Samstag, 19. Dezember 2015

255 jämmerlich

Eine große, alte, ewige, bis heute andauernde Frustration kommt von unten herauf; wie Lava aus dem Erdinneren aus meinem Lebenskern, nicht wirklich eruptiv, eher in schwächlichen Ausbrüchen, mehr gereizt als kraftvoll, tröpferl- und bröckerlweise, aber in Wirklichkeit mächtig; wenn es wirklich losgeht könnte sie alles auslöschen, die ganze Oberfläche, die ganze Fassade zum Schmelzen bringen, die ganze Umgebung, die ganze Atmosphäre vergiften und zerstören.

Und was sagt sie? Du hast nicht dein Leben gelebt, sondern die Vorstellung anderer zu erfüllen versucht. Und tust es immer noch. Deine Schuld ist der Gehorsam. Dein „kritisches“ Denken und Sagen bringt dir nichts. Gar nichts.
Ein Jammer ist in mir, den ich nie werde zulassen können, weil er zu groß ist. Ich fühle mich so gelähmt. Wenn es ums Eigene geht bin ich wie gelähmt.
Ein Schiff, das vorm Stapellauf schon untergeht. Oder beim Stapellauf. Oder bald nach dem Stapellauf. Und ich als gelähmter Kapitän stehe da auf dem Schiff und schaue dem Zeitlupenuntergang zu. Gefühlte sechzig Jahre. Manchmal lächle ich verlegen, manchmal raunze ich herum, aber ich tue nichts. Ich habe mich damit abgefunden, daß das Schiff untergeht; ja, ich sehe es selber ein, so ein Schiff muß untergehen; es hat es nicht anders verdient. Wenn der Kapitän nicht führt und nichts tut, muß es untergehen – also wäre es vermessen, gegen das Untergehen anzuarbeiten. Der Kapitän lächelt, er weiß, das ist ein Zirkelschluß, aber es ist zu spät. Alles schon beschlossene Sache.

Der gelähmte Kapitän träumt von einer Fahrt hoch oben im Norden. Es wäre schön, könnte das Schiff dort oben in der Kälte, bei Nordlicht still dahingleiten, einfach auf seinen Untergang zu. Kein Ziel mehr, das es zu erreichen gilt, kein Publikum, niemand schimpft, kritisiert, benotet, lobt, bewertet, schaut zu, in „Einsamkeit und Freiheit“; nein, denkt der gelähmte Kapitän, in Einsamkeit und Gebundenheit; die Freiheit besteht nur darin, daß ich den Untergang akzeptiere.
Die Lähmung scheint abgefallen. Er geht auf seinem Schiff herum, schaut da hin, schaut dort hin; die See ist ungewöhnlich ruhig. Und es ist still. Sehr still und ruhig. Nur die Nordlichter jagen lautlos über den Himmel; den Himmel aus unzähligen Sternen, Galaxien, Welten und die Leere dazwischen, diese unglaublich Leere. Und der Kapitän …

Was soll man von so einem jämmerlichen Text halten? Ein Dokument wofür ist das? Wo ist da der Autor steckengeblieben?

Draußen ist ein grauer, milderer Wintertag, ein Grau, in dem herunten am Boden die Brauntöne dominieren. Ist es mir gelungen, mich so halbwegs passabel durch den Text zu manövrieren? Beziehungsweise durch das, was in den Text verwoben ist? Kann man das durchgehen lassen? Oder muß ich einen Lektor herbeirufen, der mir alles zusammenstreicht? (Eine Lektorin wäre mir allemal lieber, aber hier passt ein Lektor besser.)

Alles Psychologische – weg!
Alles Gejammere – weg!
Ich zitiere: „große, alte, ewige“ - Übertreibung – weg!
„die ganze ...“ Größenwahn – weg!
„deine Schuld der Gehorsam“ - detto hoch drei – weg!
„weil er zu groß ist“ - ha, ha, ha – weg!
„gelähmt, gelähmt, gelähmt, gelähmt, ...“ - Selbstmitleid – weg!
„Schiff“, Schifferl, schiffen, schief – weg!
„Kapitän“ - Selbststilisierung – weg! - na gut, lassen wir es doch; eine gewisse absurde Spannung zwischen „Kapitän“ und „gelähmt“ - von mir aus.

Die nördliche Reise – was mache ich mit der? Lieber Freund, du würdest dich doch anbrunzen und anscheißen, wenn du allein auf einem manovrierunfähigen Schiff im arktischen Meer – selbst bei ruhiger See - …, also von „da hin schauen“, „dort hin schauen“ kann keine Rede sein – weg!
„Einsamkeit und Freiheit“ - au weh! - weg!
Da hilft die auch deine scheinheilige Korrektur „Gebundenheit“ nichts mehr – weg! weg! weg! (Wie ich das hasse, wenn mir der Computer gegen meinen Willen die Groß/Kleinschreibung ändert – was weiß den der Trottel was ich will. Diese Programmierer gehören ausgepeitscht!)

„Der Text ist nicht zu retten!“ - weg!
Ach so, nein. Also: der Text ist nicht zu retten! Rufzeichen!
„Himmel, Stern und Leere“ - klingt wie Himmel, Arsch und Zwirn – weg! Zu primitiv – weg! weg!weg!
„die Nordlichter jagen“ - wen? - weg!
„und der Kapitän“ Punkti, Punkti, Punkti – Strichi, Strichi, Strichi – pseudo-poetisch – weg! weg! weg! Dreimal weg!
„Wo ist der Autor steckengeblieben?“ - gescheiterte Selbstironie – oh Gott! weg!
„halbwegs“ - schon viel zu oft in meinen Texten – weg!
„in den Text verwoben“ - Angeberei, die einen tiefsinnigen Subtext suggeriert, der nicht da ist; angeben mit Wissen (Text – Textilien): platt! flach! weg!

Nochmals von vorn:
„Frustration“ - intellektueller Begriff, hier inhaltsleer – weg!
„tröpferl- und bröckerlweise“ - Heimatkitsch, aber weil Autriazismus – wegen meiner kindischen Anti-Anschluß-Attitüde schaffe ich es nicht, das wegzustreichen.
„schaff' es nicht“ - Ausrede – weg! weg!
„in Wirklichkeit mächtig“ - Selbstüberschätzung – weg!
„zu erfüllen versucht“ - verlogene Selbstdarstellung – weg!
„und tust es noch“ - furchtbar! - weg!
„ich fühle mich wie ...“ brrr! - weg! (Gruß an Bruntomeff.)
Das da auch gleich weg – weg! Hat in einem literarischen Text nichts verloren.
„lächelte ich“ - unglaubwürdig – weg!
„ich sehe ein“ - weg! Du siehst weder etwas, noch ein; höchstens schaust du ein – weg! weg! weg!! - umgangssprachlich, außerhalb Österreichs unverständlich – weg! weg!
„nichts anderes verdient“ - weg!weg!weg!weg!weg!
Sinnlose, pseudo-dramatische Wiederholungen – weg!
„Zirkelschluß“ - Scheißwort, pseudo-philosophische Angeberei – weg!
„zu spät“ - ja, tatsächlich alles zu spät – weg!
„träumt“ - genug davon – weg!
„hoch oben im Norden“ - unreflektierte Floskel – weg!
„die See“ - du bist kein Matrose, schon gar kein Kapitän – weg!: das Meer.
„Und“ als Satzbeginn - weg!
„jämmerlich“ - jämmerliche, intellektuell-kritische Selbstkritik – weg! Es hilft dir nichts, den Text selber jämmerlich zu nennen. Jammerlappen bleibt Jammerlappen, auch wenn er sich selber Jammerlappen nennt; ganz schlimm! weg! weg! weg!
Das zu veröffentlichen – weg!
„kein Ziel mehr“ - richtig! - weg! weg! weg!
„Brauntöne dominieren“ - viel zu intellektuell und verlogen – Pseudoanspielung – weg! Also: da deutest du etwas an – Brauntöne, Bodennähe – das du nicht meinst; legst somit eine falsche Fährte, die die flache Metapher (auch zu aufgeblasen! - weg!) aufmöbeln soll! - weg!
„aufmöbeln“ - umgangssprachlich, noch dazu aus dem vorigen Jahrhundert – weg!
Sei nicht so streng! - „weg!“ - weg!
Pseudogag – weg!
Kaffeeangetriebenes Geschreibe – weg!

„einen Lektor herbeirufen“ - du glaubst, du bist schlau – weg!

Was für ein schöner Nebel draußen („draußen“ - viel zu oft schon verwendet – we...). Und auch wenn das schon oft beschrieben wurde: die kahlen, dunklen Bäume, die in den grauen, feinen, bergenden Nebel ragen; mit der Entfernung werden sie selber immer mehr verschluckt; geschichtslos gegenwärtig in der grauen schönen Präsenz.














©Peter Alois Rumpf    Dezember 2015     peteraloisrumpf@gmail.com


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