248 Tiroler Traum
Mir träumte gestern, ich wäre in
einer Tiroler Bezirkshauptstadt – welche ist offen – eingeladen,
ein Jahr als Schriftsteller zu leben, auf Kost und Logis der Stadt
oder privater Förderer. Ich sagte sofort zu, bekam eine schöne,
kleine Wohnung zur Verfügung gestellt, räumte mein Zimmer in Wien,
meine Kinder freuten sich, nun jedes ein eigenes Zimmer zu haben.
Ich war komplett frei in dem was ich
schreibe; ich konnte bei allen Stadtereignissen dabei sein, aber ohne
Auflagen. Einfach dort sein, leben, herumgehen, schreiben,
herumschauen, schreiben, schlafen, essen, schreiben … Ich fühlte
mich herrlich. Es ergab sich sogar, daß ich – weil man auch in
Innsbruck auf mich aufmerksam wurde – eine Kolumne in der Tiroler
Tageszeitung schreiben durfte, wenn mir etwas einfiel. Alles ganz
frei. Alles geträumt.
Ich stürzte mich begeistert in die
Arbeit, ging herum, redete mit Leuten oder schaute ihnen einfach zu,
saß in Cafés, horchte den
Menschen beim Reden zu. Notierte, schrieb, ging nach Hause, schrieb,
machte meine Tensegrityübungen – dafür war in der Wohnung genug
Platz – schrieb wieder. Was für ein herrliches Leben! Ich ging oft
in die Gasthäuser essen, spazierte viel den Inn, oder welchen Fluß
auch immer, entlang, machte Ausflüge in die Umgebung. Alles
existentiell gesichert; ein Jahr lang brauchte ich mir keine Sorgen
zu machen und nicht zu jobben. Alles geträumt. Wobei es im Traum
Winter war. So wie jetzt. Eigentlich habe ich nicht ausführlich
geträumt, wie ich herumgehe und schreibe, sondern hatte ein vages
Bild vom Ort und der Situation dort und habe mir im Traum gedacht,
daß ich es so machen werde. Und so habe ich mir das im Traum
ausgemalt, auch, mich auf meinen literarischen Streifzügen mit
manchen Leuten ein wenig näher anzufreunden und manchmal lange und
intensive Gespräche zu führen und wie es mir gelang, die nötige
Distanz zu wahren, um nicht hineingezogen zu werden, sondern
Zuschauer, Beobachter, Betrachter zu bleiben.
Und ich werde schreiben und schreiben,
dachte ich mir im Traum, jeden Tag ein akzeptables Pensum, dazwischen
Phasen des reinen Schreibwahns, wo man alles andere vergißt, dann
wieder ruhigere Phasen, mit viel kontemplativem Spazierengehen. Dann
hatte ich die Idee – im Traum – Gedichte zu schreiben, und zwar
stark ans Tirolerische angelehnt. Sehr gewagt! Ich werde mir markante
Wörter und Redewendungen aufschreiben und bei Bedarf mit meinen
Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen besprechen und mich so
an die mir fremde Sprache herantasten. In der Regel wird es dabei
nicht um Hardcore-Dialekt, sondern um dialektal gefärbte
Umgangssprache gehen. Alles im Traum ausgedacht. Meine Distanz zu
dieser Sprache wird für meine Gedichte einen spannenden
Verfremdungseffekt schaffen, der jedes Wort - wie in ein ungewohntes
Licht getaucht - hervorheben wird, sowohl für mich als Schreiber,
als auch für den Zuhörer, sei er autochthon oder nicht. Ein Effekt,
den ich sehr vorsichtig und feinfühlig einsetzten werde, ohne
Holzhammer und ohne demonstratives Getue. Wie gesagt, so habe ich mir
das im Traum vorgestellt. Eine Spannung wird auch entstehen zwischen
den archaischen Elementen des Dialekts und meiner üblicherweise
verwendeten Sprache. Ja, sehr gewagt das Ganze, aber im Traum war ich
sehr selbstsicher. Weil ich mir bloß gedacht habe, wie ich es machen
werde, habe ich im Traum leider kein einziges Gedicht geschrieben.
Wie ein solches Gedicht ausgeschaut
hätte, würde mich sehr interessieren.
Daß es gelingen wird, war ich mir im Traum aber ganz sicher.
Noch eine seltsame Idee hatte ich –
die stand aber in Widerspruch zu meinem Traumstatus als geförderter
Schriftsteller: darüber zu schreiben, daß ich eine unsichtbare
Förderung bekommen hätte. Also eine Förderung, über die nirgends
etwas steht, in keiner Zeitung, in keinem Förderbericht. Über diese
Förderung gibt es keinen Briefwechsel, keine Urkunde, keine
zuständige Stelle, keinen Bescheid, niemand weiß etwas davon, auch
ich, der Geförderte nicht, und die unsichtbare Förderung hinterläßt
auch auf meinem Bankkonto keinerlei Spuren. Wirklich komplett
unsichtbar, aber eine Förderung.
(Hoffentlich bringe ich damit die
Förderinstitutionen nicht auf dumme Gedanken!)
Ja, das war mein Tiroler Traum.
©Peter
Alois Rumpf Dezember 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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