242 Kleine Bemerkungen über eine Feder
In der ersten Volksschulklasse mußten
wir im Religionsunterricht die Seele zeichnen; ich glaube mit ein
paar schwarzen Flecken als Symbol für unsere Sünden. Aber das ist
hier nicht der springende Punkt, sondern, daß alle die Seele als
Herz dargestellt haben, ich aber als einziger als Feder. Ich bin gar
nicht auf die Idee gekommen, sie als Herz darzustellen; das war kein
Überlegen, soll ich sie so oder so darstellen, sondern für mich war
ganz selbstverständlich die Seele wie eine Feder und ich war
irritiert, als ich merkte, das ist für die anderen nicht so. Und als
mich die Religionslehrerin fragte, was ich da gezeichnet habe –
offensichtlich war meine Zeichnung nicht sogleich als Feder
erkennbar, vor allem, weil ich die Konturen als Wellenlinie zu schwer
gezeichnet und zu stark betont hatte – es war eine Feder, wo der
Kiel nicht in der Mitte, sondern an einem der Ränder lag – ach,
ich kann's jetzt nicht herzeichnen. Also ich erschrak damals, dachte, ich
hätte etwas falsch gemacht und wollte gleich zu radieren beginnen,
aber die Religionslehrerin sagte gleich, nein! nein! so kann man sich
die Seele auch vorstellen, leicht wie eine Feder, wenn sie rein ist;
das ist sehr interessant, was du dir da ausgedacht hast!
Ich weiß selber nicht, woher ich das
hatte, es war für mich selbstverständlich, auf Herz – wie gesagt
– wäre ich nie gekommen.
Eingefallen ist mir das heute, als ich
an einem Werbeplakat für ein Hospiz, also für ein Sterbehaus,
vorbeigegangen bin, an dem eine Feder abgebildet war mit dem Satz:
die Leichtigkeit des Seins.
Ehrlich gesagt, ich war froh; ja, es
ist mir wie eine Bestätigung meiner Kindheitsidee vorgekommen, weil
ich doch vermutete, die Feder am Plakat soll die Seele darstellen,
die nach dem Tod, von der Last des irdischen Daseins befreit,
aufschweben kann.
Ich habe sogar sinniert, ob es
irgendwelche, von mir aus untergründige Kanäle geben könnte, über
die meine Kindheitszeichnung es in veränderter Form bis hierher auf dieses Plakat
geschafft haben könnte. Das ist natürlich irrational und ich
schmunzle darüber – aber schließlich will man ja im Leben etwas
Sinnvolles beigetragen haben. Abgesehen davon, daß ich diese
Seele-Feder-Assoziation auch irgendwo her gehabt haben werde, oder ist die
in mir einfach aufgestiegen? Wie gesagt, ich schmunzle über meinen
heimlichen Größenwahn und zeige ihn auch gar nicht so gerne her.
Trotzdem, für mich ist heute noch die
Seele nicht das Gleiche wie das Herz. Herz ist für mich stärker mit
der Welt, dem Körper, dem Ich verbunden, um nicht zu sagen Teil
davon. Bei Seele denke ich an etwas abstrakteres, etwas, das
losgelöster ist, das auch davongehen und verreisen kann, und leicht
ist; nicht komplett abgetrennt - außer im Tod - aber sehr beweglich,
nicht aufs Irdische fixiert. Ein herzhaftes Essen ist etwas anderes als
eine seelenvolles Klavierspiel, eine herzliche Begrüßung etwas
anderes als eine Seelenfreund, ein banges Herz etwas anderes als eine
seelische Erschütterung.
Ja, ja, ich hatte schon recht, damals,
in der ersten Klasse. Und außerdem: ich hoffe, daß ich irrational
bin.
©Peter
Alois Rumpf Dezember 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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