Donnerstag, 3. Dezember 2015

242 Kleine Bemerkungen über eine Feder


In der ersten Volksschulklasse mußten wir im Religionsunterricht die Seele zeichnen; ich glaube mit ein paar schwarzen Flecken als Symbol für unsere Sünden. Aber das ist hier nicht der springende Punkt, sondern, daß alle die Seele als Herz dargestellt haben, ich aber als einziger als Feder. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, sie als Herz darzustellen; das war kein Überlegen, soll ich sie so oder so darstellen, sondern für mich war ganz selbstverständlich die Seele wie eine Feder und ich war irritiert, als ich merkte, das ist für die anderen nicht so. Und als mich die Religionslehrerin fragte, was ich da gezeichnet habe – offensichtlich war meine Zeichnung nicht sogleich als Feder erkennbar, vor allem, weil ich die Konturen als Wellenlinie zu schwer gezeichnet und zu stark betont hatte – es war eine Feder, wo der Kiel nicht in der Mitte, sondern an einem der Ränder lag – ach, ich kann's jetzt nicht herzeichnen. Also ich erschrak damals, dachte, ich hätte etwas falsch gemacht und wollte gleich zu radieren beginnen, aber die Religionslehrerin sagte gleich, nein! nein! so kann man sich die Seele auch vorstellen, leicht wie eine Feder, wenn sie rein ist; das ist sehr interessant, was du dir da ausgedacht hast!
Ich weiß selber nicht, woher ich das hatte, es war für mich selbstverständlich, auf Herz – wie gesagt – wäre ich nie gekommen.

Eingefallen ist mir das heute, als ich an einem Werbeplakat für ein Hospiz, also für ein Sterbehaus, vorbeigegangen bin, an dem eine Feder abgebildet war mit dem Satz: die Leichtigkeit des Seins.

Ehrlich gesagt, ich war froh; ja, es ist mir wie eine Bestätigung meiner Kindheitsidee vorgekommen, weil ich doch vermutete, die Feder am Plakat soll die Seele darstellen, die nach dem Tod, von der Last des irdischen Daseins befreit, aufschweben kann.
Ich habe sogar sinniert, ob es irgendwelche, von mir aus untergründige Kanäle geben könnte, über die meine Kindheitszeichnung es in veränderter Form bis hierher auf dieses Plakat geschafft haben könnte. Das ist natürlich irrational und ich schmunzle darüber – aber schließlich will man ja im Leben etwas Sinnvolles beigetragen haben. Abgesehen davon, daß ich diese Seele-Feder-Assoziation auch irgendwo her gehabt haben werde, oder ist die in mir einfach aufgestiegen? Wie gesagt, ich schmunzle über meinen heimlichen Größenwahn und zeige ihn auch gar nicht so gerne her.

Trotzdem, für mich ist heute noch die Seele nicht das Gleiche wie das Herz. Herz ist für mich stärker mit der Welt, dem Körper, dem Ich verbunden, um nicht zu sagen Teil davon. Bei Seele denke ich an etwas abstrakteres, etwas, das losgelöster ist, das auch davongehen und verreisen kann, und leicht ist; nicht komplett abgetrennt - außer im Tod - aber sehr beweglich, nicht aufs Irdische fixiert. Ein herzhaftes Essen ist etwas anderes als eine seelenvolles Klavierspiel, eine herzliche Begrüßung etwas anderes als eine Seelenfreund, ein banges Herz etwas anderes als eine seelische Erschütterung.

Ja, ja, ich hatte schon recht, damals, in der ersten Klasse. Und außerdem: ich hoffe, daß ich irrational bin.









©Peter Alois Rumpf Dezember 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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