Donnerstag, 19. November 2015

233 Schmerz


Ein kleiner Schmerz hat sich in meine Seele gelegt, vielleicht auch nur Gekränktheit, umhüllt von Selbstmitleid oder Wichtigtuerei oder Aufgeblasenheit. Aber es tut weh. Was ist das? Ich weiß es nicht recht. Wo ist es? Ich spüre es am stärksten im Bauch, aber auch hinter den Augen. Was ist das, „hinter den Augen“? Was für ein Raum bist du? Ein länglicher Hohlraum, der hier, hinter den Augen beginnt und sich bis in den Bauch hinunterzieht. Am deutlichsten spüre ich diesen Hohlraum hier oben und dort unten. Im Mittelteil, in der Nähe des Herzens, wirkt er etwas verstopft; ich muß länger hinfühlen, bis ihn erspüre.

Jetzt fühle ich doch mein Herz, aber als etwas schweres, einen Klumpen. Ein Herz aus Stein? Mein Tasten, Spüren und Fühlen wird von Trauer begleitet. Eher eine Universaltrauer, ohne erkennbare wirklich konkrete Inhalte.
Ein Ziehen hinter den Augen. Fühlt sich an wie aufsteigende Tränen. Etwas Kaltes, Starres hat mich erfaßt und läßt den Tränenfluß nicht zu; mit kalter Wut vermengt, darüber, daß ich mich so aufplustere. Ein aggressives, abweisendes „Was soll denn das!?“

Die Augen fallen mir zu. Ich werde im Schlaf Heilung und Entspannung suchen.


Im Schlaf bin ich in einem keuschen Traum gewesen, obwohl er ganz anders angefangen hat. Aber die Traumwelt ist in ihrer fremden Gesetzmäßigkeit vom Alltagsbewußtsein zu weit entfernt, als daß ich meine heftigen, schmerzlichen Gefühle jetzt, hier in dieser Welt, verstehen kann.

Ich vermute, dieser Schmerz in mir ist sehr alt und wird dort seit Jahrhunderten abgelagert. Er ist die ganze Zeit da, wirkt auf die Seele, auf meine Handlungen und Gefühle, auf meine Entscheidungen, aber ist als ständiges Hintergrundrauschen unter der Schwelle der bewußten Wahrnehmung. Nur manchmal, so wie jetzt, kann ich seine ständige Anwesenheit spüren, wie einen verhärteten Fremdkörper in meinem Inneren, von außen nicht gleich zu sehen. Etwas Nagendes in mir; etwas, das mich von innen auffrißt.
Ein Kribbeln unterm Nabel, ein leichtes Würgen im Hals, ein Ziehen oder ein Druck hinter den Augen – alles erst nach längerem Hinfühlen zu spüren.

Der Mann hinter mir kennt sich gar nicht mehr aus. Der Mann hinter mir? Wo kommt der jetzt daher? Ah, ich bin wieder kurz in die Traumwelt geglitten.

Schrille Bruchstücke schwimmen umher. Ich verliere den Überblick, der innere Supervisor hat sich aufgelöst. Das heißt nicht, daß seine Intentionen und Ideen nicht mehr wirksam sind, sie schwimmen möglicherweise noch als Treibgut im inneren See.

Ich gehe mit meiner Aufmerksamkeit immer wieder zum Schmerz zurück. Er ist immer noch da, hat sich nicht aufgelöst, ein fester Pflock, tief in den Untergrund eingeschlagen, aufragend bis hinter die Augen.

Meine Wahrnehmung scheint sich ein klein wenig von meinem Körper abzulösen, denn ich spüre mich, entgegen meine reale Körperposition, leicht, aber deutlich nach links gedreht. Der Würfelhocker fällt mir ein und der Zeichenprofessor, der ihn uns gezeigt hat.

Mein Bewußtsein will sich wieder festigen, während tausend Eisenbahnschienen quer in meinem inneren Gesichtsfeld liegen.

Und der Schmerz ist noch da; ich habe wieder hingeschaut. Kurz bin ich in einer Höhle, wo früher Tausende gemartert wurden. Jetzt ist sie leer. Sie sollte irgendwo im Salzburgischen liegen.

Ich muß innerlich ein bißchen lächeln über die Bilder, die da auftauchen; ob das Bilder wirklicher Gegenstände oder Sinneinheiten sind, oder bloß Schaum auf den Bewußtseinswellen?
Innen an den inneren Fensterscheiben gleitet eine durchsichtige, schleimige Substanz nach unten, träges Wasser vielleicht.

Das Gelb der Karteikarten sticht mir, nein, drängt sich mir in die Augen. Das kommt jetzt aus der bunten äußeren Welt, die mir allerdings auch irgendwie in einem See versunken erscheint. In einem See aus schriller Intensität, mit surrender Begleitmusik.
Der Schmerz ist immer noch da, aber ich fühle ihn undeutlicher, weiter entfernt.

Ich bin mir jetzt gar nicht mehr sicher, ob es überhaupt ein Schmerz ist.














©Peter Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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