233 Schmerz
Ein kleiner Schmerz hat sich in meine
Seele gelegt, vielleicht auch nur Gekränktheit, umhüllt von
Selbstmitleid oder Wichtigtuerei oder Aufgeblasenheit. Aber es tut
weh. Was ist das? Ich weiß es nicht recht. Wo ist es? Ich spüre es
am stärksten im Bauch, aber auch hinter den Augen. Was ist das,
„hinter den Augen“? Was für ein Raum bist du? Ein länglicher
Hohlraum, der hier, hinter den Augen beginnt und sich bis in den
Bauch hinunterzieht. Am deutlichsten spüre ich diesen Hohlraum hier
oben und dort unten. Im Mittelteil, in der Nähe des Herzens, wirkt
er etwas verstopft; ich muß länger hinfühlen, bis ihn erspüre.
Jetzt fühle ich doch mein Herz, aber
als etwas schweres, einen Klumpen. Ein Herz aus Stein? Mein Tasten,
Spüren und Fühlen wird von Trauer begleitet. Eher eine
Universaltrauer, ohne erkennbare wirklich konkrete Inhalte.
Ein Ziehen hinter den Augen. Fühlt
sich an wie aufsteigende Tränen. Etwas Kaltes, Starres hat mich
erfaßt und läßt den Tränenfluß nicht zu; mit kalter Wut
vermengt, darüber, daß ich mich so aufplustere. Ein aggressives,
abweisendes „Was soll denn das!?“
Die Augen fallen mir zu. Ich werde im
Schlaf Heilung und Entspannung suchen.
Im Schlaf bin ich in einem keuschen
Traum gewesen, obwohl er ganz anders angefangen hat. Aber die
Traumwelt ist in ihrer fremden Gesetzmäßigkeit vom
Alltagsbewußtsein zu weit entfernt, als daß ich meine heftigen,
schmerzlichen Gefühle jetzt, hier in dieser Welt, verstehen kann.
Ich vermute, dieser Schmerz in mir ist
sehr alt und wird dort seit Jahrhunderten abgelagert. Er ist die
ganze Zeit da, wirkt auf die Seele, auf meine Handlungen und Gefühle,
auf meine Entscheidungen, aber ist als ständiges Hintergrundrauschen
unter der Schwelle der bewußten Wahrnehmung. Nur manchmal, so wie
jetzt, kann ich seine ständige Anwesenheit spüren, wie einen
verhärteten Fremdkörper in meinem Inneren, von außen nicht gleich
zu sehen. Etwas Nagendes in mir; etwas, das mich von innen auffrißt.
Ein Kribbeln unterm Nabel, ein leichtes
Würgen im Hals, ein Ziehen oder ein Druck hinter den Augen – alles
erst nach längerem Hinfühlen zu spüren.
Der Mann hinter mir kennt sich gar
nicht mehr aus. Der Mann hinter mir? Wo kommt der jetzt daher? Ah,
ich bin wieder kurz in die Traumwelt geglitten.
Schrille Bruchstücke schwimmen umher.
Ich verliere den Überblick, der innere Supervisor hat sich
aufgelöst. Das heißt nicht, daß seine Intentionen und Ideen nicht
mehr wirksam sind, sie schwimmen möglicherweise noch als Treibgut im
inneren See.
Ich gehe mit meiner Aufmerksamkeit
immer wieder zum Schmerz zurück. Er ist immer noch da, hat sich
nicht aufgelöst, ein fester Pflock, tief in den Untergrund
eingeschlagen, aufragend bis hinter die Augen.
Meine Wahrnehmung scheint sich ein
klein wenig von meinem Körper abzulösen, denn ich spüre mich,
entgegen meine reale Körperposition, leicht, aber deutlich nach
links gedreht. Der Würfelhocker fällt mir ein und der
Zeichenprofessor, der ihn uns gezeigt hat.
Mein Bewußtsein will sich wieder
festigen, während tausend Eisenbahnschienen quer in meinem inneren
Gesichtsfeld liegen.
Und der Schmerz ist noch da; ich habe
wieder hingeschaut. Kurz bin ich in einer Höhle, wo früher Tausende
gemartert wurden. Jetzt ist sie leer. Sie sollte irgendwo im
Salzburgischen liegen.
Ich muß innerlich ein bißchen lächeln
über die Bilder, die da auftauchen; ob das Bilder wirklicher
Gegenstände oder Sinneinheiten sind, oder bloß Schaum auf den
Bewußtseinswellen?
Innen an den inneren Fensterscheiben
gleitet eine durchsichtige, schleimige Substanz nach unten, träges
Wasser vielleicht.
Das Gelb der Karteikarten sticht mir,
nein, drängt sich mir in die Augen. Das kommt jetzt aus der bunten
äußeren Welt, die mir allerdings auch irgendwie in einem See
versunken erscheint. In einem See aus schriller Intensität, mit
surrender Begleitmusik.
Der Schmerz ist immer noch da, aber ich
fühle ihn undeutlicher, weiter entfernt.
Ich bin mir jetzt gar nicht mehr
sicher, ob es überhaupt ein Schmerz ist.
©Peter
Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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