Freitag, 6. November 2015

225 Wie brav ich war


Es war die Zeit, als ich alle meine Bilder und Zeichnungen verbrannt und weggeworfen hatte, und nebenbei auch gleich alle meine literarischen Versuche von Jugend an, weil mir der Astrologe Döbereiner, den ich geradezu für einen – sagen wir – wie Moses gehalten hatte, der fähig wäre, die dem irdischen Geschehen übergeordneten oder eigentlich innegelegten Gesetzmäßigkeiten hier auf der Welt herunten und für uns in dieser Zeit und Kultur Lebenden in einer verständlichen Sprache und ohne diese Gesetze mit irgendwelchen subjektiven und persönlichen Unreinheiten zu verseuchen, sondern in Lauterkeit zu artikulieren, losgelöst (absolvere – absolutus) von all dem, was uns die Sicht ins Eigentliche verstellt. Und zwar – da ich bei ihm in Beratung war – auch auf mein ganz persönliches Leben bezogen, im Sinne der Frage, was denn der Himmel eigentlich in mich für ein Potential gelegt hätte, das es zu entfalten gelte. Und weil dieser Döbereiner sagte, meine Maler- und Zeichnerei wäre nichts, und – weil er mir deutlich sein Angeekeltsein von mir zeigte – ich selber wäre auch nichts, zerstörte ich mein ganzes Werk, denn ich sollte ja zu Theologie und Kirche zurückkehren, wo meine eigentliche Berufung als Verkündiger läge. Zumindest hatte ich ihn so verstanden. Ich habe schon öfters beschrieben, wie ich verzweifelt versuchte, wieder dort hin zu finden, in Wirklichkeit ein sinnloser Versuch, wie nach einer Häutung in eine abgestreifte Haut zurückzuschlüpfen zu wollen. Nebenbei geriet ich zu vielen meiner Freunde und Freundinnen in Gegensatz, die mich davor bewahren wollten, mich so zu verrennen, und ich habe begonnen, alle Freundschaften geringzuschätzen, zu vernachlässigen und aufzugeben. Ich bin dann auch in eine noch nie gekannte Armut geraten – ich meine, wohlhabend war ich sowieso nie – aber jetzt lebte ich ohne jeden Versicherungsschutz - konnte es mir nicht leisten, bei Krankheiten einen Arzt aufzusuchen zum Beispiel – als reichlich verspäteter Student und Taglöhner - aber das habe ich schon öfters beschrieben.

In dieser Zeit also war ich zu einem Geburtstagsfest einer Tante in die Oststeiermark eingeladen; es traf sich die ganze Familie, meine Eltern und Geschwister waren dort, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen mit ihren Familien.

Ich habe schon einmal beschrieben, wie ich als Zehnjähiger mit meiner Lieblingstante und ihrem Mann, Cousin und Cousine auf der Insel Krk war, meine erste Reise ans Meer, und wie ich das geschickt eingefädelt hatte. („Die Wellen sollen kommen!“; Nr. 90). Bei diesem Familientreffen kam wieder die Rede darauf und es wurde davon erzählt. Bei diesem Ferienaufenthalt damals in Punat war ich auch krank geworden und lag ein paar Tage mit Fieber im Zelt, ruhig und anspruchslos, wie ich es gewohnt war. Oft alleine, wenn die anderen alle schwimmen gegangen waren, das machte mir aber nichts aus, ich blätterte im einzigen Buch, das zur Verfügung stand, nämlich dem Jugoslawienreiseführer meines Onkels, damals noch nicht mit vielen bunten Fotos, oder ich schaute den Spatzen vorm Zelt zu und lockte sie mit Brotbrösel näher zu mir her. Und meine Tante war damals und auch jetzt wieder, als sie davon erzählte, voll Verwunderung und Lob darüber, wie brav ich war und vernünftig und diszipliniert.

Ich aber war damals, zu der Zeit dieses Familientreffens, sehr verzweifelt. Ich spürte schon, daß das mit der Theologie nichts wird, auch wenn ich es immer noch nicht wahrhaben wollte, und sagte auf die Erzählung meiner Tante, schüchtern zwar, aber deutlich hörbar: „Aber das sieht man doch jetzt, wieweit man damit kommt!“ Mit dem Bravsein nämlich, überhaupt nirgends hin.

Ein paar Wochen vorher hatte ich – obwohl schon über vierzig Jahre alt – meine Eltern um finanzielle Unterstützung gebeten, weil ich mit Studium und Job nicht weiterkam, im Winter in der Wohnung fror, bei den Vorlesungen in den überheizten Räumen ständig drohte einzuschlafen, täglich zu Fuß vom fünfzehnten Bezirk zur Uni ging, weil ich mir die Fahrkarten nicht mehr leisten konnte, und der Job war ein Taglöhnerjob als Entrümpler, Rasenmäher und Sandschaufler, ohne jeden Versicherungsschutz, und anderes mehr; damit ich halt wenigstens irgendwie das Studium fertig bringen konnte.

Ich schämte mich dafür – der Versager war mir auf die Stirn geschrieben – so sehr, daß ich es nicht schaffte, selber meine Eltern um diese Unterstützung zu bitten, sondern meine Schwester gebeten hatte, sie für mich zu fragen. Und meine Eltern gaben mir das Geld, sodaß ich fertig studieren konnte.

Und jetzt, bei diesem Geburtstagsfest sah ich meine Eltern zum erstenmal seit diesem Arrangement.
Ich schämte mich so! Ich saß mit gesenktem Kopf da, schaute zu Boden und schämte und schämte mich; ich wagte es nicht, meinen Eltern in die Augen zu schauen.

Dann sagte ich also diesen Satz: „Aber das sieht man ja jetzt, wie weit man damit kommt!“
Das war beim Essen. Als alle fertig waren und allmählich einer nach dem andern vom Tisch aufstand, ging mein Vater hinter mir vorbei und legte seinen Arm kurz auf meine Schulter. Mein Vater, vor dem ich mich bis zu seinem Tod gefürchtet habe! Das hatte er weder vorher noch nachher je getan! Es war eine Geste, die sagte: Es ist schon gut! (das mit dem Geld). Und ich mußte mich wegdrehen und ablenken, damit ich nicht zu heulen beginne.

So war das.

Damals war ich kein Trinker mehr, aber zu solchen Anlässen konnte es schon sein, daß ich mich moderat betrank, und in diesem Zustand des Betrunkenseins habe ich meine Mutter, die sich aufregen wollte, wirklich aggressiv angeschrien und ihr gesagt, daß sie sich schleichen soll und sie regelrecht verjagt. Und sie ist brav in ihr Zimmer gegangen. Aber wie ich schon geschrieben habe: mit solchen betrunkenen Aktionen gewinnt man kein Terrain.

Meine Mutter hätte übrigens morgen ihren neunzigsten Geburtstag, wenn sie noch lebte, und mein Vater am Mittwoch seinen dritten Todestag.



















©Peter Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com



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