225 Wie brav ich war
Es war die Zeit, als ich alle meine
Bilder und Zeichnungen verbrannt und weggeworfen hatte, und nebenbei
auch gleich alle meine literarischen Versuche von Jugend an, weil mir
der Astrologe Döbereiner, den ich geradezu für einen – sagen wir
– wie Moses gehalten hatte, der fähig wäre, die dem irdischen
Geschehen übergeordneten oder eigentlich innegelegten
Gesetzmäßigkeiten hier auf der Welt herunten und für uns in dieser
Zeit und Kultur Lebenden in einer verständlichen Sprache und ohne
diese Gesetze mit irgendwelchen subjektiven und persönlichen
Unreinheiten zu verseuchen, sondern in Lauterkeit zu artikulieren,
losgelöst (absolvere – absolutus) von all dem, was uns die Sicht
ins Eigentliche verstellt. Und zwar – da ich bei ihm in Beratung
war – auch auf mein ganz persönliches Leben bezogen, im Sinne der
Frage, was denn der Himmel eigentlich in mich für ein Potential
gelegt hätte, das es zu entfalten gelte. Und weil dieser Döbereiner
sagte, meine Maler- und Zeichnerei wäre nichts, und – weil er mir
deutlich sein Angeekeltsein von mir zeigte – ich selber wäre auch
nichts, zerstörte ich mein ganzes Werk, denn ich sollte ja zu
Theologie und Kirche zurückkehren, wo meine eigentliche Berufung als
Verkündiger läge. Zumindest hatte ich ihn so verstanden. Ich habe
schon öfters beschrieben, wie ich verzweifelt versuchte, wieder dort
hin zu finden, in Wirklichkeit ein sinnloser Versuch, wie nach einer
Häutung in eine abgestreifte Haut zurückzuschlüpfen zu wollen.
Nebenbei geriet ich zu vielen meiner Freunde und Freundinnen in
Gegensatz, die mich davor bewahren wollten, mich so zu verrennen, und
ich habe begonnen, alle Freundschaften geringzuschätzen, zu
vernachlässigen und aufzugeben. Ich bin dann auch in eine noch nie
gekannte Armut geraten – ich meine, wohlhabend war ich sowieso nie
– aber jetzt lebte ich ohne jeden Versicherungsschutz - konnte es
mir nicht leisten, bei Krankheiten einen Arzt aufzusuchen zum
Beispiel – als reichlich verspäteter Student und Taglöhner - aber
das habe ich schon öfters beschrieben.
In dieser Zeit also war ich zu einem
Geburtstagsfest einer Tante in die Oststeiermark eingeladen; es traf sich
die ganze Familie, meine Eltern und Geschwister waren dort, Onkeln,
Tanten, Cousins und Cousinen mit ihren Familien.
Ich habe schon einmal beschrieben, wie
ich als Zehnjähiger mit meiner Lieblingstante und ihrem Mann, Cousin
und Cousine auf der Insel Krk war, meine erste Reise ans Meer, und
wie ich das geschickt eingefädelt hatte. („Die Wellen sollen kommen!“; Nr.
90). Bei diesem Familientreffen kam wieder die Rede darauf und es
wurde davon erzählt. Bei diesem Ferienaufenthalt damals in Punat war
ich auch krank geworden und lag ein paar Tage mit Fieber im Zelt,
ruhig und anspruchslos, wie ich es gewohnt war. Oft alleine, wenn die
anderen alle schwimmen gegangen waren, das machte mir aber nichts
aus, ich blätterte im einzigen Buch, das zur Verfügung stand,
nämlich dem Jugoslawienreiseführer meines Onkels, damals noch nicht
mit vielen bunten Fotos, oder ich schaute den Spatzen vorm Zelt zu
und lockte sie mit Brotbrösel näher zu mir her. Und meine Tante war
damals und auch jetzt wieder, als sie davon erzählte, voll
Verwunderung und Lob darüber, wie brav ich war und vernünftig und
diszipliniert.
Ich aber war damals, zu der Zeit dieses
Familientreffens, sehr verzweifelt. Ich spürte schon, daß das mit
der Theologie nichts wird, auch wenn ich es immer noch nicht
wahrhaben wollte, und sagte auf die Erzählung meiner Tante,
schüchtern zwar, aber deutlich hörbar: „Aber das sieht man doch
jetzt, wieweit man damit kommt!“ Mit dem Bravsein nämlich,
überhaupt nirgends hin.
Ein paar Wochen vorher hatte ich –
obwohl schon über vierzig Jahre alt – meine Eltern um finanzielle
Unterstützung gebeten, weil ich mit Studium und Job nicht weiterkam,
im Winter in der Wohnung fror, bei den Vorlesungen in den überheizten
Räumen ständig drohte einzuschlafen, täglich zu Fuß vom
fünfzehnten Bezirk zur Uni ging, weil ich mir die Fahrkarten nicht
mehr leisten konnte, und der Job war ein Taglöhnerjob als
Entrümpler, Rasenmäher und Sandschaufler, ohne jeden
Versicherungsschutz, und anderes mehr; damit ich halt wenigstens
irgendwie das Studium fertig bringen konnte.
Ich schämte mich dafür – der
Versager war mir auf die Stirn geschrieben – so sehr, daß ich es
nicht schaffte, selber meine Eltern um diese Unterstützung zu
bitten, sondern meine Schwester gebeten hatte, sie für mich zu
fragen. Und meine Eltern gaben mir das Geld, sodaß ich fertig
studieren konnte.
Und jetzt, bei diesem Geburtstagsfest
sah ich meine Eltern zum erstenmal seit diesem Arrangement.
Ich schämte mich so! Ich saß mit
gesenktem Kopf da, schaute zu Boden und schämte und schämte mich;
ich wagte es nicht, meinen Eltern in die Augen zu schauen.
Dann sagte ich also diesen Satz: „Aber
das sieht man ja jetzt, wie weit man damit kommt!“
Das war beim Essen. Als alle fertig
waren und allmählich einer nach dem andern vom Tisch aufstand, ging
mein Vater hinter mir vorbei und legte seinen Arm kurz auf meine
Schulter. Mein Vater, vor dem ich mich bis zu seinem Tod gefürchtet
habe! Das hatte er weder vorher noch nachher je getan! Es war eine Geste, die sagte: Es ist schon gut! (das mit dem
Geld). Und ich mußte mich wegdrehen und ablenken, damit ich nicht zu
heulen beginne.
So war das.
Damals war ich kein Trinker mehr, aber
zu solchen Anlässen konnte es schon sein, daß ich mich moderat
betrank, und in diesem Zustand des Betrunkenseins habe ich meine
Mutter, die sich aufregen wollte, wirklich aggressiv angeschrien und
ihr gesagt, daß sie sich schleichen soll und sie regelrecht verjagt.
Und sie ist brav in ihr Zimmer gegangen. Aber wie ich schon
geschrieben habe: mit solchen betrunkenen Aktionen gewinnt man kein
Terrain.
Meine Mutter hätte übrigens morgen
ihren neunzigsten Geburtstag, wenn sie noch lebte, und mein Vater am
Mittwoch seinen dritten Todestag.
©Peter
Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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