216 Beim Haupte des Gallus (Havel)
Die hohe, kleine, helle Kirchenglocke
der sv.Havla weckt mich auf. Ich freue mich über die Kirchenglocke
und lausche ihrem Klang und den Schwingungen zwischen den Schlägen.
So nahe habe ich das schon lange nicht mehr gehört, nur eine
Gassenbreite entfernt. Ich höre in ihren Klang hinein, immer tiefer
gerate ich zwischen die einzelnen Schläge, Schwingungen und Töne.
Ich mag Kirchenglocken, ich fühle mich fast immer angesprochen.
Meine persönliche Yogalehrerin erzählt
mir ihren Traum, in der ihr ein verstorbener Freund ihres ersten
Ehemannes erschienen ist und sie merkt, daß er nicht mehr gelähmt
ist. Eine schöne Geschichte, aber im Moment will ich auf die Glocke
hören und mich nicht ablenken lassen. Mit aller Kraft versuche ich
bei meiner Sache zu bleiben; ich sage auch nichts, weil ich
befürchte, durch das Reden endgültig aus meiner versuchten
Versenkung zu fallen.
Dieser Freund hat jetzt – so erzählt
meine persönliche Yogalehrerin – dort drüben einen ganzen, großen
Gemeindebau für sich und lädt alle seine Freunde ein, bei ihm zu
wohnen. Ich habe damit nicht zu tun! Ich kannte ihn nicht. Das mit
den vielen Wohnungen, die drüben bereitstehen, habe ich schon wo
gehört und gelesen.
Im Badezimmer dann freut mich ein
kleines Silberfischchen mit seinen schnellen, eleganten Bewegungen.
Und wieder läutet die kleine
Kirchenglocke, aber jetzt, nach dem Aufstehen, Waschen und den
Übungen bin ich viel zu munter, um noch in den Klang hineinsinken zu
können. Sie spricht mich auch nicht mehr an. Unlust und Enttäuschung
steigen in mir hoch.
Und nun, in einem französischen Café
beim Ingwertee rutscht mir die Tasse ständig runter; die Tasse kippt
einfach nach unten und droht ihren Tee auszuschütten und ich kann
sie am Henkel nicht fest genug halten. Sie hat einen runden Henkel,
aus einem etwas breiterem, aber flachen Keramikband geformt, und ich
kann nur einen Finger durchstecken, der dann wie ein Scharnierzapfen
wirkt, um den sich der kreisrunde Henkel dreht. Ist etwas an meinen
Fingern falsch? Bin ich zu schwach? Zu blöd? Oder ist das Design der
Tasse mißlungen? Ich werde mich umschauen.
Ich schaue mich um und sehe ein schönes
Gewölbe, eine alte Mauer; die verläuft nicht gerade, sondern in
einer ganz leichten Welle; die Gewölbewand darüber macht die
Bewegung nicht ganz mit, darum sind sie im Zusammenstoß manchmal
plan und manchmal nicht. Wie angenehm für die Augen!
Die Musik im Hintergrund dezent.
Jetzt, am Morgen des zweiten Tages,
während einer Tensegrityübung, bei der ich an einer Stelle die
Schwingungen und Wellen, die durch die Welt gehen, zu spüren
versuche, hat die kleine Kirchenglocke genau in diesem Moment wieder
zu läuten begonnen und ich habe ihre Schwingungen mit den anderen
synchron hindurchlaufen gespürt. So stark, daß mir beinahe übel
wurde. Diesmal hat ihr Läuten für mich etwas Weitertreibendes,
Pushendes gehabt.
©Peter
Alois Rumpf Oktober 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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