Montag, 26. Oktober 2015

216 Beim Haupte des Gallus (Havel)


Die hohe, kleine, helle Kirchenglocke der sv.Havla weckt mich auf. Ich freue mich über die Kirchenglocke und lausche ihrem Klang und den Schwingungen zwischen den Schlägen. So nahe habe ich das schon lange nicht mehr gehört, nur eine Gassenbreite entfernt. Ich höre in ihren Klang hinein, immer tiefer gerate ich zwischen die einzelnen Schläge, Schwingungen und Töne. Ich mag Kirchenglocken, ich fühle mich fast immer angesprochen.

Meine persönliche Yogalehrerin erzählt mir ihren Traum, in der ihr ein verstorbener Freund ihres ersten Ehemannes erschienen ist und sie merkt, daß er nicht mehr gelähmt ist. Eine schöne Geschichte, aber im Moment will ich auf die Glocke hören und mich nicht ablenken lassen. Mit aller Kraft versuche ich bei meiner Sache zu bleiben; ich sage auch nichts, weil ich befürchte, durch das Reden endgültig aus meiner versuchten Versenkung zu fallen.

Dieser Freund hat jetzt – so erzählt meine persönliche Yogalehrerin – dort drüben einen ganzen, großen Gemeindebau für sich und lädt alle seine Freunde ein, bei ihm zu wohnen. Ich habe damit nicht zu tun! Ich kannte ihn nicht. Das mit den vielen Wohnungen, die drüben bereitstehen, habe ich schon wo gehört und gelesen.

Im Badezimmer dann freut mich ein kleines Silberfischchen mit seinen schnellen, eleganten Bewegungen.

Und wieder läutet die kleine Kirchenglocke, aber jetzt, nach dem Aufstehen, Waschen und den Übungen bin ich viel zu munter, um noch in den Klang hineinsinken zu können. Sie spricht mich auch nicht mehr an. Unlust und Enttäuschung steigen in mir hoch.

Und nun, in einem französischen Café beim Ingwertee rutscht mir die Tasse ständig runter; die Tasse kippt einfach nach unten und droht ihren Tee auszuschütten und ich kann sie am Henkel nicht fest genug halten. Sie hat einen runden Henkel, aus einem etwas breiterem, aber flachen Keramikband geformt, und ich kann nur einen Finger durchstecken, der dann wie ein Scharnierzapfen wirkt, um den sich der kreisrunde Henkel dreht. Ist etwas an meinen Fingern falsch? Bin ich zu schwach? Zu blöd? Oder ist das Design der Tasse mißlungen? Ich werde mich umschauen.

Ich schaue mich um und sehe ein schönes Gewölbe, eine alte Mauer; die verläuft nicht gerade, sondern in einer ganz leichten Welle; die Gewölbewand darüber macht die Bewegung nicht ganz mit, darum sind sie im Zusammenstoß manchmal plan und manchmal nicht. Wie angenehm für die Augen!
Die Musik im Hintergrund dezent.

Jetzt, am Morgen des zweiten Tages, während einer Tensegrityübung, bei der ich an einer Stelle die Schwingungen und Wellen, die durch die Welt gehen, zu spüren versuche, hat die kleine Kirchenglocke genau in diesem Moment wieder zu läuten begonnen und ich habe ihre Schwingungen mit den anderen synchron hindurchlaufen gespürt. So stark, daß mir beinahe übel wurde. Diesmal hat ihr Läuten für mich etwas Weitertreibendes, Pushendes gehabt.





©Peter Alois Rumpf Oktober 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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