Mittwoch, 14. Oktober 2015

208 Innerer Monolog eines übergeschnappten Kaffeetrinkers


Mir ist beinahe zum Weinen zumute. Tränen stauen sich hinter den Augenhöhlen. Gerade habe ich eine Auswahl meiner Texte abgeschickt, heute, am Sonntag. Ich bin feierlich zum Postamt 1010 gepilgert. Kann auf meinem Tun noch ein Segen sein? Ja, ich glaube doch. Alles spricht dagegen, auch diese Gegend hier. Aber doch, es ist möglich.

Vorher bin ich wählen gegangen; auch das mit gewisser Feierlichkeit, denn das darf ich; da kann ich so tun, als wäre ich ein freier Bürger. Und niemand fällt mein „Gebrechen“ auf. Oder es fällt auf, aber sie müssen so tun als ob, weil auf dem Dokument steht: volljähriger, stimmberechtigter Bürger, nicht entmündigt.

Früher habe ich mir für Wahlen Anzug und Krawatte angezogen, in der Zeit, als ich mir das Einheizen kaum leisten konnte. (Warum muß jetzt das wieder hervorgezerrt werden!)

Beim Rückenjoga hatte ich gemerkt, an dem Tag, an dem mir in der Arbeit einer das Götzzitat gesagt hat, daß ich ganz gekrümmt war und meinen Rücken kaum noch strecken konnte, schlechter als je zuvor. (Was soll das hier!) Für eine solche Aufladung bin ich gerade prädestiniert. Nicht wirklich, aber ich habe mich dazu abrichten lassen. Kriegsschulden. (Das ist jetzt peinlich!)

Ich sitze im Café und habe die Kellnerin zum Lächeln gebracht. Auf meine Art natürlich, indem ich mich so blöd angestellt habe, daß ich den Namen der Sachertorte nicht wußte, oder richtiger gesagt, daß diese Torte, die ich bestellen wollte, eine Sachertorte ist. Ich gönne mir nämlich zur Feier des Tages einen echten Kaffee und eine Torte.

Ich komme mir wirklich fast wie ein normaler Bürger vor, weil ich wählen darf, ins Café gehen kann, Kaffee trinken, Torte essen, grüßen (so halbwegs), zahlen, und den Fauxpas des Sachertorte-nicht-Erkennens als Zerstreuter-Professor-Szene tarnen. So, als wäre alles (fast) normal. Obwohl ich so eine Art Kainsmal trage, aber auch umgekehrt, zum Aussortieren freigegeben.

Schön die Zivilisation, die solches vertuscht. Ich will sie genießen, solange es sie noch gibt. Dann werden die Höllenhunde über mich herfallen. Teufelsgrube und Co.

Eigentlich ist mir die Süße der Torte zuviel, viel zu viel. Mit dem Bitteren des ungezuckerten Kaffees kann ich das ein wenig ausgleichen. Freilich, letztlich gehöre ich nicht hierher, aber wo gehöre ich hin?

Die Texte habe ich abgeschickt, mir ist fast zum Weinen. Halte ich das noch aus? Ich denke an früher, an das Hausieren-Gehen bei Galeristen, die vielen vergeblichen Versuche, die Ablehnungen.Und wenn sich tatsächlich etwas ergeben hat, wie ich es immer zerstört habe. (Du hast nämlich ziemlich oft Glück gehabt!)

Ich kann nämlich niemandem ein Gegenüber sein (Oh Gott!) Ich bin hohl. Ich habe keine Substanz. Wie habe ich überlebt? Ich habe mich durchgeschwindelt. Wo etwas sein soll, ist nichts. Wo nichts sein soll, ist die Bude vollgeräumt. Das Café wird mir jetzt zu voll. Ich werde gehen. Genug von dieser Tirade des Selbstmitleides. Ein wirklich heroischer Anlauf.

Ein Sohn setzt sich gegen seinen Vater durch. Das habe ich gerade beobachtet.

Nein, gar nichts wollen, gar nichts wollen, das ist meine Freiheit.

Mein Gott! Dieses Kaffee-inszenierte Geschreibe! Ich fange im Ernst an und es wird eine Selbstpersiflage. Auch gut. Innerlich muß ich lachen und fühle ein schmerzliches Glück (Häh?). Tränen in den Augen. Das Große ist möglich. Es ist etwas Großes möglich.

Von einer Tasse Kaffee, einer Melange, hochgepeitscht, bin ich nahe am Überschnappen. Ich verschreibe mich ständig und bin müde und aufgedreht gleichzeitig. Ich muß damit aufhören, mein Herz verträgt das nicht. Ich meine den Kaffee. Von der Wahlberichterstattung habe ich mich ablenken lassen, stundenlang vorm Computer. Jetzt schwirrt mir der Kopf, ein schaler, übler Nachgeschmack. Politik ist ein Thema, auf das ich immer wieder reinfalle, nachher fühle ich mich verkatert. Ich will doch meine eigene Mitte finden, meine eigene Balance, ich muß doch erst ein Mensch werden.

Was ich da her schreibe, ist kaum auszuhalten. Mein Herz klopft immer noch vom Kaffee, obwohl es schon zehn Stunden her ist, daß ich ihn getrunken habe. Ich weiß doch, daß mich alles umhaut. Ach was! Jetzt muß ich es einfach aushalten, bis es wieder vorbei ist.
In meinen Ohren summt und surrt es wieder wie verrückt und schrill. Schriller als sonst. Ich höre einfach auf und gehe schlafen. Und wenn ich nicht schlafen kann, kann ich immer noch lesen.

Zwölf Stunden ist es her, daß ich mir den Kaffee eingeflößt habe, und ich kann immer noch nicht schlafen. Alles geht mir im Kopf herum. Und meine Seele quält sich so ab.
















©Peter Alois Rumpf Oktober 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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