208 Innerer Monolog eines übergeschnappten Kaffeetrinkers
Mir ist beinahe zum Weinen zumute.
Tränen stauen sich hinter den Augenhöhlen. Gerade habe ich eine
Auswahl meiner Texte abgeschickt, heute, am Sonntag. Ich bin
feierlich zum Postamt 1010 gepilgert. Kann auf meinem Tun noch ein
Segen sein? Ja, ich glaube doch. Alles spricht dagegen, auch diese
Gegend hier. Aber doch, es ist möglich.
Vorher bin ich wählen gegangen; auch
das mit gewisser Feierlichkeit, denn das darf ich; da kann ich so
tun, als wäre ich ein freier Bürger. Und niemand fällt mein
„Gebrechen“ auf. Oder es fällt auf, aber sie müssen so tun als
ob, weil auf dem Dokument steht: volljähriger, stimmberechtigter
Bürger, nicht entmündigt.
Früher habe ich mir für Wahlen Anzug
und Krawatte angezogen, in der Zeit, als ich mir das Einheizen kaum
leisten konnte. (Warum muß jetzt das wieder hervorgezerrt werden!)
Beim Rückenjoga hatte ich gemerkt, an
dem Tag, an dem mir in der Arbeit einer das Götzzitat gesagt hat,
daß ich ganz gekrümmt war und meinen Rücken kaum noch strecken
konnte, schlechter als je zuvor. (Was soll das hier!) Für eine
solche Aufladung bin ich gerade prädestiniert. Nicht wirklich, aber
ich habe mich dazu abrichten lassen. Kriegsschulden. (Das ist jetzt
peinlich!)
Ich sitze im Café
und habe die Kellnerin zum Lächeln gebracht. Auf meine Art
natürlich, indem ich mich so blöd angestellt habe, daß ich den
Namen der Sachertorte nicht wußte, oder richtiger gesagt, daß diese
Torte, die ich bestellen wollte, eine Sachertorte ist. Ich gönne mir
nämlich zur Feier des Tages einen echten Kaffee und eine Torte.
Ich komme mir wirklich fast wie ein
normaler Bürger vor, weil ich wählen darf, ins Café
gehen kann, Kaffee trinken, Torte essen, grüßen (so halbwegs),
zahlen, und den Fauxpas des Sachertorte-nicht-Erkennens als
Zerstreuter-Professor-Szene tarnen. So, als wäre alles (fast)
normal. Obwohl ich so eine Art Kainsmal trage, aber auch umgekehrt,
zum Aussortieren freigegeben.
Schön die Zivilisation, die solches
vertuscht. Ich will sie genießen, solange es sie noch gibt. Dann
werden die Höllenhunde über mich herfallen. Teufelsgrube und Co.
Eigentlich ist mir die Süße der Torte
zuviel, viel zu viel. Mit dem Bitteren des ungezuckerten Kaffees kann
ich das ein wenig ausgleichen. Freilich, letztlich gehöre ich nicht
hierher, aber wo gehöre ich hin?
Die Texte habe ich abgeschickt, mir ist
fast zum Weinen. Halte ich das noch aus? Ich denke an früher, an das
Hausieren-Gehen bei Galeristen, die vielen vergeblichen Versuche, die
Ablehnungen.Und wenn sich tatsächlich etwas ergeben hat, wie ich es
immer zerstört habe. (Du hast nämlich ziemlich oft Glück gehabt!)
Ich kann nämlich niemandem ein
Gegenüber sein (Oh Gott!) Ich bin hohl. Ich habe keine Substanz. Wie
habe ich überlebt? Ich habe mich durchgeschwindelt. Wo etwas sein
soll, ist nichts. Wo nichts sein soll, ist die Bude vollgeräumt. Das
Café wird mir jetzt zu voll.
Ich werde gehen. Genug von dieser Tirade des Selbstmitleides. Ein
wirklich heroischer Anlauf.
Ein Sohn setzt sich gegen seinen Vater
durch. Das habe ich gerade beobachtet.
Nein, gar nichts wollen, gar nichts
wollen, das ist meine Freiheit.
Mein Gott! Dieses Kaffee-inszenierte
Geschreibe! Ich fange im Ernst an und es wird eine Selbstpersiflage.
Auch gut. Innerlich muß ich lachen und fühle ein schmerzliches Glück
(Häh?). Tränen in den Augen. Das Große ist möglich. Es ist etwas
Großes möglich.
Von einer Tasse Kaffee, einer Melange,
hochgepeitscht, bin ich nahe am Überschnappen. Ich verschreibe mich
ständig und bin müde und aufgedreht gleichzeitig. Ich muß damit
aufhören, mein Herz verträgt das nicht. Ich meine den Kaffee. Von
der Wahlberichterstattung habe ich mich ablenken lassen, stundenlang
vorm Computer. Jetzt schwirrt mir der Kopf, ein schaler, übler
Nachgeschmack. Politik ist ein Thema, auf das ich immer wieder
reinfalle, nachher fühle ich mich verkatert. Ich will doch meine
eigene Mitte finden, meine eigene Balance, ich muß doch erst ein
Mensch werden.
Was ich da her schreibe, ist kaum
auszuhalten. Mein Herz klopft immer noch vom Kaffee, obwohl es schon
zehn Stunden her ist, daß ich ihn getrunken habe. Ich weiß doch,
daß mich alles umhaut. Ach was! Jetzt muß ich es einfach aushalten,
bis es wieder vorbei ist.
In meinen Ohren summt und surrt es
wieder wie verrückt und schrill. Schriller als sonst. Ich höre
einfach auf und gehe schlafen. Und wenn ich nicht schlafen kann, kann
ich immer noch lesen.
Zwölf Stunden ist es her, daß ich mir
den Kaffee eingeflößt habe, und ich kann immer noch nicht schlafen.
Alles geht mir im Kopf herum. Und meine Seele quält sich so ab.
©Peter
Alois Rumpf Oktober 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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