Montag, 28. September 2015

200 Ahnung


Als ich mich im Bett vom Rücken auf die Seite wälze und meinen Oberkörper aufrichte, um die Pölster, die ich mir zum Lesen hinter den Nacken und unter den Rücken gestopft hatte, wieder zur Seite zu legen, weil ich wieder schlafen will, da bemerke ich an meiner Bewegung und an der Mühe, die sie mir bereitet, etwas Altes und Patientenhaftes und erschrecke leicht. Ganz leicht nur. Ein Hauch von „es ist vorbei!“, von „bald werde ich in einem Stadium sein, wo man alle Träume aufgegeben hat und nur noch auf den Tod wartet.“

Geduldig und demütig, oder ungeduldig und verbittert. Ängstlich oder zornig. Friedlich oder aggressiv. Unterwürfig oder rebellisch. Gelähmt oder sich und seine Umgebung mit gespielter Aktivität ablenkend. Mit Seufzern dazwischen, und ängstlich leeren Augen.

Mein Freund, bald ist es vorbei. Du wirst kein Haus gebaut und keinen Baum gepflanzt haben. Auch kein Haus gekauft oder gemietet, kein Stück Grund besessen haben, kein Auto, keinen Führerschein, keinen Beruf. Du wirst nichts erreicht haben. Du wirst nur planlos durch etwas getaumelt sein, das jetzt dein Leben gewesen ist.

Du hattest einen Traum vor Augen, aber schlecht angepeilt und dich dann verirrt. Du hast dich mehrmals von deinem Weg abbringen lassen und verwirren. Du wirst dich an deinen eigenen und an fremden Erinnerungen zu wärmen versuchen, während die kalte Ungeheuerlichkeit und barmherzige Gleichgültigkeit des Todes allmählich immer deutlicher nach dir greift.

Es wird alles ganz gewöhnlich und uninteressant sein, was du fühlst, was du denkst, wie du agierst und reagierst. Du wirst kein Werk vollbracht, nur etwas die Welt angeschaut haben, und das bloß durch Schleier der Verblendung, von denen du wußtest, und die du doch nie beiseite schieben konntest.

Ich werde nur gewußt haben, daß etwas ganz Anderes, ganz Großes im Menschleben möglich ist, aber nie geglaubt haben, daß das auch für mich selber gilt. Nur manchmal, manchmal, da war ich knapp daran.

(Angst ist der Feind, den ich nie besiegt habe.)

Jetzt ist ein sonniger Herbsttag, die Wolken weiß und fest, wie gemalt. Der Himmel blau, aber nicht mehr so tief wie sonst zu dieser Jahreszeit, denn er ist kondensstreifengetrübt. Das Licht ist klar und gelb, und wirkt doch so, als hätte sie dunkle Strahlung als Untergrund. Irreal, ganz irreal, wie im Traum. Die Konturen sind scharf und intensiv, die Farben ebenso. Die Gebäude und Bäume stehen überwirklich da. Ich gehe durch die Stadt und nehme das alles dankbar auf. Ich verspüre dabei ein stilles Glück und einen schüchternen Jubel, weil ich jetzt unbehelligt durch diese schöne Welt gehen darf.

Ich denke an die Schmetterlinge, die im Sommer vom Norden des Kontinents in den Süden fliegen, über die Alpen. Bei ihrem flatterhaften Flug kaum vorstellbar. Nur wenige kommen im Süden an.
Aber es ist keine Schande, nicht über die Alpen gekommen zu sein, nur schade. Schade!










©Peter Alois Rumpf September 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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