200 Ahnung
Als ich mich im Bett vom Rücken auf
die Seite wälze und meinen Oberkörper aufrichte, um die Pölster,
die ich mir zum Lesen hinter den Nacken und unter den Rücken
gestopft hatte, wieder zur Seite zu legen, weil ich wieder schlafen
will, da bemerke ich an meiner Bewegung und an der Mühe, die sie mir
bereitet, etwas Altes und Patientenhaftes und erschrecke leicht. Ganz
leicht nur. Ein Hauch von „es ist vorbei!“, von „bald werde ich
in einem Stadium sein, wo man alle Träume aufgegeben hat und nur
noch auf den Tod wartet.“
Geduldig und demütig, oder ungeduldig
und verbittert. Ängstlich oder zornig. Friedlich oder aggressiv.
Unterwürfig oder rebellisch. Gelähmt oder sich und seine Umgebung mit gespielter Aktivität
ablenkend. Mit Seufzern dazwischen, und ängstlich leeren Augen.
Mein Freund, bald ist es vorbei. Du
wirst kein Haus gebaut und keinen Baum gepflanzt haben. Auch kein
Haus gekauft oder gemietet, kein Stück Grund besessen haben, kein
Auto, keinen Führerschein, keinen Beruf. Du wirst nichts erreicht
haben. Du wirst nur planlos durch etwas getaumelt sein, das jetzt
dein Leben gewesen ist.
Du hattest einen Traum vor Augen, aber
schlecht angepeilt und dich dann verirrt. Du hast dich mehrmals von
deinem Weg abbringen lassen und verwirren. Du wirst dich an deinen
eigenen und an fremden Erinnerungen zu wärmen versuchen, während
die kalte Ungeheuerlichkeit und barmherzige Gleichgültigkeit des
Todes allmählich immer deutlicher nach dir greift.
Es wird alles ganz gewöhnlich und
uninteressant sein, was du fühlst, was du denkst, wie du agierst und
reagierst. Du wirst kein Werk vollbracht, nur etwas die Welt
angeschaut haben, und das bloß durch Schleier der Verblendung, von
denen du wußtest, und die du doch nie beiseite schieben konntest.
Ich werde nur gewußt haben, daß etwas
ganz Anderes, ganz Großes im Menschleben möglich ist, aber nie
geglaubt haben, daß das auch für mich selber gilt. Nur manchmal, manchmal,
da war ich knapp daran.
(Angst ist der Feind, den ich nie
besiegt habe.)
Jetzt ist ein sonniger Herbsttag, die
Wolken weiß und fest, wie gemalt. Der Himmel blau, aber nicht mehr so
tief wie sonst zu dieser Jahreszeit, denn er ist
kondensstreifengetrübt. Das Licht ist klar und gelb, und wirkt doch so,
als hätte sie dunkle Strahlung als Untergrund. Irreal, ganz irreal,
wie im Traum. Die Konturen sind scharf und intensiv, die Farben
ebenso. Die Gebäude und Bäume stehen überwirklich da. Ich gehe
durch die Stadt und nehme das alles dankbar auf. Ich verspüre dabei
ein stilles Glück und einen schüchternen Jubel, weil ich jetzt
unbehelligt durch diese schöne Welt gehen darf.
Ich denke an die Schmetterlinge, die im
Sommer vom Norden des Kontinents in den Süden fliegen,
über die Alpen. Bei ihrem flatterhaften Flug kaum vorstellbar. Nur
wenige kommen im Süden an.
Aber es ist keine Schande, nicht über
die Alpen gekommen zu sein, nur schade. Schade!
©Peter
Alois Rumpf September 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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