193 Im Zustand einer unreinen Versunkenheit
Ich liege in der Haltung für Innere
Stille am Rücken. Es ist wirklich ganz still hier in der Wohnung.
Ich versinke in einen Zustand, von dem ich nicht recht weiß, wie ich
ihn nennen soll. Innere Stille ist es noch nicht, denn es kreisen in
mir noch Gedanken herum. Schlaf oder Traum ist es auch nicht, denn
irgendwie bin ich noch wach. Wenn sich auch schon eine angenehme
Schwere und eine milde Starre auf meinen Körper gelegt haben. Die
Grenzen und Konturen meiner Körperwahrnehmung haben sich schon
verschoben. Denn obwohl ich am Rücken liege, die Arme seitlich,
nehme ich mich als schräg wo angelehnt, mit verschränkten Armen
daliegend, wahr. Mehr so hingelümmelt als richtig liegend.
Dann wird diese Selbstwahrnehmung
wieder unspezifischer und – wie kann ich das sagen? -
„allgemeiner“; ich liege irgendwie so da, ohne deutliche
Konturen.
Ein herzlicher und freudiger Ausruf der
Begrüßung unten, im unteren Stockwerk der Wohnung, reißt mich aus
diesem Zustand heraus und läßt einen schockartigen Schauder, ein
flinkes, flirrendes Kribbeln über meine Gestalt laufen, diesmal
wieder über meinen vertrauten Körper mit Kopf, Rumpf, Armen und
Beinen. Der leichte Schock hat mich in meine irdische Gestalt
zurückgescheucht. Als deutlicher Nachklang klingt es noch in meinen
Ohren wie verrückt; wie verrückt gewordene Telegraphendrähte im
Frost, wie das vielstimmige Surren einer Trafostation. Ich bin in
dieses Surren regelrecht eingehüllt, aber ansonsten wieder aus
Fleisch und Blut.
Ich schreibe alles auf. Dann lege ich
mein Schreibzeug weg, drehe das Licht ab und versuche wieder in
diesen Zustand der Versunkenheit hinabzugleiten. Ich beginne mein
Manöver von Neuem. Zunächst will es nicht gelingen. Es ist wieder
ganz still. Aber das dreifache Schneuzen in einer Nachbarwohnung und
das Anspringen einer Klimaanlage oder eines Dunstabzuges draußen im
Lichtschacht lösen bei mir einen Hustenreiz aus. Erst huste ich,
dann warte ich wieder geduldig.
Allmählich, ohne daß ich es recht
merke, schwebe ich doch hinab in die Versunkenheit. Eine unreine
Versunkenheit zwar, denn wieder triften Gedankensplitter und
Bildfetzen durch mein Bewußtsein.
Plötzlich geschieht in Wahrnehmung und
Bewußtseinszustand ein richtiger Ruck und ich bin unten. Dieser
deutliche Ruck war mit dem Eindruck verbunden, von unten angesaugt
worden zu sein. Irgendetwas hat sich eindeutig verschoben - ich weiß,
es ist der Montagepunkt – und mein Bewußtsein hat sich schlagartig
ausgedehnt.
Aber dieser Ruck nach unten hat eine
innere, keineswegs dramatische, sondern eine – sozusagen – rein
„physische“ Erschütterung ausgelöst, die mich und mein
Bewußtsein sofort wieder hochschießen hat lassen, so, daß ich in
meinem normalen Bewußtseinszustand aufgetaucht bin.
Gut, denke ich mir, dann schreiben wir
halt alles auf.
Irgendein Lichtreflex, den ich nicht zu
seinem Ursprung zurückverfolgen kann, erzeugt an der Jalousie des
gegenüber, über den Lichtschacht hinweg gelegenen Küchenfensters
einer Nachbarwohnung einen blauen Fleck. Einen Fleck in einem Blau
von solch überirdischer Intensität und Schönheit, daß mir beinah
der Atem wegbleibt.
©Peter
Alois Rumpf September 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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