Freitag, 18. September 2015

193 Im Zustand einer unreinen Versunkenheit


Ich liege in der Haltung für Innere Stille am Rücken. Es ist wirklich ganz still hier in der Wohnung. Ich versinke in einen Zustand, von dem ich nicht recht weiß, wie ich ihn nennen soll. Innere Stille ist es noch nicht, denn es kreisen in mir noch Gedanken herum. Schlaf oder Traum ist es auch nicht, denn irgendwie bin ich noch wach. Wenn sich auch schon eine angenehme Schwere und eine milde Starre auf meinen Körper gelegt haben. Die Grenzen und Konturen meiner Körperwahrnehmung haben sich schon verschoben. Denn obwohl ich am Rücken liege, die Arme seitlich, nehme ich mich als schräg wo angelehnt, mit verschränkten Armen daliegend, wahr. Mehr so hingelümmelt als richtig liegend.

Dann wird diese Selbstwahrnehmung wieder unspezifischer und – wie kann ich das sagen? - „allgemeiner“; ich liege irgendwie so da, ohne deutliche Konturen.

Ein herzlicher und freudiger Ausruf der Begrüßung unten, im unteren Stockwerk der Wohnung, reißt mich aus diesem Zustand heraus und läßt einen schockartigen Schauder, ein flinkes, flirrendes Kribbeln über meine Gestalt laufen, diesmal wieder über meinen vertrauten Körper mit Kopf, Rumpf, Armen und Beinen. Der leichte Schock hat mich in meine irdische Gestalt zurückgescheucht. Als deutlicher Nachklang klingt es noch in meinen Ohren wie verrückt; wie verrückt gewordene Telegraphendrähte im Frost, wie das vielstimmige Surren einer Trafostation. Ich bin in dieses Surren regelrecht eingehüllt, aber ansonsten wieder aus Fleisch und Blut.

Ich schreibe alles auf. Dann lege ich mein Schreibzeug weg, drehe das Licht ab und versuche wieder in diesen Zustand der Versunkenheit hinabzugleiten. Ich beginne mein Manöver von Neuem. Zunächst will es nicht gelingen. Es ist wieder ganz still. Aber das dreifache Schneuzen in einer Nachbarwohnung und das Anspringen einer Klimaanlage oder eines Dunstabzuges draußen im Lichtschacht lösen bei mir einen Hustenreiz aus. Erst huste ich, dann warte ich wieder geduldig.

Allmählich, ohne daß ich es recht merke, schwebe ich doch hinab in die Versunkenheit. Eine unreine Versunkenheit zwar, denn wieder triften Gedankensplitter und Bildfetzen durch mein Bewußtsein.

Plötzlich geschieht in Wahrnehmung und Bewußtseinszustand ein richtiger Ruck und ich bin unten. Dieser deutliche Ruck war mit dem Eindruck verbunden, von unten angesaugt worden zu sein. Irgendetwas hat sich eindeutig verschoben - ich weiß, es ist der Montagepunkt – und mein Bewußtsein hat sich schlagartig ausgedehnt.

Aber dieser Ruck nach unten hat eine innere, keineswegs dramatische, sondern eine – sozusagen – rein „physische“ Erschütterung ausgelöst, die mich und mein Bewußtsein sofort wieder hochschießen hat lassen, so, daß ich in meinem normalen Bewußtseinszustand aufgetaucht bin.

Gut, denke ich mir, dann schreiben wir halt alles auf.


Irgendein Lichtreflex, den ich nicht zu seinem Ursprung zurückverfolgen kann, erzeugt an der Jalousie des gegenüber, über den Lichtschacht hinweg gelegenen Küchenfensters einer Nachbarwohnung einen blauen Fleck. Einen Fleck in einem Blau von solch überirdischer Intensität und Schönheit, daß mir beinah der Atem wegbleibt.











©Peter Alois Rumpf September 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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