185 Dünne Haut
Meine Sirenen singen. Sie erinnern mich
an den letzten Traum, an meine Reisen in andere Welten.
Meinem Herzen fällt gerade das
Loslassen schwer. Etwas, was mir jahrelang wichtig war, muß ich
jetzt ziehen lassen. Aber nichts Schlimmes, nur ein bißchen Wehmut.
Das Singen der Sirenen wird ganz
intensiv. Es nimmt sechzig Prozent meines Hörraumes ein. In den
anderen vierzig Prozent tickt ein Wecker, rauscht die Klospülung,
wird unten herumgeräumt – die üblichen Morgengeräusche.
Jetzt stehen sie fifty-fifty. Die
normale Welt hat zugelegt, das Surren ein wenig abgenommen. Ich warte
auf das freie Badezimmer. Ich will mir vorm Hinausgehen die
Traumreste abwaschen, die an mir hängen wie die Hautfetzen bei einer
Häutung. Ich liebe den Zustand in der Schwebe, aber ich fühle mich
verpflichtet, mich gefaßter der Welt zu stellen, und fürchte, sonst
noch verwirrter herumzurennen, als ich es ohnehin schon tue.
Vielleicht ist das Badezimmer schon
frei, doch ich will noch nicht raus, obwohl ich bald eine Verabredung
habe. Es geht sich schon noch aus, das aufzuschreiben.
Ich stocke. Eigenartige Sachen fallen
mir ein; ein Zeitungsartikel, den ich vor fünfzig Jahren gelesen
habe, ein Satz daraus wörtlich. In meinem Inneren ist er wörtlich,
aussprechen und aufschreiben kann ich ihn nicht. Ich sinke wieder in
die neuerlich sechzig Prozent Surren. Aber jetzt muß ich raus.
Ich habe die Traumflecken abgeduscht,
aber stark für die Welt fühl' ich mich nicht. Ah! Plötzlich
leuchtet an der Hauswand gegenüber, im Lichtschacht, ein Sonnenfleck
auf! Ein freundliches Zeichen. Das Universum spricht mit mir. Danke!
Das morgendliche, diesseitige Leuchten wird stärker, strahlt noch
mehr.
Ja, gut, jetzt bin ich bereit.
Ich gehe zum Atelierfenster und ziehe
den Vorhang auf; ich sehe, der Himmel ist klar und blau.
Manchmal ist meine Haut sehr dünn. Ein
Schiff, das am Donaukanal vorbeifährt, bringt mich beinah zum
Weinen.
Diese ruhige Bewegung, nicht zu
schnell, aber trotzdem kommt man fort, jedoch so, daß die Seele noch
mit kann.
Ich weiß, das Schiff kann sinken,
seine Gefährdetheit kommt mir echt vor, ganz realistisch, nichts ist
daran falsch.
Dieses schlichte Schiff umgibt eine
Aura von Aufbruch und Optimismus, auch wenn ich weiß, es fährt bloß
im Kreis. (Aber das müßte es nicht.)
Dennoch, das weiße Schiff läßt auch
in mir eine Welle von Aufbruchshoffnung und Aufatmen aufsteigen –
zuerst, im ersten Moment, dann kommt gleich Trauer und Schmerz
hinterher, weil ich selber am Ufer stehe und nicht mitkomme. Aber ich gönne den Reisenden neidlos die Fahrt.
(Keine Sorge, es war nicht das
Hundertwasserschiff, da würde mir eher das Kotzen kommen!)
(Obwohl klar ist: wenn ich aggressiv
und verachtend werde, dann ist mir die dünne Haut zu dünn und ich
glaube, abwehren zu müssen.)
©Peter
Alois Rumpf September 2015
peteraloisrumpf@gmail.com
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