Dienstag, 8. September 2015

185 Dünne Haut


Meine Sirenen singen. Sie erinnern mich an den letzten Traum, an meine Reisen in andere Welten.

Meinem Herzen fällt gerade das Loslassen schwer. Etwas, was mir jahrelang wichtig war, muß ich jetzt ziehen lassen. Aber nichts Schlimmes, nur ein bißchen Wehmut.

Das Singen der Sirenen wird ganz intensiv. Es nimmt sechzig Prozent meines Hörraumes ein. In den anderen vierzig Prozent tickt ein Wecker, rauscht die Klospülung, wird unten herumgeräumt – die üblichen Morgengeräusche.

Jetzt stehen sie fifty-fifty. Die normale Welt hat zugelegt, das Surren ein wenig abgenommen. Ich warte auf das freie Badezimmer. Ich will mir vorm Hinausgehen die Traumreste abwaschen, die an mir hängen wie die Hautfetzen bei einer Häutung. Ich liebe den Zustand in der Schwebe, aber ich fühle mich verpflichtet, mich gefaßter der Welt zu stellen, und fürchte, sonst noch verwirrter herumzurennen, als ich es ohnehin schon tue.

Vielleicht ist das Badezimmer schon frei, doch ich will noch nicht raus, obwohl ich bald eine Verabredung habe. Es geht sich schon noch aus, das aufzuschreiben.
Ich stocke. Eigenartige Sachen fallen mir ein; ein Zeitungsartikel, den ich vor fünfzig Jahren gelesen habe, ein Satz daraus wörtlich. In meinem Inneren ist er wörtlich, aussprechen und aufschreiben kann ich ihn nicht. Ich sinke wieder in die neuerlich sechzig Prozent Surren. Aber jetzt muß ich raus.

Ich habe die Traumflecken abgeduscht, aber stark für die Welt fühl' ich mich nicht. Ah! Plötzlich leuchtet an der Hauswand gegenüber, im Lichtschacht, ein Sonnenfleck auf! Ein freundliches Zeichen. Das Universum spricht mit mir. Danke! Das morgendliche, diesseitige Leuchten wird stärker, strahlt noch mehr.
Ja, gut, jetzt bin ich bereit.

Ich gehe zum Atelierfenster und ziehe den Vorhang auf; ich sehe, der Himmel ist klar und blau.


Manchmal ist meine Haut sehr dünn. Ein Schiff, das am Donaukanal vorbeifährt, bringt mich beinah zum Weinen.
Diese ruhige Bewegung, nicht zu schnell, aber trotzdem kommt man fort, jedoch so, daß die Seele noch mit kann.
Ich weiß, das Schiff kann sinken, seine Gefährdetheit kommt mir echt vor, ganz realistisch, nichts ist daran falsch.
Dieses schlichte Schiff umgibt eine Aura von Aufbruch und Optimismus, auch wenn ich weiß, es fährt bloß im Kreis. (Aber das müßte es nicht.)

Dennoch, das weiße Schiff läßt auch in mir eine Welle von Aufbruchshoffnung und Aufatmen aufsteigen – zuerst, im ersten Moment, dann kommt gleich Trauer und Schmerz hinterher, weil ich selber am Ufer stehe und nicht mitkomme. Aber ich gönne den Reisenden neidlos die Fahrt.

(Keine Sorge, es war nicht das Hundertwasserschiff, da würde mir eher das Kotzen kommen!)
(Obwohl klar ist: wenn ich aggressiv und verachtend werde, dann ist mir die dünne Haut zu dünn und ich glaube, abwehren zu müssen.)







©Peter Alois Rumpf September 2015 peteraloisrumpf@gmail.com


0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite