Dienstag, 1. September 2015

175 Krimi


„Heute liebt er Amy!“ höre ich eine weibliche Stimme sagen, anscheinend zu einem Kommissar und es schaut so aus, als wäre mit „er“ ich gemeint. Ich liege noch im Bett. Einen Traumfetzen vorher hatte ich eine männliche Stimme gehört, die gerufen hat „Tür Nummer drei!“. Ich vermutete sofort, diese Typen wollen zu mir, weil drei die Nummer meiner Wohnungstür war, darum bin ich gleich aufgeschreckt und wollte im Schock gleich aufspringen. Ich dachte an irgendeine unangenehme Kontrolle – Hygiene, Staub oder gar Kriminalpolizei. Ich lag ja noch nackt im Bett und sollte mich noch schnell anziehen; lüften geht sich wohl nicht mehr aus.

Ich habe es aber nicht geschafft, gleich aus dem Bett zu springen und mir ist eingefallen, daß ich jetzt woanders wohne, nicht mehr Tür Nummer drei – oder anders gesagt, ich habe realisiert, wo ich bin – und mich deshalb beruhigt, obwohl mir der Schreck noch in den Knochen steckte; ich habe mich wieder zurückfallen lassen in den Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit, den ich so spannend finde. „Zurückfallen“ nicht körperlich, denn ich war wie gelähmt und konnte mich nicht bewegen, mich nicht aufrichten, trotzdem habe ich ein deutliches Bild davon, wie ich zurücksinke.

Ich bewege mich, löse die Schlafstarre und denke nach, was diese Bilder und Traumelemente bedeuten könnten, woher sie kommen und ob sie mir etwas mitteilen wollen, irgendetwas, das erkannt zu haben mir auf meinem Lebensweg weiterhelfen könnte. Mir fällt nichts Rechtes ein.



Sicher, das „Heute liebt er Amy!“ wird noch vom Filmbesuch vorgestern stammen und der Traumfetzen wird meine Sorge, daß ich meine Familie nicht genug liebe, bearbeitet haben. Aber daß heute alles gut ist, kann ich das glauben? Und so, wie es ausschaut, wollte mich der Kommissar tatsächlich verhören. Also bin ich zumindest verdächtigt. Das verdächtigte Ich hat sich dann durch Flucht in die Realität der Sache entzogen. Schlechtes Gewissen, hä?! Stellt man sich mit reinem Gewissen nicht einer solchen Situation? Dann sagt man im Verhör einfach die Wahrheit und vertraut im Falle einer Anklage auf die Gerechtigkeit des Gerichts, auf seine Unbestechlichkeit und seine Verpflichtung zu Wahrheit und Objektivität. Vor allem, wenn es sich um ein transzendentes Gericht handelt, der irdischen Dualität (wie zum Beispiel Rapid gegen Austria oder unser Clan, unsere Partei gegen die anderen) enthoben. War das schon eine transzendente Kriminalpolizei? Oder noch nicht, und mein mangelndes Vertrauen wäre erklärbar? Eine, die von dem lebt, was mir im Aufwachsen eingeredet wurde und aus meinem persönlichen Misthaufen kommt und nicht aus der Transzendenz?
Oder war die weibliche Stimme, die „heute liebt er Amy!“ gesagt hat, die meines Schutzengels? Engel werden oft weiblich dargestellt, obwohl reine Energiekörper kein Geschlecht haben. Aber das ist halt die Unbeholfenheit unserer transzendenzfernen Kultur.

Und die Hygiene-Staub-Kommission? Was soll das? Mit fällt dazu der Staub auf meinem Nachttischchen und die absurde und lustige Geschichte „Traum“ von Daniil Charms ein, die in seiner Gegenwart, also in der Stalinzeit, spielt und wo der „Held“ der Geschichte, in seinen Träumen verfangen, von der Hygienekommission abgeführt wird. Die Geschichte endet so: „Und die Sanitätskommission, die ihre Runde durch die Wohnungen machte und Kalugin sah, befand ihn für antisanitär und überhaupt untauglich und befahl dem Hausverwalter, Kalugin zusammen mit dem Kehricht hinauszubefördern.
Sie legten Kalugin zusammen und schafften ihn wie Kehricht hinaus“ (Daniil Charms, „Fälle“; Haffmans Verlag, Zürich 1984; Seite 214)

Auch bei mir ist ja immer etwas falsch. Etwas Grundsätzliches stimmt nicht. Daß sie das noch nicht bemerkt haben! Würden sie es wissen, hätte ich grobe Schwierigkeiten: eigentlich dürfte ich nicht leben, denn ich bin zu schwach und komme mit dem Leben nicht zurecht. Ich weiß nicht, wie man in Österreich in der zweiten Republik, nachdem die Todesstrafe abgeschafft worden ist, mit solchen Typen umgeht, mit solchen, die eigentlich nicht leben dürften.

Und was jetzt? Ich liege immer noch nackt im Bett, aber ich schreibe. Wenn ich das gleich jetzt, vor der Arbeit, in den Computer reinklopfe, dann wird mir kaum mehr Zeit für meine täglich vorgesehenen Übungen bleiben. Aber nach dem Dienst zu schreiben – da bin ich meistens zu müde und zu aufgekratzt gleichzeitig, und außerdem habe ich beim Stand-PC nachts nur sehr schlechtes Licht. Die Übungen in die Nacht verschieben? Erfahrungsgemäß bringe ich dann auch nicht viel weiter, aus den gleichen Gründen. Was tun? Ich glaube, ich werde das trotzdem gleich reintippen.



(Anmerkung: Daniil Charms verhungerte 1942 bei der Belagerung – damals – Leningrads durch die deutsche Armee im Gefängnis, in das er von den Sowjetbehörden gesperrt worden war.)









©Peter Alois Rumpf September 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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