174 Ein schlechter Text
Ich habe lange geschlafen und versucht,
in meinen Träumen aufzuwachen. Aber jedesmal, wenn ich aufgewacht
bin, war es in dieser Welt, nicht im Traum. Ich träume intensiver,
aber oft habe ich den Traum schon vergessen, bloß wenn ich mich
aufsetze um ihn aufzuschreiben. Sobald ich meinen Körper bewege, ist
der Traum so gut wie weg. Höchstens ein kleiner Fetzen bleibt in
Erinnerung.
Ich bin aufgestanden, sitze an meinem
überfüllten Schreibtisch und eine leichte Frustration zieht durch
meinen Untergrund. Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf diese
Frustration lenke, dann ist sie gar nicht so leicht, sondern recht
massiv und drückt und sticht auf meinen Magen. Ratlosigkeit und
Überforderung. Vom Schlafen und Träumen surrt es noch in meinen
Ohren, wie immer, wenn ich noch in der Traumwelt verfangen bin.
Ich bin noch nicht ganz da. Zu Hälfte
überrede ich mich zum Schreiben, zu anderen Hälfte zwinge ich mich
dazu. Ich glaube, das kann man dem Text anmerken.
Ich lege mir eine Tarotkarte und es
kommt die Sonne heraus, die Karte mit den spielenden Kindern. An und
für sich mag ich diese Karte und ich freue mich immer, wenn ich sie
ziehe, weil sie in meiner Deutung Lebensfreude und kindliches Spielen
verspricht, aber heute nicht. Es ist mir alles zu kompliziert. Ich
kenne mich nicht aus. Nirgends. Ein starkes Gefühl, daß bei mir
alles vergeblich ist und mir nichts gelingt. Ich bin ein Gefäß mit
Sprung, aus dem alles wieder ausrinnt.
Mein Intellekt denkt „Aha! Eine
Depression“ und fragt mich, ob ich mich überhaupt mit diesen
Gefühlen beschäftigen soll, oder sie nicht besser ignorieren. Ein
anderer Teil sagt „Doch! Gehen wir ruhig durch. Schauen wir uns das
an.“ Der Intellekt sagt „Das wird kein Text für die
Öffentlichkeit! Hör auf, das zu schreiben, denn wie ich dich kenne,
schaffst du es nicht, einen Text nicht
zu veröffentlichen. Das schafftst du fast nie. Das wird peinlich.
Denk an die Leser, die du kennst. Zum Beispiel in der Firma. Was du
da schreibst ist ja pubertär!“
Na
und? Ich beschreibe das, was ist.
Die
alte Erkenntnis, daß ich mit dem Leben überfordert bin. Oder ist
das etwas, das ich mir seit einer halben Ewigkeit einrede?... Das wird
wirklich kein guter Text. Schreib ihn meinetwegen hin, aber
veröffentliche ihn nicht in der Schublade. Bitte nicht! Es gibt
keinen Grund, alle Texte zu veröffentlichen. Das ist nicht Literatur
oder Erzählen, das ist bestenfalls Tagebuch eines Dreizehnjährigen.
Mit
fünfzehn habe ich – wenn ich mich recht erinnere – begonnen, ein
Tagebuch zu führen, und der dritte oder vierte Eintrag hat gelautet:
„Ich bin ein Schwächling, ich bin ein Schwächling, ich bin ein
….usw.“, und das eine ganze Seite voll. Das da ist dem nicht
unähnlich. Aber irgendein trotziger Teil in mir will es sich nicht
verbieten lassen, das zu schreiben. Das Spiel fängt langsam an, mir
Spaß zu machen und zieht mich von der Frustration weg. Schreiben ist
das Einzige, was ich tun kann. Es rettet mich und den Tag. Es ist
wichtiger als... nein, das streiche ich wieder durch. Ich seufze
tief, das schafft mir Erleichterung. „Der K-Effekt“, oder genauer
„der Kinderkakaokannen-Effekt“ von Ulrich Freund fällt mir ein,
ein Buch, das ich vor Jahrzehnten gelesen habe. Und das Gerede eines
Galeristen (auch schon Jahrzehnte her) von schlechten Bildern, die so
schlecht sind, daß sie wieder gut sind.
Ich
mag diese zynischen Theorien und Postulate nicht. Treibe ich jetzt
dasselbe Spiel mit diesem Text? Wenn man so herumtändelt, dann ist
man nicht beim Kern der Sache. Da fällt mir ein, ich soll nicht
„man“ schreiben. Ich denke dabei an einen konkreten potentiellen
Leser, der das kritisieren würde. Aber „man/frau“? Das ist mir zu holprig.
Ich
schlage meine Beine um und mein Sessel knarrt. Ich sollte hier in der
Wohnung einiges ölen. Das nehme ich mir schon seit längerem vor.
Meine Schreiberei könnte ich heute auch ölen.
Das
ist alles nichts. Das führt zu nichts. Dieser spöttelnde Zynismus
ist traurig, und arm. „Ach! Jetzt versucht er es wieder mit heilig!“
sagt mein Intellekt.
Ich
blicke wieder die Karte an: die zwei Kinder, fast nackt, vermutlich
Buben, legen jeweils einen Arm auf Schulter und Rücken des anderen.
Die große Sonne über ihnen schaut etwas mißmutig drein und
stirnrunzelnd. So etwas wie Tropfen schweben im Raum zwischen Sonne
und Erde, aber interessanterweise sind die Tropfen so gedreht – der
runde Teil oben, der spitze Teil unten – als würden sie nach oben,
Richtung Sonne fallen oder von ihr angesogen werden.
Die
Kinder stehen auf einem roten Boden; unmittelbar hinter ihnen steht
eine niedere Mauer, ungefähr halb so groß wie die Buben. Am Rand
schaut sowohl rechts als auch links hinter der Mauer ein
zypressenartiger Baum hervor.
Durch
irgendetwas Gallertiges, Träges, Widerständiges, aber Weiches,
Zähes habe ich mich jetzt durchgearbeitet, denn das Surren in den
Ohren ist schwächer und mein Da-Sein ruhiger und fester. Nicht
wirklich fest, aber fester als vorhin. Ich betrachte den
Sonnenlichtfleck an der gegenüberliegenden Hauswand und seufze tief.
Das schafft mir Erleichterung. Noch einmal seufze ich tief. Und nach
ein paar Sekunden nocheinmal.
Jetzt
bin ich so halbwegs da.
©Peter
Alois Rumpf, August 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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