Montag, 31. August 2015

174 Ein schlechter Text


Ich habe lange geschlafen und versucht, in meinen Träumen aufzuwachen. Aber jedesmal, wenn ich aufgewacht bin, war es in dieser Welt, nicht im Traum. Ich träume intensiver, aber oft habe ich den Traum schon vergessen, bloß wenn ich mich aufsetze um ihn aufzuschreiben. Sobald ich meinen Körper bewege, ist der Traum so gut wie weg. Höchstens ein kleiner Fetzen bleibt in Erinnerung.
Ich bin aufgestanden, sitze an meinem überfüllten Schreibtisch und eine leichte Frustration zieht durch meinen Untergrund. Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf diese Frustration lenke, dann ist sie gar nicht so leicht, sondern recht massiv und drückt und sticht auf meinen Magen. Ratlosigkeit und Überforderung. Vom Schlafen und Träumen surrt es noch in meinen Ohren, wie immer, wenn ich noch in der Traumwelt verfangen bin.
Ich bin noch nicht ganz da. Zu Hälfte überrede ich mich zum Schreiben, zu anderen Hälfte zwinge ich mich dazu. Ich glaube, das kann man dem Text anmerken.

Ich lege mir eine Tarotkarte und es kommt die Sonne heraus, die Karte mit den spielenden Kindern. An und für sich mag ich diese Karte und ich freue mich immer, wenn ich sie ziehe, weil sie in meiner Deutung Lebensfreude und kindliches Spielen verspricht, aber heute nicht. Es ist mir alles zu kompliziert. Ich kenne mich nicht aus. Nirgends. Ein starkes Gefühl, daß bei mir alles vergeblich ist und mir nichts gelingt. Ich bin ein Gefäß mit Sprung, aus dem alles wieder ausrinnt.

Mein Intellekt denkt „Aha! Eine Depression“ und fragt mich, ob ich mich überhaupt mit diesen Gefühlen beschäftigen soll, oder sie nicht besser ignorieren. Ein anderer Teil sagt „Doch! Gehen wir ruhig durch. Schauen wir uns das an.“ Der Intellekt sagt „Das wird kein Text für die Öffentlichkeit! Hör auf, das zu schreiben, denn wie ich dich kenne, schaffst du es nicht, einen Text nicht zu veröffentlichen. Das schafftst du fast nie. Das wird peinlich. Denk an die Leser, die du kennst. Zum Beispiel in der Firma. Was du da schreibst ist ja pubertär!“

Na und? Ich beschreibe das, was ist.

Die alte Erkenntnis, daß ich mit dem Leben überfordert bin. Oder ist das etwas, das ich mir seit einer halben Ewigkeit einrede?...     Das wird wirklich kein guter Text. Schreib ihn meinetwegen hin, aber veröffentliche ihn nicht in der Schublade. Bitte nicht! Es gibt keinen Grund, alle Texte zu veröffentlichen. Das ist nicht Literatur oder Erzählen, das ist bestenfalls Tagebuch eines Dreizehnjährigen.

Mit fünfzehn habe ich – wenn ich mich recht erinnere – begonnen, ein Tagebuch zu führen, und der dritte oder vierte Eintrag hat gelautet: „Ich bin ein Schwächling, ich bin ein Schwächling, ich bin ein ….usw.“, und das eine ganze Seite voll. Das da ist dem nicht unähnlich. Aber irgendein trotziger Teil in mir will es sich nicht verbieten lassen, das zu schreiben. Das Spiel fängt langsam an, mir Spaß zu machen und zieht mich von der Frustration weg. Schreiben ist das Einzige, was ich tun kann. Es rettet mich und den Tag. Es ist wichtiger als... nein, das streiche ich wieder durch. Ich seufze tief, das schafft mir Erleichterung. „Der K-Effekt“, oder genauer „der Kinderkakaokannen-Effekt“ von Ulrich Freund fällt mir ein, ein Buch, das ich vor Jahrzehnten gelesen habe. Und das Gerede eines Galeristen (auch schon Jahrzehnte her) von schlechten Bildern, die so schlecht sind, daß sie wieder gut sind.

Ich mag diese zynischen Theorien und Postulate nicht. Treibe ich jetzt dasselbe Spiel mit diesem Text? Wenn man so herumtändelt, dann ist man nicht beim Kern der Sache. Da fällt mir ein, ich soll nicht „man“ schreiben. Ich denke dabei an einen konkreten potentiellen Leser, der das kritisieren würde. Aber „man/frau“? Das ist mir zu holprig.

Ich schlage meine Beine um und mein Sessel knarrt. Ich sollte hier in der Wohnung einiges ölen. Das nehme ich mir schon seit längerem vor. Meine Schreiberei könnte ich heute auch ölen.

Das ist alles nichts. Das führt zu nichts. Dieser spöttelnde Zynismus ist traurig, und arm. „Ach! Jetzt versucht er es wieder mit heilig!“ sagt mein Intellekt.
Ich blicke wieder die Karte an: die zwei Kinder, fast nackt, vermutlich Buben, legen jeweils einen Arm auf Schulter und Rücken des anderen. Die große Sonne über ihnen schaut etwas mißmutig drein und stirnrunzelnd. So etwas wie Tropfen schweben im Raum zwischen Sonne und Erde, aber interessanterweise sind die Tropfen so gedreht – der runde Teil oben, der spitze Teil unten – als würden sie nach oben, Richtung Sonne fallen oder von ihr angesogen werden.
Die Kinder stehen auf einem roten Boden; unmittelbar hinter ihnen steht eine niedere Mauer, ungefähr halb so groß wie die Buben. Am Rand schaut sowohl rechts als auch links hinter der Mauer ein zypressenartiger Baum hervor.

Durch irgendetwas Gallertiges, Träges, Widerständiges, aber Weiches, Zähes habe ich mich jetzt durchgearbeitet, denn das Surren in den Ohren ist schwächer und mein Da-Sein ruhiger und fester. Nicht wirklich fest, aber fester als vorhin. Ich betrachte den Sonnenlichtfleck an der gegenüberliegenden Hauswand und seufze tief. Das schafft mir Erleichterung. Noch einmal seufze ich tief. Und nach ein paar Sekunden nocheinmal.
Jetzt bin ich so halbwegs da.














©Peter Alois Rumpf,  August 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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