168 Die ganz kleine Lichtung
An manchen Stellen blinken die Nadeln
der Föhre, als wäre diese von Licht- und Energietropfen geschmückt,
und einzelne Fäden der Spinnennetze glitzern vereinzelt wie ganz
feines, dünnes Lametta. Die Nadeln der dunklen Fichte changieren
zwischen einem schwachen gelblichen und einem schwachen bläulichen
dunkleren grünen Strahlen.
Mein Blick geht durch ein Gestell wie
in einen finsteren Wald. Es ist auch still – für einen Moment. Da
weiter hinten leuchtet zwischen den Bäumen ein Stück Wiese mit
ihrem Sonnenlicht hervor. Eine ganz kleine Lichtung. Das leuchtende
Wiesenstück – jetzt gerade vom Wind leicht bewegt – wird ein
Sammlungspunkt für all meine Sehnsucht. Der guten wie der
zweifelhaften. Dort! Dort! Dort ist es! So nah!
Ich weiß, wenn ich hinginge – jetzt
versperrt mir ein Maschendrahtzaun den Weg – aber wenn ich
hinginge, die Sehnsuchtsstelle würde sich weiter nach hinten
verschieben. Oder nach rechts, oder links, oder nach irgendwo.
Ich schaue hin. Immer wieder schaue ich
hin. Es ist gut, daß ich nicht hingehen kann. Das Büschel Gras in
der Mitte steht jetzt ganz ruhig in der Sonne. Nichts regt sich. Nur
stumpfsinnige, unsensible Autos fahren im Zweisekundentakt links
unten auf der Straße vorüber. Ich sehe sie nicht. Ich höre nur
ihre aufdringliche, flüchtige Anwesenheit. Sie haben nie genug, nie
hören sie auf, nur für kurze Momente reißt die unangenehme und
unzusammenhängende Karawane ab; dann ist es still. Ferne
Flugzeuggeräusche, so weit weg fast schon wieder idyllisch.
Um die Bäumen tanzen Insekten im
Sonnenlicht. Eine kleine Wolke rast wie ein nebliges Universum im
Zeitraffer auf uns zu. Jetzt sehe ich, sie ist die Vorläuferin einer
größeren weißen wolkigen Welt, die hinter der Birke hervorkommt.
Nichts rührt sich. Kein Blatt bewegt
sich. Nur ein ganz sanfter Hauch bringt vier, fünf Blätter des
jungen Ahornbäumchens in leises Schwingen.
Da hinten hängen die Nüsse schwer im
kleinen Baum. Ein Liegestuhl wird schweigend, aber seufzend
umgedreht. Ich höre zu schreiben auf. Da wirft mich ein kühler
Windstoß aus meiner Versunkenheit und erzeugt ein kurzes Rauschen in
den Bäumen.
Jetzt habe ich den Standort gewechselt.
Die Sonne scheint mir ins Gesicht und ich kann die Dächer der Autos
sehen, die angestrengt und zielverbissen die niedere Anhöhe hinauf
und ebenso angestrengt und irgendwie verklemmt wirkend die Anhöhe
hinunterfahren.
Eine dumpfdröhnende Stimme aus dem
Fernseher, hinten im Haus, mit unnatürlichem Klangkörper, weit
genug, daß ich nichts verstehe. Ich will auch nichts verstehen.
Ein Lachen aus einer anderen Ecke des
Gartens und immer und immer wieder das Brummen und Burren der Autos.
Ein kleiner, weißer Schmetterling
vollbringt sein absichtslos scheinendes Flugwerk, in Wirklichkeit
arbeitet er sich zielgerichtet von Blüte zu Blüte.
Der Sog der lauten, unruhigen Straße
links unten zieht immer wieder meine Aufmerksamkeit ab, zu sich
hinunter in den Graben, und wenn sie dann dort ist, wendet sie sich
enttäuscht, gestresst und genervt wieder weg. Selbst ein sanft,
ruhig und majestätisch dahinschreitendes älteres orientalisches
Paar auf dem Gehsteig kann die laute, gewalttätige Motorisiertheit
da unten nicht ausbalancieren.
Dem weißen Schmetterling ist das egal;
er schaukelt geduldig zur nächsten Blüte. Fast wird mir meine
Sehnsucht nach Stille unheimlich.
Direkt vor mir ragt eine mächtige
Fichte in den Himmel; ihr Wipfel scheint die langsam vorbeiziehenden
Wolken zu erreichen. Die Sonne hat sich hinter einer kleinen, dünnen
Schleierwolke verhüllt.
Vielleicht sind alle Autos
fremdgesteuert von Aliens; im Moment kommt mir das sehr plausibel
vor.
©Peter
Alois Rumpf August 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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