Freitag, 28. August 2015

172 Pop-ups


Als ich heute morgen mit der Übung zur Inneren Stille beginne, bin ich spät dran und ich höre die Kinder die Stiege hinuntergehen, zuerst ein wenig Weinen, dann Geplauder und die angestrengten Schritte auf den Stufen. Dann ist es still. Keine Störung von außen reißt mein Bewußtsein aus der versuchten Versenkung. Nur innere Pop-ups pushen mich immer wieder an die Oberfläche zurück.

Gerade versuche ich in die Stille zu sinken, da explodiert eine Phantasie, ein Bild, eine Szene in meinem Bewußtsein und zieht alle Aufmerksamkeit auf sich; ein Zucken geht durch meinen unbewegten Körper (bin ich jetzt verzückt?), als wolle er mit Händen und Füßen um sich schlagen; mein Energiearm schlägt auch zu, während mein Körperarm unbewegt bleibt. Rote, blinde Wut durchtränkt mein Bewußtsein. Diesen Tagtraum kenne ich schon ewig: ich zerstöre die bestehende Welt, lasse Bomben regnen und überziehe die Menschheit mit Explosionen. Die Bösen werden vernichtet und endlich habe ich Platz in der Welt, endlich den Platz, meine Flügel zu entfalten. (Ein inneres Bild, das auch nicht besser ist als die, die man bei Hitler oder Stalin oder IS vermuten kann, um nur ein paar der Zerstörer zu nennen). Dieses bewegte Standbild taucht nur für Sekunden auf, aber der Zugang zur Inneren Stille ist blockiert und ich beginne wieder von vorne.

Das Ticken des Weckers, ferne Geräusche, die nicht stören, das vertraute Surren in den Ohren – allmählich werde ich wieder ruhiger und schwerer.

Da platzt als nächstes ein fast bildloses Bild herein, aber sozusagen von innen: ich finde Anerkennung. Ich werde geehrt. Aber die Bilder dazu vor meinen geschlossenen Augen sind bruchstückhaft, unklar, verschwommen, passen nicht so recht dazu. Irgendwo stehe ich in einem dunklen Raum – genauer gesagt, die Ränder des eher dämmrigen Gesichtsraumes nochmals verdunkelt, wie man es im betrunkenen Zustand erlebt – und jemand sagt etwas Gutes (benedicere) und Anerkennendes über mich. Aber das sehe und höre ich nicht; kein Satz, kein Wort ist da, nur das Gefühl. Ich bin leicht beschämt – wie es in so einer Situation tatsächlich normal wäre – aber fühle mich geehrt. Ein dünnes, vages „Endlich!“ geistert flüchtig durch das unstabile, unfaßbare Bild. Könnte schon sein, daß ich meine Texte bereits in Buchform veröffentlicht habe und die Ehrung damit zu tun hat, aber sicher ist es nicht. Das platzt nur so rein und ist schon wieder vorbei, bevor ich es recht aufnehmen kann. Nur die Emotion ist halbwegs deutlich.

Ich bewege mich weiterhin nicht. Der magische Briefbeschwerer liegt auf der Stelle unmittelbar unter meinem Nabel und meine Hände habe ich gespreizt seitlich an den Körper gelegt – die Daumen an den untersten Rippenknochen und die aneinanderliegenden Ring- und kleine Finger an den Rand des Hüftknochens. Auch Zeige- und Mittelfinger ruhen zusammengelegt in der Mitte. Durch diese Haltung entsteht eine Spannung in den Händen, die der Aufmerksamkeit hilft, sich auf die Innere Stille zu konzentrieren.
Da gellt ein klarer, deutlicher Satz in mein Bewußtsein: „Mein Vater hat nie seine Hand gegen mich erhoben!“ Ich bin verblüfft (und abgelenkt), denn der Satz ist – zumindest in dieser Welt – ganz falsch. Bei einem Schlag ins Gesicht bin ich als Kind mehrere Meter durch die Luft geflogen und ein anderes Mal hat sein Schlag eine Blutspur an der Kinderzimmerwand hinterlassen, nachdem mein Kopf durch seinen Schlag an die Wand geknallt ist. Um nur zwei Beispiele zu nennen. Die angefangene Meditation verhindert, daß Gefühle wie Trauer, Wut, Scham, Haß richtig nach oben kommen - (die kommen erst jetzt beim Aufschreiben hoch), aber die Verblüffung hat mich genau so aus der Konzentration gerissen.

Ich bleibe geduldig und bewege mich nicht. Ich löse nur meine Handhaltung auf und lege meine Hände – die Handflächen nach unten – ganz „normal“ neben meinen Rumpf und bewege mich dann nicht mehr. Sogleich spüre ich – wie immer bei diesem Positionswechsel – den magischen Briefbeschwerer deutlich tiefer in mich (in meinen Energiekörper?) einsinken.

Wieder versuche ich, in die Stille hinunterzutriften. Und wieder ploppt plötzlich ein Bild auf, ein ziemlich absurdes: Ich sehe vor mir einen Stapel von Waschschüsseln, die bei uns Lavoir heißen, aus Plastik, in einem wieder eher dunkleren Raum, verschieden groß, sodaß der Stapel unregelmäßig ist und die größeren Waschschüsseln seitlich aus dem Stapel herausstehen. In den dadurch in den herausragenden Schüsseln entstehenden ringförmigen – wie kann ich das nennen? - „Rinnen“ liegen kleine Gegenstände. Keine Ahnung, welche. Möglicherweise irgendwelches Kinderspielzeug. Die Waschschüsseln sind verschiedenfarbig; an gelb und rot kann ich mich erinnern. Ich weiß nicht, was das soll. Was soll das!?

Jedenfalls ist meine Konzentration auf die Stille auf der Stelle wieder unterbrochen. Aha, das wird heute nichts! Ich freunde mich mit diesem Gedanken an. Schon befaßt sich mein Geist mit den Formulierungen, die ich beim Aufschreiben nachher verwenden könnte und versucht, sich die Bilder, Szenen und Gefühle gut einzuprägen und das, was bisher geschah, in Gedanken zu wiederholen.

Ich bleibe noch ein bißchen in diesem Zustand der erfolglosen Unbewegtheit. Eine leichte, aber vertraute Enttäuschung und eine ebensolche Frustration wollen sich stark machen; ich registriere diese Gefühle und akzeptiere ihre Anwesenheit, steige jedoch nicht darauf ein.
Ich tröste mich mit dem Gedanken, daß trotzdem ein guter Text daraus entstehen kann und strecke und rekle mich im Bett, nachdem ich den magischen Briefbeschwerer auf das Nachtkästchen gelegt habe. Dann richte ich mich auf, warte kurz, erhebe mich und hole das Notizbuch.









©Peter Alois Rumpf,  August 2015 peteraloisrumpf@gmail.com


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