172 Pop-ups
Als ich heute morgen mit der Übung zur
Inneren Stille beginne, bin ich spät dran und ich höre die Kinder
die Stiege hinuntergehen, zuerst ein wenig Weinen, dann Geplauder und
die angestrengten Schritte auf den Stufen. Dann ist es still. Keine
Störung von außen reißt mein Bewußtsein aus der versuchten
Versenkung. Nur innere Pop-ups pushen mich immer wieder an die
Oberfläche zurück.
Gerade versuche ich in die Stille zu
sinken, da explodiert eine Phantasie, ein Bild, eine Szene in meinem
Bewußtsein und zieht alle Aufmerksamkeit auf sich; ein Zucken geht
durch meinen unbewegten Körper (bin ich jetzt verzückt?), als wolle
er mit Händen und Füßen um sich schlagen; mein Energiearm schlägt auch zu, während mein Körperarm unbewegt bleibt. Rote, blinde Wut
durchtränkt mein Bewußtsein. Diesen Tagtraum kenne ich schon ewig:
ich zerstöre die bestehende Welt, lasse Bomben regnen und überziehe
die Menschheit mit Explosionen. Die Bösen werden vernichtet und
endlich habe ich Platz in der Welt, endlich den Platz, meine Flügel
zu entfalten. (Ein inneres Bild, das auch nicht besser ist als die,
die man bei Hitler oder Stalin oder IS vermuten kann, um nur ein paar
der Zerstörer zu nennen). Dieses bewegte Standbild taucht nur für
Sekunden auf, aber der Zugang zur Inneren Stille ist blockiert und
ich beginne wieder von vorne.
Das Ticken des Weckers, ferne
Geräusche, die nicht stören, das vertraute Surren in den Ohren –
allmählich werde ich wieder ruhiger und schwerer.
Da platzt als nächstes ein fast
bildloses Bild herein, aber sozusagen von innen: ich finde
Anerkennung. Ich werde geehrt. Aber die Bilder dazu vor meinen
geschlossenen Augen sind bruchstückhaft, unklar, verschwommen,
passen nicht so recht dazu. Irgendwo stehe ich in einem dunklen Raum
– genauer gesagt, die Ränder des eher dämmrigen Gesichtsraumes
nochmals verdunkelt, wie man es im betrunkenen Zustand erlebt – und
jemand sagt etwas Gutes (benedicere) und Anerkennendes über mich. Aber das sehe
und höre ich nicht; kein Satz, kein Wort ist da, nur das Gefühl.
Ich bin leicht beschämt – wie es in so einer Situation tatsächlich
normal wäre – aber fühle mich geehrt. Ein dünnes, vages
„Endlich!“ geistert flüchtig durch das unstabile, unfaßbare
Bild. Könnte schon sein, daß ich meine Texte bereits in Buchform
veröffentlicht habe und die Ehrung damit zu tun hat, aber sicher ist
es nicht. Das platzt nur so rein und ist schon wieder vorbei, bevor
ich es recht aufnehmen kann. Nur die Emotion ist halbwegs deutlich.
Ich bewege mich weiterhin nicht. Der
magische Briefbeschwerer liegt auf der Stelle unmittelbar unter
meinem Nabel und meine Hände habe ich gespreizt seitlich an den
Körper gelegt – die Daumen an den untersten Rippenknochen und die
aneinanderliegenden Ring- und kleine Finger an den Rand des
Hüftknochens. Auch Zeige- und Mittelfinger ruhen zusammengelegt in
der Mitte. Durch diese Haltung entsteht eine Spannung in den Händen,
die der Aufmerksamkeit hilft, sich auf die Innere Stille zu
konzentrieren.
Da gellt ein klarer, deutlicher Satz in
mein Bewußtsein: „Mein Vater hat nie seine Hand gegen mich
erhoben!“ Ich bin verblüfft (und abgelenkt), denn der Satz ist –
zumindest in dieser Welt – ganz falsch. Bei einem Schlag ins
Gesicht bin ich als Kind mehrere Meter durch die Luft geflogen und
ein anderes Mal hat sein Schlag eine Blutspur an der Kinderzimmerwand
hinterlassen, nachdem mein Kopf durch seinen Schlag an die Wand
geknallt ist. Um nur zwei Beispiele zu nennen. Die angefangene Meditation verhindert, daß Gefühle
wie Trauer, Wut, Scham, Haß richtig nach oben kommen - (die kommen
erst jetzt beim Aufschreiben hoch), aber die Verblüffung hat mich
genau so aus der Konzentration gerissen.
Ich bleibe geduldig und bewege mich
nicht. Ich löse nur meine Handhaltung auf und lege meine Hände –
die Handflächen nach unten – ganz „normal“ neben meinen Rumpf
und bewege mich dann nicht mehr. Sogleich spüre ich – wie immer
bei diesem Positionswechsel – den magischen Briefbeschwerer
deutlich tiefer in mich (in meinen Energiekörper?) einsinken.
Wieder versuche ich, in die Stille
hinunterzutriften. Und wieder ploppt plötzlich ein Bild auf, ein
ziemlich absurdes: Ich sehe vor mir einen Stapel von Waschschüsseln,
die bei uns Lavoir heißen, aus Plastik, in einem wieder eher
dunkleren Raum, verschieden groß, sodaß der Stapel unregelmäßig
ist und die größeren Waschschüsseln seitlich aus dem Stapel
herausstehen. In den dadurch in den herausragenden Schüsseln
entstehenden ringförmigen – wie kann ich das nennen? - „Rinnen“
liegen kleine Gegenstände. Keine Ahnung, welche. Möglicherweise
irgendwelches Kinderspielzeug. Die Waschschüsseln sind
verschiedenfarbig; an gelb und rot kann ich mich erinnern. Ich weiß
nicht, was das soll. Was soll das!?
Jedenfalls ist meine Konzentration auf
die Stille auf der Stelle wieder unterbrochen. Aha, das wird heute
nichts! Ich freunde mich mit diesem Gedanken an. Schon befaßt sich
mein Geist mit den Formulierungen, die ich beim Aufschreiben nachher
verwenden könnte und versucht, sich die Bilder, Szenen und Gefühle
gut einzuprägen und das, was bisher geschah, in Gedanken zu
wiederholen.
Ich bleibe noch ein bißchen in diesem
Zustand der erfolglosen Unbewegtheit. Eine leichte, aber vertraute
Enttäuschung und eine ebensolche Frustration wollen sich stark
machen; ich registriere diese Gefühle und akzeptiere ihre
Anwesenheit, steige jedoch nicht darauf ein.
Ich tröste mich mit dem Gedanken, daß
trotzdem ein guter Text daraus entstehen kann und strecke und rekle
mich im Bett, nachdem ich den magischen Briefbeschwerer auf das
Nachtkästchen gelegt habe. Dann richte ich mich auf, warte kurz, erhebe mich und hole das Notizbuch.
©Peter
Alois Rumpf, August 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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