Donnerstag, 3. September 2015

179 Der zweite Schlitz


Ich besuche eine kleine, schäbige Spielhalle. Ganz klein und ganz schäbig. Eigentlich so eine Art „Espresso Moni“ mit Tischfußballautomat vulgo Wutzler und einem Flipper. Wenn man beim Flipper das Geld in einen unauffälligen, zweiten Schlitz wirft, den nur Eingeweihte kennen, dann zeigt es sich, daß in diesem Gerät noch ein anderes versteckt eingebaut ist, ein Gerät zum Anschauen pornografischer Bilder. Und zwar dreidimensional. Genaugenommen sieht man (hier passt „man“, gell!) nackte weibliche Figuren. Aus Plastik. Recht klein. Sehr klein. Von schlechter Ausführung und Qualität. Nicht größer als ein Zentimeter. Aus mehreren schlecht geformten Plastikteilchen zusammengestoppelt. Sehr häßlich. Sehr mickrig. Richtig gesagt, nur ein solches grausliges Figürchen.

Ich bin hingegangen. In Erwartung eines erotischen Abenteuers. Mit Frauen. Nein, nein, ich meine, ich habe an erotische Abenteuer mit Frauen gedacht; hingegangen bin ich allein! Zumindest an irgend eine kesse Kellnerin habe ich gedacht. Da habe ich normalerweise eh keine Chance, aber trotzdem. Der Reiz der schwülen Atmosphäre. Ein bißchen darin baden. Ein Abenteuer wäre ja wirklich sehr unwahrscheinlich. In solchen Welten bin ich immer daneben und Verlierer. Dafür habe ich kein Repertoire und zu wenig Geld. Immer. Aber ich habe dort auch gar keine Frau gesehen. Nur den düsteren Wirt und junge, wenig vertrauenserweckende Männer, die mich beobachten. Verdacht auf kriminelle Bande.

Nachdem ich die Münze in den geheimen Schlitz eingeworfen und alles angeschaut habe, gehe ich wieder weg. Erleichtert, da wieder draußen zu sein.

Diese „Spielhalle“ ist irgendwo am Rand eines Ortes. Eher groß? Eher klein? Ein Miniaturkirtag. Aber wo? Wohne ich dort? Das Lokal ist so im Stil ländlicher Cafes der frühen Siebzigerjahre eingerichtet, kalt, nüchtern und „praktisch“. Besser gesagt: billig.

Aber irgendwie zieht mich dieses Pornographische an. Eine innere Erregung ist spürbar. Ein schwüles Flirren. Obwohl ich mir denken kann, was mich dort erwartet, zieht es mich unwiderstehlich (behaupte ich mal) hin. Ich wundere mich selber. Vielleicht, ...vielleicht doch!
Aber alles ist gleich, nur noch schäbiger. Der Tischfußballautomat ist auch verschwunden. Das Lokal noch schmutziger, verrauchter, schmieriger, düsterer. Der Wirt ist zehn, fünfzehn Jahre jünger als ich, Glatze, kleiner, aber auf Draht. Wieder keine Frau, nur diese jungen Männer dort, sie wirken noch aggressiver. Der Wirt steckt mit ihnen nicht unter einer Decke, aber die Finger verbrennen will er sich auch nicht. Er würde von der Bande bedrohte Gäste schon schützen, wenn es geht. Wenn es nicht geht, na, dann eben nicht.

Ich ziehe mein Ding durch (bitte! nur im übertragenen Sinn! Oder ist es dann erst recht verkehrt?) und werfe die Münze in den zweiten Schlitz und betrachte desillusioniert das mickrige Plastikpüppchen.
Dann will ich wieder raus, nichts wie raus. Aber diesmal verfolgen mich die gefährlichen Typen. Ich weiß, sie werden mich ansprechen und sagen, sie könnten mich zu einer richtigen Frau führen. Gegen Geld, werden sie sagen. Und ich werde wenig Chance haben, „nein“ zu sagen, weil sie das nicht akzeptieren werden. Ich glaube ihnen sowieso nicht, mir ist das viel zu gefährlich. Wahrscheinlich wollen sie mich ausrauben. Und weil ich nichts habe, vor Wut niederschlagen. Oder so ähnlich. Schnell gehe ich weiter. Sie verfolgen mich. Sind als eine dunkle, finstere, im Halbkreis aufgestellte Gruppe schon verdammt nahe. Wenn ich mich umdrehe, bleiben sie noch stehen; noch! Eine bedrohliche Masse, die immer näher rückt, wenn ich weiterlaufe. Filmschnitt.

Irgendwo anders, in einem ganz anderen Ambiente sehe ich den Wirt. Es könnte das Foyer eines Theaters sein, zum Beispiel. Er wirkt jünger, frischer, ist gut gekleidet. Naja, „gut“ ist auch nicht ganz richtig, aber sauber, auf elegant, wenn auch in etwas übertriebener Form. Ein eigenartig geformter schwarzer Anzug, mit Teilen, die seitlich abstehen. Ich tue so, als würde ich ihn nicht kennen. Das mach' ich immer so, wenn ich unsicher bin. Nie spreche ich Leute von mir aus an, auch nicht beim Grüßen. Und da jetzt habe ich noch weniger Grund.

Der Wirt aber lacht mich an und grüßt mich in einer eigenartigen, fast kasperlhaften Geste, indem er ein Bein anhebt und ausstreckt und dabei länger ruhig in der Luft hält, und auch einen Arm, mit dem er einen Schirm hält, von sich wegstreckt. So wie ein in der Bewegung steckengebliebener Komödientänzer. Er grinst über das ganze Gesicht. Ich tue so, als würde ich ihn erst jetzt bemerken und sage, bemüht jovial: „Ah! der Wirt!“

Eigentlich schaut er anders aus als in der Spielhalle. Wenn ich länger nachdenke und die Bilder vergleiche - immer mehr. Gar nicht mehr düster, sondern fröhlich und kindisch. Aber im Traum ist es der Wirt.


Nochmals versinke ich in die Traumwelt. Diesmal gebe ich meine Münzen einem alten Paar. Ihm eine und ihr eine. Wofür ist unklar. Arm sind sie nicht.










©Peter Alois Rumpf September 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite