179 Der zweite Schlitz
Ich besuche eine kleine, schäbige
Spielhalle. Ganz klein und ganz schäbig. Eigentlich so eine Art
„Espresso Moni“ mit Tischfußballautomat vulgo Wutzler und einem
Flipper. Wenn man beim Flipper das Geld in einen unauffälligen,
zweiten Schlitz wirft, den nur Eingeweihte kennen, dann zeigt es
sich, daß in diesem Gerät noch ein anderes versteckt eingebaut ist,
ein Gerät zum Anschauen pornografischer Bilder. Und zwar
dreidimensional. Genaugenommen sieht man (hier passt „man“,
gell!) nackte weibliche Figuren. Aus Plastik. Recht klein. Sehr
klein. Von schlechter Ausführung und Qualität. Nicht größer als
ein Zentimeter. Aus mehreren schlecht geformten Plastikteilchen
zusammengestoppelt. Sehr häßlich. Sehr mickrig. Richtig gesagt, nur ein solches grausliges Figürchen.
Ich bin hingegangen. In Erwartung eines
erotischen Abenteuers. Mit Frauen. Nein, nein, ich meine, ich habe an erotische Abenteuer mit Frauen gedacht; hingegangen bin ich allein! Zumindest an irgend eine
kesse Kellnerin habe ich gedacht. Da habe ich normalerweise eh keine
Chance, aber trotzdem. Der Reiz der schwülen Atmosphäre. Ein
bißchen darin baden. Ein Abenteuer wäre ja wirklich sehr
unwahrscheinlich. In solchen Welten bin ich immer daneben und
Verlierer. Dafür habe ich kein Repertoire und zu wenig Geld. Immer.
Aber ich habe dort auch gar keine Frau gesehen. Nur den düsteren
Wirt und junge, wenig vertrauenserweckende Männer, die mich
beobachten. Verdacht auf kriminelle Bande.
Nachdem
ich die Münze in den geheimen Schlitz eingeworfen und alles
angeschaut habe, gehe ich wieder weg. Erleichtert, da wieder draußen
zu sein.
Diese
„Spielhalle“ ist irgendwo am Rand eines Ortes. Eher groß? Eher
klein? Ein Miniaturkirtag. Aber wo? Wohne ich dort? Das Lokal ist so
im Stil ländlicher Cafes der frühen Siebzigerjahre eingerichtet,
kalt, nüchtern und „praktisch“. Besser gesagt: billig.
Aber
irgendwie zieht mich dieses Pornographische an. Eine innere Erregung
ist spürbar. Ein schwüles Flirren. Obwohl ich mir denken kann, was
mich dort erwartet, zieht es mich unwiderstehlich (behaupte ich mal)
hin. Ich wundere mich selber. Vielleicht, ...vielleicht doch!
Aber
alles ist gleich, nur noch schäbiger. Der Tischfußballautomat ist
auch verschwunden. Das Lokal noch schmutziger, verrauchter,
schmieriger, düsterer. Der Wirt ist zehn, fünfzehn Jahre jünger
als ich, Glatze, kleiner, aber auf Draht. Wieder keine Frau, nur
diese jungen Männer dort, sie wirken noch aggressiver. Der Wirt
steckt mit ihnen nicht unter einer Decke, aber die Finger verbrennen
will er sich auch nicht. Er würde von der Bande bedrohte Gäste
schon schützen, wenn es geht. Wenn es nicht geht, na, dann eben
nicht.
Ich
ziehe mein Ding durch (bitte! nur im übertragenen Sinn! Oder ist es
dann erst recht verkehrt?) und werfe die Münze in den zweiten
Schlitz und betrachte desillusioniert das mickrige Plastikpüppchen.
Dann
will ich wieder raus, nichts wie raus. Aber diesmal verfolgen mich
die gefährlichen Typen. Ich weiß, sie werden mich ansprechen und
sagen, sie könnten mich zu einer richtigen Frau führen. Gegen Geld, werden sie sagen. Und ich
werde wenig Chance haben, „nein“ zu sagen, weil sie das nicht
akzeptieren werden. Ich glaube ihnen sowieso nicht, mir ist das viel
zu gefährlich. Wahrscheinlich wollen sie mich ausrauben. Und weil ich nichts habe, vor Wut niederschlagen. Oder so ähnlich. Schnell gehe ich weiter. Sie verfolgen mich. Sind als
eine dunkle, finstere, im Halbkreis aufgestellte Gruppe schon
verdammt nahe. Wenn ich mich umdrehe, bleiben sie noch stehen; noch!
Eine bedrohliche Masse, die immer näher rückt, wenn ich
weiterlaufe. Filmschnitt.
Irgendwo
anders, in einem ganz anderen Ambiente sehe ich den Wirt. Es könnte das Foyer eines Theaters sein, zum Beispiel. Er wirkt
jünger, frischer, ist gut gekleidet. Naja, „gut“ ist auch nicht
ganz richtig, aber sauber, auf elegant, wenn auch in etwas
übertriebener Form. Ein eigenartig geformter schwarzer Anzug, mit
Teilen, die seitlich abstehen. Ich tue so, als würde ich ihn nicht
kennen. Das mach' ich immer so, wenn ich unsicher bin. Nie spreche ich
Leute von mir aus an, auch nicht beim Grüßen. Und da jetzt habe ich
noch weniger Grund.
Der
Wirt aber lacht mich an und grüßt mich in einer eigenartigen, fast
kasperlhaften Geste, indem er ein Bein anhebt und ausstreckt und
dabei länger ruhig in der Luft hält, und auch einen Arm, mit dem er einen Schirm
hält, von sich wegstreckt. So wie ein in der Bewegung
steckengebliebener Komödientänzer. Er grinst über das ganze
Gesicht. Ich tue so, als würde ich ihn erst jetzt bemerken und sage,
bemüht jovial: „Ah! der Wirt!“
Eigentlich
schaut er anders aus als in der Spielhalle. Wenn ich länger
nachdenke und die Bilder vergleiche - immer mehr. Gar nicht mehr
düster, sondern fröhlich und kindisch. Aber im Traum ist es der
Wirt.
Nochmals
versinke ich in die Traumwelt. Diesmal gebe ich meine Münzen einem
alten Paar. Ihm eine und ihr eine. Wofür ist unklar. Arm sind sie
nicht.
©Peter
Alois Rumpf September 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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