199 „What a wonderfull world!“
Interessant! Da schaue ich aus einem
Fenster, aus dem ich schon oft geschaut habe, und sehe ein Haus, das
ich noch nie gesehen habe. Ich kann mich nicht erinnern, es je
gesehen zu haben. Ich suche irgendwelche Kennzeichen, die auf einen
Neubau, oder wenigstens einen Umbau hindeuten. Aber im Gegenteil,
nichts deutet darauf hin. Habe ich es immer übersehen? Einfach nie
in die Richtung geschaut? Oder vergessen? Dabei bin ich fast
wöchentlich hier.
Langsam beginnt die Droge zu wirken.
Ich habe schon begonnen, viel zu reden und bin im Redefluß kaum zu
bremsen. Das ist immer die Wirkung von Kaffee auf mich. Weil ich mich
dauernd ins Gespräch der anderen einmische, komme ich mit dem
Schreiben nicht weiter. Abgelenkt und unkonzentriert. Euphorisch auf
eigenwillige Art, wie eine aufgeregte Müdigkeit. Ich meine, in der
Müdigkeit fokussiert man nicht mehr so gut und die Eindrücke
stürzen gleichberechtigt auf einen ein und neutralisieren sich
gegenseitig. Das ergibt dann einen anders strukturierten Umraum. Ich
rede soviel wie hier in den letzten Monaten nicht mehr.
Zirka eine halbe, dreiviertel Stunde
nach der Einnahme fühle ich – wie fast immer – etwas wie ein
steckengebliebenes Weinen knapp hinter meinen Augenhöhlen. Dort
schwebt es, und es geht ein sehnsüchtiges Ziehen davon aus.
Vorher bin ich eine halbe Stunde in
einer U-Bahnstation gesessen und habe gelesen. Endlich ist der
heißersehnte neue, fünfte Band von Knausgårds
Kampf auf Deutsch erschienen und ich hatte ihn gerade abgeholt.
Träumen. Ich habe das Buch zu lesen begonnen und gleich hat sich in
mir etwas zurechtgerückt – das ist für mich das Beste, was ich
über ein Buch sagen kann. Und ich war glücklich. Auf der ganzen
Herfahrt. Ich habe den Weg über die Vorortelinie genommen, meine
Lieblingsstrecke hier in Wien. Ich habe vom Fenster des Zuges aus die
vielen Gärten angeschaut, die an mir vorübergezogen sind, und
interessante Häuser und Bauwerke. Hier hat Wien – zumindest von
der S-Bahn aus – etwas Optimistisches.
Jetzt
liege ich auf der Couch. Es ist ganz still in unserer Wohnung.
Ungewöhnlich ist das für mich am Abend. In der Küche köchelt ein
Gemüsetopf vor sich hin, im Rohr trocknet und röstet Buchweizen.
Ich habe versprochen, am Sonntag zu kochen und arbeite schon etwas
für morgen vor. Ich bin sehr müde und glücklich. Es macht mir
nichts aus, wenn ich mein Leben verpfuscht haben sollte. Die Stille
jetzt nimmt mir niemand. Alles ist richtig und am richtigen Platz.
Ich muß lächeln, auch mein scheiterndes Leben finde ich gelungen.
Es geht dem Ende zu. Ich mag ja noch einige Jahre oder gar Jahrzehnte
Zeit haben, aber mein Leben geht dem Ende zu. Nein, nein, ich weiß
von keiner Krankheit. Einfach nur so. Ich werde älter und alt.
Herbst.
Die
Sonnenblumen in der Vase auf dem Ofen sind schon etwas welk, aber
immer noch schön. Die zwei Bilder an der Wand hinterm schwarzen
Ofen, links und rechts vom Ofenrohr, von mir selber gemalt, gefallen
mir in ihrer raffinierten Unbeholfenheit. Das schöne, dunkle Blau
der kleinen Plastikgießkanne, der Holzschemel, das
zusammengestellte, gefaltete Holzgitter, die großen Körbe für das
Holz, die alten, lebenserfahrenen Wände, die Holztreppe... Mein
Gott! Wie das alles schön ist! Die alte, fleckige, vertrocknete,
braune Tür in ihrem schleißig weiß angestrichenen Türrahmen, mit
der Kreideschrift C+M+B 2008, der Achter verwischt – so schön! so
schön! Die Schatten der Sonnenblumen an der Wand hinterm Ofen –
was für ein zartes Gebilde aus dunkleren und transparenteren
Schattenblütenblättern!
Der
Blick durch die offene Tür in den dunklen Raum dahinter.
Alle
Geräusche, die es bis zu mir schaffen, haben etwas Singendes. Das
passt gut zum Singen in meinen Ohren.
Und
die schräg abfallenden Schatten der Treppenstaffeln – welch ein
kraftvolles und sensibles Muster, duchbrochen von zwei querlaufenden,
ganz schmalen Lichtstreifen; keine Ahnung, woher die kommen.
Und
das freihängende Kabel einer Lampe wirft zwei Schatten, einer
dunkler, einer etwas heller, die drei bilden die drei Kurven eines
unbekannten Diagramms. Erst jetzt bemerke ich – ein dritter
Schatten versteckt sich direkt an der Unterseite des Kabels und
klammert sich da an. Was für eine interessante Welt!
Ich
atme tief ein und lang und erleichtert aus.
Das
Rot des Staubsaugers, der hinter einem weißen Kasten hervorschaut,
und die roten Ringe, die vom Türrahmen herunterhängen.
Eine
violette Handtasche mit Glitzer.
Pölster.
Das
Schnurren der Katze.
©Peter
Alois Rumpf September 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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