197 Der Schattensucher
Am Licht, das durch den Spalt
eindringt, den das Rollo freigibt, merke ich, daß es draußen schon
hell ist. Ich registriere es nur am Rande, beinahe unaufmerksam. Ich
bin von Dämmerung umhüllt. An der Zimmerdecke bildet sich ein
dunkler Fleck, der sich dreidimensional herunterstreckt bis auf die
halbe Raumhöhe. Ich liege im Bett und genieße die Stille und das
wohlige Körpergefühl. Ich mag diesen Zustand nicht auflösen. Ich
lasse meinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf. Jetzt piepst
plötzlich das Handy, das ich am Abend vergessen hatte abzudrehen.
Ich werde die Botschaft gleich lesen.
Ich setze mich auf. Ich versuche, mein
Gleichgewicht zu fühlen und zu prüfen. Unentschlossen verharre ich
sozusagen im Spalt zwischen den Welten. Nicht im echten, wo man
nichts wahrnimmt, nur im übertragenen Sinn. Im Spalt zwischen Traum
und Alltagswelt, zwischen Schlafen und Wachen. Das Schreiben, das
mich einerseits in die Wachheit zieht, hält mich andererseits im
Bett fest. Ich lese und schreibe nämlich sehr gerne im Bett, mit
einer warmen Decke zugedeckt.
Mein Gott! Wie ist es hier und jetzt
schön! Ich betrachte die Schatten der Bücher- und CD-Stapel an den
Wänden und die meiner Hände im Notizbuch. Dann schaue ich auch alle
anderen Schatten an. Ich bin ein Schattensucher. Es gibt viele
Schattenschätze hier. Solche mit scharfer Kontur und solche mit
verschwommener. Klare und deutliche und solche, die sich fast
versteckt halten in Spalten oder schmalen Zwischenräumen. Manche
scheinen gerade angefangen zu haben, unter irgendetwas
hervorzuquellen; sie wölben ihr Ding schon auf.
Manche lauern scharf im Hintergrund,
andere stehen sozusagen frei an der Wand. Fast frei. Die Verbindung
zum Ding ist ja nie abgerissen – soweit ich es sehen kann. Wo ist
eigentlich der „Schatten meiner selbst“?
Ganz leicht glitzert der Vulkanstein;
sein Schatten lugt hinter ihm hervor. Der Schatten der Fiuggi-Flasche
leuchtet ziemlich grün. Ist das überhaupt noch ein Schatten?
Der Schatten eines Stuhlbeins läuft
exakt in der Mitte eines Tischfußes.
Irgendetwas wirft aber auch einen
schwachen Lichtfleck an Wand und Zimmerdecke und erzeugt eine hellere
Form unbekannter geometrischer Provenienz.
©Peter
Alois Rumpf September 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite