Freitag, 25. September 2015

197 Der Schattensucher


Am Licht, das durch den Spalt eindringt, den das Rollo freigibt, merke ich, daß es draußen schon hell ist. Ich registriere es nur am Rande, beinahe unaufmerksam. Ich bin von Dämmerung umhüllt. An der Zimmerdecke bildet sich ein dunkler Fleck, der sich dreidimensional herunterstreckt bis auf die halbe Raumhöhe. Ich liege im Bett und genieße die Stille und das wohlige Körpergefühl. Ich mag diesen Zustand nicht auflösen. Ich lasse meinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf. Jetzt piepst plötzlich das Handy, das ich am Abend vergessen hatte abzudrehen. Ich werde die Botschaft gleich lesen.

Ich setze mich auf. Ich versuche, mein Gleichgewicht zu fühlen und zu prüfen. Unentschlossen verharre ich sozusagen im Spalt zwischen den Welten. Nicht im echten, wo man nichts wahrnimmt, nur im übertragenen Sinn. Im Spalt zwischen Traum und Alltagswelt, zwischen Schlafen und Wachen. Das Schreiben, das mich einerseits in die Wachheit zieht, hält mich andererseits im Bett fest. Ich lese und schreibe nämlich sehr gerne im Bett, mit einer warmen Decke zugedeckt.

Mein Gott! Wie ist es hier und jetzt schön! Ich betrachte die Schatten der Bücher- und CD-Stapel an den Wänden und die meiner Hände im Notizbuch. Dann schaue ich auch alle anderen Schatten an. Ich bin ein Schattensucher. Es gibt viele Schattenschätze hier. Solche mit scharfer Kontur und solche mit verschwommener. Klare und deutliche und solche, die sich fast versteckt halten in Spalten oder schmalen Zwischenräumen. Manche scheinen gerade angefangen zu haben, unter irgendetwas hervorzuquellen; sie wölben ihr Ding schon auf.
Manche lauern scharf im Hintergrund, andere stehen sozusagen frei an der Wand. Fast frei. Die Verbindung zum Ding ist ja nie abgerissen – soweit ich es sehen kann. Wo ist eigentlich der „Schatten meiner selbst“?

Ganz leicht glitzert der Vulkanstein; sein Schatten lugt hinter ihm hervor. Der Schatten der Fiuggi-Flasche leuchtet ziemlich grün. Ist das überhaupt noch ein Schatten?
Der Schatten eines Stuhlbeins läuft exakt in der Mitte eines Tischfußes.

Irgendetwas wirft aber auch einen schwachen Lichtfleck an Wand und Zimmerdecke und erzeugt eine hellere Form unbekannter geometrischer Provenienz.












©Peter Alois Rumpf September 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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