Mittwoch, 21. Oktober 2015

214 Der freie Werktag


Einuhrfünfzehn. In schriller Stille eingehüllt. Von Schatten umgeben oder umlauert. Vor Müdigkeit gleichgültig. Aus Selbstmitleid besorgt. Aus lauter Müdigkeit doch gleichgültig. Der Nacken verkrampft. Heulanlagen hinter den Augen. Ich nehme das alles nicht ernst. Aber ich tue so. Es gibt gar nichts zu sagen. Na, dann hör auf zu schreiben!

Mittag. Orion wird voraussichtlich Gesellschaft bekommen; die Sternbilder einfach übereinandergelegt: Fuhrmann, Bootes mit Krone, Schwan, Adler, Kassiopeia... Möglicherweise die Implosion des Universums vorweggenommen. Hat noch ein bißchen Zeit.

Früher Nachmittag. Heute sitze ich gern im Kaffeehaus. Kaffeehaus auf altwiener Art (ungefähr). Kellner in schwarzem Anzug. Zeitungen. Das mag ich nicht immer, heute schon... Der ausnahmsweisende freie Werktag.

Auch die Leute gefallen mir. Das ist nicht immer so. Viele Touristen. Bin ich auch einer, wenn ich mein Versteck verlasse und frei herumlaufe? Ganz einfach ein Alltagsmensch, zu viel mit sich beschäftigt und dem Verurteilen? Mein Gott, das ist doch auch blöd!

Ich schaue mich besser um. Wenn ich mich umschaue, fällt mir meistens irgendetwas auf oder ein. Aber jetzt nicht.

Schon angenehm, lange bei einem Kaffee sitzen zu können. Brockhaus in einem Regal mit versperrbarer Glastür. Ich würde mich nie trauen, den Kellner – sagen wir – um den Band mit „R“ zu bitten. Mit „Ru“ wie Rumpf. Alles über Rümpfe. Ist der Brockhaus überhaupt noch ernst gemeint? Oder bloß Dekoration als Reminiszenz an die alten Zeiten, in der viele Schriftsteller in den Kaffeehäusern residierten und diskutierten und arbeiteten?
Ich bin ganz aufgeregt, denn ich habe eine Idee. Ich muß nur warten, bis mein Kellner vorbeikommt.

Vielleicht will ich nur Schriftsteller der Zwischenkriegszeit spielen. Mich da hineinschwindeln.Und etwas Ähnliches wie sich selber googeln. Aber hier: nur meinen Namen.

Ich frage den Kellner. Es geht nur mit Hinterlegung eines Reisepasses, weil schon zwei Bände gestohlen wurden, lautet die Auskunft. Rücksichtsvoll oder unterwürfig (Sie können es sich aussuchen, liebe Leserin, lieber Leser!) winke ich ab. Um dann doch zu sagen: „einen Personalausweis hätte ich bei mir.“ (österreichischer Konjunktiv; von mir gerne verwendet.) „Band 18“. Er: „Da muß ich erst die Chefin fragen!“ Er fragt, und muß zwischendurch herumsausen, um die Kundenwünsche im vollen Lokal aufzunehmen und zu erfüllen. Tatsächlich, er nimmt meinen Personalausweis. Ich sehe, er versucht, den Kasten aufzusperren. Aber Schlüssel oder Schloß scheinen ein wenig zu „spinnen“. Er muß ganz vorsichtig und sensibel daran herumdrehen, bevor das Glastürl aufgeht. Jetzt ist er da. Band 18, RAD – RUS.

Rumpf: Anatomie: Körperstamm, Truncus, äußerlich meist wenig gegliederte Hauptmasse des Körpers der Wirbeltiere (einschließlich Mensch), bestehend aus Brust, Bauch und Rücken.“

Ja, das klingt recht gut. Und irgendwie passend.

Rumpfelektronen Atomrumpf“

Dem Hinweis kann ich nicht nachgehen. Den Band mit ATO zu ordern trau ich mich noch nicht. Will ich auch gar nicht. 1978 war mein Spitzname in der Tischlerei, wo ich gearbeitet habe, „Atompeter“ (Atombeda), weil ich ein Anti-AKW-Abzeichen getragen habe. Das mit der Sonne und nein danke. Also: paßt!

Rumpffläche, Rumpfebene, Fastebene, engl. Peneplain, auch Endrumpf, Geomorphologie: ebene oder flachwellige Abtragungsfläche, die schräggestellte oder gefaltete Gesteinsschichten kappt (Tafel oder Faltenrumpf) […] ...der oft den Rest (Rumpf) eines sehr verwickelt gebauten..“.[...]

Schon toll, diese knappen und präzisen Formulierungen. Werde mich darin üben. Paßt einiges. Rest, verwickelt, schräggestellt...

Rumpfgebirge, alte Faltengebirge, die infolge der stärkeren Abtragung nur noch Rümpfe des ehemaligen Gebirges darstellen...[...] die dabei entstandenen Verbiegungen (Flexuren) der Rumpfflächen... [...] Rumpftreppe...[...]

Verbiegungen, alt, Falten, Abtragung stark (vor allem im Rücken).

Rumpfgeschwindigkeit, Gleitgeschwindigkeit, Grenzgeschwindigkeit, die bei günstigstem Wellenwiderstand (Bugwelle, Heckwelle) erreichbare Geschwindigkeit eines Verdrängungsschiffs.“ [...]

Ja, Verdrängung und Wellenwiderstand – kommt mir bekannt vor.

Rumpfparlament 1) Bez. Für die verbliebene Minderheit des engl. Langen Parlaments
2.)Bez, für die nach dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung in Stuttgart vom 6. bis 16.6. 1849 tagenden Versammlung der letzten verbliebenen Abgeordneten.“ [...]

Scheitern schreibe ich jetzt nicht hin.
Keine Personen mit diesem Namen

(18. Auflage; 1992)

Was mir alles für Blödsinn einfallen würde, hätte ich mehr Zeit und würde ich mehr herumgehen! Dann fällt mir noch die Höflichkeit der Kellner und Kellnerinnen auf; könnte sein, daß sie hinten ein wenig über mich gelacht haben. Das kann aber auch eine reine Unterstellung meinerseits sein. Wie auch immer, sie haben sich nichts anmerken lassen und mir hat es Spaß gemacht.

Vom Rückweg eine kleine Episode: Wenn ich dort in der Nähe bin, gehe ich gerne die Strauchgasse und weiter in den tiefen Graben hinunter. Da komme ich bei einer Kunsthandlung vorbei, wo sie immer ein paar Bilder von Max Weiler ausgestellt haben und ich luge immer in die Fenster, ob ich eines erblicken kann. Gerade deswegen gehe ich gerne diesen Weg. Heute steht eine Dame in der Tür, mit einem eingepackten Bild in der Hand und hält ein wenig angestrengt nach etwas Ausschau, ich vermute nach einem schon gerufenen Taxi. Ich werfe einen Blick auf das Bild in Luftblasenverpackung und stelle fest, das müßte ein Weilerbild sein. Ich frage die Dame: „Entschuldigen Sie! Ist das ein Weiler?“ Sie darauf: „Ja.“ Und ich: „Super! Das ist mein Lieblingsmaler!“

Ein Taxi biegt in die Gasse ein.

Fehlerkorrektur erst morgen.











©Peter Alois Rumpf Oktober 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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