214 Der freie Werktag
Einuhrfünfzehn. In schriller Stille
eingehüllt. Von Schatten umgeben oder umlauert. Vor Müdigkeit
gleichgültig. Aus Selbstmitleid besorgt. Aus lauter Müdigkeit doch
gleichgültig. Der Nacken verkrampft. Heulanlagen hinter den Augen.
Ich nehme das alles nicht ernst. Aber ich tue so. Es gibt gar nichts
zu sagen. Na, dann hör auf zu schreiben!
Mittag. Orion wird voraussichtlich
Gesellschaft bekommen; die Sternbilder einfach übereinandergelegt:
Fuhrmann, Bootes mit Krone, Schwan, Adler, Kassiopeia...
Möglicherweise die Implosion des Universums vorweggenommen. Hat noch
ein bißchen Zeit.
Früher Nachmittag. Heute sitze ich
gern im Kaffeehaus. Kaffeehaus auf altwiener Art (ungefähr). Kellner
in schwarzem Anzug. Zeitungen. Das mag ich nicht immer, heute
schon... Der ausnahmsweisende freie Werktag.
Auch die Leute gefallen mir. Das ist
nicht immer so. Viele Touristen. Bin ich auch einer, wenn ich mein
Versteck verlasse und frei herumlaufe? Ganz einfach ein
Alltagsmensch, zu viel mit sich beschäftigt und dem Verurteilen?
Mein Gott, das ist doch auch blöd!
Ich schaue mich besser um. Wenn ich
mich umschaue, fällt mir meistens irgendetwas auf oder ein. Aber
jetzt nicht.
Schon angenehm, lange bei einem Kaffee
sitzen zu können. Brockhaus in einem Regal mit versperrbarer
Glastür. Ich würde mich nie trauen, den Kellner – sagen wir –
um den Band mit „R“ zu bitten. Mit „Ru“ wie Rumpf. Alles über
Rümpfe. Ist der Brockhaus überhaupt noch ernst gemeint? Oder bloß
Dekoration als Reminiszenz an die alten Zeiten, in der viele
Schriftsteller in den Kaffeehäusern residierten und diskutierten und
arbeiteten?
Ich bin ganz aufgeregt, denn ich habe eine Idee. Ich muß nur warten, bis mein Kellner vorbeikommt.
Ich bin ganz aufgeregt, denn ich habe eine Idee. Ich muß nur warten, bis mein Kellner vorbeikommt.
Vielleicht will ich nur Schriftsteller
der Zwischenkriegszeit spielen. Mich da hineinschwindeln.Und etwas
Ähnliches wie sich selber googeln. Aber hier: nur meinen Namen.
Ich frage den Kellner. Es geht nur mit
Hinterlegung eines Reisepasses, weil schon zwei Bände gestohlen
wurden, lautet die Auskunft. Rücksichtsvoll oder unterwürfig (Sie
können es sich aussuchen, liebe Leserin, lieber Leser!) winke ich
ab. Um dann doch zu sagen: „einen Personalausweis hätte ich bei
mir.“ (österreichischer Konjunktiv; von mir gerne verwendet.)
„Band 18“. Er: „Da muß ich erst die Chefin fragen!“ Er
fragt, und muß zwischendurch herumsausen, um die Kundenwünsche im
vollen Lokal aufzunehmen und zu erfüllen. Tatsächlich, er nimmt meinen Personalausweis. Ich sehe, er versucht, den
Kasten aufzusperren. Aber Schlüssel oder Schloß scheinen ein wenig
zu „spinnen“. Er muß ganz vorsichtig und sensibel daran
herumdrehen, bevor das Glastürl aufgeht. Jetzt ist er da. Band 18,
RAD – RUS.
„Rumpf: Anatomie:
Körperstamm,
Truncus, äußerlich meist wenig gegliederte Hauptmasse des Körpers
der Wirbeltiere (einschließlich Mensch), bestehend aus Brust, Bauch
und Rücken.“
Ja,
das klingt recht gut. Und irgendwie passend.
„Rumpfelektronen
→
Atomrumpf“
Dem
Hinweis kann ich nicht nachgehen. Den Band mit ATO zu ordern trau ich
mich noch nicht. Will ich auch gar nicht. 1978 war mein Spitzname in
der Tischlerei, wo ich gearbeitet habe, „Atompeter“ (Atombeda),
weil ich ein Anti-AKW-Abzeichen getragen habe. Das mit der Sonne und
nein danke. Also: paßt!
„Rumpffläche,
Rumpfebene, Fastebene, engl.
Peneplain, auch
Endrumpf,
Geomorphologie:
ebene oder flachwellige Abtragungsfläche, die schräggestellte oder
gefaltete Gesteinsschichten kappt (Tafel oder Faltenrumpf) […]
...der
oft den Rest (Rumpf) eines sehr verwickelt gebauten..“.[...]
Schon
toll, diese knappen und präzisen Formulierungen. Werde mich darin
üben. Paßt einiges. Rest, verwickelt, schräggestellt...
„Rumpfgebirge,
alte
Faltengebirge, die infolge der stärkeren Abtragung nur noch Rümpfe
des ehemaligen Gebirges darstellen...[...]
die dabei entstandenen Verbiegungen (Flexuren) der Rumpfflächen...
[...]
Rumpftreppe...[...]“
Verbiegungen,
alt, Falten, Abtragung stark (vor allem im Rücken).
„Rumpfgeschwindigkeit,
Gleitgeschwindigkeit, Grenzgeschwindigkeit,
die bei günstigstem Wellenwiderstand (Bugwelle, Heckwelle)
erreichbare Geschwindigkeit eines Verdrängungsschiffs.“ [...]
Ja,
Verdrängung und Wellenwiderstand – kommt mir bekannt vor.
„Rumpfparlament
1) Bez. Für die verbliebene Minderheit des engl. →
Langen Parlaments
2.)Bez,
für die nach dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung in
Stuttgart vom 6. bis 16.6. 1849 tagenden Versammlung der letzten
verbliebenen Abgeordneten.“ [...]
Scheitern
schreibe ich jetzt nicht hin.
Keine
Personen mit diesem Namen
(18.
Auflage; 1992)
Was
mir alles für Blödsinn einfallen würde, hätte ich mehr Zeit und
würde ich mehr herumgehen! Dann fällt mir noch die Höflichkeit der
Kellner und Kellnerinnen auf; könnte sein, daß sie hinten ein wenig
über mich gelacht haben. Das kann aber auch eine reine Unterstellung
meinerseits sein. Wie auch immer, sie haben sich nichts anmerken
lassen und mir hat es Spaß gemacht.
Vom
Rückweg eine kleine Episode: Wenn ich dort in der Nähe bin, gehe
ich gerne die Strauchgasse und weiter in den tiefen Graben hinunter.
Da komme ich bei einer Kunsthandlung vorbei, wo sie immer ein paar
Bilder von Max Weiler ausgestellt haben und ich luge immer in die
Fenster, ob ich eines erblicken kann. Gerade deswegen gehe ich gerne
diesen Weg. Heute steht eine Dame in der Tür, mit einem eingepackten
Bild in der Hand und hält ein wenig angestrengt nach etwas Ausschau,
ich vermute nach einem schon gerufenen Taxi. Ich werfe einen Blick
auf das Bild in Luftblasenverpackung und stelle fest, das müßte ein
Weilerbild sein. Ich frage die Dame: „Entschuldigen Sie! Ist das
ein Weiler?“ Sie darauf: „Ja.“ Und ich: „Super! Das ist mein
Lieblingsmaler!“
Ein
Taxi biegt in die Gasse ein.
Fehlerkorrektur erst morgen.
Fehlerkorrektur erst morgen.
©Peter
Alois Rumpf Oktober 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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