209 Die Essigbäume
Langsam wälze ich mich zwischen Traum
und Schlaf hervor. Zwischen Schuldgefühlen über das lange Schlafen
und den Genuß, sich ganz langsam, und von einer Regensymphonie
begleitet, an die Wirklichkeit heranzutasten. Zentimeter um
Zentimeter. Mein Kopf fällt in Zeitlupe zur Seite und will wieder
einschlafen. Das Surren der intensiven Träume hält mich gefangen.
Die Gefühle und Empfindungen aus diesen Träumen leben noch in mir,
Gefühle ohne die dazugehörigen Geschichten, denn die Träume selber
habe ich großteils vergessen. In diesem Gefühlserbe steckt ganz
unten Angst, dann Befremdung, Neugier, Abenteuerlust, Frustration und
vieles andere mehr, das auch schon verschwimmt. Die Fremdheit ist das
Vorherrschende, darum bin ich froh, wieder hier zu sein.
Aufstehen oder Weiterschreiben?
Frühstücken oder Üben? Mein inneres Orientierungssystem ist vom
Traumschock noch überbeansprucht und muß erst auspendeln, bevor es
wieder funktioniert. Die Traumgefühle werden fast zu Bildern, zu
Erinnerung, aber nur fast. Diese Erinnerungsfetzen kommen ganz nah
heran und schweben dann gleich wieder weg, oder lösen sich auf, wie
Nebelschwaden.
Wie schön der Regen klingt! Beim
Herschreiben wäre ich beinahe in das Wort „klingt“ gestürzt.
Plötzlich war es ganz fremd, wie ein Körnchen unter dem Mikroskop,
ein eigenes Universum, mit viel Abstand und Leere zwischen den
kreisenden Planeten, Sonnen, Kernen, Elektronen; der Sinn des Wortes
in Gefahr, in diesen Weiten verloren zu gehen. Erst nach ein paar
Sekunden wußte ich wieder, das Wort stimmt; das ist das Wort, das
ich herschreiben will.
Ich drehe mein Handy auf. Wieder ein
paar Zentimeter.
Oh, was für eine schöne Welt draußen!
Vom Regen reingewaschen stehen die Bäume ganz still. Nur ab und zu
ein Vibrieren. Einige wenige Blätter der Essigbäume sind schon
gelb, viele haben schon eine gelben Stich, einige sind noch
dunkelgrün, aber wirken schon müde.
Die Ziegeldächer glänzen, auch die
Abbilder der Rauchfänge und Lüftungsrohre darauf. Das nasse Holz
der Äste und Zweige glänzt ebenso, der Asphalt unten. Leichte,
vereinzelte Bewegungen der Zweige und Äste. Ein Vogel fliegt im
Geäst umher. Ich habe ihn kaum gesehen. Als er aus dem Laub
herausfliegt, stelle ich überrascht fest, es ist eine Krähe.
In mir herrscht eine Pattsituation; ich
weiß nicht zwischen wem oder was. Wenn ich meinen Empfindungen auf
den Grund gehe – es ist ein Gefühl der Schockstarre, mein ganzes
Leben schon. Die wenigen Bewegungen und Aktivitäten spielen sich nur
ganz außen ab, oberflächlich, ohne Kontakt nach Innen. Innen bin
ich erfroren.
Ich schaue den Regentropfen beim Fallen
zu.
©Peter
Alois Rumpf Oktober 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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