Mittwoch, 14. Oktober 2015

209 Die Essigbäume


Langsam wälze ich mich zwischen Traum und Schlaf hervor. Zwischen Schuldgefühlen über das lange Schlafen und den Genuß, sich ganz langsam, und von einer Regensymphonie begleitet, an die Wirklichkeit heranzutasten. Zentimeter um Zentimeter. Mein Kopf fällt in Zeitlupe zur Seite und will wieder einschlafen. Das Surren der intensiven Träume hält mich gefangen. Die Gefühle und Empfindungen aus diesen Träumen leben noch in mir, Gefühle ohne die dazugehörigen Geschichten, denn die Träume selber habe ich großteils vergessen. In diesem Gefühlserbe steckt ganz unten Angst, dann Befremdung, Neugier, Abenteuerlust, Frustration und vieles andere mehr, das auch schon verschwimmt. Die Fremdheit ist das Vorherrschende, darum bin ich froh, wieder hier zu sein.

Aufstehen oder Weiterschreiben? Frühstücken oder Üben? Mein inneres Orientierungssystem ist vom Traumschock noch überbeansprucht und muß erst auspendeln, bevor es wieder funktioniert. Die Traumgefühle werden fast zu Bildern, zu Erinnerung, aber nur fast. Diese Erinnerungsfetzen kommen ganz nah heran und schweben dann gleich wieder weg, oder lösen sich auf, wie Nebelschwaden.

Wie schön der Regen klingt! Beim Herschreiben wäre ich beinahe in das Wort „klingt“ gestürzt. Plötzlich war es ganz fremd, wie ein Körnchen unter dem Mikroskop, ein eigenes Universum, mit viel Abstand und Leere zwischen den kreisenden Planeten, Sonnen, Kernen, Elektronen; der Sinn des Wortes in Gefahr, in diesen Weiten verloren zu gehen. Erst nach ein paar Sekunden wußte ich wieder, das Wort stimmt; das ist das Wort, das ich herschreiben will.

Ich drehe mein Handy auf. Wieder ein paar Zentimeter.

Oh, was für eine schöne Welt draußen! Vom Regen reingewaschen stehen die Bäume ganz still. Nur ab und zu ein Vibrieren. Einige wenige Blätter der Essigbäume sind schon gelb, viele haben schon eine gelben Stich, einige sind noch dunkelgrün, aber wirken schon müde.
Die Ziegeldächer glänzen, auch die Abbilder der Rauchfänge und Lüftungsrohre darauf. Das nasse Holz der Äste und Zweige glänzt ebenso, der Asphalt unten. Leichte, vereinzelte Bewegungen der Zweige und Äste. Ein Vogel fliegt im Geäst umher. Ich habe ihn kaum gesehen. Als er aus dem Laub herausfliegt, stelle ich überrascht fest, es ist eine Krähe.

In mir herrscht eine Pattsituation; ich weiß nicht zwischen wem oder was. Wenn ich meinen Empfindungen auf den Grund gehe – es ist ein Gefühl der Schockstarre, mein ganzes Leben schon. Die wenigen Bewegungen und Aktivitäten spielen sich nur ganz außen ab, oberflächlich, ohne Kontakt nach Innen. Innen bin ich erfroren.

Ich schaue den Regentropfen beim Fallen zu.










©Peter Alois Rumpf Oktober 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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