221 Ich mag das
Die Schatten des Gartens führen im
Wohnzimmer des Hauses einen irren Tanz auf. Die Schatten von draußen,
von den Blättern, Zweigen und Ästen. Ums Haus herum bläst der
Wind; herinnen ist es windstill und sonnenlichtbefleckt. „Nichts
Neues unter der Sonne.“ Auch an den trüben Stellen der
Fensterscheiben glänzt das Sonnenlicht. Eine einzelne Wespe fliegt
summend herum. Ist es für sie nicht schon ein bißchen spät? Hat
sie sich in die warme Stube gerettet?
Nun gehen wir durch die
nachmittäglichen Weingärten. Eine immense Ausdehnung an flirrendem
grünlich-gelben Gold zieht sich vom Wald oben die Leiten herunter,
bis nach unten zu den vielen Häusern, die in unzähligen Gärten
verstreut beisammen liegen. Was für ein Glanz in diesen
sonnenbeschienenen sanft gewellten Hängen!
Der Blick geht frei und ausschweifend
über die Landschaft, der Weg schneidet den Hang in der Mitte der
Länge nach durch. Eine einzelne Krähe auf einem alten,
alleinstehenden Baum am Wegrand grüßt mich; vielleicht warnt sie
auch die in den Weingärten versteckten Genossen; ich jedenfalls grüße
mit einer leichten Verbeugung zurück.
Nach einiger Zeit erreichen wir Häuser
und biegen in einen Steig ein, der rechts durch ein Wäldchen steil
auf die richtig bewaldete Hügelkuppe führt, hinter der wieder ein
kleiner Berg ansteigt. Wir gehen aber nicht weiter hinauf, sondern
durch den Wald zum Ausgangspunkt unseres Spazierganges zurück.
Hier ist es dunkler, und es sind vor
allem die gelben Blätter, die – nie zu viele auf einmal – von
den Bäumen zum Boden heruntertänzeln, die in diesem Wald leuchten,
und wenn sie durch das Sonnenlicht schweben regelrecht blinken.
Inzwischen ist es schon Nacht und ich
bin woanders. Die Sterne sind schon längst erschienen. Ich brauche
ein wenig, bis ich mich - auf dem Balkon des Zimmers des gottseidank
tourismustechnisch nicht hochgezwirbelten Hotels - am Himmel zurecht
gefunden habe, denn ein leichter Dunst liegt wie ein leichter,
durchsichtiger Schleier vor allem am Horizont, in Erdnähe, und ich
muß länger hinschauen, bis ich die schwächeren Sterne
durchschimmern sehe. Schwächer müssen sie gar nicht sein,
vielleicht nur weiter entfernt. (Wie ich?) Oder älter, beinah schon
verglüht. Oder noch gar nicht zur vollen Entfaltung gelangt; ihr
Glühen baut sich erst auf.
Ich seufze. Ich mag das, wenn ich
mitten in der Nacht unbedingt etwas schreiben will, obwohl ich schon
zu müde bin, weil dann die Rationalitätsinquisition nachläßt.
Darum schreibe ich das jetzt auch her:
Eigentlich bin ich der totale
Christustyp. Nein, nein; ich meine das nicht ironisch; auch will ich
nicht den guten Mann aus Nazareth verarschen. Nein. Ich liege nur
gerne am Rücken im Bett; die Füße übereinandergeschlagen, wie
Christus am Kreuz; die Hände habe ich dabei nicht ausgebreitet,
sondern beim Schlüsselbein sozusagen eingehängt, oder am Brustbein
kreuzförmig, ixförmig übereinandergelegt, in der Nähe des
Herzens. Um es zu schützen? Abzuschirmen? Ängstlich zu halten?
Das Händeausbreiten würde ich mir
wirklich erst für den letzten Moment am Kreuz aufheben. Ich würde
dann rufen (denke ich mir): „Ich liebe euch! Die Liebe ist stärker
als der Hass!“
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du
mich verlassen“ würde ich nicht rufen brauchen, denn soviel
Gottvertrauen hatte ich nie, daß ich mich von ihm verlassen fühlen
könnte.
In meiner späten Kindheit und frühen
Jugend hatte ich unzählige, hunderte Zeichnungen von Christus am
Kreuz produziert, seine Gestalt meistens leptosom in die Länge
gezogen, was mir immer edler vorgekommen ist als meine Neigung zu
manisch-depressiven Symptomen und zu einer gewissen Dicklichkeit.
„Eigentlich“ habe ich geschrieben;
„eigentlich“, das heißt von meiner innersten Anlage her.
„Eigentlich“ - das heißt aber
auch: ich bin es in dieser Wirklichkeit nicht.
In Wirklichkeit bin ich nicht stark, nicht mutig, nicht fromm –fromm im
besten Sinn dieses Wortes – sondern ich bin hinterlistig und
kleinlich, unflexibel, auf den eigenen Vorteil bedacht – auch wenn
ich den immer gleich verspiele und nicht halten kann – und feige.
Ich
bin nicht mit zwölf Jahren einfach dort geblieben, wo es mich
hingezogen hat, habe nicht meinen Eltern zu verstehen gegeben, daß
sie mich mit ihren Ansprüchen und Erwartungen gern haben können und
nicht, daß ich dorthin gehöre, wo meine Berufung ist. Ich habe
nicht den Gehorsam verweigert. Es war mich nicht egal, daß sie sich
dann angeschissen hätten vor Angst und vor allem die Mutter am Rande
des Herzinfarktes gezappelt und luftgeschnappt hätte.
Ich
habe als Erwachsener nie zu meiner Mutter gesagt „Weib, was habe
ich mit dir zu schaffen!“ (Nur einmal als Betrunkener, aber das
gilt nicht, weil es dann nicht wirkt und man damit kein Terrain gewinnt.)
Und g'scheit übersetzt heißt das: Laß mich mit deinen Ansprüchen
in Ruhe! Ich habe also nie die Nabelschnur durchschnitten.
Ich
kann nicht heilen, weil ich nicht die Kraft und den Mut und die
Rücksichtslosigkeit aufgebracht habe, den Menschen auf den Grund zu
schauen und damit mir selber auch nicht. Oder umgekehrt.
Ich
gehe falsche Kompromisse ein, bin voller Angst, Haß und Neid, mit
starkem Hang zu Süchten aller Art. Zum Beispiel trinke ich –
zeitweise – zu viel Kaffee. Viel zu viel, wie auch heute wieder.
Ich
gaffe den Weibern hinterher und fürchte mich vor Menschen, besonders
Jugendlichen und auch vor Kindern. Vor Autoritäten – hinter deren
Rücken ich ständig herumgemault habe – knicke ich ein, wenn ich
mich nicht schon vorher in vorauseilendem Gehorsam unterworfen habe.
Und – eingekrümmt in meine Ängste – schaue ich kaum über
meinen Tellerrand hinaus.
Ich
bin unsicher und nicht entschieden, leutescheu und nicht gelassen.
Von Lauterkeit und Losgelöstheit kann keine Rede sein. Und wie
gesagt – ich habe kaum soetwas wie Gottvertrauen. Was manchmal so
aussschauen könnte ist in Wirklichkeit Schwäche, Mangel an Form und
Mangel an Gestaltungswillen.
Und –
ja genau! - ich bin nicht keusch. „Keusch“ - von Lateinisch
conscius, eingeweiht,
bewußt. Nicht bewußt, nicht aufgeweckt; ich bin verschlafen wie ein
dummes Schaf (wenn es so etwas überhaupt gibt).
Ja –
und genau! - ich bin kein Hirte. Ich übernehme nicht gern
Verantwortung, nicht für mich und schon gar nicht für andere. Das
wäre mir unangenehm und peinlich und stresst mich enorm!
Es
fehlt auch an innerer Konzentration und Ausdauer. Und ich habe mein
Leben nie rekapituliert; nie Schritt für Schritt, Atemzug für
Atemzug, mit Ausdauer und Geduld, meine energetische Verstrickung in
meine Geschichte und die Welt gelöst, die fremde Energie
rausgeschmissen und meine eigene, verlorene wieder zurückgeholt.
Ich
habe nie allein in der Wüste oder Wildnis gefastet. Ich bin kaum in
der Lage, irgendetwas zu beschreiben, zu sagen oder beim Namen zu
nennen, ohne mein Ich dazuzupicken.
Nein,
nein, nein; in Wirklichkeit bin ich es nicht. In Wirklichkeit bin ich
ein „Gefäß mit Sprung“ (C.C.)
Draußen
geht jetzt langsam über dem Prater die Sonne auf. Ich sehe sie
nicht, denn das Fenster geht Richtung Nordwesten, aber das Rot und
Gelb ihrer ersten Strahlen kann ich an den herbstlichen Bäumen
leuchten sehen. Und eine Nebelkrähe schaut vom Baum gegenüber zum
Fenster herein; durch den schmalen Spalt, den die nur ein wenig
auseinandergeschobenen Vorhänge freigeben. Das ist derselbe Spalt,
durch den ich hinausschaue aus meiner schreibverliebten Innenwelt auf
diese helle, stille, morgenlichte, späte Außenwelt draußen, die Krähe mit gefalteten Händen grüßend.
©Peter
Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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