Montag, 2. November 2015

222 Es ist soweit


Jetzt ist es soweit. Die Kälte hat im Hof den Bäumen die Blätter gelb gefärbt. Beim Kirschbaum zuerst die in Stammnähe und die den stärkeren Ästen entlang, bei den Essigbäumen wirken die paar grünen als wären sie die dunklen Schatten der gelben. Der Weidenbaum ist noch ziemlich grün, ein dunkles Grün, das aber auch schon einen Stich ins Gelbliche hat. Der Holunder, sowieso den ganzen Sommer über im Schatten der Essigbäume, versucht noch ein wenig grüne Zeit herauszuschinden, jetzt, wo die Essigbäume lichter werden. Die Robinia pseudacacia verharrt still – sie wurde vor ein, zwei Jahren hart beschnitten, ganze herrliche Äste wurden weggesägt, sie wurde auf ein Drittel ihrer Größe zurückgestutzt – sie duckt sich jetzt fast verschämt; so wie Menschen erröten wird sie nun gelb.

Das gelbe Laub liegt kunstvoll im Hof verstreut; es leuchtet hell auf dem dunklen Asphalt. Viele Blätter umkreisen reglos den kleinen Brunnen ganz hinten.

Wind geht jetzt keiner. Eine kleine Meise arbeitet im Kirschbaum, oder hopst sie nur so herum?

Nebelschwaden steigen auf und benehmen sich immer mehr wie Wolken; die Sonne kommt durch und wirft ihre Lichtflecken in den Hof. Jetzt taucht auch eine leichte Brise auf und wird stärker, als wäre sie vom Sonnenlicht geweckt worden und hüpft jetzt vor Freude umher. Nun wird sie wieder ruhiger, spielt nur mehr sanft und leicht mit den Bäumen.

Jetzt ist es soweit. Ich gehe durch die Allee Richtung Westen zur Arbeit. Obwohl es erst zwei ist, steht die Sonne schon recht tief. Ihr tiefes Licht macht alle Schatten stark, die sonnenbeschienenen Stellen gleißen. Ich gehe in dieses Gleißen hinein. Das Licht, das mich blendet, scheint Substanz zu haben. Ich drehe mich um nach Osten; in dieser Richtung ist die Welt klar, sonnig und kalt.

Ich gehe wieder ins Licht. Ich schaue meine Hände an. Im scharfen Licht sehen sie sehr alt aus. Können diese Hände noch etwas bewirken? Ich gehe weiter. Die Lichtinvasion läßt die Welt fremd erscheinen, durchzogen von Nebelschwaden aus Licht. Alles wie in einem Traum, fremdartig.

Ich denke, er müßte möglich sein, immer weiter in dieses Licht zu gehen: Die Welt wird dann immer traumhafter; ich ginge weiter und weiter, und dann merke ich – das Ganze ist nur mehr ein Traum. Während ich weitergegangen bin, ist die reale Welt immer mehr nach unten gesunken. Ich erschrecke nicht. Ich bin froh, daß ich die Welt verlassen habe. Glücklich, feierlich und andächtig ginge ich dann weiter und weiter durch diese leuchtende Unendlichkeit.

Im Schatten ist es dann kälter. Das Traumhafte ist nur mehr im Kopf.

Ich habe Schwierigkeiten, mich an meinem Arbeitsplatz zu versammeln. Teile von mir wandern immer noch herum. Mein innerer Körper sackt zusammen. Ich bin unglaublich müde.









©Peter Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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