228 Eins und Zwei
Eins.Eins
Ich hole Luft. Ich hole tief Luft. Nach
dem Hustenanfall kann ich wieder richtig atmen. Alles Mögliche geht
mir im Kopf herum und ich bin aufgewühlt. Wovon? In Wirklichkeit
weiß ich es nicht.
Der Hustenreiz bewegt sich suchend in
meinem Brustkorb, er sucht einen Auslöser und hat ihn schon
gefunden. Das war aber nur ein kleiner Hustenanfall, nicht der Rede
wert.
Es ist Nacht. Durch das offene Fenster
strömt frische Luft herein. Es ist still. Die Stille greift nach mir.
Durch die kühle Luft angeregt, sucht
mein Husten wieder im Brustkorb herum.
„Ich singe das Lied vom Untergehen.“
Nun, bei allem Respekt vor der Intuition und den frei aufsteigenden
Botschaften – wir wollen es nicht übertreiben.
Eins.Zwei
Die Gegenstände in meinem Zimmer sind
von einer weißlichen Aura umgeben, ein stumpfes, weißliches Licht,
das mit meinem Blick mitwandert. Ich selber bin von so einer Art
Krankheitsmodus eingehüllt, der alles ein wenig ins Fremde schiebt.
Nur ein wenig, gerade soviel, daß alles bedeutender, tiefer,
faszinierender wirkt. Und ich habe frei. Der Krankenstand erlaubt
mir, mich von allen, wirklich allen Verpflichtungen frei zu fühlen.
Da fällt mir erst auf, was ich ansonsten alles schleppe.
Das weißliche Licht ist verschwunden,
ich kann es nur noch an einzelnen Stellen für kurze Augenblicke
sehen.
Jetzt sehe ich dunkle Streifen,
die sich manchmal längs, manchmal quer ziehen. Vermutlich
irgendwelche Nachbilder, deren Herkunft zu entschlüsseln ich zu faul
bin. Oder nicht daran interessiert. Denn nocheinmal: es ist mir ein
willkommener Zustand, wenn ich meine Wahrnehmung wie etwas empfinde,
das ein Eigenleben führt und mich als ein beinahe Fließendes
einhüllt. Ich empfinde dann die Ahnung stärker, daß dahinter alles
ganz anders ist.
Ein leichter Schauer durchläuft mich,
der mich festigt, zusammenrüttelt. Ich werde den Tag jetzt angehen.
Ich muß lachen, denn mir fällt auf,
fast mein ganzer materieller Reichtum hier besteht aus Musikkonserven
und Büchern. Also aus Musik und geistiger Nahrung.
Zwei
Glocken läuten. Diesmal fühle ich
mich nicht angesprochen, während die Morgendämmerung und frische
Luft in mein Zimmer einziehen. Und ferne, aber deutlich zu hören,
die Geräusche der Stadt.
Etwas, das ich nicht fassen und nicht
beschreiben kann, dehnt sich in mir aus. Etwas wie Sehnsucht könnte
es sein. Es macht mich glücklich und traurig zugleich. Glücklich,
weil es da etwas gibt, das einen mit offenen Mund staunen läßt, und
traurig, weil ich nicht dorthin gelange. Aber es macht mir nichts
aus. Es ist keine Schande, nein, nein! Es ist jenseits aller Moral,
aller Anforderungen, aller Vorsätze.
Ich nehme es nur schwach und vage wahr,
wie am Rande meines inneren Gesichtsfeldes, aber eigentlich ist es
stark, ganz stark; ein mächtiger Strom am Grunde des Daseins, ich
selber ahne es mehr, als daß ich es sehe, spüre, höre .....
Es erinnert mich auch an meine Kindheit
und Jugend, an irgendetwas, das ich manchmal stark in meiner Seele
empfunden habe, etwas, das nicht verletzt ist. Das da ist, ich aber
nicht erreiche. Und deswegen in mir oft nicht rein, sondern vermischt mit
allem Möglichen. Ah! Das ist ganz unbeholfen beschrieben.
Meine
Traurigkeit ist nicht traurig, sondern lächelnd. Meine Vernunft
sagt, daß das kindisch und unreif ist. Meine Vernunft weiß nicht
allzuviel. Auch wenn sie recht hat, stimmt es oft nicht. Man kann
solche Sätze hinschreiben. Die Grammatik erlaubt es.
Ein Ziehen. Vielleicht kann ich es ein
Ziehen nennen. Von etwas Unbeschreiblichem angezogen werden. Es ist
eine Art Friede in mir. Ob der hält, weiß ich nicht. Bisher hatte er
nicht gehalten.
Ein Propellerflugzeug fliegt durch die
Geräusche, jetzt schaltet sich ein Entlüfter ein. Mein Geist hat
sich in Gedanken verheddert und das Fühlen abgewürgt. Trotzdem, der
Waffenstillstand hält noch.
Der Hustenanfall sticht bis zu den
Schläfen hinauf. Draußen wird es immer lauter. Die Müllabfuhr mit
ihrem Optimismus ist da. Finden sie nicht, daß die Müllabfuhr
Optimismus ausstrahlt? Tatkräftig, konsequent und laut scheint das
Leben des Alltags bewältigbar.
©Peter
Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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