Samstag, 7. November 2015

226 In fieberlosem Fieber


Als ich vor einer halben oder Dreiviertelstunde aus dem Fenster in den Hof geschaut hatte, lagen auf dem Boden nur einige Blätter herum. Jetzt aber ist der Hof übersät von gelben Blättern und die Essigbäume sind fast leer. Beinahe ein kleiner Schock, der meinen Atem kurz anhalten läßt; wie schnell das geht; ein ordentlicher Windstoß und die Bäume sind kahl. So schnell und einfach geht das. Sicher, es ist die Jahreszeit dafür und wir erwarten es, aber trotzdem kommt es überraschend und plötzlich; der Wind ist da und alles ist anders.

Nun, am Nachmittag liege ich im Bett, beim Lesen eine Pause einlegend, ein wenig sitzend, drei Pölster im Rücken, aber dennoch wie aufgebahrt, meine Lieblingsstellung, dabei bin ich eingenickt, denn die Hustenanfälle haben nachgelassen. Vorm inneren Auge ein dunkles, fast schwarzes Mahjong Titan, die Steine fast nicht zu unterscheiden, so dunkel, ich spiele es ohne einen Finger zu rühren und ich weiß nicht wie oder spiel ich es überhaupt oder spielt es für sich selbst?

Ich bin durch diesen Zustand bis in den Schlaf geglitten und wieder zurück, aufgewacht durch „Scheiße!“-Rufe und Füßegetrampel auf der Stiege. Jetzt huste ich wieder, ein Anfall kommt nach dem andern, unwillkürlich laufen mir Tränen über die Wangen.

In der Welt draußen habe ich alles abgesagt, darum darf ich hier liegen und zwischen Wachen und Träumen schaukeln, am liebsten bin ich in diesem Zustand dazwischen, wo schon Traumbilder oder -fetzen herumziehen, aber das Bewußtsein noch wach ist, oder zumindest wach erscheint, auch wenn die Gedanken schon ein zerfallenes Eigenleben führen und sich mit den Traumelementen verbünden.

Aber jetzt hält mich der Husten auf der wachen Seite – an die andere Seite erinnert das heftige Surren in den Ohren, ein irrer Gesang, und wenn man länger hinhört, extrem laut, schrill, rasend, fast beängstigend. Aber mir macht dieser Gesang keine Angst, ich kann ihn irgendwie einordnen.

Das schrille Läuten meines Handys reißt mich aus dem Horchen heraus stellt das Surren leiser. Es ist meine ältere Tochter am Telefon.

Nachdem ich aufgelegt habe will ich wissen, ob meine jüngere Tochter noch im Haus ist, denn es ist plötzlich so still. Ich rufe nach ihr, aber meine Stimme versagt und kippt nach oben, wie beim Stimmbruch. Ich lasse es sein. Sie wird schon weggegangen sein.

In der nun eingetretenen Stille wird das Surren wieder stärker, zusammen mit dem Ticken des Weckers und – eher im gedämpften Hintergrund – Geräusche aus dem Haus und von draußen.

Mir fällt gerade ein, daß ich schon lange keine Musik mehr gehört habe. Wäre das ein guter Zeitpunkt? Eigentlich schon, denn ich liebe Musik, aber in letzter Zeit will ich selten die Stille verlassen. Darum verwerfe ich für jetzt den guten Gedanken.

Ich muß auf die Toilette und starre in meinem fieberlosen Fieber gedankenverloren auf den Fliesenboden, seine Muster, Fugen und Sprünge, auf die Lichtreflexionen auf den Fliesen, und plötzlich sehe ich dreidimensional in die Tiefe. Zuerst so eine Art röhrenförmiges Gitter, das ein wenig in die Tiefe geht, nicht weit, nur im Bereich nahe an der Oberfläche und darunter geht ein schmaler Schlund weiter nach unten, ganz tief, kein Ende ist abzusehen.
Nur kurz, dann verschwindet das Bild wieder und der Fußboden liegt wieder zweidimensional und flach vor mir.










©Peter Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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