226 In fieberlosem Fieber
Als ich vor einer halben oder
Dreiviertelstunde aus dem Fenster in den Hof geschaut hatte, lagen
auf dem Boden nur einige Blätter herum. Jetzt aber ist der Hof
übersät von gelben Blättern und die Essigbäume sind fast leer.
Beinahe ein kleiner Schock, der meinen Atem kurz anhalten läßt;
wie schnell das geht; ein ordentlicher Windstoß und die Bäume sind
kahl. So schnell und einfach geht das. Sicher, es ist die Jahreszeit
dafür und wir erwarten es, aber trotzdem kommt es überraschend und
plötzlich; der Wind ist da und alles ist anders.
Nun, am Nachmittag liege ich im Bett,
beim Lesen eine Pause einlegend, ein wenig sitzend, drei Pölster im
Rücken, aber dennoch wie aufgebahrt, meine Lieblingsstellung, dabei
bin ich eingenickt, denn die Hustenanfälle haben nachgelassen. Vorm
inneren Auge ein dunkles, fast schwarzes Mahjong Titan, die Steine
fast nicht zu unterscheiden, so dunkel, ich spiele es ohne einen
Finger zu rühren und ich weiß nicht wie oder spiel ich es
überhaupt oder spielt es für sich selbst?
Ich bin durch diesen Zustand bis in den
Schlaf geglitten und wieder zurück, aufgewacht durch „Scheiße!“-Rufe
und Füßegetrampel auf der Stiege. Jetzt huste ich wieder, ein
Anfall kommt nach dem andern, unwillkürlich laufen mir Tränen über
die Wangen.
In der Welt draußen habe ich alles
abgesagt, darum darf ich hier liegen und zwischen Wachen und Träumen
schaukeln, am liebsten bin ich in diesem Zustand dazwischen, wo schon
Traumbilder oder -fetzen herumziehen, aber das Bewußtsein noch wach
ist, oder zumindest wach erscheint, auch wenn die Gedanken schon ein
zerfallenes Eigenleben führen und sich mit den Traumelementen
verbünden.
Aber jetzt hält mich der Husten auf
der wachen Seite – an die andere Seite erinnert das heftige Surren
in den Ohren, ein irrer Gesang, und wenn man länger hinhört, extrem
laut, schrill, rasend, fast beängstigend. Aber mir macht dieser
Gesang keine Angst, ich kann ihn irgendwie einordnen.
Das schrille Läuten meines Handys
reißt mich aus dem Horchen heraus stellt das Surren leiser. Es ist
meine ältere Tochter am Telefon.
Nachdem ich aufgelegt habe will ich
wissen, ob meine jüngere Tochter noch im Haus ist, denn es ist
plötzlich so still. Ich rufe nach ihr, aber meine Stimme versagt und
kippt nach oben, wie beim Stimmbruch. Ich lasse es sein. Sie wird
schon weggegangen sein.
In der nun eingetretenen Stille wird
das Surren wieder stärker, zusammen mit dem Ticken des Weckers und –
eher im gedämpften Hintergrund – Geräusche aus dem Haus und von
draußen.
Mir fällt gerade ein, daß ich schon
lange keine Musik mehr gehört habe. Wäre das ein guter Zeitpunkt?
Eigentlich schon, denn ich liebe Musik, aber in letzter Zeit will ich
selten die Stille verlassen. Darum verwerfe ich für jetzt den guten
Gedanken.
Ich muß auf die Toilette und starre in
meinem fieberlosen Fieber gedankenverloren auf den Fliesenboden,
seine Muster, Fugen und Sprünge, auf die Lichtreflexionen auf den
Fliesen, und plötzlich sehe ich dreidimensional in die Tiefe. Zuerst
so eine Art röhrenförmiges Gitter, das ein wenig in die Tiefe geht,
nicht weit, nur im Bereich nahe an der Oberfläche und darunter geht
ein schmaler Schlund weiter nach unten, ganz tief, kein Ende ist
abzusehen.
Nur kurz, dann verschwindet das Bild
wieder und der Fußboden liegt wieder zweidimensional und flach vor
mir.
©Peter
Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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