231 Eine gute Nacht und ein komplizierter Morgen
Scharfes Licht im Zimmer. Alle
Gegenstände und die Bücher stehen klar und scharf da. Es kommt mir
vor, das Licht hätte einen grünen Touch, aber mein Verstand sagt,
das kann nicht sein. Ich bin innen voll von etwas, das von außen
kommt. Aber nicht wirklich. Oder doch? Ich habe beim Lesen ein wenig
geweint. (Ein wenig geschwindelt – in Wirklichkeit hätte ich bei
meiner gierigen Art zu lesen gar keine Zeit dafür.) Aber in mir
aufgestiegen ist es schon; das stimmt!
Das, was mich erfüllt, betäubt mich
etwas – ich weiß nichts; ich fühle nicht, was ich fühle; ich
fühle nur, daß ich fühle,
aber ich fühle nicht, was
ich fühle. Gibt es das überhaupt? Ich mißtraue mir. Ich bin nicht
nur ein Drückeberger, sondern auch ein Übertreiber und Schwindler.
Eine Dramaqueen. Ich muß lachen. Innerlich. Äußerlich lächle ich
leicht.
Diese
Betäubung ist nicht unangenehm. Als hätte ich einen schmerzlosen
Schlag bekommen, der mich benommen macht. Schmerzfrei nicht, weil er
schwach gewesen wäre, sondern weil er nicht auf der körperlichen
Ebene dahergekommen ist. Eher wie ein Bewußtseinsflash. Benommen von
irgendeiner Fülle. Oder hat sich bloß der blinde Fleck ausgedehnt?
Vielleicht
bewirken das bläuliche Licht der Energiesparlampe und die gelbe
Jalousie den grünlichen Touch im Raum der bunten Welt der
Buchrücken. Teile von Gedanken driften umher, aber verhaken sich
nicht mehr zu einer Kette. Ich registriere, daß ich nicht denke.
Gut, ich werde mich in dieser stillen Fülle (oder
Empfindungsblindheit) zur Ruhe begeben. Gute Nacht.
Der
übliche Input: mein Zimmer und seine Gegenstände über die Augen,
das Weckerticken und Surren über die Ohren. Das Surren eigentlich
nicht, weil es in den
Ohren erzeugt wird. Ein Input, der von innen kommt.
Von
noch weiter innen kommt dü dü dü düü dü, dü dü dü düü dü,
eine Melodie, die mich seit Tagen immer wieder heimsucht. Ich höre
sie ohne Beteiligung der Ohren.
Etwas
kompliziert für einen Morgen, wo ich noch gar nicht denken will.
Also wie ist das jetzt wirklich – wo ist das, das fühlt und
wahrnimmt? Innen, aber nicht wirklich im Körper lokalisierbar, eher
oben, aber nicht unbedingt im Kopf; aber wo dann?
Das
Surren ist in den
Ohren, von dort, wo ich fühle, weiter draußen, aber schon drinnen.
Obwohl: das denke ich
vielleicht nur, weil ich es höre und dabei unwillkürlich an die
Ohren denke. Empfinden tue ich es eher als etwas, daß mich auf
Kopfhöhe umhüllt; rundherum, auch hinter mir.
Und
die Melodie? Die war jetzt verstummt und ich habe sie wieder
einschalten müssen. Wo ist sie? Ungefähr zwischen den Augen? Die
innere Topographie läßt sich anscheinend mit der äußeren nicht
wirklich beschreiben. Die Melodie sitzt nicht nur zwischen den Augen,
sie geht eindeutig tiefer; zumindest in diesem Moment. Sie ist
länglich und geht vom Bauch unten bis oben, mitten knapp hinter die
Augen. Im Bauch unten ist eher der Baß. Die höheren Stimmen sind
eher oben. Aber es ist eine Einheit, ein ganzes, längliches Gebilde.
Das
Surren ist eher rund, ein Wasserkopf aus Tönen, obwohl es auch den
Brustraum mit einschließt. Die Außengrenzen sind nicht ganz klar.
Zwei Brennpunkte – wie bei einer Ellipse – schweben eindeutig bei
den Ohren, aber knapp außerhalb. Die beiden Brennpunkte scheinen
einen leichten Druck auf die Ohren auszuüben, der mich die Ohren wie
mit Luft gefüllt – leicht aufgeblasen – fühlen läßt. Das
fühle ich eindeutig innen. Aber sonst kann ich außerhalb oder
innerhalb des Körpers nicht wirklich entscheiden, weil es zwei
getrennte, sich zwar überlagernde Systeme sind, aber jedes mit ganz
eigener Gesetzmäßigkeit und Topographie. Außen, das ich wie innen
empfinde. Ein Innen, das mich auch außen umhüllt.
Was
für ein Morgen!
©Peter
Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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