Mittwoch, 25. November 2015

238 Stille Nacht


Die äußeren Fensterscheiben sind innen beschlagen. Ich öffne das Fenster; kalte, frische Luft strömt herein und das ferne Dröhnen eines Flugzeuges. Es ist Nacht, so eine Art um einen Monat vorverlegte Christnacht. Warum? Das ist mir jetzt zu kompliziert zu erklären! Diese Nacht ist hier und jetzt still. Eine stille Nacht. Eine heilige Nacht. Aber sie kommt gegen die andere nicht an. Nur ein ganz klein wenig, sozusagen ganz in ihrem innersten Kern ist etwas von dem da, was in der anderen Nacht ist.

Ich habe mir gedacht, ich könnte ein wenig beten. Immerhin mag ich den Jesus von Nazareth... Aber es paßt nicht zu mir. Es macht mich verlegen. Ich habe doch mit dem Ganzen nichts mehr zu tun! Na und? Wer kann dir Vorschriften machen? Genierst du dich dafür? Vor wem? Vor deinen Eltern? Die sind tot. Vor deinen Freunden? Hier, bei dir, in dieser stillen Nacht ist es doch keine Deklaration für oder gegen irgendetwas. Nur so eine Art Versuch, ein Experiment. Niemand erfährt davon!

Ich habe keine Lust. Ein eigenartiger Schatten legt sich auf mich, wenn ich an beten denke und damit anfangen will. Etwas, das mir gleich das Gefühl gibt, schuldig zu sein, oder faul, oder ungenau oder was-weiß-ich. Gleich fürchte ich mich davor, jemand könnte deswegen etwas einfordern, etwas verlangen, als hätte ich mit dem Beten etwas zugesagt, etwas versprochen und jetzt kommt man daher und macht mir Vorschriften. Als dürfte ich nicht mehr ich selber sein. Als müßte ich bei mir gleich alles mögliche abstellen. Nein, darauf habe ich wirklich keine Lust. Es käme nicht von Innen. Ich fühle mich unwohl dabei.

Mir fällt auf, daß ich beim Vaterunser immer bei „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ stecken bleibe, da stolpere ich immer, oder es geht mir die Luft aus und ich muß luftholen, während die anderen den Vers beten, oder, wenn ich alleine bin, habe ich den Satz vergessen und muß erst nachdenken. Es ist schon viele Monate her, daß ich es gebetet habe, eigentlich bloß aufgesagt. Da war es so. Und vorher auch schon.

Woher kommt dieses ungute Gefühl? Von der einen oder von den anderen Seite? Mir kommt vor, von beiden.

Jetzt bleibe ich beim Gegrüßet-seist-du-Maria stecken! Der vorletzte Vers will mir nicht einfallen. Ah! Jetzt hab ich ihn wieder. Eigenartig. Die Gebete berühren mich jetzt überhaupt nicht. Sie bleiben mir fremd und fern. Ach komm! Laß einfach los! Niemand kann dir Vorschriften über dein Leben und Sterben machen! Du darfst auch als Narr und unvollendet sterben.

(Also gut: Es gab eine umstrittene Seherin, die sagte, Jesus von Nazareth wäre am 25. November geboren. Und aus astrologischen Gründen finde ich dieses Datum interessant, wie ich überhaupt ihre Visionen interessant finde, ohne zu wissen, ob sie wirklich das Leben Jesu sieht oder sich in phantasmagorischen Welten verliert oder beides gleichzeitig.)








©Peter Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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