238 Stille Nacht
Die äußeren Fensterscheiben sind
innen beschlagen. Ich öffne das Fenster; kalte, frische Luft strömt
herein und das ferne Dröhnen eines Flugzeuges. Es ist Nacht, so eine
Art um einen Monat vorverlegte Christnacht. Warum? Das ist mir jetzt
zu kompliziert zu erklären! Diese Nacht ist hier und jetzt still.
Eine stille Nacht. Eine heilige Nacht. Aber sie kommt gegen die
andere nicht an. Nur ein ganz klein wenig, sozusagen ganz in ihrem
innersten Kern ist etwas von dem da, was in der anderen Nacht ist.
Ich habe mir gedacht, ich könnte ein
wenig beten. Immerhin mag ich den Jesus von Nazareth... Aber es paßt
nicht zu mir. Es macht mich verlegen. Ich habe doch mit dem Ganzen
nichts mehr zu tun! Na und? Wer kann dir Vorschriften machen?
Genierst du dich dafür? Vor wem? Vor deinen Eltern? Die sind tot.
Vor deinen Freunden? Hier, bei dir, in dieser stillen Nacht ist es
doch keine Deklaration für oder gegen irgendetwas. Nur so eine Art
Versuch, ein Experiment. Niemand erfährt davon!
Ich habe keine Lust. Ein eigenartiger
Schatten legt sich auf mich, wenn ich an beten denke und damit
anfangen will. Etwas, das mir gleich das Gefühl gibt, schuldig zu
sein, oder faul, oder ungenau oder was-weiß-ich. Gleich fürchte ich
mich davor, jemand könnte deswegen etwas einfordern, etwas
verlangen, als hätte ich mit dem Beten etwas zugesagt, etwas
versprochen und jetzt kommt man daher und macht mir Vorschriften. Als
dürfte ich nicht mehr ich selber sein. Als müßte ich bei mir
gleich alles mögliche abstellen. Nein, darauf habe ich wirklich
keine Lust. Es käme nicht von Innen. Ich fühle mich unwohl dabei.
Mir fällt auf, daß ich beim
Vaterunser immer bei „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“
stecken bleibe, da stolpere ich immer, oder es geht mir die Luft aus
und ich muß luftholen, während die anderen den Vers beten, oder,
wenn ich alleine bin, habe ich den Satz vergessen und muß erst
nachdenken. Es ist schon viele Monate her, daß ich es gebetet habe,
eigentlich bloß aufgesagt. Da war es so. Und vorher auch schon.
Woher kommt dieses ungute Gefühl? Von
der einen oder von den anderen Seite? Mir kommt vor, von beiden.
Jetzt bleibe ich beim
Gegrüßet-seist-du-Maria stecken! Der vorletzte Vers will mir nicht
einfallen. Ah! Jetzt hab ich ihn wieder. Eigenartig. Die Gebete
berühren mich jetzt überhaupt nicht. Sie bleiben mir fremd und
fern. Ach komm! Laß einfach los! Niemand kann dir Vorschriften über
dein Leben und Sterben machen! Du darfst auch als Narr und
unvollendet sterben.
(Also gut: Es gab eine umstrittene
Seherin, die sagte, Jesus von Nazareth wäre am 25. November geboren.
Und aus astrologischen Gründen finde ich dieses Datum interessant,
wie ich überhaupt ihre Visionen interessant finde, ohne zu wissen,
ob sie wirklich das Leben Jesu sieht oder sich in phantasmagorischen
Welten verliert oder beides gleichzeitig.)
©Peter
Alois Rumpf November 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite