Mittwoch, 9. Dezember 2015

246 Erstaunlich nüchterne Beschreibung eines Morgens


Bei einer Tensegrityübung zur Inneren Stille liegt man am Rücken und hält die Hände – die Finger gespreizt zwischen unterstem Rippenknochen und Hüftknochen – seitlich auf den Bauch gelegt, während in der Gegend des Nabels ein Briefbeschwerer – irgendwelche Körner in Leder – aufliegt. Solange die Spannung in Händen und Fingern anhält, empfinde ich den „magischen“ Briefbeschwerer, auf dem auf der einen Seite „Tensegrity“, auf der anderen „Silence“ steht, als leicht in der Schwebe gehalten; gebe ich die Spannung in den Händen auf, fühle ich ihn regelrecht in mich hineinsinken. Ich freue mich auf diesen Moment, denn dann habe ich meine morgendliche Übung abgeschlossen und falle meistens in einen leichten Schlaf, wo ich mehrmals zwischen Traum und Wirklichkeit hin und her pendle, dort in einer Zone, in der ich mich gerne aufhalte. Mein Bewußtsein sinkt nach unten und schießt dann wieder hoch. Manchmal erlebe ich dieses Hinuntersinken wie einen freien Fall in die Tiefe, und es ist der Schock darüber, der mich wieder aufwachen läßt, oder ich komme mir vor wie in einem Lift, der schnell hinunter und dann wieder heraufsaust. Oder ich erlebe etwas, das ich als einen Stromstoß empfinde, den ich ganz unten erhalte und der mich hochschnellen läßt. Oder heute, da erlebte ich es wie das lautlose Geräusch eines umstürzenden Stapels von irgendwas. Ich höre das Krachen des umstürzenden Stapels, etwas wie ein großer Holzstoß, nicht, aber ich fühle es, und schon bin ich wieder wach und heroben. Hören tu ich nur ein starkes Surren in den Ohren, umso stärker, je mehr ich meine Aufmerksamkeit darauf richte; je konzentrierter ich hinhöre, desto mehr wird das Geräusch aus dem Hintergrund in den Vordergrund geholt und komplexer und beinahe wie eine eigene Erlebniswelt, in der man sich wieder verlieren kann.

Ich spiele mit der Auflösung der traditionellen Wahrnehmung und ich finde das immer wieder interessant und spannend. Die Bilder, die dabei auftauchen, sind zwar nicht so wichtig, ich beschreibe sie jedoch trotzdem gern. Sie sind, wie in allen Träumen, lediglich Kostüme aus der Mottenkiste des Vertrauten, mit denen das ängstliche alltägliche Bewußtsein seine Erfahrungen des Nicht-Alltäglichen verkleiden will. Was anderes hat das Alltagsbewußtsein nicht gelernt.
Diese Bilder mögen zwar einiges über einen selber, den eigenen Status in der und über die gesellschaftlich konstruierte Welt aussagen – schließlich stammen sie ja aus dem kollektiven und persönlichen Theaterfundus – aber entscheidend sind sie nicht. Entscheidend wäre die Wahrnehmung ohne alle Kostümierung und Requisiten, das Wahrnehmen der reinen fließenden Energie.

Ich sehe gerade, weil ich auf das Bücherregal schaue: das kirchenlateinische Wörterbuch hat am Buchrücken elf glitzernde Stellen. Elf!










©Peter Alois Rumpf Dezember 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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