246 Erstaunlich nüchterne Beschreibung eines Morgens
Bei einer Tensegrityübung zur Inneren
Stille liegt man am Rücken und hält die Hände – die Finger
gespreizt zwischen unterstem Rippenknochen und Hüftknochen –
seitlich auf den Bauch gelegt, während in der Gegend des Nabels ein
Briefbeschwerer – irgendwelche Körner in Leder – aufliegt.
Solange die Spannung in Händen und Fingern anhält, empfinde ich den
„magischen“ Briefbeschwerer, auf dem auf der einen Seite
„Tensegrity“, auf der anderen „Silence“ steht, als leicht in
der Schwebe gehalten; gebe ich die Spannung in den Händen auf, fühle
ich ihn regelrecht in mich hineinsinken. Ich freue mich auf diesen
Moment, denn dann habe ich meine morgendliche Übung abgeschlossen
und falle meistens in einen leichten Schlaf, wo ich mehrmals zwischen
Traum und Wirklichkeit hin und her pendle, dort in einer Zone, in der
ich mich gerne aufhalte. Mein Bewußtsein sinkt nach unten und
schießt dann wieder hoch. Manchmal erlebe ich dieses Hinuntersinken
wie einen freien Fall in die Tiefe, und es ist der Schock darüber,
der mich wieder aufwachen läßt, oder ich komme mir vor wie in einem
Lift, der schnell hinunter und dann wieder heraufsaust. Oder ich
erlebe etwas, das ich als einen Stromstoß empfinde, den ich ganz
unten erhalte und der mich hochschnellen läßt. Oder heute, da
erlebte ich es wie das lautlose Geräusch eines umstürzenden Stapels
von irgendwas. Ich höre das Krachen des umstürzenden Stapels, etwas
wie ein großer Holzstoß, nicht, aber ich fühle es, und schon bin
ich wieder wach und heroben. Hören tu ich nur ein starkes Surren in
den Ohren, umso stärker, je mehr ich meine Aufmerksamkeit darauf
richte; je konzentrierter ich hinhöre, desto mehr wird das Geräusch
aus dem Hintergrund in den Vordergrund geholt und komplexer und
beinahe wie eine eigene Erlebniswelt, in der man sich wieder
verlieren kann.
Ich spiele mit der Auflösung der
traditionellen Wahrnehmung und ich finde das immer wieder interessant
und spannend. Die Bilder, die dabei auftauchen, sind zwar nicht so
wichtig, ich beschreibe sie jedoch trotzdem gern. Sie sind, wie in
allen Träumen, lediglich Kostüme aus der Mottenkiste des Vertrauten, mit
denen das ängstliche alltägliche Bewußtsein seine Erfahrungen des
Nicht-Alltäglichen verkleiden will. Was anderes hat das
Alltagsbewußtsein nicht gelernt.
Diese Bilder mögen zwar einiges über
einen selber, den eigenen Status in der und über die
gesellschaftlich konstruierte Welt aussagen – schließlich stammen
sie ja aus dem kollektiven und persönlichen Theaterfundus – aber
entscheidend sind sie nicht. Entscheidend wäre die Wahrnehmung ohne
alle Kostümierung und Requisiten, das Wahrnehmen der reinen
fließenden Energie.
Ich sehe gerade, weil ich auf das
Bücherregal schaue: das kirchenlateinische Wörterbuch hat am
Buchrücken elf glitzernde Stellen. Elf!
©Peter
Alois Rumpf Dezember 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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