261 „Tanz des Lebens“
Spät in der Nacht ist der Himmel klar genug um die Sterne zu
sehen. Orion, Aldebaran im Stier und die Plejaden, Capella mit ihren
Begleiterinnen, Prokyon ... . Ich freue mich über ihren Anblick.
Es reicht nicht gegen die Angst, die sich eingenistet hat.
Angst vorm morgigen Tag. Wo ist meine Zuversicht? Immer noch fühle ich mich
schutzlos. Wo ist der Abwehrzauber gegen dieses Programm? Der Magen krampft
sich zusammen. Mir fallen die vielen Kinder ein, die morgen wieder in die
Schule müssen. Diese elenden Anstalten! Diese elende Welt! Diese elende,
würgende Angst!
Nein, so geht es auch nicht. Damit werde ich die Angst nicht
los.
Angst, was willst du mir sagen? Liebe Angst, bitte sprich
mit mir!
Die Wände bleiben stumm. Nichts geschieht. Nur die Zeit
tickt und surrt weiter. Fast dröhnt die Stille und pulsiert sich in meine
Aufmerksamkeit. Seufzend atme ich tief. Ein wenig Erleichterung, aber mein
Inneres bleibt verknotet. Nichts geschieht. Nur stockend und nach langen,
ratlosen Pausen fährt mein Schreiber über das Papier. Ich warte auf eine
Antwort. Schutzgeist, Schutzengel, Begleiter, Doppelgänger,
Energie-was-weiß-ich-was, nimm meine Hand und schreib eine Antwort! Irgendetwas,
das ich verstehen kann und das mir hilft. Jetzt belächle ich meine Dramatik.
Spöttisch und zynisch zu sein finde ich jetzt unfair.
Die Angst ist immer noch da. Ich bin sie gewöhnt und es
kommt mir nun vermessen vor, sie loswerden zu wollen. Okay! Okay! Okay!
Also, was willst du? Und warum lähmst du mich? Was? Mir
fehlt Vertrauen? Das wundert mich nicht. Und? Weiter? Woher nehmen wenn nicht
stehlen?
So kommen wir auch in kein Gespräch. Ich lasse es gut sein.
Ich bin aufgewacht in die Finsternis und die Angst in mir
schreit stumm. Es ist der Morgen und es ist das drittemal. Die ersten beide
Male hat mein Geist seine Sätze formuliert und versucht aufzutauchen, aber ist
aus Traum und Schlaf nicht hoch genug gekommen um meine Hand zum Schreiben zu
bewegen.
Die Angst in mir schreit und surrt panisch. Ich atme und
bekomme ein wenig Abstand. Ich schaue sie an und erkenne, wie vertraut sie mir
ist. Ich habe gelernt, sie zu ignorieren, aber in mir heult ein stiller Alarm.
Was willst du? Ich bin deiner überdrüssig und traurig. Wer straft mich hier
wofür? Die Angst in meinem Leben ist viel älter als die Schuld. Also, was
willst du!
Bald werde ich aufstehen mit allem, was man am Morgen so
macht und dann so tun, als wärst du nicht da, bis ich dich vergessen habe. Was
soll ich sonst machen? Wie kann ich sonst leben? Du bist dann nicht weg; du
nagst weiter in meinem Inneren und frißt meine Lebenskraft.
Eine sanft unwuchtig
rollende Bewegung berührt meine Körpermitte. Eine alte Frau vor mir scheint
Auskunft geben zu können; sie setzt mehrmals zu reden an, aber bringt keinen
Ton heraus und öffnet vergeblich ihren Mund. Sie wirkt zertreut und senil.
In meiner Mitte, im Zentrum, ist immer noch die Angst. Ein
altes, verfallendes Gebäude unter Denkmalschutz existiert so vor sich hin. Ist
das der Fehler? Der Denk-mal-schutz? Mein Atem hebt und senkt die Landschaft.
Kurz erfaßt mich eine Gier und verschwindet wieder aus dem Scheinwerferlicht.
Ich schimpfe mit den Heiligen. Das Ticken des Weckers greift plötzlich ganz
tief in mein Inneres, bevor es sich wieder an die Oberfläche zurückzieht. Ich
suche meinen nicht aufgeschriebenen Text, aber er verschwimmt immer; ich kann
die gefundenen Stellen nicht lesen. Ist die Angst eine verkannte Kraft? Ist das
nicht zu einfach? Und wenn schon, welche? Mir wird meine Sucherei zu blöd. Eine
ältere, runde, weiche Frau hat sich hinter mich gestellt und ist schon wieder
weg. Ich habe die Täuschungsmanöver satt!, aber meine Haltung gefällt mir
auch nicht.
Wortwolken schweben auf mich zu, sie kommen jedoch aus der
falschen Richtung. Meine Aufmerksamkeit verliert ihre Konzentration. Gibt es
eine Wahrheitsdroge? Jetzt taucht das Bild praller weiblicher Brüste auf. Ich
bin deswegen von mir enttäuscht. Oder habe ich die Angst tatsächlich mit der
Muttermilch eingesogen? Ich habe als Säugling viel gekotzt und wollte nicht
zunehmen, wurde erzählt. Ist das die richtige Spur?
Dieser psychologische Kram ist mir unangenehm und enttäuscht
mich. Ich komme damit auch nicht weiter.
Ich strecke meine Beine und lege die Füße übereinander, wie
bequem am Kreuz angenagelt. So kann ich nicht herunterfallen, schon gar nicht
im Liegen. Ahhh! Furchtbar diese Mutter-Sohn-Ehen! Jetzt wird’s mir richtig
unangenehm. Ich möchte flüchten. Auf und davon. Geht schwer mit überkreuzten
Füßen. Ich lache blöd. Ein schreckliches, zynisches Gefühl. „Tanz der Lebens“
fällt mir ein. Ja, so könnte es gehen.
©Peter Alois Rumpf Jänner 2016 peteraloisrumpf@gmail.com
©Peter Alois Rumpf Jänner 2016 peteraloisrumpf@gmail.com
All creative works builds on what came before...Photographed and animated by Nina Paley. Music by Todd Michaelsen
Posted by Alp Alphan on Sonntag, 12. April 2015
Photography & Animation: Nina Paley
Music: Todd Michaelson
Photographed at Metropolitan Museum of Art; New York City
Music: Todd Michaelson
Photographed at Metropolitan Museum of Art; New York City
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