264 Der Pawlowsche Hund
Ich wache still und friedlich auf. Ich fühle mich ausgeruht
und erholt. Bis mir einfällt, daß heute ein Arbeitstag ist. Da explodiert die
Angst in mir und breitet sich wie ein Innenflächenbrand aus. Panik überfällt
meinen Körper, sofort ist dieses nagende Gefühl da und frißt sich durch meine
Eingeweide. Das muß ein sehr alter Reflex sein, jahrelang wie einem Pawlowschen
Hund antrainiert in Kindergarten und Schule, und wahrscheinlich, nein,
sicherlich schon vorher. Die Angst, nicht zu genügen. Die Angst vor Demütigung
und Bloßstellung. Eine lähmende, würgende Angst.
Ich kann beobachten, wie sie sich im Körper ausbreitet, wie
sie ihn in Alarm versetzt, der aber zu nichts führt, nur zur Lähmung.
Angenagelt dastehen und das alles wehrlos über sich ergehen lassen: die
Entwertungen, Beschimpfungen, die Verachtung. Und was davon zurückbleibt: das
elende Gefühl des Versagens. Der Impuls aufzugeben. Ich mag nicht mehr.
Ein tiefer, aber stoßweiser Atemzug – wie bei Kindern nach
dem Weinen – schafft eine kleine, resignative Erleichterung. Gelöst ist gar
nichts. Die Angst ist noch da. Ich arrangiere mich mit ihr. Ich erkläre mich
bereit, mit ihr zu leben. Obwohl die innerste Stimme sagt: „geh nicht hin!“ -
trotzdem hingehen. Das ist ein verlegen machender Verrat. Diese innerste Stimme
ist so leise, kaum hörbar, kommt verschämt daher, als wäre sie im Unrecht, denn
laut schreien die anderen Stimmen: „du mußt!“ Diese innerste Stimme wirkt so
schwach wie ein nicht überlebensfähiges Baby. Die anderen schreien: „die Welt
ist hart und ein Kampf – so kannst du nicht überleben!“ „Das kannst du dir
nicht herausnehmen! Wer bist du schon!“, sagen sie auch. „Was bildest du dir
ein?! Du mußt dich überwinden und hingehen!“
Viele tausende Male habe ich mich überwunden und bin
hingegangen; ich – mich, nicht die „anderen Stimmen“. Ja, das ist
ein Verrat. Und dieser Verrat ergibt ein Arrangement, in dem ständig der Beweis
für das Unrecht der inneren Stimme gesucht wird. Sie darf nicht recht
haben. Das Versagen muß durch die äußere Welt bestätigt werden;
schlimmstenfalls wird erlebte – beinahe hätte ich geschrieben: erlittene – Wertschätzung als
Mißverständnis interpretiert und auf jeden Fall relativiert.
Soll ich so etwas überhaupt herschreiben? Jedenfalls brauche
ich mindestens fünfunddreißig Jahre Erholung und Urlaub, damit ich wieder zu
meinem innersten Kern finde und dann loslegen kann! Das wird verdammt knapp!
Wau.
©Peter
Alois Rumpf Jänner 2016 peteraloisrumpf@gmail.com
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