Dienstag, 12. Januar 2016

264 Der Pawlowsche Hund

Ich wache still und friedlich auf. Ich fühle mich ausgeruht und erholt. Bis mir einfällt, daß heute ein Arbeitstag ist. Da explodiert die Angst in mir und breitet sich wie ein Innenflächenbrand aus. Panik überfällt meinen Körper, sofort ist dieses nagende Gefühl da und frißt sich durch meine Eingeweide. Das muß ein sehr alter Reflex sein, jahrelang wie einem Pawlowschen Hund antrainiert in Kindergarten und Schule, und wahrscheinlich, nein, sicherlich schon vorher. Die Angst, nicht zu genügen. Die Angst vor Demütigung und Bloßstellung. Eine lähmende, würgende Angst.

Ich kann beobachten, wie sie sich im Körper ausbreitet, wie sie ihn in Alarm versetzt, der aber zu nichts führt, nur zur Lähmung. Angenagelt dastehen und das alles wehrlos über sich ergehen lassen: die Entwertungen, Beschimpfungen, die Verachtung. Und was davon zurückbleibt: das elende Gefühl des Versagens. Der Impuls aufzugeben. Ich mag nicht mehr.

Ein tiefer, aber stoßweiser Atemzug – wie bei Kindern nach dem Weinen – schafft eine kleine, resignative Erleichterung. Gelöst ist gar nichts. Die Angst ist noch da. Ich arrangiere mich mit ihr. Ich erkläre mich bereit, mit ihr zu leben. Obwohl die innerste Stimme sagt: „geh nicht hin!“ - trotzdem hingehen. Das ist ein verlegen machender Verrat. Diese innerste Stimme ist so leise, kaum hörbar, kommt verschämt daher, als wäre sie im Unrecht, denn laut schreien die anderen Stimmen: „du mußt!“ Diese innerste Stimme wirkt so schwach wie ein nicht überlebensfähiges Baby. Die anderen schreien: „die Welt ist hart und ein Kampf – so kannst du nicht überleben!“ „Das kannst du dir nicht herausnehmen! Wer bist du schon!“, sagen sie auch. „Was bildest du dir ein?! Du mußt dich überwinden und hingehen!“

Viele tausende Male habe ich mich überwunden und bin hingegangen; ichmich, nicht die „anderen Stimmen“. Ja, das ist ein Verrat. Und dieser Verrat ergibt ein Arrangement, in dem ständig der Beweis für das Unrecht der inneren Stimme gesucht wird. Sie darf nicht recht haben. Das Versagen muß durch die äußere Welt bestätigt werden; schlimmstenfalls wird erlebte – beinahe hätte ich  geschrieben: erlittene – Wertschätzung als Mißverständnis interpretiert und auf jeden Fall relativiert.

Soll ich so etwas überhaupt herschreiben? Jedenfalls brauche ich mindestens fünfunddreißig Jahre Erholung und Urlaub, damit ich wieder zu meinem innersten Kern finde und dann loslegen kann! Das wird verdammt knapp! Wau.












©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

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