263 An den Rändern zweier Tage
Wie nach einem guten Tag, an dem man sein Tagewerk geleistet
hat, obwohl: es waren bei mir nur ein paar fragwürdige Zeilen. Trotzdem
zufrieden und rechtschaffen müde. Ja, so habe ich es gern – den Tag am
Schreibtisch zu verbringen und zwischendurch ein paar kurze, tatkräftige
Aktionen wie Geschirrabwaschen und Christbaumentsorgen. Dieses Bild ist jedoch
ein wenig irreführend, denn es ist der Laptop, vor dem ich die meiste Zeit
sitze, und nicht unbedingt schreibend, sondern surfend. Dabei fordert mich
dieser Laptop mehrmals freundlich auf, damit aufzuhören, indem er mir immer
wieder abstürzt. Manchmal steige ich auf seinen Hinweis auch ein.
Ja, eine regelrechte Idylle. Mein Geist und meine Gedanken
kreisen herum und irgendwann kristallisiert sich doch etwas heraus. An diesem
Abend bin ich ein wirklich zufriedener Mensch. Außerdem glaube ich, heute
jemandem Unbekannten via Internet etwas sinnvolles gesagt zu haben, das dieser
Person weiterhelfen könnte. Das macht mich glücklich, richtig glücklich. Ich
muß aber selber lachen, daß das gleich ein so pathetisches Gefühl auslöst,
nicht umsonst auf der Welt zu sein. Was für ein Drama wegen einer solchen Kleinigkeit!
Aber ich freue mich wirklich.
Ein zufriedener Abend schützt nicht vor Angstträumen.
Eingebettet in mein Surren und die Bettdecke, mit einem leichten Zittern in der
Körpermitte, schaue ich auf die Licht- und Farbspiele, die sich aus meinem
unzentrierten Blick aus verschlafenen Augen ergeben. Ein mißverstandenes
Pulsieren in meinem Kugelschreiber in der rechten Hand erschreckt mich – führt
der schon ein Eigenleben? Mir fallen die Augen zu, nachdem mir klar geworden
ist, daß das ruckhafte Abgleiten des Kugelschreibers über das Notizbuch –
ausgelöst, weil die Spannung in meiner Hand durch mein Einschlafen nachgelassen
hat – ein ruckartiges Vibrieren des Kugelschreibers verursachte, den meine
traumverfangene Wahrnehmung irrtümlich als Pulsieren deutete. Heute bin ich
sehr aufgeklärt, darum wird alles entmystifiziert. Ein einschlafender Aufklärer
beschreibt seine unaufgeklärten Wahrnehmungen am Rande des Tages.
Die Morgensterne waren wegen des in Wolkendecken
eingebetteten Himmels nicht zu sehen. So mißverstanden kann Wahrnehmung sein,
wenn es das verschlafene Bewußtsein nicht zum heliozentrischen Weltbild
geschafft hat. Mein Magen knurrt und lechzt nach Nahrung. Lechzt er wirklich?
Und ist es wirklich der Magen und nicht meine Angst, die nach Nahrung lechzt?
„Lechzen“, was für ein eigenartiges, schönes Wort. Ich bin zu faul um
aufzustehen, zum Bücherregal zu gehen und das etymologische Wörterbuch zu
holen.
Was sich in meinen Ohren abspielt empfinde ich so, als
würden lange Geräuschröhren, innen hohl, in meinen Gehörgängen stecken, so
lang, daß sie weit aus meinen Ohren ragen.
Meine Aufmerksamkeit balanciert über irgendwelche
undefinierten Abgründe. Meine Seele ärgert sich noch immer über den Diebstahl
meiner teuren, guten Winterschuhe im Traum, mein Alltagesbewußtsein versucht,
sie über den Unterschied von Traum und Wirklichkeit aufzuklären. Das Empfinden
der Seele beharrt darauf, daß beides Wahrnehmungs- und Erlebniswelten sind und
will nur widerwillig nachgeben.
So kämen wir der Sache schon näher, aber ich bin wieder am
Einschlafen, sodaß aus dem Näherkommen nichts wird. Andächtig lausche ich den
Wassergeräuschen aus der Dusche, ohne zu wissen, ob sie alltagsweltlich oder
geträumt sind. Selbst als Aufgeklärter komme ich der Andacht nicht aus. Mein
Bewußtsein bewegt sich in Serpentinen aufwärts, obwohl auch viel für das
Hinabgleiten in den Schlaf spricht. Ja.
Diesmal liege ich mit gespreizten Beinen da und werde sie
nicht überkreuzen.
Ich habe mich dann bald zur Seite gedreht und die Beine
überkreuzt und mußte dann stundenlang um Aufwachen und Aufstehen kämpfen.
Selbst das Öffnen der Augen war langwierige, mühsame Arbeit. Mein Bewußtsein
versuchte zwar immer wieder aufzutauchen, konnte jedoch die Membran nicht
durchstoßen.
Und übrigens: „lechzen“: Intensiv zu mittelhochdeutsch
„lechen“, austrocknen (Lutz Mackensen; Ursprung der Wörter; Südwest 1985)
©Peter
Alois Rumpf Jänner 2016 peteraloisrumpf@gmail.com
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