Montag, 11. Januar 2016

263 An den Rändern zweier Tage

Wie nach einem guten Tag, an dem man sein Tagewerk geleistet hat, obwohl: es waren bei mir nur ein paar fragwürdige Zeilen. Trotzdem zufrieden und rechtschaffen müde. Ja, so habe ich es gern – den Tag am Schreibtisch zu verbringen und zwischendurch ein paar kurze, tatkräftige Aktionen wie Geschirrabwaschen und Christbaumentsorgen. Dieses Bild ist jedoch ein wenig irreführend, denn es ist der Laptop, vor dem ich die meiste Zeit sitze, und nicht unbedingt schreibend, sondern surfend. Dabei fordert mich dieser Laptop mehrmals freundlich auf, damit aufzuhören, indem er mir immer wieder abstürzt. Manchmal steige ich auf seinen Hinweis auch ein.

Ja, eine regelrechte Idylle. Mein Geist und meine Gedanken kreisen herum und irgendwann kristallisiert sich doch etwas heraus. An diesem Abend bin ich ein wirklich zufriedener Mensch. Außerdem glaube ich, heute jemandem Unbekannten via Internet etwas sinnvolles gesagt zu haben, das dieser Person weiterhelfen könnte. Das macht mich glücklich, richtig glücklich. Ich muß aber selber lachen, daß das gleich ein so pathetisches Gefühl auslöst, nicht umsonst auf der Welt zu sein. Was für ein Drama wegen einer solchen Kleinigkeit! Aber ich freue mich wirklich.


Ein zufriedener Abend schützt nicht vor Angstträumen. Eingebettet in mein Surren und die Bettdecke, mit einem leichten Zittern in der Körpermitte, schaue ich auf die Licht- und Farbspiele, die sich aus meinem unzentrierten Blick aus verschlafenen Augen ergeben. Ein mißverstandenes Pulsieren in meinem Kugelschreiber in der rechten Hand erschreckt mich – führt der schon ein Eigenleben? Mir fallen die Augen zu, nachdem mir klar geworden ist, daß das ruckhafte Abgleiten des Kugelschreibers über das Notizbuch – ausgelöst, weil die Spannung in meiner Hand durch mein Einschlafen nachgelassen hat – ein ruckartiges Vibrieren des Kugelschreibers verursachte, den meine traumverfangene Wahrnehmung irrtümlich als Pulsieren deutete. Heute bin ich sehr aufgeklärt, darum wird alles entmystifiziert. Ein einschlafender Aufklärer beschreibt seine unaufgeklärten Wahrnehmungen am Rande des Tages.

Die Morgensterne waren wegen des in Wolkendecken eingebetteten Himmels nicht zu sehen. So mißverstanden kann Wahrnehmung sein, wenn es das verschlafene Bewußtsein nicht zum heliozentrischen Weltbild geschafft hat. Mein Magen knurrt und lechzt nach Nahrung. Lechzt er wirklich? Und ist es wirklich der Magen und nicht meine Angst, die nach Nahrung lechzt? „Lechzen“, was für ein eigenartiges, schönes Wort. Ich bin zu faul um aufzustehen, zum Bücherregal zu gehen und das etymologische Wörterbuch zu holen.
Was sich in meinen Ohren abspielt empfinde ich so, als würden lange Geräuschröhren, innen hohl, in meinen Gehörgängen stecken, so lang, daß sie weit aus meinen Ohren ragen.

Meine Aufmerksamkeit balanciert über irgendwelche undefinierten Abgründe. Meine Seele ärgert sich noch immer über den Diebstahl meiner teuren, guten Winterschuhe im Traum, mein Alltagesbewußtsein versucht, sie über den Unterschied von Traum und Wirklichkeit aufzuklären. Das Empfinden der Seele beharrt darauf, daß beides Wahrnehmungs- und Erlebniswelten sind und will nur widerwillig nachgeben.
So kämen wir der Sache schon näher, aber ich bin wieder am Einschlafen, sodaß aus dem Näherkommen nichts wird. Andächtig lausche ich den Wassergeräuschen aus der Dusche, ohne zu wissen, ob sie alltagsweltlich oder geträumt sind. Selbst als Aufgeklärter komme ich der Andacht nicht aus. Mein Bewußtsein bewegt sich in Serpentinen aufwärts, obwohl auch viel für das Hinabgleiten in den Schlaf spricht. Ja.
Diesmal liege ich mit gespreizten Beinen da und werde sie nicht überkreuzen.

Ich habe mich dann bald zur Seite gedreht und die Beine überkreuzt und mußte dann stundenlang um Aufwachen und Aufstehen kämpfen. Selbst das Öffnen der Augen war langwierige, mühsame Arbeit. Mein Bewußtsein versuchte zwar immer wieder aufzutauchen, konnte jedoch die Membran nicht durchstoßen.

Und übrigens: „lechzen“: Intensiv zu mittelhochdeutsch „lechen“, austrocknen (Lutz Mackensen; Ursprung der Wörter; Südwest 1985)











©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

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