Donnerstag, 4. Februar 2016

284 Ein dunkler Abend

Ich sitze im Dunklen und lausche der Musik. Ich kann es gar nicht ausdrücken, was mir Musik bedeutet!

Eine schwere Trauer legt sich auf mich und umarmt mich. Das stört mich nicht. Im Gegenteil, ich empfinde sie als etwas, das zum Reichtum gehört. Sie hat etwas mit Intensität zu tun.
Der Schmerz, den ich spüre, will und soll empfunden werden. Er ist natürlich. Und es ist mein Schmerz. Ich leihe mir die Musik nur aus, um mich mit ihm in Verbindung zu bringen.
Der Schmerz fängt bei mir selber an, in meiner Kindheit, führt mich weiter und tiefer, bis zum gegenwärtigen Augenblick, bis in einen Zustand, wo ich sogar Paulus von Tarsus, den ich überhaupt nicht mag, verstehe, wenn er schreibt: „Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Röm 8,22).

Der Schmerz darüber, daß wir, daß ich nicht unser angeborenes Potential entfalte, daß wir unsere Flügel nicht ausbreiten.

Ich spüre, wie es meiner Seele – verschreckt wie sie ist – schwerfällt, sich in meinem Körper auszuleben; wie schwer sich mein Körper – verschreckt wie er ist – tut, das Fließen zuzulassen. Beim Tanzen zum Beispiel, zu dem mich die Musik verlockt. Aber so ist es jetzt.

Und ich bin alt und viele Möglichkeiten sind schon gestorben, die meisten davon verhungert. Aber so ist es gewesen. Vielleicht werde ich noch ganz bescheiden. Vielleicht auch nicht. Ich atme tief durch. Drehe das Licht auf um zu schreiben. Ich bin müde. Ich geh bald liegen.

Wie schön der Anblick ist! Das Licht dort in der Küche. Ich weide meine Augen. Das Holz, die Körbe, der eiserne Ofen; die schönen, weißen Wände voller Schrunden und Spuren. Lebensspuren der Kinder hier vor allem. Bilder an den Wänden. Die Kerze am Ofen leuchtet ihr schönes Licht kurz vorm Verlöschen. Ganz tief schon ist die Flamme ins Wachs eingesunken und man sieht sie nicht mehr.

Die Musik ist jetzt zu Ende und ich horche auf die rhythmischen Drehungen im Geschirrspüler – auch sie sind voller Elegie.
Ich atme tief durch und lächle über meine Trauer, fühle den Keim zur Freude in ihr. (Ich glaube, ohne diese Trauer wäre ich ein ganz unerträglicher Mensch. So bin ich es nur teilweise.)

Die Kerze ist noch nicht verloschen; ich mußte sie beim Verlassen des Raumes ausblasen.

Ich mache alles ganz langsam, fast feierlich. Mir kommt es würdevoll vor, wie ich meine Vorbereitungen auf den Schlaf erledige. Ein Glitzern läuft über den Badezimmerboden. Jetzt liege ich schon im Bett, aber ganz fertig bin ich noch nicht. Das macht nichts. Es ist viel früher als sonst.

Bald bin ich wieder aufgestanden und habe etwas völlig anderes gemacht.
Und Wut kenne ich auch.







©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

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