296 Bellevuewiese
Gut ausgeschlafen, von der gestrigen Erschöpfung erholt,
noch mit einem vergessenen Traum eingehüllt, liege ich da und fühle mich rund;
ein leichtes Ziehen in der Gegend des Herzens – wo will es mich hindrehen? „Es
ist, was es ist.“ Es surrt um mich und vibriert in mir; kleine Wellen gehen
durch mich und durch meine Umgebung, durch die Sphäre, die noch zu mir gehört.
Von unten höre ich das fröhliche Kinderleben, auch davon kommt die Botschaft:
es ist alles gut.
Ich frage mich schon die ganze Zeit, welches Kraut es war,
das so schnell die Wunden schließt. War es das Johanniskraut? Mein Gedächtnis
ist noch schlaftrunken und nicht funktionsbereit. Das kommt in letzter Zeit oft
vor und hält länger an; ich will mir aber keine Sorgen machen. Ich werde
aufstehen und die Wäsche in die Waschmaschine legen, jetzt ist ein guter
Zeitpunkt, die Tageskinder sind schon zum Park unterwegs; ich höre ihr Singen
im Stiegenhaus.
Ich bin wirklich vom Schlaf gestärkt, auch meine
Traumverfangenheit macht keine Probleme. Ich stehe auf und komm dann wieder.
Die Waschmaschine funktioniert. Rundherum ist alles stabil.
Unruhig ist nur die Katze, die wuselt hin und her um sich Streicheleinheiten zu
holen und zugleich davor zu flüchten.
Jetzt hat sie sich sogar hingelegt und ruckelt nur noch ein
wenig herum.
Das Surren und das Vibrieren in mir sind schwächer geworden; ich
spüre Puls und Atemzüge; ich spüre meine Muskeln, den Druck dort, wo ich an die
Welt stoße und aufliege, ahne meine Knochen durch die Muskeln und Sehen
hindurch, das Skelett in mir, meine künftige Gestalt.
Eine Tante fällt mir ein, die verfügt hat, daß ihre Asche in
den Bergen verstreut wird. Bei mir wäre das ein Platz an der Enns, direkt
gegenüber dem steirischen Wenzel, wo links der Grimming majestätisch vom
Talboden aufragt, meine Asche könnte in der Enns treiben, wenn ich nicht doch
lieber vermodern will, anscheinend hänge ich an der Knochengestalt. Wirklich
lieber in Plastikplanen eingehüllt, obwohl wir Sternenstaub sind? Diese
Sandbank an der Enns, die wäre schon okay, dort habe ich die Fluß- und
Berggeister gespürt und Wünsche ins Wasser geworfen, die sich erfüllt haben.
Ich lache darüber, wie ich meine Geschichten hinbiege, aber egal, es ist ein
schöner, geeigneter Platz.
Die Bellevuewiese in Wien wäre auch nicht schlecht, nur habe
ich mit Wein nichts im Sinn, aber das könnte ich vor meinem Tod noch ändern.
Auch das ist ein magischer Ort, der den Blick auf die Stadt zu einer Erscheinung
macht, fast traumhaft, besonders am Abend, wenn die Lichter unten und oben zu
funkeln beginnen und einem die Stadt dort unter den Weingärten hingestreckt
liegt.
Ich horche, ob das Surren noch da ist und gleich wird es
stärker. Ich pendle mit meiner Aufmerksamkeit noch eine Zeit lang zwischen den Wirklichkeiten hin und her und fühle mich dabei immer
selbstverständlicher. Nun betrachte ich die Wunde an meinem kleinen Finger und
schaue, ob das Johanniskrautöl sie schon geschlossen hat. Dann wende ich mich
wieder dem Wundertäter zu.
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