Dienstag, 16. Februar 2016

296 Bellevuewiese

Gut ausgeschlafen, von der gestrigen Erschöpfung erholt, noch mit einem vergessenen Traum eingehüllt, liege ich da und fühle mich rund; ein leichtes Ziehen in der Gegend des Herzens – wo will es mich hindrehen? „Es ist, was es ist.“ Es surrt um mich und vibriert in mir; kleine Wellen gehen durch mich und durch meine Umgebung, durch die Sphäre, die noch zu mir gehört. Von unten höre ich das fröhliche Kinderleben, auch davon kommt die Botschaft: es ist alles gut.

Ich frage mich schon die ganze Zeit, welches Kraut es war, das so schnell die Wunden schließt. War es das Johanniskraut? Mein Gedächtnis ist noch schlaftrunken und nicht funktionsbereit. Das kommt in letzter Zeit oft vor und hält länger an; ich will mir aber keine Sorgen machen. Ich werde aufstehen und die Wäsche in die Waschmaschine legen, jetzt ist ein guter Zeitpunkt, die Tageskinder sind schon zum Park unterwegs; ich höre ihr Singen im Stiegenhaus.

Ich bin wirklich vom Schlaf gestärkt, auch meine Traumverfangenheit macht keine Probleme. Ich stehe auf und komm dann wieder.

Die Waschmaschine funktioniert. Rundherum ist alles stabil. Unruhig ist nur die Katze, die wuselt hin und her um sich Streicheleinheiten zu holen und zugleich davor zu flüchten.
Jetzt hat sie sich sogar hingelegt und ruckelt nur noch ein wenig herum.

Das Surren und das Vibrieren in mir sind schwächer geworden; ich spüre Puls und Atemzüge; ich spüre meine Muskeln, den Druck dort, wo ich an die Welt stoße und aufliege, ahne meine Knochen durch die Muskeln und Sehen hindurch, das Skelett in mir, meine künftige Gestalt.

Eine Tante fällt mir ein, die verfügt hat, daß ihre Asche in den Bergen verstreut wird. Bei mir wäre das ein Platz an der Enns, direkt gegenüber dem steirischen Wenzel, wo links der Grimming majestätisch vom Talboden aufragt, meine Asche könnte in der Enns treiben, wenn ich nicht doch lieber vermodern will, anscheinend hänge ich an der Knochengestalt. Wirklich lieber in Plastikplanen eingehüllt, obwohl wir Sternenstaub sind? Diese Sandbank an der Enns, die wäre schon okay, dort habe ich die Fluß- und Berggeister gespürt und Wünsche ins Wasser geworfen, die sich erfüllt haben. Ich lache darüber, wie ich meine Geschichten hinbiege, aber egal, es ist ein schöner, geeigneter Platz.

Die Bellevuewiese in Wien wäre auch nicht schlecht, nur habe ich mit Wein nichts im Sinn, aber das könnte ich vor meinem Tod noch ändern. Auch das ist ein magischer Ort, der den Blick auf die Stadt zu einer Erscheinung macht, fast traumhaft, besonders am Abend, wenn die Lichter unten und oben zu funkeln beginnen und einem die Stadt dort unter den Weingärten hingestreckt liegt.

Ich horche, ob das Surren noch da ist und gleich wird es stärker. Ich pendle mit meiner Aufmerksamkeit noch eine Zeit lang zwischen den Wirklichkeiten hin und her und fühle mich dabei immer selbstverständlicher. Nun betrachte ich die Wunde an meinem kleinen Finger und schaue, ob das Johanniskrautöl sie schon geschlossen hat. Dann wende ich mich wieder dem Wundertäter zu.










©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com


0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite