295 Wundertäterfragment 9
die Mutter des Wundertäters:
„Ich trage einen Wundertäter in mir – der wird mich retten.
Vor kurzem habe ich geheiratet, aber nicht den, der mir zugestanden wäre – das
hat irgendwie nicht geklappt. Da habe ich halt den genommen, mit dem ich im
Krieg ein wenig geflirtet habe, aber da war er noch ein aufgedrehter SS-Mann
voller Zukunft; jetzt ist er ein einarmiger Krüppel von schlechter Herkunft, ein
Arbeiterkind, nicht einmal ein Keuschlersohn, hat nichts, kann mir nichts
bieten, ich muß mit meinem Ersparten einspringen – denn sparen, das kann ich!
Aber jetzt bin ich achtundzwanzig Jahre alt und es ist Zeit zum Heiraten. Also
habe ich ihn genommen, obwohl ich eine Bürgerliche bin. Mein Vater hat zwar
fast alles bei Wein, Weib und Gesang durchgebracht, aber Geschäftsleute waren
wir immer noch!
Mein Sohn, den ich in mir trage, wird mich da herausholen;
herausholen aus dieser unguten Verwandtschaft, diesen Arbeitern und Knechten,
aus diesem Milieu mit den ständig zweideutigen Arbeitskollegen meines Mannes,
aus diesem Untermietzimmer, weg von dieser Schlampe von Hauseigentümerin, mit
ihren „Mann-heim“ und „Schwein-furt“- Botschaften an ihren heimlichen Liebhaber,
der mich auch immer so eigenartig anschaut – mein Sohn wird mich beschützen,
denn mein Mann ist nur alle zwei Wochen für eineinhalb Tage da. Mein Sohn wird
stark und fest sein, aufrichtig, stolz, frei, fröhlich, durchsetzungsmächtig,
er wird alle selbstbewußt und mit offenem Blick grüßen, ein Sieger, der mir
alles Siege schenkt, der mich herausholt, stark wie der, den ich eigentlich
heiraten wollte, an ihn wird er mich immer erinnern; er wird mich lieben,
verehren und alles für mich tun, er wird mir meine Wünsche von den Augen
ablesen und mich hier herausholen. Er wird mir große Freude machen; er wird ein
großer Frauenheld sein, die Frauen werden hinschmelzen, wenn sie ihn sehen, er
wird sich die Hörner ordentlich abstoßen, wie es sich für einen Mann gehört.
Beim Raufen ist er schon als Kind immer obenauf, ein toller Sportler, sportlich
und brav, aber wild; er wird mich da herausholen und immer verehren, wenn ich
ihn rufe wird er immer zu mir eilen, und zu Muttertag und Geburtstag und zu
allen anderen Festen kommt er mit Blumen und Geschenken mit seinem tollen Auto
angefahren. Ich werde mich an ihm ergötzen und erfreuen; alle werden mich um
ihn beneiden und alle Mütter werden eifersüchtig sein, weil ich so einen Sohn
habe, einen Wundertäter. Mit einem Fingerschnippsen vertreibt er alle Feinde,
mit seiner Intelligenz übertrumpft er seinen Vater und mit seiner Autorität
bringt er ihm Manieren bei und seine Verwandten werden es nicht mehr wagen,
aufdringlich zu sein und mich heimlich zu verachten. Mit einem Wundertäter
werde ich mich in der Welt sehen lassen können.
Ach, ich kann mir das schon vorstellen, was das für eine
Erfolgsgeschichte sein wird! Ich male es mir oft aus und reibe mir dabei schon
die Hände. Beim Raufen wird er immer siegen, beim Fußballspielen viele Tore
schießen – ja, er könnte auch ein bekannter Spitzensportler werden.
Vor kurzem hat mich mein Mann, der mich hier, wo ich Angst
habe, im Stich lässt, auch noch auf eine Bergwanderung mitgeschleppt und ich
hatte solche Angst in den Felsen und habe gefürchtet, meinen Sohn zu verlieren;
ich war ja schon schwanger!
Mein Sohn wird auf mich Rücksicht nehmen! In seinem Schutz
werde auch ich mutig werden. Eigentlich bin ich schon jetzt recht mutig, und
dafür, daß ich nicht im Gebirge aufgewachsen bin, fahre ich auch recht gut
Schi. Zwar schauen mich dabei alle so komisch an, aber … mein Sohn wird sie in
die Schranken weisen! Er wird nicht zulassen, daß sie über mich spotten. Ich
habe es ja nicht leicht gehabt.
Mit meinem Sohn jedoch werde ich es leicht haben, denn er
ist ein Wundertäter. Er wird groß und stark sein und wird mich beschützen und
retten.“
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