Dienstag, 16. Februar 2016

295 Wundertäterfragment 9

die Mutter des Wundertäters:
„Ich trage einen Wundertäter in mir – der wird mich retten. Vor kurzem habe ich geheiratet, aber nicht den, der mir zugestanden wäre – das hat irgendwie nicht geklappt. Da habe ich halt den genommen, mit dem ich im Krieg ein wenig geflirtet habe, aber da war er noch ein aufgedrehter SS-Mann voller Zukunft; jetzt ist er ein einarmiger Krüppel von schlechter Herkunft, ein Arbeiterkind, nicht einmal ein Keuschlersohn, hat nichts, kann mir nichts bieten, ich muß mit meinem Ersparten einspringen – denn sparen, das kann ich! Aber jetzt bin ich achtundzwanzig Jahre alt und es ist Zeit zum Heiraten. Also habe ich ihn genommen, obwohl ich eine Bürgerliche bin. Mein Vater hat zwar fast alles bei Wein, Weib und Gesang durchgebracht, aber Geschäftsleute waren wir immer noch!
Mein Sohn, den ich in mir trage, wird mich da herausholen; herausholen aus dieser unguten Verwandtschaft, diesen Arbeitern und Knechten, aus diesem Milieu mit den ständig zweideutigen Arbeitskollegen meines Mannes, aus diesem Untermietzimmer, weg von dieser Schlampe von Hauseigentümerin, mit ihren „Mann-heim“ und „Schwein-furt“- Botschaften an ihren heimlichen Liebhaber, der mich auch immer so eigenartig anschaut – mein Sohn wird mich beschützen, denn mein Mann ist nur alle zwei Wochen für eineinhalb Tage da. Mein Sohn wird stark und fest sein, aufrichtig, stolz, frei, fröhlich, durchsetzungsmächtig, er wird alle selbstbewußt und mit offenem Blick grüßen, ein Sieger, der mir alles Siege schenkt, der mich herausholt, stark wie der, den ich eigentlich heiraten wollte, an ihn wird er mich immer erinnern; er wird mich lieben, verehren und alles für mich tun, er wird mir meine Wünsche von den Augen ablesen und mich hier herausholen. Er wird mir große Freude machen; er wird ein großer Frauenheld sein, die Frauen werden hinschmelzen, wenn sie ihn sehen, er wird sich die Hörner ordentlich abstoßen, wie es sich für einen Mann gehört. Beim Raufen ist er schon als Kind immer obenauf, ein toller Sportler, sportlich und brav, aber wild; er wird mich da herausholen und immer verehren, wenn ich ihn rufe wird er immer zu mir eilen, und zu Muttertag und Geburtstag und zu allen anderen Festen kommt er mit Blumen und Geschenken mit seinem tollen Auto angefahren. Ich werde mich an ihm ergötzen und erfreuen; alle werden mich um ihn beneiden und alle Mütter werden eifersüchtig sein, weil ich so einen Sohn habe, einen Wundertäter. Mit einem Fingerschnippsen vertreibt er alle Feinde, mit seiner Intelligenz übertrumpft er seinen Vater und mit seiner Autorität bringt er ihm Manieren bei und seine Verwandten werden es nicht mehr wagen, aufdringlich zu sein und mich heimlich zu verachten. Mit einem Wundertäter werde ich mich in der Welt sehen lassen können.

Ach, ich kann mir das schon vorstellen, was das für eine Erfolgsgeschichte sein wird! Ich male es mir oft aus und reibe mir dabei schon die Hände. Beim Raufen wird er immer siegen, beim Fußballspielen viele Tore schießen – ja, er könnte auch ein bekannter Spitzensportler werden.
Vor kurzem hat mich mein Mann, der mich hier, wo ich Angst habe, im Stich lässt, auch noch auf eine Bergwanderung mitgeschleppt und ich hatte solche Angst in den Felsen und habe gefürchtet, meinen Sohn zu verlieren; ich war ja schon schwanger!

Mein Sohn wird auf mich Rücksicht nehmen! In seinem Schutz werde auch ich mutig werden. Eigentlich bin ich schon jetzt recht mutig, und dafür, daß ich nicht im Gebirge aufgewachsen bin, fahre ich auch recht gut Schi. Zwar schauen mich dabei alle so komisch an, aber … mein Sohn wird sie in die Schranken weisen! Er wird nicht zulassen, daß sie über mich spotten. Ich habe es ja nicht leicht gehabt.
Mit meinem Sohn jedoch werde ich es leicht haben, denn er ist ein Wundertäter. Er wird groß und stark sein und wird mich beschützen und retten.“









©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

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