298 Krafttag oder ein höflicher Schmerz
Ein grauer, verregneter Krafttag. Ich will meinen Blick
nicht von den Ziegeldächern, den Mauern und den kahlen Bäumen wenden. Mächtige Gefühle
dröhnen still aus unausgeleuchteten Tiefen in mir heran. (Die Katze will
gestreichelt werden und läßt mich nicht schreiben.) Kein Windhauch regt sich.
Ferne Ahnungen, und ferne Erinnerungen aus den ganz frühen versunkenen Tagen
dämmern unauffällig durch das Grau. Wissen und Nichtwissen gleichzeitig. Ich
habe alles gesehen und ich habe nichts richtig gesehen.
Die Wäsche habe ich abgenommen und der Raum ist freier.
Beinah zu offen, ich fühle mich wie eine kleine graue Kugel. Ich schaue über
den Rand meiner Brille zum Fenster hinaus. Die kahlen, braunen Essigbäume vor
den rötlichen Ziegeldächern. Rotz und Wasser rinnen, aber das schaut mehr nach
einem kurzen Katzenhaarallergieanfall aus als nach Schmerz.
Der Schmerz ist heute sehr zurückhaltend, bleibt fast ganz
verborgen, will mir nicht zu nahe treten. Ein ausgesprochen höflicher Schmerz.
Es ist Stille trotz vieler Geräusche, ihren Schwerpunkt, ihr Zentrum hält sie
draußen in den Kronen der Essigbäume.
„Frauen haben einen Busen!“ sagt ein kleiner Bub unten. Ein
Lächeln huscht durch das Ambiente, ich kann ihn gut verstehen. Jetzt klopft er
männlichkeitsübend und hämmert wie wild, so viel Zuversicht in dem Jungen!
Da schleicht eine kleine Trauer durch mein Gesichtsfeld.
Aber alles nicht so wichtig. Wichtig ist nur die Stille. Wie leuchtend und
farbenprächtig das rötliche Braun der Äste und das bräunliche Rot der
Dachziegel in dem Grau da; auch das Weiß der Wände und das Grau selber strahlen
verhalten und deutlich. Ein heller Farbton ist allem unterlegt. (Oder
umgekehrt? Ist es ein dunkler Untergrund, der die gedämpften Farben so leuchten
läßt?)
Jetzt plaudern die Kinder unten über Landwirtschaft. Die
Heiterkeit daraus tut mir gut und ein wenig weh – so viel Zukunft, so viel
Zuversicht in dieser Gegenwart. Aber es ist kein Neid; ich segne sie und
wünsche ihnen alles Gute.
Diese Stille da vorne zieht mich so sehr an. Nichts regt
sich. Kein Wind. Nur der stille, feierliche Strom der Gegenwärtigkeit, das
großartige Dröhnen der ruhigen Gewahrsamkeit. Lediglich die Zeit fließt noch
langsam und leise. Bleibt die stehen, dann ist alles nur mehr bloße Intensität.
Die reine Herrlichkeit.
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