Montag, 22. Februar 2016

300 Zweitagesprotokoll

Die Sohle des rechten Fußes an die Innenseite des linken Knies gelegt und die Finger der überkreuzten Hände bei den Schlüsselbeinen eingehängt – so bin ich aufgewacht. Eine Stellung, die mir schon vor Jahren im Traum gezeigt wurde. Hin und her getaumelt zwischen Schlafen und Aufwachen hat das Schnarchen eine große Bedeutung gehabt, die ich bereits wieder vergessen habe; den Faden zigmal verloren und wieder aufgenommen.

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Jetzt senst links von mir der Tod Könige und schöne Frauen nieder; ich werde mir eine neue Tarotkarte legen. Die unendlich behütete Kraft bezwingt den Löwen und hält seine Kiefer fest. Na gut, Tarotkarte Nummer elf.

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Jetzt ist es Abend. Der Tag ist vorbei. Ich liege im Bett und lese, dann betrachte ich die Flecken auf meiner Haut, die Gedanken sind weich und ohne Kanten, die Pölster im Rücken noch nicht richtig eingepaßt. Meine Hände sind schon recht alt, ein paar Narben und kleine, frisch verheilte Wunden. Was weiß ich schon von der Welt – gar nichts. Es ist ein Wunder, daß es mich gibt. Mir fällt erst jetzt auf, daß ich nur meine linke Hand betrachte, die mit dem zur Hälfte abgeschnittenen Daumen; sie ist auch im linken Licht. Die rechte muß schreiben, auf meinen Befehl. Dabei will ich eigentlich gar nichts.

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Jetzt ist es späte Nacht. Schwermut und Traurigkeit legen sich auf mich, daß mir das Atmen schwerfällt. Tapfer sauge ich ein paar Atemzüge lang die frische Luft tief ein und dehne Brustkorb und Bauch gegen den Druck. Hinter den Augen das Ziehen der Tränen. Warum es so ist, weiß ich nicht; ich habe ein paar Gedanken dazu, aber die scheinen mir nicht überzeugend zu sein; kein Ah! Das ist es!
Von der Ferne höre ich Rufe durch die Nacht, der Wind heult und heute höre ich die Autos deutlich.

Ich versuche das abzuschütteln, aber es will nicht so recht gelingen. Dabei war es ein schöner Tag.
Mitten in dieser Trauer ist ein wenig Lachen eingebaut, nicht unfreundlich. Es ist eine Art "Liebeskummer mit mir selbst" (Karin Fuest).

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Morgen. Unsicherheit und Angst fressen sich in mein Gedärm; Schuldgefühle machen mein Herz schwach und verzagt und meine Augen verschlossen und starr. Wohin wird sich alles entwickeln? Beim Wasser wäre es der tiefste Punkt. Will ich überhaupt, daß es weiterfließt? Meiner Seele ist immer noch schlecht.

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Abend. Wie ein Nachhall einer unhörbaren, unsichtbaren Explosion, die Ohren dröhnen, aber ich habe den Knall nicht gehört, der dies ausgelöst hat. Es muß etwas gewesen sein, das sich jenseits meiner Wahrnehmung abgespielt hat. Ein Druck und Zerren und Ziehen in mir, von unbekannten Kräften, die auf mich einwirken. Und Tränen hinter den Augen. Ich möchte weinen. Ich möchte drei Tage einfach nur weinen, und nochmals drei Tage, wenn es noch nicht gereicht hat. Aber diese Vorstellung läßt sofort die aufsteigenden Tränen versiegen, bevor sie noch die Augen erreicht haben, und ich bin vom heilsamen Schmerz wieder abgeschnitten und meine spöttischen Gedanken sagen: Was für ein Theater! Da ist doch nichts!
Diese Gedanken sind mehr als bloße Gedanken, sie sind Gefühlsimplantate, unecht, schauen echten Gefühlen nur ähnlich.
Jetzt ist es zu spät.















©Peter Alois Rumpf  Februar 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

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