Donnerstag, 25. Juni 2015

142 „Dem Himmel bin ich auserkoren“*


(*Romantitel von Thornton Wilder)
Heute habe ich einen Botendienst ausspucken gesehen. Er schien etwas mit den Zähnen zu haben. Er hat sich über den Rückspiegel seines Motorrollers gebeugt und seine Zähne untersucht.

Vorher, beim großen, schlanken Mann, war ich weit zurück. Ganz am Anfang, wo ich noch viel gespien habe und „ja“ gesagt habe, als mich die Frau fragte, ob ihre Buben in die Badewanne gebrunzt haben.

N.N. will die Welt mit Gewalt retten. Seine Welt. Zuerst legt er einen Bombenteppich über viele Kontinente und zerstört alles, dann läßt er alles wieder wachsen. Auch die Sahara wird wieder ein riesiger Urwald mit Flüssen und großen, weiten Seen.
Dabei verteidigt er sich nur, er will Raum haben, genug Raum, wo ihn niemand bedrängen kann. Nur wenige streifen dann dort herum, und wenn sie sich per Zufall begegnen, freuen sie sich.
N.N. wird Nachkommen haben, so zahlreich wie der Sand am Meer.

Dann will er alleine durchs Universum ziehen. Er schwebt – wenn er will – über dem Boden und – wenn er will – auch ganz schnell. Seine Reise ist atemberaubend. Denn er schaut unendliche Landschaften in unendlichen Weiten. Sphärenmusik begleitet ihn, die Schwingungen aus dem All. Die Farben sind so prächtig und alle Wunden prangen. Alle Wunden der Welt prangen.

Jetzt kommt die Lebensmittellogistik daher und spielt mit dem Chello. Die Gläser, Tassen und Heferl scheppern. „Es ist vorbei!“, sagt der Chef. Aber nichts ändert sich. Alles geht weiter und fließt. Der letzte Schluck des schon kühlen Kaffees schmeckt mir köstlich.

Der rote Faden liegt achtlos herum und verschlungen. Ein unbeholfener, höflicher Mann wankt beinahe herein. Beinahe wankt er und kommt ganz herein, nimmt eine Zeitung und beansprucht nicht viel Platz, aber eng bei einem anderen. Die Sonne kommt durch und es wird heller. Eine kleine Fliege probiert den Kaffee. Ist koffeinfrei okey?

Leute begrüßen sich, eine Tochter hat Geburtstag. Wir sind schon im Krebs. Die Tage werden wieder kürzer.

Draußen, auf der anderen Straßenseite, geht eine junge Frau vorbei und ißt. Sie beißt im Gehen ein Stück vom Sandwich ab und wirkt dabei damenhaft.

Jetzt erst bemerke ich die Wellenbewegungen der Gehenden. Die Köpfe senken und heben sich in einer Welle, bei manchen stark, als würden sie, wie Sportschwimmer beim Luftholen, ihre Köpfe nach oben stoßen um dann wieder runter zu sinken. Bei anderen schwächer, bei manchen fast unmerklich. Ob diese Kurven etwas aussagen?

Die Lebensmittellogistik hat die Richtung gewechselt und fährt in die andere Richtung davon. Die Karriere kommt angefahren. Gerade noch paßt sie in die Garage ohne an die Decke zu stoßen. Kaum noch Luft nach oben.
Eine blaße Frau geht vorbei, blaß und verschleiert.

Ich ahne es wieder, hinter den Fassaden und Masken und gestylten Gestalten sind Tiefen, stark und verletzlich, verletzlich und stark.

Nur im Spiegel gehen Leute vorbei.

Jetzt schiebt sich die Karriere hervor aus der niederen Garage, sie hat kaum Platz, kommt kaum um die Kurve, bleibt bei laufendem Motor stehen und stinkt nach Benzin. Aber sie hat jetzt viel Luft nach oben.

Ein Thermoking parkt ein. Was kann man sich darunter vorstellen? Eine männliche Sonne? Ein Sonn?

Eine leichte Brise schaukelt die Eisfähnchen. Leute starren mich an. Ein Mann dreht sich etwas mühsam um, er wirkt aber souverän. Kinder hängen sich an ihre Mutter. Eine junge Frau kaut intensiv Kaugummi während sie telephoniert. Sie hält das Handy links. Ihre rechte Hand steckt in der Hosentasche ihrer Jean. Mutter und Sohn gehen feierlich vorbei und biegen ab ins Eisgeschäft. Eine Schulklasse mit zwei Begleitpersonen geht vorbei. Mit Eis wirken Mutter und Sohn weniger feierlich, aber entspannter.

Ein Mann fährt im Rollstuhl vorüber. Meine jungen Freunde winken mit ihren Ästen. Eine braungebrannte, hart wirkende Frau schaut mich kurz an. Vieles passiert, wofür ich keine Worte finde. Ich brauche zu lang, dann ist es schon vorbei. Es fängt an zu tröpfeln. Die Wassertropfen lösen kleine Stellen meiner Schrift auf. Bald muß ich einen anderen Platz suchen.

Ein alter, weißhaariger, vorgebeugter Mann geht in ein Geschäft; auch er macht einen souveränen Eindruck. Eine Frau mit hochgezogenen Schultern zieht ihre verschlossene Bahn. Es regnet und ich verlasse den Ort.

Orion in kurzen Ärmeln hat Neugier, eine gewisse Abscheu, Verunsicherung?, Verlegenheit, vielleicht auch Begeisterung? und gar nichts ausgelöst. Was? Du willst es in klaren Worten haben? Gut! „Dem Himmel bin ich auserkoren!“

Ich möchte ins Leben hinein aufstehen.











©Peter Alois Rumpf Juni 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 18. Juni 2015

141 Die Verstärkerröhre


In der Verstärkerröhre der U-Bahn gibt es nur Menschenhaftes und Menschengemachtes. Die domestizierten Wölfe rechne ich so halb dazu. Jede ausgeschickte Emotion schlägt von den Tunnelwänden verstärkt zurück. Wahrscheinlich müßte das nicht so sein, aber der Blick kommt schwer aus.

Oben dann: Wind, Wolken, ein kurzer Blick auf die Gloriette inmitten ihrer Bäume, vom Wind gewiegte Bäume und zum Tanzen gebrachte Blätter. Der Blick kann sich verlaufen und seine Fixierung vergessen.
Mir gefällt dieser Neubauhof mit seinen Durchgängen, Winkeln und Ecken; er erinnert mich an den Optimismus vergangener Zeiten, den ungebrochenen Fortschrittsglauben meiner Jugend, als alles besser zu werden versprach.

Später dann (beim großen, schlanken Mann) vom Ritter von der traurigen Gestalt zum Ritter der fröhlichen Gestalt, vorgestern auf dem Umweg über den Zorn, heute direkt bis zu dieser Erinnerung:


Damals, in den Achtzigerjahren, war ich Mitglied der Wiener Künstlergruppe REM. Wir hatten unsere eigene Galerie, und obwohl wir die Bezeichnung „Produzentengalerie“ nicht mochten - man könnte das Projekt so beschreiben. Wir wollten alles ganz anderes und ganz toll machen, doch gab es schon interessante und lustige Ausstellungen, Veranstaltungen, Performances, Vorträge, Konzerte bei uns.
Aber das ist jetzt nicht das Thema. Es geht nur darum, daß wir viel Arbeit hineinsteckten, auch handwerkliche. Und einmal, bei einem Ausstellungsumbau, war ich dabei, eine Wand abzuscheren. Das habe ich – solange es leicht ging – ganz gerne gemacht, weil mich die Muster und Farbkombinationen faszinierten, die beim Abscheren der verschiedenen Farbschichten zum Vorschein kamen.
Ich scherte also still vor mich hin, betrachtete die Farben und Muster, und die Veränderungen, die sich beim Abscheren ergaben, und verliere mich allmählich darin.
Plötzlich erlebe ich so etwas wie einen Ich-Verlust; es machte „zack!“ und ich war anders. Ich wußte nicht mehr, wie ich heiße und wer ich bin. Nur nach langem, konzentrierten Nachdenken, bei dem ich nur mit großer Anstrengung und mühsam weiterkam, fiel mir das eine oder andere wieder ein. Zum Beispiel mein Name.
Es war mir klar, mein „Montagepunkt“ (Carlos Castaneda) hatte sich verschoben, oder besser gesagt, ist etwas aus seiner normalen Position „verrückt“. Ich geriet nicht gleich in Panik, denn ich beruhigte mich mit dem Gedanken, daß ich solche Zustände einer anderen Wirklichkeit ja lange schon suchte und jetzt eben einen solchen erlebe. Ich kannte - theoretisch - solche Zustände aus Beschreibungen und konnte diesen jetzt einordnen; ich verstand, was vorging.
Natürlich war ich etwas alarmiert, denn mir war klar, daß ich jetzt aufpassen und beherrscht bleiben muß, wenn ich nicht komplett verrückt werden will.
Zuerst einmal hörte ich auf zu scheren. Monotone Bewegungen und Geräusche waren jetzt nicht das Richtige. Dann sagte ich zu der Frau, die da neben mir arbeitete, und deren Namen ich in diesem Moment nicht mehr wußte, daß ich nach Haus gehe. Ich wohnte nur fünf Minuten von der Galerie entfernt, aber dieser Weg wurde lang. Ich wußte, daß sich durch die Verschiebung meines Montagepunktes (der montiert nämlich die Wahrnehmung) meine Wahrnehmung verändert hatte und deswegen die Alltagswelt in mir nicht mehr fest verankert war. Aus diesem Grund bewegte ich mich langsam, konzentriert und bedächtig. Ich redete ganz sanft und freundlich auf mich ein, sagte mir die nächsten Schritte vor und sprach mich mit „lieber Peter“ an: „lieber Peter, bevor du über die Straße gehst, schau bitte ganz genau, ob ein Auto kommt, die können nämlich ganz schnell sein, und zwar schau nach links und nach rechts. Und wenn du dir nicht sicher bist, was da um dich vorgeht, dann warte einfach solange, bis du dich auskennst. Du hast alle Zeit der Welt.“
Überhaupt, so liebevoll und freundlich hatte ich meinen inneren Dialog noch nie geführt, und später auch nicht mehr. Ich war wirklich gut zu mir.
Irgendwie hatte ich es geschafft, nach Hause zu kommen. Dort habe ich mich dann hingelegt. Ich glaubte, das wäre eine gute Idee. Aber ich wurde schnell ängstlich und unsicher und richtete mich wieder auf. Ich war zwar nicht in Panik, aber die Panik lauerte sozusagen am Rande meines Gesichtsfeldes auf ihre Chance und ich durfte ihr jetzt nicht nachgeben. Darum war ich ja so freundlich zu mir. „Schau, lieber Peter, probier, ob dir das Hinlegen gut tut. Nein? Dann setz dich wieder auf. Du kannst es ja später nochmals probieren. Versuche, Wasser zu trinken, vielleicht hilft dir das. Ja, und außerdem binde dir etwas fest um den Bauch, damit du nicht auseinanderfällst. Probier es!“
Ich tat es und das verschaffte mir tatsächlich Erleichterung und gab mir etwas mehr Stabilität. Ich versuchte mehrmals Liegen, Sitzen in verschiedenen Stellungen, Herumgehen und fand dann eine Ruheposition.
Plötzlich läutete das Telephon und ich sprang – bevor ich zum Denken kam – auf und hob den Hörer ab. Dieses „automatische“ Aufspringen hatte mich aus meinen labilen Zustand gerissen. Jetzt war ich absolut klar, so klar, wie ich es noch nie in meinem Leben war. Ich wußte, was ich wollte und was ich nicht wollte. Ich sagte „Ja“ und ich sagte „Nein“ ohne jeden Skrupel. Ich war geradlinig, entschieden, scharf, selbstsicher und von einer ungewöhnlichen Geistesklarheit. Ein herrlicher Zustand!


Jetzt sitze ich beim Kaffee und die Erinnerung an meine Klarheit macht mich glücklich, fröhlich und zuversichtlich. Madame lächelt mich verschmitzt und fast konspirativ an. Ich verstehe zwar nicht, was sie meint, den ich verstehe das Gespräch der anderen wegen der fremden Sprache nicht, auf das sie sich vermutlich bezieht, aber das macht nichts.

Jetzt reden andere Andere in einer Sprache, die ich verstehe, aber ihr Gespräch verstehe ich dennoch nicht. Ich verstehe die meisten Wörter - manche werden auch halb oder ganz verschluckt - aber nicht den Sinn. Aha, über Pensionen und Steuern reden sie.

Im Spiegel bewegt der Wind die kleine Pflanze im Blumentopf. In Wirklichkeit sehe ich nicht hin. Dem armen Augustin kaufe ich nichts ab, und schenke ihm auch nichts.

Nebenan reden sie von hedonistischen Freunden, die den ganzen Tag mailen, wo sie abends essen werden. Und von maßlosen Zahlen. Ich hätte Kärnten in den Konkurs geschickt!

Die Menschen sind viel tiefer, als ich immer denke. Innen geht es tief hinein, in ganz große Tiefen, beinahe eine Unendlichkeit, trotz der äußeren traurigen, fröhlichen, zornigen, lächerlichen, lächelnden, intellektuellen, vernünftigen, unvernünftigen, dumben, distanzierten, distanzlosen, losen, weichen, festen Gestalt. Manchmal verrät eine kleine Geste von dieser Tiefe innen. Wenn man diese winzige Geste, die so nebenbei geschieht, wahrnimmt, dann muß man den Menschen lieben. Ohne diese Geste muß man nicht, aber kann – wenn man die Tiefe nicht vergessen hat. Die Geste hilft der Erinnerung. „Ich werde euch Ruhe verschaffen“. Ja, verschaffe mir Ruhe und Weite.

Ich sehe zum erstenmal Botendienste auf Motorroller. Welche Botschaften bringen sie? Eine Frau ist zu früh da; sie geht wieder ins Bureau.
Ich werde unruhig und gehe.

Ein kühler Wind zerrt und zupft an mir, und stichelt fast und versucht umzublättern. Hodo Bell schiebt sein Rad vorbei, in großen, festen Schritten. Ich muß an irgendeinen alten Krauterer am Land denken. Der rote Faden legt sich immer wieder über meine Seite, ich schiebe ihn weg, aber der Wind hilft ihm. Der Bettler wird lästig. Ich übe das Nein-Sagen. Fast gebe ich nach. Aber ich will. Ich argumentiere - was sinnlos ist, aber das Reden ist nicht sinnlos. Der Bettler nimmt sein klingelndes Handy heraus und ich muß lachen, weil es so nicht ganz glaubwürdig klingt. Er hört nicht auf, fast weint er gekonnt. Ich muß innerlich lachen. Morgen bekommt er etwas. Dieses Theaterstück ist auch nicht besser oder schlechter als irgendein anders. Mein Auftritt dabei genau wie alle anderen auch; genauso schuldig oder unschuldig oder jenseits davon.
Ach, momentan bin ich glücklich, da, bei meinen Lieblingsbäumen, direkt unter der lichten Birke. Der nächste Schnorrer. Meine Lieblingsbäume scheinen sehr großzügig zu sein.

Ganz hoch über uns ziehen dunklere Wolken, nicht finster, aber auch nicht sehr hell. Ihre Zuggeschwindigkeit wirkt majestätisch – nicht zu langsam, nicht zu schnell. Rede ich zu viel? Verrate ich alles? Die Birke hinter mir winkt mir von oben zu, aber nicht von oben herab; wie eine natürliche, grüne, lichte und leichte Schutzmantelmadonna umfassen ihre Zweige zart meine Energiegestalt. Der Wind wird lästiger und kälter. Jetzt lasse ich mich vertreiben. Heute gehe ich den helleren Weg.









©Peter Alois Rumpf Juni 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 16. Juni 2015

140 Der Turm zu Babel


Ich habe es zu weit getrieben, mit meiner Mißachtung, mit meinen Sticheleien, mit meiner Unzufriedenheit. Ich verstehe nicht mehr, was vorgeht.
Leute, die Besitzer oder Chefs sind, ob bodenständig oder firmentypisch.
Ich verlege mich aufs Bitten – nein.
„Ich darf mich nicht mit Sternen schmücken, denn meine Reise war nicht gut.“
Einer fragt: „Peter, hörst du die Lokomotive?“ - ich wundere mich noch, daß der mich kennt.
Ich habe mein Abschiedsgedicht gefunden. Ich bin lange in Gassen herumgeirrt, dicht verbaut, alt, durch Häuser, Dachböden, Keller und habe ein Tür geöffnet. Draußen war die Freiheit. Direkt vor mir ein unglaublicher Abgrund. Das Gebäude, in dem ich herumgeirrt bin, muß mindestens so hoch sein wie der Turm zu Babel. Die Tür führt ins Nichts, in den Abgrund, in die herrlich weite stille Landschaft der Freiheit und Unendlichkeit.
Die ganze Gruppe da am Abgrund weiß, daß sie springen muß; ich zögere noch, aber nicht aus Angst, sondern weil ich mein Abschiedsgedicht fertig schreiben will.
Es muß nicht der Tod sein, ich kann auch fliegen lernen. Ich rufe in mir das Gefühl des Schwebens in Erinnerung und springe – und bin aufgewacht.

Wieder eines dieser Häuser ähnlich dem „Haus am Fluß“. Wir packen schon zusammen für die Abreise. „Schau einmal ganz einfach in die Richtung, in die ich zeige!“
Ich irre im Haus und um das Haus herum und finde die richtigen Orte nicht.
Auch durch Frankreich irren wir; wir wollten – glaube ich – auch Lourdes erreichen.

Die Armee der Besatzer ist im Anmarsch. Viele flüchten. Wir bleiben. Die Flüchtenden bringen Unmengen an Hölzern, Flaschen und ähnliches mit und werfen es bei uns im Garten ab. So entsteht eine Art „Schutzwall“.
Es gibt einen Knall – die Feinde sind da. Sonst merkt man nichts.

Jetzt sind wir auf der Heimreise von einem Aufenthalt im hohen Norden. Ein Autofahrer kürzt uns den Weg ab, indem er uns mit dem Auto über einen gefrorenen See fährt. Ich habe ein mulmiges Gefühl, da tendenziell Tauwetter angesagt ist, für bald. Und tatsächlich, allmählich kommen wir immer schlechter voran.
Vorher hatte ich mit Fischfang zu tun: in einem Plastiksackerl trage ich einen toten großen, und einen lebendigen kleinen Fisch.

Ich höre von einem Käfer. Aber Näheres weiß ich nicht. Die Spinnweben bewegen sich still und sanft im Luftzug. Manchmal jedoch zittern sie richtig. Ah, ich höre, der Käfer war schwarz. Jemand klopft auf Holz. Ich glaube nicht aus abergläubischen Gründen. Jetzt klopfen sie zu zweit. Und müssen hineingehen.
Die liebende Karte liegt immer noch da. Der Pfeil ist immer noch nicht abgeschossen. Auf einer anderen Karte steht „Mut“. Fehlt dem kindischen Amor der Mut zum Abschuß?

Neumond im Zwilling ist heute. Das steht im Kalender. Jetzt werde ich die Krafttage suchen.







©Peter Alois Rumpf Juni 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 15. Juni 2015

139 Gelbe Recherche


Rosenblüten auf leichtem Blau. Unten Gelb. Viele Bücher sind gelb, vor allem die von Reclam, aber nicht nur, auch die Langenscheidts und die Döbereinerkarten. Auch die Karteikarte am Kastl wo draufsteht, daß ich nicht „sollen“ und „müssen“ soll - gelb. Und die, wo draufsteht, daß ich meine Frau liebe. Die Auferstehungszeichnung meiner jüngeren Tochter für mich an der Wand hat auch viel gelbes Leuchten und Strahlen; die Geburtstagskarte meiner Lieblingstante: gelbe Blumen mit Glücksbringern und die Zeichnung magischer Tiere meiner älteren Tochter: einiges an Gelb; in ihrer Apfelzeichung: ebenfalls viel Gelb.

Links neben mir noch ein paar Buchrücken in Gelb oder mit gelben Quadraten; zum Beispiel rororo, aber auch der gelbe Schriftzug „Juan Ramon Jimenez – Falter aus Licht“ auf schwarzem Buchrücken – eines meiner besonders geliebten Bücher. Die Rollo – gelb; eine Schachtel unbekannten Inhalts oben am Regal – gelb; die Flügel des Garagentors auf einem Bild von Daniela Hantsch – bräunliches Gelb und das Leuchten am Garagenboden - blaßgelb. Und das Preispickerl auf den Verlängerungskabel-Verteiler – gelb. Eine Schachtel, wo ich meine alten, kleinen Bilder mit Bilderrahmen aufbewahre, trägt einen gelben Kreis. Eine Einladungskarte zu einer Ausstellung von Neuvalis – das ist Alois Neuhold – mit einer Abbildung eines Bildes von ihm aus dem Jahre 1993 hat auch viel Gelb.

Und meine kleine Arbeit an der Wand, so eine Art Christusbild, hat eine gelbe Energiewolke. Noch ein gebasteltes Bildchen – von den Kindern? Aus Mexiko? - mit viel Gelb; wie auch die Medikamentenschachteln, die dort herumliegen auf meinem Nachkasterl, gelbe Aufschriften haben. Auch am „Papa“-Schild, das mir meine Kinder auf das Durchreichetürl getackert haben, ist das zweite „p“ gelb gestreift. Die Kunstkarte mit einem Bild Max Weilers, an die Bücher des Bücherregals gelehnt – auch darin einiges Gelb.

Im unteren Raum wieder viele Bücher und sonstiges Gelb. Am Boden steht ein rechteckiges Plastikkörbchen mit Stoffspielsachen; ein echter, flacher Korb mit Holzringen; ein kleinerer, echter Korb mit gehäkelten Stofftieren; eine grüne Plastiktasche mit Spielzeuggeschirr. Ein großes Emailsalatsieb in Dunkelrot; ein gehäkelter, rosa Behälter mit Roßkastanien; gestapelte Puddingformen, Blechdosen, Körbe mit kleinem Holzspielzeug, Holzeierbechern und Holzeiern.
Eine schräge Volksschulzeichnung meiner älteren Tochter an der Wand mit gelbem Hintergrund, und auf einer andere Zeichnung hat sie ihrer Schwestern gelbe Haare gemalt; ebenso eine Computerzeichnung – von wem? - mit Gelb; in einer Druckgraphik Jana Vizjaks: Blüten mit Gelb; gelbe Spielzeugbecher, zwei gelbe Langenscheidts stechen aus dem großen Regal hervor; die Lampe leuchtet noch gelblich; eine durchsichtige Plastikflasche, zur Hälfte mit gelber Farbe gefüllt.

Oben, im Vorzimmerchaos, unter der Leiter: eine gelbe Papiertasche unbekannten Inhalts; gelbe Notizzettel am schwarzen Couchtisch im Atelier, ein breiter, gelber Streifen im Teppich. In den Bildern meiner Frau und meiner Kinder – immer wieder Gelb. Eine Glühbirnenschachtel hat gelbe Flächen; eine Klebepistole mit gelber Düse und gelbem Abzug. Ein dicker, gelber Stift im Glas mit anderen Stiften; eine gelbe Affenlampe, gelbe Elemente auf den Rücken von Videokassetten und DVDs. Gelbe Staubgefäße in der Blüte einer Plastikblume; gelbe Handtücher – aufgehängt und im Stapel. Ein gelbes Warnschild an der Kinderzimmertür: Eltern und Besserwissern Zutritt verboten (aus der Zeit, als sie noch wirklich Kinder waren). Ein gelber Farbfleck auf einem zweckentfremdeten Nachtkästchen, zwei gelb angemalte Querstangen auf einem kleinen Holzschamerl.

Im Kinderzimmer gelbe T-Shirts, gelbe Glitzerpunkte auf einer Pfauenuhr, gelbes Plastiksackerl, wieder gelbe Elemente auf Buchrücken, papierenen Zierleisten, Papierherzen, Notizzettel, Mappen, Federpennale; auch auf einem langen, weißen Holzbrett mit achtzehn Garderobenhaken rosa und gelbe Graphik – handbemalt. Auf einem kleinen Bild von Daniela Hantsch grünliches und bräunliches Gelb; eine gelbe Papierblume unter anderen, ein gelb gestrichener Blumentopf. Im Blumenkisterl vorm Fenster zurzeit rote und blaue Blüten. Der Löwenzahn hatte im unteren Kisterl geblüht.

Ein gelbes Band zum Verzieren von Geschenken, ein gelber Stift, ein Reclambändchen Moliere, ein gelber Müllsack, eine blaß-dunkelgelbe Kerze, ein gelbes Klebeband, ein blaues Einbahnschild, das einem den Weg aus dem Zimmer weist.

Wieder draußen im Atelier: gelbes Mistsackerl in blauem Mistkübel; Flecken verschiedenen Gelbes am Fußboden – noch vom Malen und Stoffdrucken. Der schwarze Peter hat gelbe Handschuhe, eine gelbe Kappe, grüne Pupillen in gelben Augen, eine gelbe Schnauze, gelbe Stutzen und auf der Karte ein gelbes Dreieck.

Im Badezimmer: gelbe Tuben, eine gelbe Seife, die Lampe strahlt auch noch halbwegs gelb mit rosa Touch. Gelbe Zahnbürstenbosten, ein gelbes Putztuch, zwei gelbe Plastikflaschen mit Putzmittel, auch sonstige Verpackungen mit Gelb; am Duschvorhang ein paar gelbe geometrische Tiere, ein grünlich-gelber Waschlappen, ein Waschlappen mit leuchtend roten Mustern, die mir einmal das Leben gerettet haben – behaupte ich mal.

Unten leuchtet das Licht jetzt gelb. Am Boden: eine Reihe umgedrehter und aneinandergereihter Plastikbehälter, die inneren zwei gelb. Links davon: ein Haufen Häkeltiere und Häkelfiguren, ein paar davon gelb; rechts davon ein Haufen mit flauschigem Material überzogenen, biegsamen Stangerl – wie überdimensionierte Pfeifenstierler – ein Drittel davon gelb; außerdem am Boden liegend: Bilderbücher, Decken, kleine, gehäkelte Puppenmützchen - zwei davon gelb, ein heiliger Dreikönig und ein Hirte liegen auf einem Holzpodest, ein zweiter heiliger Dreikönig liegt am Boden, ein kleiner Plastikkübel liegt unterm Tisch; ein braune Roßkastanie sehe ich auch noch, ein umgefallenes Stoffsackerl, vollgestopft mit unbekannten Sachen. Auch von der Küche her leuchtet gelbes Licht die Tür herein und die drei gelben Mistsackerl für Metall, Plastik und Restmüll an der Tür zum Vorzimmer.

Und oben im Atelier hängen jetzt an zwei gelben Wäscheleinen, die mir vorhin bei der gelben Recherche nicht aufgefallen sind, ein oranges Badetuch, ein rotes Leintuch, ein roter Überzug mit verschiedenfarbigen roten Rechtecken, einem gelblichen und zwei dunkelorangen. Ein ebensolcher Polsterüberzug und ein weißes Handtuch mit blauen Blumenmustern. Von mir selber aufgehängt.

Die gelbe Macht bei meinen Lieblingsbäumen fällt mir noch ein.






©Peter Alois Rumpf Juni 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 13. Juni 2015

138 Der Traum vom Workshop


Camillo Zorres besucht einen Workshop; was für einen weiß er selber nicht. Seine Frau hat er irgendwie falsch angemeldet. Ihre Altersangabe macht er zweimal, aber mit verschiedenen Daten. In einer Pause sucht er die Toilette und irrt deswegen durch holzverschlagene, staubige Dachböden, die aber eher großen Scheunen auf alten Bauernhöfen gleichen. Er öffnet eine Tür und schaut in den hölzernen Raum. Dort hinten, im Dunklen, könnte das Klo sein. Er schaut noch. Da kommen drei Leute und sind schneller. Sie beachten ihn nicht und betreten den Raum, bevor er die Schwelle überschreitet. Gleichsam magisch gleiten der Mann und zwei Frauen an ihm vorbei, obwohl er in der Tür steht und die schmale Tür mit seinem Körper fast vollständig ausfüllt. Eine der Frauen sucht ebenfalls das Klosett. Sie öffnet bei einem Verschlag, der wie ein niedriger, fester Kasten aus dicken Brettern ausschaut, eine zweiflüglige Tür. Die hat eine Mechanik, die bewirkt, daß beim Öffnen auch nur eines der Türflügel der andere automatisch mit aufgeht. Dahinter, wie in einer kleinen, flachen Nische, thront auf einem kleinen Holzpodest der gesuchte Stuhl. Die Frau setzt sich gleich drauf.
Sitzt jemand drauf, so kann man die Tür nicht mehr schließen, weil die Knie aus der Tür herausragen; so flach ist die Nische. Die Frau sitzt auf dem Klo und redet mit den zwei anderen; Camillo Zorres beachten sie weiterhin nicht. Der hat jetzt Hemmung, den Raum zu betreten. Camillo Zorres denkt sich, „die war schneller als ich, aber sie gefällt mir“. Und muß warten.

Jetzt liegt er verschlafen im Bett, während der Traum vom Workshop langsam ins Vergessende sinkt. Mühsam hat er gegen sein Schlafbedürfnis ankämpfend den Traum notiert; aber jetzt läßt er ihn los. Er ist noch ganz voll von den starken Gefühlen des Traums, die er sich nicht recht erklären kann; die brauchen fürs Auflösen länger als seine Bilder. Aber so ist das mit gewöhnlichen Träumen.

Die Hitze setzt Camillo Zorres zu. Manchmal fühlt er sich stark, meistens jedoch schwach und flau.
Er betrachtet die Figuren auf der Karte. Lange schaut er sie an. Er findet aber keine Worte dafür. Seine Wörter sind nicht hitzeverträglich, jedes zerrinnt, verflüchtigt sich, schmilzt, wenn er glaubt, er hat eins gefunden.

Er denkt an Eiger Nordwand. Den Kontakt zu ihr hat er abgebrochen. Jetzt glaubt er sie im Bild der Königin zu erkennen. Hier schaut sie sanft, weniger schroff aus. Die andere Frau trägt einen Blumenkranz. Der kindische Amor zielt auf den Mann. Sein Pfeil ist noch nicht abgeschossen. Der Mann wirkt ein bißchen knieweich. Er schaut die Königin an. Neben, aber ein wenig hinter ihm, steht die Frau mit dem Blumenkranz. Was geht hier vor? Der Amor schaut ziemlich verschlafen drein, aber vielleicht zwickt er auch nur beim Zielen die Augen zu, verengt die Augen zu einem Schlitz, um seine Sehschärfe zu erhöhen.
Die Frau mit dem Blumenkranz wirkt leicht erschrocken, ihre rechte Hand könnte Abwehr ausdrücken. Die Königin schielt zum Amor hinauf, als warte sie, bis er endlich schießt. Ist das ein schelmisches Lächeln in ihrem Gesicht? Die Spannung ist am Zerreißen. Gleich passiert es, was immer es ist.







©Peter Alois Rumpf Juni 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 11. Juni 2015

137 Kurzer, schnörkelloser Bericht

Komuskra Dengli schützt seine Haut vor der Sonne und die Umgebung vor seiner Haut. Mit einem übergroßen, bunten Hemd. Er färbt nämlich noch ab. Er hatte eine Begegnung mit Orion. Nahezu unwiderruflich. Knapp vorher wurde ihm schwarz vor den Augen. Dann, nachher, peinigten ihn Zweifel. Dann hat er dünne Linien als zu dicke Linien erinnert. In Wellen kam fast etwas wie Panik angerollt. Denn diese Verabredung mit Orion war ein Tabubruch.
Dann, beinah plötzlich, als er die dünnen Linien wieder als dünne wahrnahm, beruhigte er sich. Und dann wurde er euphorisch. Beim großen, schlanken Mann hat er sehr viel geredet, unglaublich viel. Wie im Koffeinrausch. Seine Euphorie war nicht zu bremsen und mußte viel lachen. Dann wurde er stiller, dann still. Und führte die Euphorie nach innen, und machte sie inniger und feiner. So wurde sie eine starke, innen glühende Freude. Jetzt war er glücklich. Alles ist gut, so wie es ist. Er weiß, er ist ein Wanderer. Alles ist möglich.

Er sitzt und schaut staunend um sich. Alles ist intensiv. Die Formen und die Farben und das, was verschwimmt. Er schließt die Augen und fühlt. Eine kleine Spinne kommt auf Besuch und wollte ihm etwas ins rechte Ohr sagen; er hat es nicht verstanden, aber das macht nichts. Die Gedanken kreisen, aber das macht nichts. Manchmal sind sie schnell, manchmal langsam. Aber das macht nichts. Er mischt sich nicht ein. Es sind ein paar gute Ideen darunter. Zum Beispiel die mit den Schnittmustern. Die Sternbilder als Schnittmuster. Nur im Nacken passt etwas noch nicht. Noch fühlt er, wie ein großer Schwall Energie seine Brust ausdehnt und nach oben in den Kopf oder heraus will. Aber im Nacken gibt es einen Stau. Das macht nichts. Es kommt alles zur richtigen Zeit. Mit seinen Händen fächelt und drückt er diesen Energieschwall leicht an. Beim Aufstehen sagt er dann danke. Beim Gehen merkt er, wie hungrig er ist.

Jetzt hat er gegessen, beim Nil. Zufrieden sitzt er da und schaut erwartungsvoll in die Welt, voller Neugier. Er freut sich auf die Capella mit Fuhrmann, auf Cassiopeia, auf die Lyra mit Wega, auf Aldebaran …

Komuskra Dengli schaut aus dem Fenster. Ihm gefallen die Torbögen, die er sieht. Die Türen und die Tore, die Verglasungen und die Holzverkleidungen, die dicken alten und die dicken nicht so alten Mauern. Die Schatten- und Sonnenflecken auf dem Asphalt, die Bordsteine und die kleinen Grasbüschel in den Ritzen.






©Peter Alois Rumpf Juni 2015 peteraloisrumpf@gmail.com


Donnerstag, 4. Juni 2015

136 Der unrasierte Buddha


Angeblich wird gerade die Zwerggalaxie, zu der unser Sonnensystem gehört, von der Milchstraße verschlungen. Zuerst war ich in einem schwarzen Loch. Jetzt sitze ich im Schatten und schaue den Sonnenflecken zu. Den Sonnenlichtflecken. Sie stehen und liegen ziemlich still, nur vorbeifahrende Autos können sie aufscheuchen.
Der lockere Mann wirkt ganz schüchtern. Aber so, daß es ihn nicht stört. Er gestikuliert sehr mitfühlend. Hier, in diesem Bezirk, sind solche Männer erlaubt.

Drei Dreizehn-A fahren hintereinander vorbei. Unzählige kleine Insekten reflektieren das Sonnenlicht und bringen es in Bewegung. Unzähligere Staubpartikel tun es ihnen gleich.
Ein junger Mann streckt sich genüßlich. Drei Motorräder neigen ihre Lenker nach links, als wären sie im Stehen eingeschlafen oder gestorben.
Ein fester Mann mit Bodybildung stapft tapfer, seinen kahlrasierten Schädel in aufwendigen Kraftbewegungen vorwärtsschiebend, vorüber. Eine dünne Frau kommt auf der Suche vorbei. Der Schweiß macht das Papier auf meinen Unterarm kleben. Es ist nämlich heiß. Mir nicht. Ich bin ganz normal. Es gibt Irritation im Haus wegen eines sauren Brötchens.
Vier Leute nähern sich getrennt, drei bilden eine kurze Schlange, dann sind sie wieder weg.
Die Befähigung hängt an der Wand. Ein grünes Auto läßt das Spiegelbild der Sonne über sich laufen während es fährt. Die Glaserei wartet im Hintergrund des Schattens. Vergitterte Fenster wirken hier eigenartig. Aber sie sind logisch.
Im Stiegenaufgang hängen Photos von Zweig und Werfel. Ich bekomme Wasser. Viele Leute eilen vorbei, zu schnell, als daß sie etwas auslösen. Das Unausgelöste wartet weiter.

Ein Lastwagen schiebt verkehrt zurück. (Wie ginge nicht verkehrt zurückschieben?) Was „Taurin“ ist, will ich noch nachschauen. „Soll ich das Experiment ausdrucken?“, fragt eine Frau. Jetzt reden sie über Picasso. Ich gehe lieber. Daß ich beim Gehen schwitzen werde, ist kein Grund zur Panik.

Ich sitze vor der Platane, aber schaue nach Westen. Vor mir der herrliche Baum, nicht links von mir, wie sonst, wenn ich nach Süden schaue. Dafür bin ich weiter weg.
Eine Wolke gibt Schatten. Ein Mann schaut auf die Uhr. Hier ist der Verkehrslärm sehr laut, und außerdem arbeiten Preßlufthämmer.
Junge Frauen betrachten sich in den Auslagen. Alte Leute schleppen sich vorbei. Und alle dazwischen so, wie sie können.

Ein Mann deklariert seinen großen Bauch als „big wave“. Jetzt sitzt er neben mir und faltet seine Hände über den Bauch, wie ein unruhigerer Buddha, denn er bewegt nervös seine Daumen. Der Wind schiebt Verpackungsmaterial vorbei. Jetzt setzt sich der weibergaffende Buddha auf eine andere Bank. Illuminiert ist er vielleicht, erleuchtet noch nicht. Soweit ich das wissen kann. Kann ich das wissen? Nein! Doch, ja!
Er schürzt die Lippen, und bewegt seinen Mund. Einen weibergaffenden Mann anzuschauen ist kein erhebender Anblick. Jetzt hat er sich von der Bank erhoben und geht zu den Waschmaschinen. Ich darf diesen Blick nicht vergessen! Auch nicht den Ausdruck in seinem Gesicht. Er setzt sich wieder hin.
Das Siegerteam steht eine Minute in der Haltestelle. Wir drei auf den Bänken, wir sind es momentan nicht. Die Frau, die rechts neben mir schreibt, wirkt etwas obdachlos. Der unrasierte Buddha wuzelt sich eine Zigarette mit Kennerblick.

Hunde, die bellen, beißen nicht. Aber urinieren auf den Elektrokasten.

Eine Taube schnappt sich die zu Boden gefallene Spitze eines Eisstanitzels und läßt sie gleich wieder fallen, als wäre sie vor deren Größe erschrocken. Eine zweite Taube macht das genau so. Die Dritte – dasselbe. Erst zupfen sie, dann laufen sie davon.

Eine Frau wiegt ihre Hüften, während sie Waschmaschinen und Kühlschränke begutachtet. Den Blick nicht vergessen! Und auch nicht den Ausdruck im Gesicht! Gut. Soll er an mir sein Verhalten studieren.






©Peter Alois Rumpf Juni 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 2. Juni 2015

135 Die Schreibblockade


Im gemauerten Wasserbassin liegt ein eigenartiger Krebs. Er schaut schon mehr aus wie ein Holzstück mit seitlichen Wurzeln.
Links vom Wasserbassin, aber im Hintergrund, steht ein Gebäude, das eine Kapelle sein könnte. Oder doch die Rückseite einer größeren Kirche, eher eines Klosters. Rechts vom Wasserbassin, auch im Hintergrund, ein turmartiges Haus, mit hochfrisiertem Dach. Davor eine Bodenwelle, die sich wie ein Ried nach links zieht und sich dabei leicht nach vorne schiebt.
Gleich hinterm Wasserbassin, also weit vor den Gebäuden, liegen zwei Hunde und heulen; einer rosafarben, einer blau; der rosane mit rotem Halsband, der blaue ohne.
Es könnte sein, daß die Hunde tief dunkelblaue Schatten auf die Mauer des Bassins werfen, aber so klar ist das nicht.

Der Himmel ist trüb weiß, aber oben schwebt ein bunter Mond. Ich glaube, es sollte schon Nacht sein.
Die Kugel des Mondes hat ein Gesicht, welches nach links blickt. Ein Halbmond? Es gehen kurze, spitze, bunte Strahlen von ihm aus. Wassertropfen werden von ihm angezogen. Oder sind es Energietropfen?
Das weibliche Mondgesicht scheint mit den vollen, aber leicht aneinander gepressten Lippen eine resignative Geste zu machen. Wo dieses Gesicht hinschaut, befindet sich nicht im Bild.
Jedenfalls blicken die Hunde den Mond sehnsuchtsvoll an. Anhimmelnd.


Ich schreibe nicht mehr. Ich habe den Faden verloren. Schreiben, so etwas Kindisches! Wie ein kleines Kind, daß sich in eine Rolle hineingesteigert hat und nicht merkt, wie lächerlich das ist. Das Hineinsteigern und die Rolle. Und plötzlich ist der Zauber zusammengefallen, irgendwer sagt irgendetwas und es funktioniert nicht mehr. Bei mir hat niemand etwas gesagt. Ich war zu einer Unterbrechung gezwungen. Ich komme zu keiner Schreibtrance mehr. Ich komme da nicht mehr hinein. Irgendetwas hat sie mir weggefressen. Nicht von meinem Schüsserl weggefressen, sondern von mir, von meiner Aura. Direkt von mir abgeknappert. Ich bin der übriggebliebene Rest. Eine unangenehme Ernüchterung, die nichts klarer ausschauen läßt. Im Gegenteil.

Unten die üblichen Alltagsgeräusche. Eine große Unlust breitet sich aus. Macht sich breit. Behauptet ihren Platz und verdrängt alles andere. Ich bin ein Gefäß mit Sprung. Von Anfang an. Es kann weder das Wasser, noch den Wein halten.

Über dem Laubblatt an der Wand bildet sich eine kleine, grünlich leuchtende Masse und verschwindet wieder. Unten weint ein Kind. Ich schaue immer wieder zum Laubblatt, aber die grüne Masse erscheint nicht mehr. Ein Teil von mir ist nicht traurig, sondern gleichgültig und amüsiert sich über das Theater. Er findet alles wie es ist. Mir drohen immer wieder die Augen zuzufallen. Die Hände fühlen sich leicht geschwollen an, bamstig und schwerfällig. Die Katze kratzt an der Tür. Ein Seufzer kommt aus der Brust. Draußen sollte der Sommer sein. Unten das Kind weint nicht mehr. Es läuft fröhlich herum, man kann es an den Schritten hören. Jetzt laufen sie fröhlich zu zweit. Noch ein Seufzer. Gut. Gut. Wenn die unten weg sind werde ich frühstücken gehen. Dann üben. Dann den Text in den Computer schreiben. Oder umgekehrt. Wieder üben oder walken. Duschen. Mich vorbereiten auf den Weg zum Job, das Essen zubereiten. Wieder ein Seufzer. Okey!



©Peter Alois Rumpf Juni 2015 peteraloisrumpf@gmail.com